film "joy" im Streaming
Wie 3 Forscher Millionen Paaren ein neues Leben schenkten
Für viele kinderlose Paare wurde 1978 ein Traum wahr: Ein britisches Forschertrio entwickelte die künstliche Befruchtung. Der Film "Joy" auf Netflix erzählt diese Geschichte nun nach.
Künstliche Befruchtung – heute wird dafür in Anzeigen geworben und in jeder größeren Stadt gibt es spezialisierte Kliniken. Aber vor 50 Jahren war diese Idee noch Science Fiction – und gleichzeitig ein Hoffnungsschimmer für all jene Paare, die sich Kinder wünschten, aber keine bekommen konnten. Denn anders als heute, war Kinderlosigkeit bis in die 1970er-Jahre, neben der ohnedies vorhandenen Belastung für eine Beziehung, auch mit einem sozialen Stigma verbunden, das vor allem für Frauen sehr unangenehm werden konnte.
Kinder aus dem Reagenzglas Die Wissenschaftler Robert Edwards und Patrick Steptoe sowie ihre Assistentin Jean Purdy machten es sich 1968 zur Aufgabe, diese Situation zu ändern: Gemeinsam forschten sie an dem, was heute als In-Vitro-Fertilisation bekannt ist. Dazu werden einer Frau Eizellen entnommen, die im Reagenzglas mit Spermien befruchtet und danach in die Gebärmutter eingesetzt werden.
Gefälliges Drama für nebenbei Der britische Film "Joy", der ab sofort auf Netflix zu sehen ist, erzählt den Weg zum ersten "Retortenbaby" nach, in dem die gut 10-jährige Forschungstätigkeit des Trios Edwards-Steptoe-Purdy im Jahr 1978 schließlich gipfelte. Dieses Kind, die kleine Louise Joy Brown, wurde am 25. Juli 1978 geboren und nach ihrem zweiten Vornahmen ist auch der Film benannt.
Hochkarätige Besetzung Die Neuseeländerin Thomasin McKenzie spielt darin die junge Jean Purdy, während James Norton (bekannt aus der Krimiserie "Grantchester") Dr. Edwards und Bill Nighy (bekannt vor allem aus "Tatsächlich … Liebe") Dr. Steptoe mimen. Regie führte Ben Taylor, der bisher meist fürs Fernsehen gearbeitet hat und dem ein gefälliges, aber auch langatmiges Drama gelungen ist.
Affront gegen Gott? Dabei wird die Geschichte der künstlichen Befruchtung akkurat – und etwas spannungsarm – nacherzählt. Etwas weniger wissenschaftliche Akribie und etwas mehr Action würden dem Tempo des Films jedenfalls gut tun. In der ersten Hälfte von "Joy" werden aber einige interessante und relevante Themen angesprochen. Zum einen weht Jean Purdy in ihrer kleinbürgerlichen Community ob ihrer Tätigkeit rauer Wind entgegen, denn diese ist in den Augen der konservativen Gemeinschaft ein "Affront gegen Gott".
Widerstand gegen Fortschritt Selbst ihre Mutter wendet sich von Jean ab, will nichts mehr mit ihr zu tun haben, sogar der Kirchenbesuch wird ihr verboten. Dabei ist weniger ihr Geschlecht das Problem – um 1970 begann man sich langsam an Frauen in neuen Berufsfeldern zu gewöhnen. Sondern eben die Art der Arbeit, die für viele damals (wie die Abtreibung, mit der sie oft in einen Topf geworfen wurde) als verwerflich galt.
Von der Idee zur Innovation Der zweite interessante Aspekt von "Joy" ist, wie er den steinigen Weg von der Idee bis zur Verwirklichung illustriert: Ganze 10 Jahre dauerte es, bis das Forscher-Trio den ersten Erfolg vorweisen konnte, also das erste "Retortenbaby" auf die Welt kam. Auf dem Weg dorthin mussten sie mit Widerständen seitens Kollegen, Medien und oft auch der Familie zurecht kommen.
Plädoyer für Wissenschaft Dass die Kräfte des Beharrens seit jeher fordern, dass "alles bleibt, wie es ist" und der Vorteil von Innovationen nicht überall auf Akzeptanz stößt, ist eine gesellschaftliche Konstante seit Jahrtausenden. Und dass man diese Widerstände nur mit Mut, Ausdauer, Beharrlichkeit und jeder Menge Idealismus überwinden kann, ebenfalls – und das zeigt "Joy" recht anschaulich. Der Film lässt sich so auch als Plädoyer gegen Kleingeistigkeit und für wissenschaftlichen Fortschritt lesen.
Nomen non est omen Dass "Joy" seinem Titel trotzdem nicht gerecht wird und keine reine Freude ist, liegt an der meist lethargischen Erzählweise und dem generischen Drehbuch. Nicht oft hat man ein Werk mit solch einem spannenden Sujet gesehen, dem es fast gar nicht gelingt, diese Spannung zu transportieren und sein Potential auszuschöpfen. Da hilft es dann auch nicht viel, dass Bill Nighy, wie fast immer, eine überzeugende Darstellung als oberflächlich mürrischer Forscher mit weichem Kern liefert.
Fazit So ist "Joy" am Ende ein ganz ansehnlicher Historienfilm geworden, der einen der bedeutenden medizinischen Fortschritte des letzten Jahrhunderts solide nacherzählt – allerdings immer etwas zu brav, zu bieder und manchmal zu langweilig. Kann man auch nebenbei am Bildschirm dahinplätschern lassen, ohne allzu viel zu verpassen.
"Joy", Großbritannien", 115 Minuten, ab sofort auf Netflix