"Like A Complete Unknown"
Wieso auch beste Film-Bio das "Rätsel Bob Dylan" nicht löst
Robert Zimmerman wurde als Bob Dylan einer der wichtigsten – und mysteriösesten – Musiker der Welt. "Like A Complete Unknown" macht sich gar nicht erst die Mühe, ihn verstehen zu wollen. Das ist schade, tut der Qualität des Films aber keinen Abbruch. Im Kino.

Biopics – also filmische Biographien – über Musiker haben eine schwierige Aufgabe: Sie sollen die bewegte(n) Geschichte(n) ihrer Protagonisten möglichst akkurat und realitätsnah nacherzählen, ohne sie zur Karikatur verkommen zu lassen. Zudem müssen sie auch das musikalische Schaffen des- oder derjenigen akkurat wiedergeben. Verantwortliche Filmemacher bewegen sich daher stets zwischen den gleichermaßen gefährlichen Polen "Pseudo-Dokumentation" und unfreiwillige Parodie.

"Walk the Line" als Blaupause Einer, dem dieses anspruchsvolle Unterfangen bereits einmal ausgezeichnet gelungen ist, ist Regisseur James Mangold. er schuf 2005 mit dem Johnny Cash-Film "Walk the Line" den Prototyp des (post-)modernen Künstler-Biopics, in dem Joaquin Phoenix als der "Mann in Schwarz" brillierte.
Nun versucht sich der Filmemacher - damals wie heute auch für das Drehbuch (co-)verantwortlich - an einer filmischen Darstellung der frühen Jahre von Folk- und Rock-Ikone Bob Dylan, der in "Like A Complete Unknown" von Timothée Chalamet verkörpert wird.
Ewiges Enigma Regisseur wie Hauptdarsteller standen vor der schwierigen Frage, wie sie die fiktive Wiedergabe eines der ultimativen Idole der Popmusik anlegen sollen: Zurückgenommen, psychologisch, überdreht, gar voyeuristisch? Mangold und Chalament wählten in "Like A Complete Unknown" den realistischen Zugang. Bob Dylan wird im Film als grantelnder Unsympathler dargestellt, als ewiges Enigma, dessen wahre Persönlichkeit selbst seine Weggefährten und Liebschaften nicht zu ergründen vermögen. Doch von Beginn an:
Ausbruch aus der Provinz "Like A Complete Unknown" beginnt Anfang der 1960er-Jahre und damit, dass der damals gerade 19-jährige Bob Dylan (geboren als Robert Zimmerman in eine jüdische Familie mit osteuropäischen Wurzeln) aus der provinziellen Enge seiner Heimat Minnesota gen New York City aufbricht. Die Folk-Musik hat es ihm angetan. Als er hört, dass sein Idol Woody Guthrie schwerkrank in einem Hospital liegt, will er ihm einen Besuch abstatten. Dort trifft er auf Folk-Legende Pete Seeger (Edward Norton), der den jungen Mann vorübergehend bei sich zu Hause aufnimmt und so etwas wie sein Mentor wird.
Der Einstieg ins Musikbiz Über Seeger bekommt Dylan erste Live-Auftritte, das Publikum ist mehr als angetan von dem "jungen Wilden" mit der zerzausten Frisur und der nörgelnden Stimme. Bei einem dieser Auftritte lernt er auch Joan Baez (Monica Barbaro) kennen, die da bereits ein großer Star ist. Die beiden beginnen eine Affäre, die schließlich Dylans Beziehung zu Sylvie Russo (Elle Fanning) beenden sollte.

Like a Rolling Stone Quasi über Nacht wird Bob Dylan zum Superstar, die Auftritte werden immer größer, der Starrummel um seine Person immer mehr - zum zunehmenden Missfallen des Künstlers selbst. Mit der Bekanntheit steigt auch der Druck von verschiedenen Seiten, ihn und seine Musik für sich zu vereinnahmen. Seine Hinwendung zum Rock wird gerade von Folk-Dogmatikern (wie auch Seeger einer ist) mehr als kritisch gesehen. Dylan muss sich entscheiden, ob er der Stimme seiner Manager folgt, jener des Publikums oder der seiner eigenen künstlerischen Intuition.
Solides Biopic Mit "Like A Complete Unknown" legt James Mangold erneut ein durch und durch solides Musiker-Biopic vor, das vieles richtig macht und sich auf hohem filmischen Niveau bewegt. Das beginnt beim Drehbuch, das die ersten 5, 6 Jahre der Karriere Dylans gekonnt gerafft, aber mit dem nötigen Detailreichtum wiedergibt. Und das setzt sich fort bei einer Inszenierung, die das richtige Gespür für Musik mitbringt und so den Künstler und Musiker Bob Dylan lebendig werden lässt.

Überzeugende Optik Gerade eine Film-Bio kann natürlich nicht funktionieren ohne passende Besetzung: Timothée Chalamet macht seine Sache gut, ohne zu glänzen, herausragend ist bei seiner Darbietung vor allem die Optik, denn im Laufe des Films sieht er immer mehr aus wie der echte Bob Dylan. Und überzeugend ist sein Gesangstalent, mit dem er die typische Dylan-Stimme aufleben lässt.
Von Cash zu Dylan Die schauspielerischen Highlights finden sich aber unter den Nebenfiguren: Zum einen gibt Monica Barbaro eine bestechend anziehende Joan Baez. Zum anderen überzeugt Edward Norton mit seiner zurückgenommenen Darstellung als Pete Seeger. Und: Mangold spannt gekonnt den Bogen zu seinem vor 20 Jahren erschienenen Cash-Biopic. Denn auch Johnny Cash darf hier auftreten, der sich als Fan und Förderer des jungen Dylan zeigt.

Complete Unknown Man kann wenig an "Like A Complete Unknown" aussetzen. Der Film ist eine "runde Sache", der die frühen Jahre einer Weltkarriere ausgezeichnet darstellt. Wenn man ein kleines Manko finden möchte, dann die Tatsache, dass der Film erst gar nicht den Versuch unternimmt, die rätselhafte Persönlichkeit seines Protagonisten zu entwirren. Auch dunklere Aspekte wie seine Heroin- und Drogensucht werden ausgeblendet. Dylan wird als Enigma gezeichnet und gespielt, der ein Rätsel bleibt, das selbst seine engsten Weggefährten nicht durchschauen. Auch wenn das so Absicht ist, hätte man sich zumindest einen Interpretationsansatz gewünscht.
Fazit Kein Meisterwerk, aber ein auf allen Ebenen gelungenes Biopic, das für Regisseur James Mangold wohl eine Fingerübung war: "Like A Complete Unknown" zeichnet die Anfangsjahre einer Weltkarriere nach. Vor allem die Darstellung der Musik und der Live-Auftritte ist äußert gelungen. Wirklich greifbar wird die Hauptfigur für das Publikum aber trotzdem nicht: Eben like a complete unknown …
"Like A Complete Unknown", USA 2024, 141 Minuten, ab sofort im Kino