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Wieso "Ripley" vielleicht die beste Serie des Jahres ist
Die Serien-Adaption von Patricia Highsmiths "Der talentierte Mr. Ripley" begeistert mit einer formidablen Umsetzung und Bildern, die man nicht so schnell wieder vergisst.
"Netflix" und Schwarz-Weiß, das ist immer ein Zeichen, dass Großes passieren wird. Der Streaming-Gigant, dessen Welt nicht bunt, glatt und divers genug sein kann, um auch nur ja jeden Winkel der Welt mit seinen Programmen zu erreichen, gönnt nur wirklich außergewöhnlichen Produktionen eine monochrome Umsetzung. So war es beim Oscar-prämierten Film "Roma" von Alfono Cuarón, so war es beim ebenfalls Oscar-prämierten "Mank" von David Fincher. Und so ist es jetzt bei "Ripley", der neuen, achtteiligen Serie, die auf dem Buch "Der talentierte Mr. Ripley" der 1995 verstorbenen Schriftstellerin Patricia Highsmith beruht.
Höchstes Lob "Ripley" sei "eine Hitchcock-Serie, die Hitchcock nie gemacht hat", schrieb die britische "BBC" über die neue Serie aus Amerika. Wie richtig dieser Vergleich ist, lässt sich naturgemäß nur raten, denn unsere Vorstellung davon, was der Schöpfer solcher Film-Meilensteine wie "Psycho", "Berüchtigt", "Vertigo" oder "Der unsichtbare Dritte" mit den heutigen filmischen Mitteln und Möglichkeiten anstellen würde, beruht einzig auf den Dingen, die er gemacht hat und spart all das aus, worüber er vielleicht nachgedacht, es aber niemals irgendwo festgehalten hat.
Außergewöhnlich von Anfang an Sei's drum. Das Urteil der "BBC" war als großes Lob gedacht, wurde auch so aufgefasst – und es ist vor allem vollkommen berechtigt. Denn "Ripley" ist tatsächlich, das lässt sich bereits jetzt behaupten, eine der außergewöhnlichsten und – in mehrfacher Hinsicht – aufregendsten Serien dieses ohnehin sehr starken Serien-Jahres. Schon lange nicht mehr hat von vorne bis hinten so sehr alles gestimmt, war eine Serie so liebevoll, kunstfertig und professionell umgesetzt wie "Ripley". Die acht Folgen sind nur als Glücksfall zu bezeichnen – und der beste Beweis dafür, wie sinnvoll es sein kann, einen tollen Stoff in die Hände von Profis zu geben und diese einfach machen zu lassen.
"Ripley", die Dritte Dabei ist die Serie die bereits dritte Umsetzung des Stoffes von Patricia Highsmith. Im Jahr 1960 war Alain Delon Tom Ripley, und spielte ihn in "Nur die Sonne war Zeuge" unter der Regie von René Clément mit jener erotisch aufgeheizten Brutalität, für die der schöne Franzose damals in der ganzen Welt verehrt wurde. 1997 trat Matt Damon in die Fußstapfen Delons, sein Ripley in "Der talentiere Mr. Ripley" von Anthony Minghella war eher ein schüchterner Collegebubi, dessen Durchtriebenheit und Gier sich erst langsam Bahn brachen, die Morde, die er beging, waren eher Unfälle aus Leidenschaft und Angst denn wohlkalkulierte Handlungen.
Ein Ire als Ripley In der Serie ist nun der gebürtige Ire Andrew Scott Tom Ripley. Scott erlangte Bekanntheit als Sherlock-Holmes-Gegenspieler Moriarty in der vielgepriesenen britischen Serie "Sherlock" und – vor allem bei Zuseherinnen – als sexy Priester in der zweiten Staffel der Kultserie "Fleabag" von Phoebe Waller-Bridge. Und auch wenn Andrew Scott im wahren Leben bereits 47 ist und damit gut 20 Jahre älter als der Tom Ripley aus dem Buch, wirkt er doch merkwürdig zeit- und alterslos in der Serie, die in den frühen Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts angesiedelt ist (und damit etwas später spielt als der Matt-Damon-Film, der etwa zur Entstehungszeit des Buches 1955 spielt).
Das Böse bleibt unerkannt An der Seite von Andrew Scott agiert ein formidabel ausgesuchter Cast, aus dem vor allem Dakota Fanning heraussticht als kluge, hellsichtige, aber letztlich machtlose Freundin von Ripleys "Zielperson" Dickie Greenleaf. Sie ist die einzige Person in der Geschichte, die zumindest spürt, dass dieser Tom Ripley weit weg davon ist, ein guter oder zumindest aufrichtiger Mensch zu sein. Viel mehr noch, Ripley ist skrupellos, ein geschickter Betrüger, Lügner, Manipulator. Und Ripley-Darsteller Andrew Scott bringt das formidabel auf den Bildschirm, nicht selten hat man den Eindruck, sein Ripley hat etwas kaltes, echsenhaftes, wirkt wie ein Chamäleon, das sich seiner Umgebung und ihren Schwingungen sekundenschnell anpassen kann und damit in der Szene untergeht.
Nur nicht genauer hinschauen Und so wundert es auch nicht, dass Ripley – Achtung, Spoiler! – mit seinen Taten vom Anfang bis zum Ende durchkommt. Patricia Highsmiths Geschichte ist ein schauriges Lehrstück über menschliche Bequemlichkeit und die daraus resultierende Angewohnheit, im Zweifel lieber nicht genauer hinzusehen und Dinge, die einer genaueren Betrachtung bedürften, geistig durchzuwinken. Denn Ripley ist skrupellos und gefinkelt und äußerst geschickt, aber er ist kein Übermensch, sein Spiel wäre an sich aufzudecken – wenn man sich nur die Mühe machen würde.
Eine Augenweide Genauer hinzusehen lohnt sich aber, generell und aus ästhetischem Blickwinkel ganz besonders. Denn "Ripley" ist nicht nur handwerklich ein Meisterstück, die Serie ist vor allem auch optisch eine Augenweide. Verantwortlich dafür sind vor allem Regisseur Steven Zaillian und Kameramann Robert Elswit. Für die beiden Hollywood-Veteranen – sie waren zusammen insgesamt sieben Mal für einen Oscar nominiert und haben jeder einen der Goldbuben daheim stehen – war "Ripley" eine Herzensangelegenheit. Monatelang streiften sie durch ganz Italien, um die geeignetsten Locations zu finden, um das Flair der frühen Sechzigerjahre spürbar zu machen. Sie suchten immer den außergewöhnlichen Blickwinkel, die große Pose – und schufen so ein ästhetisches Meisterwerk.
Film Noir trifft Neoverismo "Ripley" zitiert und variiert die Formalismen des Film Noir, spielt mit Licht und Schatten, bietet unwahrscheinliche Perspektiven und verleiht jeder Einstellung eine ganz besondere Note. Diese Ästhetik paart das Kreativduo mit Zügen des italienischen Neorealismus, wie er sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Filmschaffen des Landes durchsetzte und Regisseure wie Roberto Rossellini berühmt machte. Da wird nichts geschönt oder behübscht, Fassaden sind brüchig, Fenster winddurchlässig und schief, das nasse Straßenpflaster ähnelt einer Reptilienhaut.
Großes Kino am TV-Bildschirm "Ripley" ist keine Zwischendurch-Serie, die man sich nebenbei am Laptop ansehen sollte. Viel zu viel Mühe, Liebe und Aufmerksamkeit wurde investiert, viel zu kunstvoll sind die Arrangements, viel zu eindrucksvoll ist das Spiel der Darsteller. "Ripley" wurde mit Liebe gemacht und hat Liebe verdient. Die Serie ist großes Kino und hätte sich die große Leinwand verdient. Aber auch am Fernseher kommt sie sehr gut. Und sie zeigt, was auch heute, in Zeiten von Fastfood-Serien und der großen künstlerischen Gleichmacherei, die jedem gefallen will, alles möglich ist, wenn man es nur zulässt.
"Ripley", USA 2024, 8 Teile, ab sofort auf "Netflix" abrufbar