Wahl-Kopfnüsse, Folge 17
Wie sich die Volkspartei beim Geschlecht irrte
10 Tage vor der Wahl legte die ÖVP der FPÖ einen Elfer auf. Sie stimmte im Nationalrat "aus Versehen" einem Gesetz gegen die eigene Parteilinie zu. In die Jubelmeldungen über 500 Millionen Hochwasser-Hilfe der EU mischte sich Ärger. Intern und sonst.
Der Gipfel der Hemdsärmeligen dauerte nur 45 Minuten. Und genau dieses Bild sollte vermittelt werden: Wir sind schnell und wir packen an. Deshalb standen Karl Nehammer und Donald Tusk, die beiden Hauptakteure an diesem Nachmittag, bei der Pressekonferenz ohne Sakko da, so im Werner-Kogler-Style, die Ärmel ihrer Hemden waren aufgekrempelt. Sie hätten, ohne sich umziehen zu müssen, ins Hochwassergebiet zum Schaufeln fahren können. Die Gummistiefel hätten sich schon gefunden.
Hier finden Sie den Podcast mit meiner KI-Stimme
Am Dienstag hatte der polnische Premierminister seinen österreichischen Amtskollegen angerufen und ihm von seiner spontanen Idee einer EU-Hochwasserhilfe erzählt. Aus seiner Zeit als Präsident des Europäischen Rates von 2014 bis 2019 weiß Tusk, wie der Goldhase in der EU läuft. Der Kanzler entschied sich spontan für Polen. Und gegen die Elefantenrunde auf Servus TV. Später sollte sich herausstellen: Er hätte diesen Entschluss gar nicht fassen müssen.
Am Donnerstag saß Nehammer um 15 Uhr in Wien-Schwechat im Bedarfsflieger und nahm, begleitet von einem Tross Journalisten, Kurs auf Breslau. Auch der Ort sollte Symbolkraft ausstrahlen. Breslau hatte sich in einem Kraftakt gegen das Hochwasser gestemmt, tagelang waren mit Sandsäcken Dämme gebaut worden, am Ende wurde das Schlimmste verhindert. Viele Landstriche in Europa, vorrangig in Österreich, können das nicht von sich behaupten.
Der schlaue Fuchs Tusk legte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den roten Teppich aus. Er hatte sie, Nehammer und seine Amtskollegen Robert Fico aus der Slowakei und Petr Fiala aus Tschechien zum Hemdsärmel-Gipfel eingeladen (Ungarns Viktor Orbán ließ man daheim). Und von der Leyen, aufgerüscht von der Idee, endlich einmal etwas Positives verkünden zu können, sprach den notgebeutelten Ländern 10 Milliarden Euro zu. Ich bin immer wieder überrascht, wie schnell die EU Bäume findet, auf denen Geld wächst.
Am Ende bekam Österreich 500 Millionen Euro Hochwasserhilfe zugesprochen, viel und wenig gleichzeitig. Das Geld stammt aus dem Kohäsionstopf, der eigentlich dafür gedacht ist, wirtschaftlich schwachen Regionen auf die Beine zu helfen. Aber mein Gott.
Einen Hebel braucht Österreich nicht. Normalerweise müssen Länder selbst Geld aufbringen, die EU schießt dann weitere Mittel zu. Diesmal fällt der Programmpunkt aus, es wurde der Eindruck vermittelt, die 500 Millionen wären ein Geschenk. Dass irgendwer vorher das Geld in den Kohäsionstopf gelegt haben muss, blieb unerwähnt, vielleicht war es auch der Osterhase.
Es war ein Tag der großen Worte. "Wer schnell hilft, hilft doppelt", sagte der Kanzler. Und Tusk lobte sich selbst noch einmal für die Schnelligkeit der eigenen Show. Aus "2 Minuten 2 Millionen" waren flugs "45 Minuten 10 Milliarden" geworden.
Knapp nach 20 Uhr war der Kanzler wieder daheim, der Polen-Trip hatte nur fünf Stunden gedauert. Er hätte elegant Zeit gehabt, zur Elefantenrunde von Servus TV nach Salzburg zu gelangen, den Termin hatte er aber am Vortag abgesagt. Dem war ein Verhandlungs-Marathon vorangegangen, der jedenfalls länger dauerte als 45 Minuten. 10 Milliarden sind schnell einmal aufgestellt, aber bring einmal fünf Polit-Rennpferde in eine TV-Koppel!
Weil Nehammer nicht kommen wollte, sagte zunächst Kickl ab, dann Babler. Die Debatte sollte von Salzburg nach Wien verlegt, statt live aufgezeichnet werden. Das ging aber in Wien nicht, weil in die Studios in der Krieau die Sonne hineinscheint und das erhöht bei einer Sendung, die um 21.50 Uhr beginnen soll, nicht unbedingt Glaubwürdigkeit und Authentizität.
Im Nachgang wird der Kanzler froh sein, auf Salzburg gepfiffen zu haben. Er hätte sich dort einer ärgerlichen Debatte stellen müssen. Denn die Grünen haben den Partner Volkspartei auf den letzten Metern der Regierung noch einmal über den Tisch gezogen, was sie natürlich dementieren. Und man muss auch sagen: Zum Austricksen gehören immer zwei, einer der tut, und einer, der lässt.
Bei Tagesordnungspunkt 9 der 276. Sitzung des Nationalrates am 18. 9. 2024 handelte es sich um den 933. und mutmaßlich letzten Gesetzes-Beschluss der aktuellen Bundesregierung, das juristische Pfiat-di-God-Achterl also. Es ging um die Dienstrechts-Novelle für den öffentlichen Dienst. Insgesamt 15 Gesetze, die teilweise aus 1948 stammen, sollten geändert werden. Geändert wurden sie tatsächlich, aber die Grünen hatten ein Osterei im Nest versteckt.
Die Dienstrechts-Novelle bringt Beamten mehr Geld und allerlei Verbesserungen. Das fand die ÖVP super. Als weniger super empfand sie eine Änderung im Bundesgleichbehandlungsgesetz, von der wusste sie allerdings zunächst nichts. Die hatten die Grünen reingeschummelt. Dem Budgetausschuss fiel auch nichts auf, der Gleichbehandlungsausschuss, der damit eigentlich befasst hätte werden müssen, wurde nicht befasst. Frauenministerin Susanne Raab wusste auch nichts, das aber ist weniger eine Überraschung.
In Artikel 11 des Bundesgleichbehandlungsgesetzes geht es nun nicht mehr um die "Gleichstellung und Gleichbehandlung von Frauen und Männern", sondern um die "Gleichstellung und Gleichbehandlung aufgrund des Geschlechts". Also statt "Frauen und Männer" nun "Geschlecht". Das ermunterte FPÖ-Chef Herbert Kickl, die Zurückhaltung im Nachgang des Hochwassers über Bord zu werfen. "Die ÖVP unter Nehammer dreht nun völlig durch", schrieb er auf Facebook. Sie schaffe "mit Rot-Grün die biologischen Geschlechter ab."
Umstritten ist die Änderung aber weit über die Freiheitlichen hinaus. Die grüne Abgeordnete Faika El-Nagashi schwänzte die Sitzung extra deswegen und stellte sich auf X klar gegen die neue Formulierung. Das tut nun auch die ÖVP. Sie erfuhr kurioserweise über unzensuriert.at. von den Vorgängen, eine einschlägige Geschichte des FPÖ-nahen Rechtsaußen-Mediums kursierte ab Donnerstag in der Früh im Parlament. Das entsetzte Gesicht von VP-Nationalrätin Gudrun Kugler, zu sehen auf Instagram, ist pures Gold.
Die Volkspartei versuchte es noch mit einem Abänderungsantrag, die Grünen ließen sie abblitzen. Die Debatte vor der Abstimmung blieb kurz. ÖVP, Grüne und SPÖ stimmten zu. Die Novelle sei "in die Hose gegangen", sagte der FPÖ-Abgeordnete Markus Leinfellner. Das wiederum ist unbestreitbar.
Die ÖVP steckt nun (wieder einmal) in einem Dilemma. Sie kann das Gesetz im Bundesrat natürlich blockieren, aber eben nur als Ganzes. Wir lernen: Renaturierungen gibt es auch im Parlament.
Ich wünsche einen biologisch abbaubaren Freitag. Herbert Kickl sagte gestern auch seine Teilnahme an der Elefantenrunde von Puls 4 ("linke Hausmacht") und Kronen Zeitung ("skandalöse Fotomontage") am Sonntag ab. Ich hoffe, er lässt sich jetzt nicht auch noch vom Wahlzettel streichen.
Alle bisherigen Wahl-Kopfnüsse
- Folge 1: So wurde ich für den Kanzler zu einer KI
- Folge 2: Bestäubungs-Staberln und ein Wasserträger
- Folge 3: "Natürlich hat er das, ich bin kein Vollidiot"
- Folge 4: Zwischen starker Mitte und Impotenz
- Folge 5: So führt uns der Kanzler in Wien aufs Glatteis
- Folge 6: Die Volkspartei und ihr Tom Cruise von Kagran
- Folge 7: Brandherde, Brandreden und eine Brandmauer
- Folge 8: Hurra, Hurra, der Bildungsminister ist da!
- Folge 9: Halleluja, endlich wird der Wahlkampf göttlich
- Folge 10: Fasst Euch doch an die eigene Nase!
- Folge 11: Und Ihr wollt echt eine Koalition eingehen?
- 11 Folgen in einer Story gesammelt
- Folge 12: Geben Gummistiefel dem Wahlkampf Gummi?
- Folge 13: Das Hochwasser und ich, aber wo ist der Kanzler?
- Folge 14: Wieso ein Alarm in Österreich nicht einfach ein Alarm ist
- Folge 15: Bitte macht jetzt keine Instagram-Show daraus!
- Folge 16: Warum die Politiker den Gummihammer auspacken