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Wie ein "Döner-Preisdeckel" den deutschen EU-Wahlkampf verschluckt
Auch kein Laberl: "Die Linke" forderte laut Parteivorstands-Beschluss eine Preis-Obergrenze für Döner. Nun folgen andere Parteien der Idee und verderben damit sogar Kanzler Olaf Scholz den Appetit. Eine kleine "Esskapade" zum Thema.
Das Schriftstück trägt die Ordnungszahl 64 aus 2024 und stammt vom 8. Mai. Einen Tag zuvor hatte der Parteivorstand der "Linken" getagt und die Ergebnisse der Beratungen wurden unter dieser Überschrift zusammengefasst: "Linke Wirtschaftswende heißt: Löhne hoch, Preise runter, Profite deckeln!" (hier zum Nachlesen)
Unter Punkt 2 wurden dann eher die Preise gedeckelt, weil die Profite schon unter Punkt 1 gedeckelt worden waren, aber grundsätzlich kommt in dem Positionspapier recht oft der Deckel irgendwo drauf – auf Gewinne, Energie, Grundnahrungsmittel, auf Mieten, im Privatbereich und im Gewerbe, auch beim Essen scheint ein Deckel nötig und da kommt der Döner ins Spiel.
"Für viele Menschen ist der Imbiss nach Feierabend ein Luxus geworden", schreibt die Linke nämlich. "Der Döner kostet mittlerweile mehr als 7 Euro – in München 8,30 Euro. In Deutschland mussten seit 2020 48 000 Restaurants und Imbissbuden schließen. Auch deshalb ist es wichtig, (Gewerbe-) Mieten, Energie- und Lebensmittelpreise zu deckeln."
Das Festmahl könnte hier sein Ende finden, denn die "Linke" darf zwar im deutschen Bundestag Platz nehmen, in die Nähe der Regierungsküche, um Deckel verordnen zu können, schafft sie es aber nicht. Bei der letzten Bundestagswahl kam die indirekte Nachfolgepartei der ostdeutschen SED auf 4,9 Prozent, im Bundestag reicht das für immerhin 39 Sitze, vier Jahre zuvor waren es aber noch 69. Bei der Europawahl 2019 wurden 5,5 Prozent erreicht, die gilt es Anfang Juni zu verteidigen und das soll mithilfe von Carola Rackete gelingen, bekannt als Kapitänin bei Schiffsrettungen im Mittelmeer. Und mit Döner.
Preisdeckel sind nichts Ungewöhnliches. Weil der Kaffee den Italienern aus gutem Grund heilig ist und deshalb zu den Grundnahrungsmitteln gezählt wird, ist er preisgeregelt. Das ist seit 1911 schon so, Kommunen dürfen also festlegen, wie viel die Wirte maximal für einen Kaffee verlangen dürfen, wenn der "al banco", also an der Theke und im Stehen, konsumiert wird. Deshalb sollte sich niemand wundern, wenn er in Hochpreisgebieten wie Rom oder Venedig für einen Cappuccino plötzlich nur 1,50 Euro zahlt. Es soll schon Menschen gegeben haben, die an einen Irrtum des Wirten geglaubt haben, austranken, zahlten und wegrannten.
Was dem Italiener der Latte, ist dem Österreicher das Schnitzi. Zu einem Schnitzeldeckel – oder einem Bröseldeckel – haben wir es zwar noch nicht geschafft, aber immerhin gab es während der Phase der Pandemie Schnitzelgutscheine. Das immaterielle Panierkulturerbe wurde also preislich einigermaßen abgesichert, aber die Deutschen wollen jetzt auf Nummer sicher gehen, um nicht vollends in die Tunke zu geraten.
Der "Stern" roch als Erster den Braten und brachte die "Dönerpreisbremse" aus der Speisekarte der "Linken" digital zu Papier. Döner sei der "Star unter den Streetfood-Gerichten in Deutschlands Großstädten", berichtete das Magazin. Weil aber die Kosten für Fleisch, Energie und Lebensmittel zuletzt in die Höhe geschossen waren, sei auch der Preis für die heiße Ware explodiert. Die "Linke" hatte noch von 8,30 Euro in München geschrieben, nun wurde eine Umfrage von "Lieferando" zitiert und darin ist sogar von einem Dönerpreis in Hamburg von bis zu 10 Euro die Rede.
Die "Linke" will einen Höchstpreis von 4,90 Euro, die Mehrkosten soll der Staat übernehmen. In dem öffentlich aktuell einsehbaren Positionspapier findet sich nichts (mehr?) davon, aber der "Stern" schreibt: "Jedes Jahr werden in Deutschland 1,3 Milliarden Döner gegessen. Wenn der Staat für jeden Döner drei Euro zuzahlt, kostet die Dönerpreisbremse knapp vier Milliarden." Auch Dönergutscheine sollen kommen, für Schüler sollen Döner nur 2,50 Euro kosten, der Begriff der gesunden Jause wird kulinarisch neu aufgeladen.
Auf TikTok bekam der Döner schnell Flügel und die trugen ihn bis in die Politik. Plötzlich wurde Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf öffentlichen Veranstaltungen zugerufen, er solle den Dönerpreis senken, auf TikTok gibt es mehrere Videos davon zu sehen. "Olaf, mach Döner wieder drei Euro!", ist dabei etwa in gepflegtem Deutsch zu hören.
Das nahm so überhand, dass Scholz am 11. März in einem Video auf Instagram darauf antwortete, aber die Küche blieb kalt. "Wir leben in einer Marktwirtschaft", sagte er. "Da bilden sich Preise durch Angebot und Nachfrage, aber natürlich auch durch die Kosten, die diejenigen, die den Döner herstellen, zu tragen haben."
Die SPD wäre aber nicht die SPD, so wie die SPÖ nicht die SPÖ wäre, wenn nicht der größte Widerstand aus der eigenen Küche käme. Frederic Augustin, Berliner SPD-Kandidat für die Europawahl, forderte nun ebenfalls billigeres Drehgrillfleisch. Der Sozialdemokrat baute laut "Rheinischer Post" einen Wahlkampfstand neben einem Kebab-Imbiss auf und warb auf einem Plakat dafür: "Wir machen Döner wieder 3 €."
150 Menschen kamen, aßen das verbilligte Grundnahrungsmittel, die Differenz auf den echten Preis zahlte Augustin aus seiner Wahlkampfkasse. Weil der Erfolg für sich sprach, wiederholte er die Aktion ein paar Tage später und nun schaute SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert vorbei, veröffentlichte danach Videos auf Instagram und TikTok und machten die Billigdöner-Aktion, die ihr Parteichef zuvor abgesagt hatte, wieder zum Tagesgericht.
Eine Dönerpreisbremse will die SPD zwar immer noch nicht, aber: "Döner ist politisch!", schreibt Kühnert zum Video. Und: "Am 9. Juni SPD wählen, damit der Döner wieder bezahlbar wird."
Dagegen schauen Österreichs Debatten über Lena Schilling ja fast wie Erwachsenensport aus.