jetzt im kino
"Alles steht Kopf 2": Neue Gefühle, neue Probleme
Die personifizierten Emotionen eines Mädchens waren die Helden von "Alles steht Kopf". In Teil 2 ist das Mädchen ein Teenager und kommt in die Pubertät. Ab 12. Juni im Kino.
Wir erinnern uns: In Teil 1 von "Alles steht Kopf" begleiteten wir die junge Riley durch die erste emotionale Krise ihres Kinderlebens. Ihre Familie übersiedelte von Minnesota nach San Francisco, doch die Elfjährige bekam in der neuen Heimat schreckliches Heimweh und beschloss schließlich, von daheim auszureißen und mit dem Bus zurück in ihre alte Heimat zu fahren. Erst in letzter Sekunde besann sie sich eines Besseren und lief zurück zu ihrer vor Sorge bereits kranken Familie.
Emotionen in Person Was den 2015 veröffentlichten Animationsfilm so besonders und einzigartig macht, ist die Tatsache, dass hier erstmals die unterschiedlichen Emotionen der handelnden Figuren als Personen dargestellt werden, die in der "emotionalen Schaltzentrale" dieser Figuren gemeinsam daran arbeiten, "ihre" Menschen durch die diversen emotional fordernden Situationen des Lebens zu bringen. "Freude", "Kummer", "Angst", "Zorn" und "Ekel" sind die emotionale Grundausstattung der kleinen Riley und bestimmen ihre Gefühle und dadurch ihr Handeln, wobei jedem der Fünf eine bestimmte Aufgabe zukommt.
Nur gemeinsam geht's Doch als das Quintett plötzlich auseinandergerissen wird, gerät auch Rileys Gefühlswelt in Aufruhr – mit der Konsequenz, dass sie beschließt, von ihrer Familie wegzulaufen. Erst als es den fünf Emotionen gelingt, wieder gemeinsam zu agieren, stabilisiert sich auch Rileys Sicht auf die Welt. Allerdings um den Preis, dass einige Kindheitserinnerungen, die sie mit ihrer alten Heimat verbindet, in Vergessenheit geraten und schließlich aus ihrem Gedächtnis verschwinden. Erst dann ist sie frei, nach vorne zu blicken.
Es wird komplizierter In dieser Tonart geht es auch in Teil 2 von "Alles steht Kopf" weiter. Mit der kleinen Änderung, dass Riley inzwischen 13 Jahre alt ist und über Nacht (im wahrsten Sinne des Wortes) in die Pubertät kommt. Für das Emotions-Quintett bedeutet das, dass ein Hormon-Bautrupp plötzlich aufmarschiert und ihre "Schaltzentrale" einreißt, um sie neu und größer aufzubauen. Denn es machen sich vier neue Gefühle bei Riley bemerkbar: "Zweifel", "Neid", "Peinlich" und "Ennui" – was französisch ist für "Langeweile" und von besagter Emotion so aufreizend gelangweilt erklärt wird, dass es bestimmt einige Eltern aus eigener Erfahrung wieder erkennen.
Wieder steht alles Kopf Für das reale Leben des frisch gebackenen Teenagers bedeutet die Änderung, dass sie nun auf die High School geht, in ihrem Eishockeyteam hin und her gerissen ist zwischen ihren Freundinnen und einer neuen Clique, die unheimlich cool wirkt, und auch das andere Geschlecht plötzlich in ganz neuem Licht erscheint. Für die fünf "alten" Gefühle heißt das, "dass es jetzt ans Eingemachte geht" - und tatsächlich werden die bekannten und stabilen, aber eben wenig spannenden Gefühle von ihren neuen Kollegen in ein Einmachglas gesperrt und beiseite geschoben. Denn ab nun weht ein anderer Wind in Rileys Kopf … Aber letztlich werden nur die "alten" und die "neuen" Gefühle gemeinsam "ihren Menschen" durch diese herausfordernde Zeit bringen können.
Großer Wurf Pixars erster "Alles steht Kopf"-Film war ein großes Wagnis. Nie zuvor wurden die Stilmittel eines Kinderfilms (Animation, niedliche Figuren, nette Gags) derart konsequent mit einem sehr "erwachsenen" und komplexen Thema verbunden. Denn bei aller Vereinfachung, ist der Film doch eine sehr genaue und gleichzeitig maßlos kreative Art, das Wunder des menschlichen Verstandes begreifbar zu machen. Erkenntnisse aus der Wissenschaft wurden so umgesetzt, dass sie einfach zu fassen und doch treffsicher waren.
Ein geniales Konzept … Einzelne Lösungen waren schlicht genial – etwa die Tatsache, dass Erinnerungen Glaskugeln sind, die in jener emotionalen Farbe leuchten, mit der sie primär verbunden werden. Und je nachdem, wie gehaltvoll die einzelnen Erinnerungen sind, werden sie entweder im Kurzzeit- oder im Langzeitgedächtnis abgelegt – groß! Und gleichzeitig gelingt es dem Film scheinbar spielend, jedes Publikum in seiner Sprache anzusprechen. Kinder lieben die niedlichen Figuren und die humorvolle Handlung, ältere Kids verstehen die Zusammenhänge und bekommen ein Bild näher gebracht, das ihre Phantasie anregt, Erwachsene können die Komplexität und Kreativität der Gedankenwelt der Autorinnen und Autoren des Streifens bewundern.
… und ein Mega-Erfolg Publikum wie Kritik feierten den Film dementsprechend über alle Maßen. An die 900 Millionen Dollar Einspielergebnis (bei gut 170 Millionen Produktionskosten), teils hymnische Kritiken, eine Einstufung als "besonders wertvoll" sowie ein Oscar 2016 für den besten Animationsfilm waren der Lohn für Pixars Risiko, sich an solch ein vielschichtiges Thema zu wagen.
Keine leichte Aufgabe für die Filmemacher Riley ist inzwischen kein kleines Kind mehr, sondern auf dem Weg zu einer jungen Erwachsenen. Ihre Gefühls- wie auch ihre sonstige Welt werden komplexer und vielschichtiger – und entsprechend muss auch "Alles steht Kopf 2" mehr Themen und Charaktere jonglieren. Alleine die Zahl der Emotionen hat sich beinahe verdoppelt, auch Rileys Sozialleben wird zunehmend von mehr und vor allem neuen Menschen geprägt. Das schafft zahlreiche neue Verbindungen und Interaktionen – und die wollen erst einmal sinnvoll und verständlich erzählt werden.
So gut ist Teil 2 Dementsprechend richtet sich "Alles steht Kopf 2" auch an ein tendenziell älteres Publikum, als es Teil 1 tat. Ganz schlicht deshalb, weil die Vorgänge in Rileys Verstand komplexer werden. Der Freude an der Kreativität der Autoren und Regisseure ("Alles steht Kopf 2" wurde wieder vom Dreamteam Pete Docter und Ronaldo del Carmen in Szene gesetzt) tut das keinen Abbruch, die Gags werden allerdings auch zunehmend erwachsener. Für kleinere Kinder bleibt dennoch genügend Stoff, den sie mögen werden.
Und wie geht es weiter? In den USA gibt es bereits Spekulationen, dass die Lebensgeschichte des jungen Mädchens mitsamt ihren emotionalen Entwicklungen für weitere Sequels von "Alles steht Kopf" herangezogen werden könnte. Die Schauspielerin Amy Poehler, die der "Freude" im Original ihre Stimme leiht, wünscht sich etwa Filme, die zeigen, wie sich Riley als junge Erwachsene, als Mutter oder später als Person "in den besten Jahren" macht. Eine reizvolle Idee, würden doch so laufend weitere Emotionen mit ins Spiel kommen und die Kreativität der Macher weiter fordern.
Das Publikum entscheidet Letztlich liegt es aber alleine beim Publikum, wie es mit der Serie weiter geht. Gute 700 Millionen Dollar Gewinn, wie sie Teil 1 erzielt hat, sind schon eine Leistung, die Teil 2 erst einmal erreichen muss. Gelingt das, steht potenziellen weiteren Teilen Tür und Tor offen. Verdient hätte es sich die die Filmreihe auf jeden Fall: Nie zuvor waren Animationsfilme so gleichermaßen klug, unterhaltsam, erkenntnisreich und schlicht lustig wie die beiden "Alles steht Kopf"-Teile. Es wäre schön zu sehen, wohin das noch führt.
"Alles steht Kopf 2", USA 2024, 96 Minuten, ab 12. Juni im Kino