Kopfnüsse
Wie die Regierung auf ihrer Klausur mit der Tür ins Haus fiel
... und das sogar im wahrsten Sinn des Wortes. Über einen bahnbrechenden Auftritt, den seltsamen Kult um die Lego-Vespa von Christian Stocker, Geheimrezepte für den Thermomix. Und den Karrieresprung eines ehemaligen Kanzlersprechers.

Die Regierung begab sich diese Woche auf Klausur, am Ende wusste sie selbst nicht so ganz genau warum. Die Frage des Erkenntnisgewinns stellte sich auch für Journalisten gleich doppelt: Gab es überhaupt Erkenntnisse? Und wenn ja, waren sie ein Gewinn?
Mit KI-Stimme: Der Kanzler, seine Vespa und ein Thermomix
Da die innere Einkehr der Regierung von einer gewissen Ereignisarmut geprägt war, erlangten Randnotizen Bedeutsamkeit. Eine Tür außer Rand und Band etwa. Oder eine Personalie, die im Kanzleramt die Runde machte. Sie betraf einen Mann, der mehrere Jahre an dieser Örtlichkeit gewirkt hatte, das durchaus in gehobener Position, und der nun vor einem Karrieresprung steht.
Rupert Reif war von Jänner 2020 an Sprecher von Sebastian Kurz. Als der Kanzler im Oktober 2021 zur Seite trat, trat Reif zurück. Knapp danach stellte er Magnus Brunner seine Dienste zur Verfügung. Der Finanzminister trat 2024 nicht zur Seite, sondern einen Flug nach Brüssel an, aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Reif kehrte an den Ballhausplatz zurück. Er fühlte sich zum Sprachrohr und stellvertretenden Kabinettschef von Kanzler Karl Nehammer berufen. Nach dessen Abgang im heurigen Jänner trat der 35-Jährige einen "längeren Urlaub" an, aus dem er nicht mehr zurückkehren sollte, jedenfalls nicht an die alte Wirkungsstätte.
Am 1. April dockt Reif nämlich bei der Raiffeisengruppe an. Er wird Konzernsprecher der Raiffeisen-Holding Niederösterreich-Wien und der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien. Eine durchaus beachtliche Beförderung. Auf der Visitenkarte steht ist solchen Fällen geschmeidig der Titel "Head of Corporate Communications".
Reif folgt Michaela Haber nach. Unter ihrem früheren Namen Michaela Berger war sie dereinst Sprecherin von Finanzminister Hans Jörg Schelling. In Österreich lassen sich Geschichten häufig von beiden Enden her erzählen.

Das gilt auch für Regierungs-Klausuren. Generationen von Journalisten können darüber Großes berichten. Ihre Geschichten reichen von zauberhaften Inszenierungen bis hin zu tiefsinnigen Gesprächen um 3 Uhr früh an der Hotelbar. Bei mir heißt Regierungsklausur schlicht: Gemma Thermomix!
"Der Thermomix ist eine Küchenmaschine der Wuppertaler Unternehmensgruppe Vorwerk, die Lebensmittel sowohl zerkleinern und mixen als auch erhitzen und anbraten kann", schreibt Wikipedia. "Der Namensteil Thermo weist auf die Kochfunktion hin." Das ist gut beobachtet, drückt die Sachlage aber natürlich nur unzureichend aus. Denn der Thermomix ist für viele vor allem ein Lebensgefühl.
Als die Regierung noch Geld hatte, zumindest für sich, fuhr sie zum Teambuilding in mondäne Orte wie Mauerbach bei Wien, dem St. Moritz der Innenpolitik. Das ergab hübsche Bilder von geschäftigem Treiben, ein Klassenfoto mit lauter fröhlichen Gesichtern, hinter den Türen wurde mit großer Leidenschaft über Vorhaben verhandelt, die schon Tage davor vereinbart worden waren. Es handelt sich um ein Ereignis der Darbietungsform Show. Wie der Cirque du Soleil in Neu Marx.

Am Ende des ersten Tages gab es immer ein gemeinsames Abendessen mit Journalisten. Der genaue Sitzplan für diesen Cirque du Soleil war Chefsache und das erweiterte in zumindest einem Fall meinen Horizont. Am 10. und 11. Jänner 2023 fand die Klausur im Hotel Schlosspark Mauerbach statt und ich kam an einem Tisch mit zwei Ministerinnen zu sitzen. Ihre Namen nicht zu nennen, gebietet die Diskretion.
Zwischen Kerbelknollencremesuppe und Konfierter Entenkeule nahm das Gespräch eine erstaunliche Wendung. Die Ministerinnen entdeckten nämlich, dass beide einen Thermomix daheim stehen hatten, wenn auch offenbar noch nicht allzu lange. Sie befanden sich noch in einer Phase der kindlichen Entdeckungslust, wie Pfadfinderinnen, die das erste Mal einen Jungwald erkunden.
Das führte dazu, dass ein reger Austausch von Rezepten begann. Es waren keine allzu komplizierten Angelegenheiten dabei, beide schienen in ihrem bisherigen Leben mit der Tätigkeit Kochen eher eine Fernbeziehung geführt zu haben. Ich saß stumm daneben, einerseits aus Erstaunen, andererseits weil ich nichts zur Sachlage beitragen konnte.

Bis ich in Mauerbach mit der Materie befasst wurde, hatte ich nämlich nur eine sehr ungefähre Ahnung davon, was ein Thermomix ist. Ich dachte immer, Menschen, die nicht kochen können, oder keine Zeit dafür haben, oder beides, schütten alles, was ihnen in die Hände fällt, in ein Gerät, drücken ein paar Knöpfe und sagen: "Oida, mach!"
Dann sah ich mir ein paar Videos an und merkte: es ist genau so. Ich schaute einem Mann im Trainingsanzug einer eher älteren Modellreihe dabei zu, wie er einen Eisbergsalat fünftelte, die Teile in den Thermomix steckte, Wasser dazu gab, ein paar Knöpfe betätigte und sich kurz danach darüber freute, dass der Salat gleichzeitig gewaschen und geschnitten worden war. Einfach so.
Das Video dauert über drei Minuten. In der Zeit hätte meine Omi früher ein veganes Buffet hergerichtet. Ohne überhaupt zu wissen, dass es vegan war. Und ohne Thermomix.



Aber die Zeiten werden nun noch besser. Am 7. April gibt es nämlich für den ganzen Salat ein Update. Da kommt der Thermomix TM7 in den Handel. Auf ihn warten einschlägige Neigungsgruppen wie Fans des FC Liverpool auf Auftritte ihrer Reds. "You never walk alone", wenn du einen Thermomix hast.
Der TM7 wird 1.549 Euro kosten. Viel Geld für die Frühform einer KI.
Für 60 Euro im Jahr gibt es das digitale Rezept-Portal "Cookidoo" im Abo dazu. Es definiert, in welcher Reihenfolge die Lebensmittel in den Rachen der Maschine geworfen werden müssen. Ohne "Cookidoo" ist der Thermomix aufgeschmissen. Umgekehrt natürlich auch.

Das Unternehmen hat natürlich einen schickeren Namen für den Vorgang, es nennt die Fütterung "Guided-Cooking-Prozess". Wahrscheinlich sind das dieselben Leute, die zu Konzernsprechern "Head of Corporate Communications" sagen.
Der "Guided-Cooking-Prozess" ist eine Art Teilentmündigung für Lebensmittel und ihre Nutzer. Trotzdem oder gerade deshalb macht Vorwerk im Jahr weltweit 3 Milliarden Euro Umsatz, beschäftigt 100.000 selbstständige Verkäuferinnen und Verkäufer. Vom altem TM6 wurden in Österreich 250.000 Stück verkauft, 90 Prozent der Besitzer schlossen ein "Cookidoo"-Abo ab.
Auf den neuen tollen Hecht freuen sich viele, obwohl "jede Generation die Meinung spaltet", wie der Standard feststellte. Der Kurier hat aber eine Ahnung, warum der TM7 trotzdem für Ekstase sorgen wird: "Die Funktion 'anbraten' ist als separater Modus frei wählbar."

Die aktuelle Regierung wollte in dieser Woche nichts anbrennen lassen. Fürs Köcheln ist neuerdings wieder ein Mann zuständig, der auf diesem Gebiet einiges an Expertise vorzuweisen hat. Gerald Fleischmann war der "Mister Message Control" von Sebastian Kurz, nun schupft er den "Guided-Cooking-Prozess" der Dreier-Koalition.
Fleischmann sorgt dafür, dass vor allem der Kanzler ausreichend häufig in den Medien vorkommt, also eigentlich immer. Die Stocker-Festspiele wurden am vergangenen Sonntag mit dem obligaten Krone-Interview eröffnet. Es folgten weitere Interviews, die Vorschau auf die Klausur, die Klausur selbst, der Rückblick auf die Klausur, Pressekonferenzen, Doorsteps, die Reise zum EU-Gipfel - der Kanzler wurde zu Österreichs Antwort auf den Thermomix. CS25 statt TM7.
Als verbindendes Element der Inszenierung wurde ein Lego-Bausatz auserkoren. Offenbar ist auch in der Regierung wichteln üblich und deshalb schenkte Claudia Plakolm dem Kanzler zum Amtsantritt ein hellblaues Vespa-Modell, 35 Zentimeter lang, 22 Zentimeter hoch. 1.107 Teile für 99,99 Euro. Altersgrenze 18+, das hat Plakolm gerade so eben geschafft.

Die designierte Familienministerin soll die Vespa eigenhändig zusammengesetzt haben. Ich habe da meine Zweifel, aber die Vorstellung erheitert mich zugegebenermaßen. Plakolm sitzt im Büro, ihre Sprecherin meldet einen Besucher an, aber die Bundesministerin ohne Portefeuille winkt ab: "I ko jetzt nit, i bau grod den Hölm vom Stocker z'samm".
Das fertige Moped steht nun auf einem Silbertablett und das Silbertablett auf dem 300-Kilo-Schreibtisch des Kanzlers im Kreiskyzimmer. Von dort aus schaffte es die Vespa aus unerfindlichen Gründen die gesamte Woche über zum Inhalt breiter Berichterstattung zu werden. Sogar das Wort Geheimnis kam darin vor.
Was ohne Geheimnisverrat gesagt werden kann: Christian Stocker hat zwar keine Wespentaille, aber jetzt ziemlich viele Vespa-Teile.


Dann kam die Klausur, deren wesentlichstes Merkmal es sein sollte, dass es keine Klausur gab. Eher einen Extra-Ministerrat mit einem Tag Verfrühung. Die Regierung fuhr diesmal nicht nach St. Moritz, sondern blieb daheim. Beschlüsse fielen keine, außer dass es eine neuerliche Klausur am 8. April geben soll, da aber dann richtig.
Die Zusammenfassung der Zusammenkunft hätte verknappt so ausschauen können: "Die Regierung hat sich zur Klausur getroffen es hat allen gut gefallen." Das hätte in den Zeitungen Platz frei gemacht, um mehr über Simone Lugner berichten zu können.
Für den ersten Aufschlag wurden WIFO-Chef Gabriel Felbermayr und IHS-Direktor Holger Bonin an den Tisch gebeten. Die beiden Experten sollten die wirtschaftliche Situation im Land einschätzen, was dazu führte, dass die Regierung beschloss, in die Hände zu spucken.
Genau genommen, bekannte sich die Koalition dazu, eine Strategie für eine Reform auszuarbeiten, die sie in die Lage versetzt, in die Hände spucken zu können. Das dann allerdings "nachhaltig".

Mit der Ankündigung der Ankündigung fiel die Regierung am Dienstag dann mit der Tür ins Haus und das buchstäblich. Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger hatten zur Pressekonferenz geladen, doch als der Kanzler als Erster den Saal betrat, sprang die rund vier Meter hohe Tür an der Oberseite aus den Angeln.
Sie neigte sich leicht nach hinten, als wollte sie zu einer Verbeugung ansetzen, verharrte dann aber in dieser Position, ohne auf Babler oder Meinl-Reisinger zu stürzen. Österreich hatte Glück, dass aus der Dreierkoalition an diesem Nachmittag aus göttlicher Fügung keine Zweierkoalition wurde.
Im Kanzleramt selbst sorgte der Vorfall für keine großen Irritationen. So etwas sei schon vorgekommen, schließlich handle es sich um ein historisches Gebäude, hieß es. Die Tür wurde behutsam angelehnt und nach der Pressekonferenz wieder in die Angeln gehoben.

Viel mehr war nicht. Die drei Parteichefs lasen auf der Pressekonferenz Teile des Regierungsprogrammes vor, auch schön, aber nicht der große Sprung vorwärts. Die Ankündigung, sich nach zwei Preisexplosionen bei der Energie nun um eine "Grundsatzreform" zu bemühen und sich das System Merit-Order anschauen zu wollen, fällt unter Frotzelei.
Die Journalisten saßen auf Plastiksesseln in Kristallluster-Optik eng an eng, vermutlich wollte man sie spüren lassen, wie brutal das so ist auf der Regierungsbank im Nationalrat. Am Ende stellte ORF-Reporterin Katja Arthofer die entscheidende Frage: "Warum dann das heute hier?"
"Man kann das sehen, wie immer man will", antwortete der Vespa-Buddha aus Wiener Neustadt und damit war alles gesagt.


Der Konter wurde mit Wohlgefallen aufgenommen. Auch in Woche drei bekam die neue Regierung jede Menge Zuckerguss verpasst. Die Berichterstattung rangiert zwischen freundlich, gutgesinnt und überschwänglich. Obwohl Qualität und Menge der Beschlüsse bisher bescheiden blieben. Obwohl die Zahl der Interviews, in denen nichts Substanzielles gesagt wird, immer noch unerträglich hoch ist.
Obwohl der Finanzminister diese Woche die Senkung der Lohnnebenkosten so gut wie absagte. Obwohl ein paar Regierungsmitglieder jetzt plötzlich ein EU-Defizitverfahren gar nicht mehr so schlimm finden.
Obwohl einzelne Insta-Auftritte, wie zuletzt etwa von Wolfgang Hattmannsdorfer bei der AUA, geschmackliche Grenzüberschreitungen darstellen. Und obwohl einzelne Minister auf ihren Profilen Amtstitel führen, auf die sie noch gar nicht angelobt wurden.
Ich bleibe bei meiner Prognose: Lange wird dieses Hochgefühl nicht halten. Da setze ich einen Thermomix drauf.

Ich wünsche einen gut gemixten Sonntag. Eine mir nahestehende Person hat die Lego-Vespa auch zusammengebaut und das schon vor einiger Zeit.
Wenn mich die mir nahestehende Person jetzt fragen würde, ob sie deswegen ebenfalls Minister wird, würde ich antworten: "Du Rotzpipn, schau lieber, dass du einmal ausreichend viele Follower auf Instagram zusammenbringst!" Erziehung kann ich.
Bis in einer kleinen Weile!