Wahl-Kopfnüsse, Folge 23
Wird Babler von Medien runtergeschrieben? Unsinn, aber ...
Das Begleit-Törööö zur Elefantenrunde: Die Suche nach Schuldigen für (eventuell) nicht erreichte Wahlziele startet erstaunlich früh. Andreas Babler und sein SPÖ-Umfeld fühlen sich von Medien schlecht behandelt. Versuch einer angemessenen Würdigung.
Es wurde viel mit dem Kopf geschüttelt. Andreas Babler schüttelte den Kopf, wenn Herbert Kickl redete. Karl Nehammer schüttelte den Kopf, wenn Andreas Babler redete. Und wenn Herbert Kickl redete. Beate Meinl-Reisinger schüttelte den Kopf, wenn Andreas Babler redete. Und Herbert Kickl schüttelte den Kopf, wenn Karl Nehammer redete. Nur Werner Kogler stand da wie ein Fußballer, der eingewechselt werden wollte, aber der Linienrichter findet das Taferl mit seiner Nummer nicht.
Mit KI-Stimme: Wird Babler von Medien runterschrieben? Unsinn, aber ...
Taferl fehlten (bis auf Kickls Landschaftsbild) tatsächlich, das war neu in dieser Elefantenrunde gestern Abend. Sie rahmte den Wahlkampf 2024 ein. Die Debatte verlief erstaunlich moderat, obwohl am Sonntag viel am Spiel steht. Man fiel sich selten ins Wort, es gab einige Bösartigkeiten, aber keine Gehässigkeit. Beate Meinl-Reisinger bedankte sich sogar zu Beginn bei den anderen für den "durchaus anständigen Wahlkampf". In Österreich ist man schon hochzufrieden, wenn etwas zumindest "durchaus anständig" ist.
Elefantenrunden sind Tierquälerei. Es ist ein einziges Herumstehen. Am Beispiel Herbert Kickl: Die Sendung dauerte 129 Minuten und 28 Sekunden, davon war der FPÖ-Chef 15 Minuten und 4 Sekunden am Wort. Über 114 Minuten, ein bisschen weniger als zwei Stunden also, stand er sich die Füße in den Bauch.
Aber die Zuschauer konnten beim Im-Bauch-Stehen gut beobachten: Wer kann persönlich mit wem? Kickl mit Nehammer schon, aber Nehammer mit Kickl weniger. Meinl-Reisinger kann mit Babler gar nicht, Babler mit Meinl-Reisinger auch nicht. Werner Kogler wiederum kann rein persönlich mit allen. Aber nach der Wahl wird der Linienrichter das Taferl für ihn immer noch nicht gefunden haben.
Darf man das sagen, ohne sensible Gemüter zu verletzen? Andreas Babler hat auf seinem Schreibtisch einen ziemlichen Sauhaufen. Dagegen ist Alexander Van der Bellen von einer fast preußischen Ordnungswut erfasst. Im Bürgermeisterbüro in Traiskirchen stapeln sich die Stapel. Rechts vorne finden sich ein paar Baupläne gerollt, auf einem Stoß ist ein Skoda-Prospekt zuoberst zu liegen gekommen.
Eine Ausgabe der "Le Monde diplomatique" legt sich wie eine Tuchent schützend über mehrere "Falter"-Exemplare. Es gibt so viele Ordnungsmappen, dass die Anschaffung einer Ordnungsmappe für die Ordnungsmappen ratsam scheint.
An der Wand hängt Jack Sparrow, ein Bild von Norbert Lampe, erstanden von der Lebenshilfe. Daneben ein Porträt von Sigi Maron, gemalt von seiner Tochter Nina. Der legendäre, inzwischen verstorbene Liedermacher hatte einen beißend direkten, gleichzeitig trockenen Humor. Ein Jahr nach seinem Tod 2017 erschien eine Auswahl seiner "bösesten Lieder". Die LP trug den Titel "Leckts mi aum Oasch".
Zum Wahlkampf 2024 hätte Maron sicher klare Worte gefunden, nicht alle wären im Internet druckbar gewesen. Zwei Mal, zuletzt 2003, kandidierte er – erfolglos – für die Kommunisten in Niederösterreich. 21 Jahre später könnte es die KPÖ am Sonntag in den Nationalrat schaffen. Ich bin skeptisch.
Über mangelnde Wahrnehmung dürfen sich die Kommunisten nicht beklagen, Andreas Babler auch nicht, aber er hätte gern von einem etwas mehr, vom anderen etwas weniger gehabt. Er und seine Unterstützer hadern zum Ende des Wahlkampfes hin mit den Medien. Sie hätten ihn schlechter behandelt als die anderen, ihn runtergerechnet, runtergemacht, runtergeschrieben.
Es sind ernste Vorwürfe, sie sollten nicht so einfach abgetan werden, denn sie rühren an etwas Grundsätzlichem. Vorab: Es passiert diesmal erstaunlich früh, dass eine Partei Schuldige für ihr Abschneiden sucht, obwohl dieses Abschneiden noch gar nicht stattgefunden hat. Was passiert, wenn sich die SPÖ am Sonntag besser schlägt als es ihr die Umfragen prophezeien? Sind dann auch die Medien schuld? In diesem Fall am guten Gelingen?
Politiker sind mit ihrer Darstellung selten zufrieden. In Russland und China ist das besser, da freuen sich die Staatschefs stets auf die Morgenausgaben der Staatsmedien. In Österreich aber sind Umfragen immer falsch, Reporter immer böse. Selbst Sebastian Kurz fühlte sich nicht angemessen behandelt und das sogar in einer Zeit, in der er noch keine gerichtsnotorische Anhänglichkeit aufwies und Türkis nicht schlicht eine Farbe war, sondern ein politisches Lifestyle-Produkt.
Ich habe sogar ein gewisses Verständnis für diese Wahrnehmung. Die menschliche Natur ist nun einmal so, sie nimmt das Positive zur Kenntnis, das Negative aber brennt sich ein. Eine einzelne miese Schlagzeile unter zehn guten kann das persönliche Wohlbefinden aus der Balance bringen. Vielleicht ist das eine Art biologisches Erbe. Es reicht ein böser Wolf, der dich frisst, um das Gesamtbild zu prägen, da können die anderen neun noch so nett sein.
Ich stoße mich an dem Wort "systematisch". Es wird oft beiläufig und gedankenlos verwendet, die Medien würden Babler "systematisch" runterschreiben, lese ich. Nicht bloß so. "Systematisch" unterstellt, dass sich Journalisten verabreden, so wie früher die Broker an der Wall Street, die sich in Bars ausgemacht haben, welche Aktien sie als nächste in die Höhe treiben. Ein Bild entsteht. Reporter im Trenchcoat, die im dunklen Hinterzimmer die Jagd auf Babler paktieren. Ein Märchen, wie das vom bösen Wolf.
"Systematisch", das ist die Wortwahl der Populisten, meist der rechten. Der Begriff "System" liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Punzierungen wie "Einheitspartei", "Einheitszeitung" oder "Einheitsmedien". Die Welt wird in Jäger (die anderen) und Gejagte (man selbst) geteilt. Der vermeintlich Gejagte verleiht sich einen Opferstatus. Jeder auch noch so berechtigte Einwand wird ab da als feindlicher Angriff gebrandmarkt, der Einwender zum Feind gemacht.
Allein die Niederschrift des Offensichtlichen reicht für die Unterstellung einer Parteilichkeit. Wer Kritik äußert, erledigt aus Sicht der vermeintlich Gejagten nicht allein die Arbeit des politischen Gegners, er gehört nun zu dessen Lager. Feindesland. Liebesentzug ist das neue "Leckts mi aum Oasch".
International verglichen, fand auch ich den Wahlkampf recht sittsam. Aber mit einer Beobachtung haben die Bableristas recht. Journalisten neigen zu Herdenverhalten, den Trieb gab es schon immer, er scheint sich verstärkt und verfestigt zu haben. Wenn einer blökt, blöken andere mit. Dahinter steckt auch Gefallsucht. Wer ihr erliegt, hat bei der Arbeit nicht mehr das Publikum im Blick, sondern den Schreibtischnachbarn. Dessen Schreibtisch kann auch in einer anderen Redaktion stehen. Anerkennung ist die neue Auflagenzahl.
Für das Publikum ergibt sich ein windschiefes Bild: Es zeigt eine Berufsgruppe mit vermeintlichem Korpsgeist, die sich gegenseitig stützt, bejubelt, mit Preisen ausstattet, sich likt und repostet. Es spielt wenig Rolle, ob dieses Bild stimmt. Wie bei der Sicherheit gibt es auch in der Kommunikation eine subjektive Ebene. Ich weiß nicht, aber ich fühle. Da wird Journalismus schnell als parteilich empfunden. Gefühle sind immer stärker als Zahlen.
Ich wünsche einen gefühlvollen Freitag. Noch zwei Mal schlafen, dann ist Bescherung. Oder es gibt eine Bescherung, das liegt im Auge des Betrachters. Bis morgen, wenn Sie mögen!
Alle bisherigen Wahl-Kopfnüsse
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- Folge 3: "Natürlich hat er das, ich bin kein Vollidiot"
- Folge 4: Zwischen starker Mitte und Impotenz
- Folge 5: So führt uns der Kanzler in Wien aufs Glatteis
- Folge 6: Die Volkspartei und ihr Tom Cruise von Kagran
- Folge 7: Brandherde, Brandreden und eine Brandmauer
- Folge 8: Hurra, Hurra, der Bildungsminister ist da!
- Folge 9: Halleluja, endlich wird der Wahlkampf göttlich
- Folge 10: Fasst Euch doch an die eigene Nase!
- Folge 11: Und Ihr wollt echt eine Koalition eingehen?
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- Folge 12: Geben Gummistiefel dem Wahlkampf Gummi?
- Folge 13: Das Hochwasser und ich, aber wo ist der Kanzler?
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- Folge 19: So wurde die Elefantenrunde zur "Nette Leit Show"
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- Folge 21: Jetzt liegt das Wahlergebnis endgültig in den Sternen
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