Operation "QRHELPFUL"

Wie die CIA verbotene Bücher in den Ostblock schmuggelte

Ein neues Buch bringt Licht in eine der "anspruchsvollsten Geheimdienst-Operationen aller Zeiten". 35 Jahre lang unterwanderte die CIA den Ostblock – mit Weltliteratur. Die kommunistischen Machthaber hatten sogar Bücher über Karotten verboten.

Omar Sharif als Doktor Schiwago im gleichnamigen Film mit Julie Christie
Omar Sharif als Doktor Schiwago im gleichnamigen Film mit Julie Christie
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The Economist
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Bücher wurden auf Booten, in Zügen und auf Lastwagen geschmuggelt, versteckt in Konservendosen, Babywindeln und sogar in den Notenblättern reisender Musiker.

Mehr als drei Jahrzehnte vor dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 schleuste die CIA 10 Millionen Bücher in den Ostblock, darunter George Orwells "1984", John le Carrés Spionagethriller und Virginia Woolfs Schreibratgeber. Das Programm war "das bestgehütete Geheimnis des Kalten Krieges", schreibt Autor Charlie English in seinem neuen Buch "The CIA Book Club: The Secret Mission to Win the Cold War with Forbidden Literature".

George Minden, der damalige Leiter des literarischen Propagandaprogramms, beschrieb den Schmuggel als "eine Offensive des freien, ehrlichen Denkens". Die Zensoren im Ostblock verboten Bücher aus ideologischen Gründen oder weil sie das Leben im Westen darstellten.

Die Urteile waren drakonisch und absurd. Kriminalromane von Agatha Christie ohne politische Botschaft waren verboten; ein Buch über Karotten wurde vernichtet, weil es beschrieb, wie sie in den Gärten von Privatpersonen wachsen konnten, nicht nur in Kollektivgärten.

The CIA Book Club: The Secret Mission to Win the Cold War with Forbidden Literature. Von Charlie English, 29,99 Euro.
The CIA Book Club: The Secret Mission to Win the Cold War with Forbidden Literature. Von Charlie English, 29,99 Euro.
Verlag Harper

Der Staat kontrollierte die Druckereien. Schreibmaschinen mussten registriert werden, und manchmal war eine Genehmigung erforderlich, um Papier zu kaufen.

Daher schickte die CIA Druckmaterialien an Dissidenten. Als Polen unter kommunistischer Herrschaft stand, trugen die von der Agentur gesendeten Tinten, Setzmaschinen und Fotokopierer zur Aufrechterhaltung eines Untergrund-Verlagsnetzwerks bei. Ein polnischer Drucker verglich diese Geräte mit "Maschinengewehren oder Panzern im Krieg", die es der Opposition ermöglichten, verbotene Bücher zu vervielfältigen und eigene Zeitungen zu veröffentlichen.

Adam Michnik, ein ehemaliger polnischer Dissident, sagte gegenüber Charlie English, dass illegale Bücher sein Land gerettet hätten: "Ein Buch war wie frische Luft. Sie ermöglichten es uns zu überleben und nicht verrückt zu werden."

Innerhalb und außerhalb der CIA hat das wissenschaftliche Programm bisher wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten. Charlie English kommt zu dem Schluss, dass das Programm äußerst erfolgreich war, obwohl es sich um eine der "anspruchsvollsten Geheimdienstoperationen aller Zeiten" gehandelt haben könnte. Man könnte es sogar als Romanstoff bezeichnen.

Boris Pasternak, Autor von "Doktor Schiwago", 1959 vor seinem Haus nahe Moskau
Boris Pasternak, Autor von "Doktor Schiwago", 1959 vor seinem Haus nahe Moskau
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35 Jahre lang wurde das geheime Buchprogramm betrieben, es trug den Codenamen "QRHELPFUL". Seine Ergebnisse waren beeindruckend. Die Operation habe dazu beigetragen, den polnischen Kommunismus zu besiegen und den Untergang ähnlicher Regime in Rumänien, Bulgarien, der Tschechoslowakei und Ungarn zu beschleunigen, behauptet English.

Die Kosten blieben überschaubar, zwei bis vier Millionen US-Dollar jährlich. Allein im letzten Jahr des Programms wurden 316.020 Bücher verschickt. Neben Weltliteratur gingen auch Zeitschriften und Videokassetten in die Länder des Warschauer Pakts und die UdSSR.

Nicht immer lief alles glatt. Im März 1984 untersuchten polnischen Zollbeamten einen Lastwagen, der auf einer Nachtfähre aus Kopenhagen gekommen war und im Ostseehafen Swinemünde, einer Hafenstadt im Nordwesten Polens, angelegt hatte. Sie forderten den Fahrer auf, die transportierten Gegenstände auszuladen, unter anderem einen Zahnarztstuhl.

Dann fiel ihnen etwas auf. Der Lieferwagen war außen länger als innen. Sie durchbrachen eine dünne Trennwand und staunten. Sie fanden auf der Ladefläche 800 Bücher. "Oh Scheiße! Reaktionäre Propaganda!", rief ein Beamter.

Die Sendung war für die Solidarność bestimmt. Der kommunistische Führer des Landes, General Wojciech Jaruzelski, hatte die polnische Oppositionsbewegung drei Jahre zuvor verboten. "The CIA Book Club" beschäftigt sich ausführlich mit Polen, dem Widerstand, wie Exemplare von George Orwells "Farm der Tiere" mit einem Ballon über den Eisernen Vorhang gebracht und abgeworfen wurden.

George Orwell an seiner Schreibmaschine
George Orwell an seiner Schreibmaschine
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Im Ostblock landeten immer mehr Bücher auf dem Index. Philosophische Texte von Albert Camus und Hannah Arend. Auch "Archipel Gulag", der Weltbestseller von Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn. Er wurde im Flugzeug nach Warschau geschmuggelt – in einer Babywindel.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein Autor mit dem Stoff beschäftigt. Schon 2014 schilderte das Buch "The Zhivago Affair: The Kremlin, the CIA, and the Battle Over a Forbidden Book" den Beginn der Schmuggelei. 1958 sandte der britische Geheimdienst dem CIA ein Geheimpaket. Inhalt: zwei Filmrollen mit abfotografierten Seitens eines Romans, der eben erschienen war: "Doktor Schiwago" von Boris Pasternak.

Das Buch war in Russisch verfasst, durfte aber in der Sowjetunion nicht mehr veröffentlicht werden. Die Briten schlugen der CIA vor, Kopien des Romans hinter den Eisernen Vorhang zu bringen. Washington war begeistert. Operation "QRHELPFUL" war geboren.

Man weiß das, weil vor 11 Jahren 130 CIA-Dokumente freigegeben wurden, darunter ein Memo, dass die geheime Beteiligung des CIA an der Aktion haarklein beschreibt. Etwa wie im CIA-Hauptquartier Mini-Taschenbuch-Ausgaben von "Doktor Schiwago" gedruckt und dann in die Sowjetunion wurden, wo sie via Handverteilung im Umlauf gebracht werden konnten.

Omar Sharif, Julie Christie in der Verfilmung des Bestsellers 1965
Omar Sharif, Julie Christie in der Verfilmung des Bestsellers 1965
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1965 wurde der Roman verfilmt, eine Starbesetzung sorgte für einen Welterfolg: Omar Sharif, Julie Christie, Geraldine Chaplin, Rod Steiger, Sir Alec Guinness, Klaus Kinski. Das versuchte die CIA zu nutzen. Auch der Vatikan spielte dabei eine entscheidende Rolle.

1958 fand in Brüssel die erste Weltausstellung nach dem Krieg statt. Die USA und die Sowjetunion betrieben riesige Pavillons, Belgien hatte 16.000 Visa an sowjetische Besucher ausgestellt, die perfekte Gelegenheit, weitere Exemplare des Buches hinter den Eisernen Vorhang bringen zu lassen. Im US-Pavillon konnte "Doktor Schiwago" aber schlecht unter die Leute gebracht werden.

Aber es gab auf der Weltausstellung auch einen Vatikan-Pavillon. Er hieß Civitas Dei, die Stadt Gottes, und ebendort gab es, etwas versteckt hinter einem Vorhang, einen Ort zum Nachdenken über die Unterdrückung christlicher Gemeinden auf der ganzen Welt.

Hier wurde Sowjetbürgern die von der CIA gesponserte Ausgabe von "Doktor Schiwago" in die Hände gedrückt. Manche rissen den Einband ab, trennten die Seiten heraus und stopften sie in ihre Taschen, um das Buch leichter verstecken zu können. Der US-Nachrichtendienst war begeistert.

Weltjugend-Festspiele in Wien 1959: Bücher flogen durch die Fenstescheiben
Weltjugend-Festspiele in Wien 1959: Bücher flogen durch die Fenstescheiben
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Ein Jahr später fanden in Wien die "Weltfestspiele der Jugend und Studenten für Frieden und Freundschaft" statt und die nächste Verteilaktion konnte starten – 30.000 Bücher in 14 Sprachen, darunter "1984", "Farm der Tiere". Und "Doktor Schiwago". Russische Emigranten warfen sogar Exemplare der CIA-Miniaturausgabe durch die offenen Fenster eines sowjetischen Buskonvois.

The CIA Book Club: The Secret Mission to Win the Cold War with Forbidden Literature. Von Charlie English, 384 Seiten; Verlag Harper, 29,99 Euro

Dieser Artikel basiert auf Recherchen von "The Economist", ergänzt durch weitere Quellen. “© 2025 The Economist Newspaper Limited. All rights reserved.”

“From The Economist, translated by www.deepl.com, published under licence. The original article, in English, can be found on www.economist.com

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