Kopfnüsse
Zieldatum 4. März: Wie die Ömpel doch noch zueinander fand
Kein Faschingsscherz (obwohl die Angelobung am Faschingsdienstag stattfinden könnte): Warum es bei ÖVP, SPÖ und NEOS im zweiten Anlauf klappte. Wie Wiens Bürgermeister Michael Ludwig dabei Regie führte. Und wer nun welchen Ministerjob abstaubt.

Die neuen Zeiten begannen mit einem Gruß aus der Küche. Am Samstag betraten die drei Chefverhandler der zukünftigen Ömpel kurz vor 14 Uhr forschen Schrittes die Hofburg. Sie waren zum Bundespräsidenten gekommen, um Neues zu verkünden, und wirkten dabei ein bisschen wie Heilige Drei Könige, die sich in Datum und Zeit geirrt hatten.
Mit KI-Stimme: Der geheime Strippenzieher der Ömpel
Im Maria-Theresien-Zimmer warteten Reporter, Fotografen und TV-Kameras auf die Heiligen Drei Könige, die an diesem windigen Samstag drei Minuten zu früh erschienen. Sich und allen anderen.
Als die Eiligen Drei Könige den Raum betraten, sagte zunächst Christian Stocker in den Saal hinein "Grüß Gott", danach sagte Beate Meinl-Reisinger "Grüß Gott". Andreas Babler aber sagte "Mahlzeit". Vielleicht hatten ihm die beiden anderen den eigentlichen Inhalt des Termins auch falsch kommuniziert.

Caspar, Melchior und Balthasar kritzelten dann nichts mit Kreide auf die Tapetentür, sondern verschwanden mit Alexander Van der Bellen dahinter. Nicht um der Begrüßung "Mahlzeit" Taten folgen zu lassen, also etwa eine Griesnockerlsuppe, Dreierlei vom Huhn oder ein paar Leberkäskrapfen zu sich zu nehmen, sondern um dem Bundespräsidenten Gusto auf etwas Aufgewärmtes zu machen.
Am Tag 146 nach der Wahl hatten sich ÖVP, SPÖ und NEOS dazu durchgerungen, das politische Leben doch gemeinsam miteinander auszukosten. Noch ist nichts in trockenen Tüchern, aber dass die Küche jetzt kalt bleibt, steht auf keinem Rezeptblock mehr.



Im Leben ist ja vieles eine Geschmacksfrage. Nicht wenige Menschen in Österreich sind etwa der Auffassung, dass die Verhandlungen über die zukünftige Koalition für ihren Geschmack schon recht lange gehen. Das Gegenteil ist selten zu hören, also dass jemand meint, er könne von diesem Schauspiel gar nicht genug kriegen. Nicht immer sind Geschmäcker also verschieden.
Für Regionalisierungs-Gourmets aber läuft es derzeit ganz nach ihrem Geschmack. Wenn kommt, was sich abzeichnet, dann wird der frühere Erste Vizebürgermeister von Wiener Neustadt in der übernächsten Woche Kanzler der Republik, der frühere Bürgermeister von Traiskirchen ihr Vizekanzler.
Vor etwas über 106 Jahren ging in Österreich das Kaisertum zu Ende, nun übernehmen die Ortskaiser die Macht.
Ehe die Bevölkerung mit der Idee einer Regierung aus drei Parteien eingekocht werden konnte, ging ihr eine Enthüllung durch Mark und Bein. In der Wiener Zeitung erhoben ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schwere Vorwürfe gegen Starkoch Konstantin Filippou. Er soll bei Lebensmitteln getrickst haben. Oder wie es ein Koch direkter ausdrückte: "Die Qualität der Langostinos war für den Arsch."

Filippou betreibt in der Wiener Innenstadt ein edles Restaurant, es wurde mit fünf Hauben und zwei Sternen ausgezeichnet, das Menü kostet 360 Euro. Dafür bekommt man in der Kantine vom Rapid-Stadion 69 Frankfurter mit Gebäck und hat noch Geld für den Bus heim.
Es ist also davon auszugehen, dass Filippou eher kaufkräftiges Publikum anzieht, 360 Euro für ein Menü spart man sich nicht so leicht von der Mindestsicherung ab. Der Personenkreis der Betuchten hat es momentan ohnehin nicht leicht, weil er sich von allerlei Reichensteuern bedroht sieht. Jetzt also noch kulinarisch übers Ohr gehauen zu werden, ist wirklich "für den Arsch".
Es gibt in Österreich derzeit vermutlich einige Manager gehobener Unternehmen, die an ihren Mahagoni-Schreibtischen Weinkrämpfe erleiden, weil sie erfahren haben, dass die "Norwegischen Jakobsmuscheln" beim Lunch billige Imitate aus Japan waren. Und die "fünf Jahre lang gereifte Soja-Sauce aus dem 20-Liter Kikkoman-Kanister" stammte.
Oder Führungskräfte aus dem Marketing, die sich den Finger in den Hals stecken, weil ihnen zugetragen wurde, dass die Belon-Austern, die sie im Herbst 2024 zu sich genommen hatten, in Wirklichkeit Gillardeau-Austern waren, ein Unterschied wie Tag und Nacht. Wer's merkt.

Die Situation macht zusätzlich bitter, dass man sich über diesen Schwindel an keiner Schulter ausweinen kann. Denn dann erfährt jeder, dass man Langostinos nicht von Plankton unterscheiden kann.
Die Spitzengastronomie lebt von Menschen, die ihren Gaumen für einen Schatz halten. Das Problem: Weil das Auge immer mit ist, isst es immer mit.
Das Auge lässt sich aber leicht täuschen. Wenn die fangfrischen Krebse in Wirklichkeit aus dem Tiefkühler stammen, aber manierlich angerichtet sind, dann neigen viele trotzdem dazu, 18 Hauben für das Gericht zu vergeben, mich eingeschlossen. Von den Geschmacksknospen her ist das Auge nämlich eher ein Trottel.
Damit kein Missverständnis entsteht: Es gibt wunderbare Köche, die in herrlichen Lokalen für ihre dankbare Kundschaft magische Gerichte herbeizaubern. Die nicht schummeln und die ihr Personal ordentlich behandeln. Die also keine Arschlöcher sind, die Menschen für die Aussicht, selbst einmal Arschlöcher sein zu können, wie Arschlöcher behandeln, um einmal im geschilderten Küchenjargon zu bleiben.
Das Gegenteil existiert aber natürlich auch und ihre Vertreter sind nicht so selten wie "Norwegische Jakobsmuscheln".
Was die Guten anbieten, reicht nicht immer zum Überleben. Manchmal muss man nach dem Konsum eines mehrgängigen Menüs in einem Haubenlokal die Hilfe eines Würstelstands in Anspruch nehmen, um satt zu werden. Aber so haben wenigstens alle etwas davon.

Während die Welt der Edelküche in dieser Woche einen bitteren Beigeschmack verpasst bekam, begann sich in einer anderen Welt der süße Duft der Macht auszubreiten. Am Dienstag griff ÖVP-Chef Christian Stocker knapp nach 12 Uhr zum Handy und rief NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger an. Dem Telefonat sollten in den zwei Tagen danach mehrere weitere folgen und es änderte sich alles.
Österreichs Pfad zur neuen Regierung war bisher schon verschlungen. Von Dienstagmittag dieser Woche an versuchte man sein Glück nun auf dem Weg zurück. Dorthin, wo man schon einmal war, bei ÖVP, SPÖ und NEOS. Das ging nur, weil ein Mann zur Machete gegriffen und das Unterholz freigemacht hatte.
Es gibt keine zweite Chance auf den ersten Eindruck. Manchmal gibt es im Leben aber eine erste Chance auf den zweiten Eindruck und so war es auch hier. Michael Ludwig wusste sie zu nutzen.
Der Wiener Bürgermeister ist der eigentliche Architekt dieses seltsamen Gebildes aus drei Parteien. Er hat nach dem Platzen der Träume in Blau-Türkis die neuen Möglichkeiten erkannt und begonnen, mehr oder weniger diskret im Hintergrund die Fäden zu ziehen.


Ludwig holte zunächst die Sozialpartner ins Boot zurück. "Die Atmosphäre hat sich dadurch komplett verändert," bestätigt einer aus dem Verhandlungsteam der NEOS. "In der SPÖ haben die Realos übernommen, die Sozialpartner führen jetzt die Gespräche, genau genommen Josef Beppo Muchitsch."
Das liegt daran, dass der Wiener Bürgermeister die SPÖ-Mannschaft neu aufstellen ließ. Im Herbst hatte SPÖ-Chef Andreas Babler in einem unbeobachteten Moment Frauen-Vorsitzende Eva-Maria Holzleitner und die dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures auf die Ersatzbank gesetzt, ohne damit die Partei-Gremien befasst zu haben. Das wollte Ludwig nun nicht mehr zulassen.
Im SPÖ-Präsidium am 13. Februar wurden die fünf SPÖ-Verhandler aufgestellt wie die drei Musketiere, alle für einen, einer für alle. Entschieden werden musste ab da im Kollektiv, einstimmig, das Gremium ist auch nur mehr im Gesamten absetzbar, einzelne Personen sind es nicht mehr.
Dazu kam: Ludwig begann für die künftige Regierung, eigenes Personal in Stellung zu bringen. So steht nun Sven Hergovich auf dem Sprung, Minister für Infrastruktur zu werden. Der derzeitige Landeschef der SPÖ in Niederösterreich genießt die Unterstützung von Ludwig und der Gewerkschaft. Die von Bures hat er sowieso in der Tasche, er war ihr Referent im Verkehrsministerium.

Dann ist da auch noch Alexander Wrabetz, der entweder Finanzminister werden oder ein Ressort aus Kultur, Medien und Beamte übernehmen soll. Auch der frühere ORF-Chef gilt als Mann von Ludwig, hat aber sonst in der ÖVP mehr Unterstützer als in seiner eigenen Partei. Eine Bestellung, in welches Amt auch immer, würde gegen den Willen des Babler-Lagers erfolgen und deutlich machen, wie die Macht in der SPÖ momentan ausgepegelt ist.
Es gibt auch das Gerücht, dass Babler selbst den Bereich Medien übernehmen möchte. Ob das einen wahren Kern hat, wage ich nicht zu beurteilen. Ich bin sowieso noch immer von den Socken, dass die Volkspartei den Sozialdemokraten den Finanzminister überlassen will, nur damit sie das Innenministerium behält. Strategisch ein grober Fehler.
Die NEOS werden zwei Ministerien erhalten und ein Staatssekretariat. Neben Bildung dürfte es wohl das Außenministerium werden, das Amt ist frei, Alexander Schallenberg gab am Samstag seinen Rückzug aus der Politik bekannt.
Für das Justizministerium wünscht sich der Bundespräsident eine unabhängige Person. An der Vergabe der Jobs und Posten, so viel kann gesagt werden, dürfte diese Regierung nicht scheitern.

So weit war es am Dienstag dieser Woche aber noch nicht, als Stocker Kontakt zu den NEOS aufnahm. Wir hätten euch wieder gern dabei, sagte er im ersten Telefonat zu Meinl-Reisinger. Wollen das die anderen auch?, erwiderte sie darauf.
Es sollte 48 Stunden dauern, bis es eine belastbare Antwort auf diese Frage gab. Ein geplantes Treffen zu dritt am Mittwoch platzte. Aber am Donnerstag um 14 Uhr saßen ÖVP, SPÖ und NEOS wieder zusammen, so als hätte es die vergangenen eineinhalb Monate nicht gegeben.
Einiges war trotzdem neu. Es gab diesmal keine große Bühne mehr. Die kameraträchtigen Spaziergänge vom Parlament hinüber zum Palais Epstein entfielen. Getagt wurde in den Parlamentsklubs, in den vergangenen Tagen vorrangig in jenem der ÖVP, das sorgte für Diskretion.
Es wurden keine Untergruppen eingerichtet, nur die Chefpartie verhandelte. Speed kills, das fiel vor allem auf, weil man vorher im Schneckentempo unterwegs war.


Der Durchbruch wurde innerhalb von 48 Stunden erzielt. Es war nicht immer leicht, erneut prallten politische Welten aufeinander. Die NEOS seien unerfahren, das merke man häufig, sagt eine Verhandlerin der SPÖ. "Wie wenn Fußballer das erste Mal Polo spielen und ihnen keiner sagt, dass man das nicht mit den Füßen macht."
Die NEOS wiederum stießen sich daran, dass in der Zeit des "Interregnums", also in der Phase des Flirts der ÖVP mit dem FPÖ, einiges aus den Verhandlungspapieren verschwunden war, das Thema Föderalismus etwa. "Zu Beginn hatten wir den Eindruck, wir bekommen ein fertiges Papierl hingehalten und es wird uns gesagt: 'Friss Vogel oder stirb'", sagt ein Teilnehmer.
Nicht jeder bei den Pinken ist glücklich über den Pakt. Im erweiterten Parteivorstand sollen vier der 29 Personen dagegen gestimmt haben, Enthaltungen sieht das Statut der Partei nicht vor. Bestätigen will das niemand.
Am Samstag wurde noch einmal intensiv über den Schritt in die Regierung beraten, kurz vor Mittag, also nur knapp mehr als zwei Stunden vor dem Termin bei Alexander Van der Bellen, kam das "Go".

Nicht ganz eine Stunde dauerte die Unterredung mit dem Bundespräsidenten. "Jetzt ist wirklich etwas weitergegangen", sagte Van der Bellen danach, "das freut mich, es ist auch dringend notwendig."
Im Anschluss erklärten sich die drei Parteispitzen, die Worte von Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger verhallten im Maria-Theresien-Zimmer. Die verbalen Tiefenbohrungen blieben an diesem Tag oberflächlich, Visionen muss die künftige Regierung noch nachreichen.
Zu 85 Prozent sei das Programm paktiert, sagt ein Verhandler, Mitte der Woche soll es fertig sein. Dann heißt es warten auf die NEOS. Bei den Pinken müssen zwei Drittel der Mitglieder einer Regierungsvereinbarung zustimmen.
Am kommenden Sonntag findet deshalb von 11 bis 17 Uhr eine hybride Mitgliederversammlung statt. Wer mag, kann physisch teilnehmen, oder sich sonst digital zuschalten. Die Einladungen wurden am Samstag gegen Abend hin verschickt. Wer von den 3.000 Mitgliedern stimmberechtigt ist, lässt sich noch nicht ganz eindeutig sagen. Dafür muss man den Mitgliedsbeitrag für 2025 bezahlt haben.

Geht alles glatt, dann stimmen die NEOS am 2. März dem Regierungspakt zu. Mit einem Tag Puffer kann der Bundespräsident zur Angelobung schreiten, er muss sich nicht mehr einlesen, Alexander Van der Bellen hat eine gewisse Übung darin.
Damit steht dem Start einer Regierung am 4. März nichts mehr im Weg. Außer man will sich ein paar Witzchen ersparen, es ist nämlich der Faschingsdienstag. Ob die Sachlage am Tag danach, dem Aschermittwoch, besser ist, darf bezweifelt werden. Bliebe der Donnerstag. Dann aber wirklich. Am Tag 158 nach der Wahl.
Ich wünsche Ihnen einen Sonntag ganz nach Ihrem Geschmack. Die Grünen werden an der kommenden Regierung, Stand der Dinge, nicht beteiligt sein. Gestern schrieb ihr Chef Werner Kogler im Newsletter: "Ich wünsche der möglichen Koalition viel Erfolg dabei, die großen Herausforderungen, vor denen Österreich steht, anzupacken und brauchbare Lösungen auf den Boden zu bringen."
Das ist eine ungewöhnlich noble Ermunterung einer Oppositionspartei für eine Regierung, die vor schwierigen Zeiten steht, finde ich.
Bis in einer kleinen Weile!
Wir erleben schon Erlebtes anders gleich oder gleich anders.