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Bayern-Star packt aus: Kein Gehalt, weil er ungeimpft war
Eine neue ZDF-Doku über Joshua Kimmich liefert ein intimes Porträt eines der besten deutschen Kicker seiner Generation – und eine heftige Anklage gegen den FC Bayern.
Große Aufregung in Fußball-Deutschland – aber dieses Mal ausnahmsweise nicht wegen der Leistungen der bundesdeutschen Auswahl bei der derzeit im eigenen Land stattfindenden Europameisterschaft. Sondern wegen einer TV-Dokumentation über einen der deutschen Schlüsselspieler, den "Sechser" Joshua Kimmich. Der 29-Jährige Mittelfeldstratege gehört seit 2016 der Nationalmannschaft an, mit seinem Verein Bayern München wurde er zudem acht Mal hintereinander deutscher Meister und gewann zudem 2020 das begehrte Triple (Meisterschaft, Cup und Champions League). Ihm ist eine umfassende TV-Dokumentation gewidmet – und in der lässt der Fußballer seinen Noch-Arbeitgeber Bayern München in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie alles andere als gut dastehen.
"Joshua Kimmich - Anführer und Antreiber" ist der 90 Minuten lange Film betitelt, den das ZDF am Samstag, dem 22. Juni, zur Unzeit (23.45 Uhr) ins Programm nahm. Die späte Stunde war der Übertragung der vorher angesetzten Abend-Partie der EURO 2024 geschuldet, die Doku hätte sich aber dennoch einen Sendeplatz zur besten Zeit verdient gehabt. Denn der Gestalter der Dokumentation, Jan Mendelin, lieferte nicht weniger ab als ein feinfühliges und streckenweise sehr intimes Porträt des Nationalspielers.
Corona-Zeit als Schlüsselmoment Und – und deshalb gehen die Wogen im Land gerade hoch – Kimmich spricht darin nicht nur über seine märchenhafte Karriere, seine Familie und seine Bodenständigkeit, sondern auch ausführlich über die Schattenseiten seines Fußballerlebens. Wie er die Trainerdebatte bei den Bayern erlebt hat. Wie er mit seinem bislang letzten Coach, Thomas Tuchel auskam. Und vor allem und ganz ausführlich, wie sein Verein, der FC Bayern, mit seiner anfänglicher Impfskepsis zur Zeit der Corona-Pandemie umgegangen ist: "Da habe ich dann gemerkt, wie der Verein reagiert hat und dementsprechend bin ich da schon enttäuscht und auch getroffen", so Joshua Kimmich.
Jede Minute sehenswert Die Kimmich-Doku ist über weite Strecken großes Kino, getragen von intimen Aufnahmen aus Kimmichs Privatleben einerseits und unzähligen Interview-Passagen andererseits. Wenn man auf der einen Seite hört, wie die Verantwortlichen des FCB "ihren" Jos über den grünen Klee loben und auf der anderen Seite dann, wie verlassen und genötigt sich der Vielgelobte von "seiner" Klubführung gefühlt hat, dann bekommt man einen Eindruck, weshalb die Bayern den Spitznamen "FC Hollywood" haben.
In der Mediathek nicht abrufbar Zwar ist die Doku weiters in der ZDF Mediathek abrufbar, doch aus "rechtlichen Gründen" ist die Ausstrahlung in Österreich nicht möglich. Newsflix fasst daher die spielentscheidenden Passagen aus "Joshua Kimmich - Anführer und Antreiber" für Sie hier zusammen.
Worum geht es in der Dokumentation?
Um den Werdegang von Joshua Kimmich, einem der – nach Meinung zahlreicher Trainer und Experten – aktuell talentiertesten und wertvollsten deutschen Spieler. Die Filmemacher konnten dabei auf Material aus den letzten acht Jahren zurückgreifen, denn so lange begleiten sie den Kicker bereits mit der Kamera. Dazu kommt noch Archivmaterial aus der Kindheit und Jugend des 1995 in Baden-Württemberg geborenen Ausnahmetalents.
Was bekommt man aus dem Privatleben Kimmichs zu sehen?
Überraschend viel. Joshua Kimmich und seine um drei Jahre ältere Ehefrau Lina, die er bereits mit 19 während seiner Zeit bei RB Leipzig kennengelernt hat, gewährten dem Filmteam viele intime Einblicke in ihr Familienleben. Man sieht die beiden bei der Hochzeitsreise auf den Malediven, wo sie mit Haien geschwommen sind und Joshua auf der Terrasse ihrer Villa liegt und am Laptop seine Leistungen der vergangenen Saison analysiert. Man sieht sie auf Safariurlaub in Afrika, wo der Kicker im Zelt sein tägliches Fitnessprogramm abspult. Und sie plaudern sehr ungezwungen über ihre Familienplanung (vier Kinder binnen fünf Jahren).
Wer kommt noch alles zu Wort?
So ziemlich jeder, der Rang und Namen hat in Fußball-Deutschland: Bayern-Urgestein Uli Hoeness, Ex-Bayern-Sportdirektor Matthias Sammer, die Coaches Julian Nagelsmann (früher Bayern, jetzt Nationalmannschaft), Pep Guardiola (früher Bayern, jetzt Manchester City), Ralf Rangnick (früher Sportdirektor bei RB Leipzig, jetzt österreichischer Bundestrainer), und Jogi Löw (früherer deutscher Bundestrainer, Weltmeistertrainer 2014). Außerdem Oliver Kahn (Ex-Bayern-Vorstandsvorsitzender) und Karl-Heinz Rummenigge (aktuell Bayern-Aufsichtsrat) sowie zahlreiche Mannschaftskollegen wie Serge Gnabry, Leroy Sané oder Thomas Müller.
Weshalb die Dokumentation so aufregt
Weil Joshua Kimmich das erste Mal darüber spricht, wie ihn die Situation rund um sein Zögern vor einer Corona-Schutzimpfung im Jahr 2021 und das damit einhergehende Verhalten der Presse, aber auch seines Vereins und einiger seiner Freunde, belastet hat und teilweise bis heute belastet.
Was ist damals geschehen?
Im Oktober 2021 bestätigte Kimmich, dass er Bedenken gegen die Corona-Schutzimpfung habe und sich deshalb noch nicht hat impfen lassen. Die Meldung wurde zur Schlagzeile, die Medien überschlugen sich förmlich, Kimmich wurde zur landesweiten Zielscheibe. Sogar die Bundesregierung in Berlin ließ dem Sportler aus ihrer wöchentlichen Pressekonferenz heraus ausrichten, dass man hoffe, dass sich der Nationalspieler doch noch impfen lasse.
Joshua Kimmich rückblickend: "Da sind viele Dinge passiert, die so nicht richtig sind, die auch angesprochen werden müssen. Dass die Presse bei meinen Eltern klingelt, dass sie selbst zur Beerdigung von meinem Opa erscheinen. Das hat jegliche Grenze überschritten."
Weshalb wurde der Fußballer zum Buhmann?
Nochmals Kimmich im O-Ton: "Je länger die Debatte ging, desto mehr wurde man unter Druck gesetzt. Dass man geimpft sein muss. Am Ende sind wir dorthin gekommen, dass es geheißen hat, es ist die Pandemie der Ungeimpften. Und derjenige, der für die Ungeimpften steht, ist Joshua Kimmich. Also ist er auch für die Pandemie verantwortlich. Aber ich frage mich: Ist es meine Aufgabe als Profisportler, Menschen vom Impfen zu überzeugen? Das ist doch die Aufgabe der Politik oder der Wissenschafter."
Weshalb Kimmich diese Debatte so mitgenommen hat
In einem Online-Interview, das 2021, mitten in der Pandemie, geführt wurde, berichtet Kimmich sichtlich schockiert von einem Gespräch mit einem Freund: "Also ein Kumpel sagt mir, dass weniger Menschen gestorben wären, wenn ich mich hätte impfen lassen. Und das ist brutal. Wenn du da keine Familie hast, dann kann's zerbrechen." Immer wieder kämpft der Sportler während des Gesprächs mit den Tränen, muss sogar einmal die Kamera wegdrehen, um sich wieder zu fassen.
Wie Joshua Kimmich heute darüber denkt
"Es war damals für mich nahezu unmöglich, ohne Impfung weiter Fußball zu spielen", erinnert sich der Bayern-Star in einem aktuellen Interview von Mai 2024, das ebenfalls in der Dokumentation zu sehen ist. "Ich war mehrere Wochen als Kontaktperson in Quarantäne, ohne selbst Corona gehabt zu haben. Der FC Bayern hat mir dann mein Gehalt nicht mehr ausbezahlt. Da stellt man sich schon die Frage: Was machst du jetzt? Lässt du dich impfen und kannst dann wieder Fußball spielen, oder bleiben die Bedenken und du sitzt wochen- oder monatelang zu Hause. Und am Ende des Tages habe ich mich dann impfen lassen."
Wie sich der FC Bayern in dieser Situation verhalten hat
Kimmich in einem Interview aus dem März 2022: "Ich habe mich zu lange allein gelassen gefühlt. Ich bin jetzt fast sieben Jahre im Verein und es gab noch nicht so viele Skandale um meine Person oder so viele Dinge, die ich mir habe zu Schulden kommen lassen. Das war die erste Talfahrt. Und da habe ich dann gemerkt, wie der Verein reagiert hat und dementsprechend bin ich enttäuscht und auch getroffen."
Und weiter: "Das Vertrauensgefühl, das ich davor dem Verein gegenüber hatte, ist natürlich kaputt gegangen. Ich meine, ich weiß nie, was an die Öffentlichkeit kommt, wenn ich jetzt mit dem einen oder anderen spreche. Und es ist jetzt nicht so, dass dieses Vertrauen über ein, zwei Gespräche wieder aufgebaut werden kann."
Wie man beim FC Bayern diese Vorwürfe beurteilt
Kimmichs damaliger Trainer bei Bayern, Julian Nagelsmann, der inzwischen die deutsche Nationalmannschaft bislang erfolgreich durch die EURO 2024 führt, äußert sich nur sehr zurückhaltend: "Ich habe natürlich Jos Position verstanden und auch versucht, ihn gerade in der Öffentlichkeit zu schützen. Ich habe aber natürlich auch versucht, den Club zu verstehen und ein bisschen zu vermitteln. Aber am Ende ist es immer wichtig, für deinen Club zu spielen und auch alles für deinen Verein zu investieren. Das ha t Jo trotzdem gemacht, aber es fiel ihm natürlich in gewissen Situationen ein bissl schwer, sich voll und ganz damit zu identifizieren."
Deutlicher wird da schon Ehrenpräsident Uli Hoeness: "Die Koordinaten des Vereins haben sich meiner Meinung nach nicht gerade zum Vorteil entwickelt und wir alle, Spieler, Führung und Trainer, die da kommen, müssen wieder hart daran arbeiten, den FC Bayern wieder zu dem zu machen, was er mal war. Das ist ja nicht lang her, vor zwei, drei Jahren, da waren wir unangreifbar, wir waren eine Wagenburg, da wurde nicht alles über die Medien verbreitet."
Werden die Corona-Passagen des Interviews negative Folgen für Joshua Kimmich haben?
Darüber wird in Fußball-Deutschland heftigst diskutiert, seit die Dokumentation über die ZDF Mediathek abrufbar ist (derzeit ist ein Streaming in Österreich, wie erwähnt, aus rechtlichen Gründen nicht möglich). Es gibt einige Stimmen, die meinen, sein Stern beim FC Bayern sei bereits am Sinken. Andere Kommentatoren wiederum verweisen auf die milden Worte von Uli Hoeness in der Doku und meinen, dass gegen den Willen des Bayern-Urgesteins kein Spieler den Club verlassen muss.
Was will Kimmich selbst?
Darüber spricht er nicht in der Doku. Es wird aber ausführlich darauf eingegangen, dass sein Vertrag bei den Bayern nur mehr eine Saison lang geht. Und man hat in dem TV-Film über weite Strecken nicht den Eindruck, dass Joshua Kimmich noch sehr viel beim Verein hält. Zuletzt stand er außerdem bei Trainer Thomas Tuchel (der mittlerweile schon wieder weg ist) teils heftig in der Kritik (was angeblich eine Taktik des deutschen Coaches ist, seine Spieler noch mehr zu motivieren).
Und es gibt, berichten deutsche Zeitungen und Magazine, auch vereinsintern Kritik an dem Mittelfeld-Organisator (der von Tuchel zuletzt in die Verteidigung gesteckt wurde) – er sei zu teuer für das, was er leiste, so der immer wiederkehrende Tenor. Jedenfalls: Nach der Saison 2024/25 wird Joshua Kimmich 30 Jahre als sein und könnte seinen Verein ablösefrei verlassen. Ob die Bayern-Granden diese Aussicht prickelnd finden, wird sich weisen.
"Joshua Kimmich - Anführer und Antreiber", Deutschland 2024, 91 Minuten, ZDF, 22. Juni. In der ZDF Mediathek nicht aus Österreich abrufbar