Wahl-Kopfnüsse, Folge 7
Brandherde, Brandreden und eine neue Brandmauer
Neue Woche, neue Chance: Der Wahlkampf tritt in eine entscheidende Phase ein. Herbert Kickl und seine FPÖ machen sich Richtung Kanzleramt auf, die (meisten) anderen Parteien wollen ihnen den Weg abschneiden. Wo jetzt die Musik spült.
Parteitage, Parteitreffen bieten immer auch Gelegenheit für kleine Geschäfte. Irgendwann muss jede. Und jeder. Graz stellte da keine Ausnahme dar. Ungewöhnlich aber war, dass die gesamte Welt von diesem speziellen kleinen Geschäft in Kenntnis gesetzt wurde und das von der Bühne herab. Quasi offiziell.
Hier finden Sie den Podcast mit meiner KI-Stimme
Die Freiheitlichen begingen am Samstag am Grazer Messegelände ihren Wahlkampfauftakt. Er fand beinahe zeitgleich zum Wahlkampfauftakt der Volkspartei in Wien statt, aber die beiden Veranstaltungen hatten so gut wie nichts miteinander gemein. Außer das Ziel. Beide Hauptdarsteller der Mittagstermine wollen am 29. September Kanzler werden, der eine Volkskanzler, der andere einfach so.
Die FPÖ bot als ersten Redner Mario Kunasek auf, er spitzt bei der Landtagswahl am 24. November auf den Job als steirischer Landeshauptmann. Wenn man sich die Umfragen anschaut, stehen seine Chancen nicht schlecht. Das geht momentan vielleicht etwas unter, aber nach der Nationalratswahl finden in zwei Ländern im Herbst noch Landtagswahlen statt und es erscheint möglich, dass die Blauen nicht nur im Bund Erster werden.
In Vorarlberg wird am 13. Oktober gewählt, ÖVP und FPÖ liegen laut einer brandneuen Umfrage der "Vorarlberger Nachrichten" Kopf an Kopf, die Volkspartei knapp vorn, aber innerhalb der Schwankungsbreite. Sie würde 13 Prozentpunkte im Vergleich zu den Landtagswahlen 2019 verlieren, die FPÖ sich verdoppeln. In der Steiermark kommt die FPÖ laut "Kleine Zeitung" auf 29 Prozent, die ÖVP auf 22 Prozent. Zwei schwarzen Kernländern droht ein blaue Stunde und das für fünf Jahre.
Aus dieser Gemengelage heraus versuchte Kunasek das Publikum am Samstag in eine angemessene Euphorie zu versetzen, das gelang nur bedingt. Er war mit seiner Rede eigentlich fertig, schaute in den Saal hinein und hinunter auf den wichtigsten Tisch. Dort, wo die Parteispitze saß. Dort, wo Herbert Kickl saß. Oder besser, nicht saß in diesem Moment.
Denn Herbert war für kleine Herberts. Also musste Kunasek seine Rede etwas strecken. Weil er sein grünes Herz aber auf der Zunge trägt, wollte er dem Saalvolk auch mitteilen, was da im Moment Großes oder Kleines abseits der Bühne vor sich ging. Also sagte er: "Und nachdem ich sehe, dass der Herbert noch nicht ganz da ist, er hat noch kurz austreten müssen", habe er jetzt noch ein Minute Zeit.
So passierte es auch. Nach zwei Minuten war der ausgetretene Herbert wieder eingetreten, Kunasek konnte von der Bühne abtreten und Kickl zu seiner Rede antreten. Sie dauerte rund 72 Minuten und war durchzogen von Angriffen, Beleidigungen, Schmähungen, für Kickl-Verhältnisse aber fast altersmilde. Keine ORF-Attacke, keine "Fahndungslisten", Andreas Babler nannte er lapidar einen "Mix aus Marx und Murks". Der FPÖ-Chef hat schon größere Geschäfte gemacht.
Im Vergleich zur Volkspartei in Wien feierten die Freiheitlichen im kleinen Rahmen. Nehammers Erweckungsakt war durchgestylt und durchchoreographiert. Wo sich der Kanzler zu verneigen hatte, wo die Fahnenträgerinnen losgehen mussten, welche Kamera was filmt, für alles gab es einen Drehplan. Die FPÖ improvisierte.
Beim Einzug in die überdachte Halle am Freigelände zu "The Final Countdown" fehlte Kunasek, weil er mit dem Schminken nicht fertig geworden war. Die ÖVP hatte Sandra Thier und Harry Prünster für die Moderation eingekauft, bei der FPÖ führten der Pressesprecher und die Listen-Achte durch die Show. Als die zehn erstplatzierten Kandidatinnen und Kandidaten aufgerufen wurden, wussten sie nicht, wo sie sich hinstellen sollten.
Im Publikum sorgte das für keinen Verdruss. Die meisten Kickl-Fans verbrachten die Zeit stehend auf den Bierzelt-Holzbänken und hielten Taferln für "ihren Herbert" hoch, wie man sie aus dem amerikanischen Wahlkampf kennt. Statt "Kamala Harris" stand "Kickl kann's" und "Kickl, wer sonst?" drauf.
Der freiheitliche Kamala Harris nahm vorrangig seinen Duellpartner Karl Nehammer ins Visier. Er wisse nicht, was der Kanzler "fünf Jahre beruflich gemacht" habe, rief er unter Gejohle, das ÖVP-Personenkomitee nannte er "betreutes Denken", die Russland-Sanktionen eine "Knieschussaktion". Aber er erwähnte auch die "Brandmauer", die gegen ihn errichtet werden soll, aufgebaut von der "Einheitspartei", wie Kickl den Mitbewerb abqualifiziert.
Diese "Brandmauer" wird nun den Wahlkampf prägen. Der tritt mit Beginn dieser Woche in eine neue Phase ein, er wird sich verdicken und verdichten. Die 32-Stunden-Woche, das Klima, die Steuerpläne, die Bildung, die Kinder-Grundsicherung, die Wirtschaftspolitik – bis auf den Themenkomplex Asyl tritt nun alles in den Hintergrund. Die Wahlauseinandersetzung wird fortan von der Frage geprägt sein, wie man Herbert Kickl von der Macht abhalten kann.
Wer holt sich die Stimmen aller jener, die keine Freiheitlichen in der Regierung haben wollen? Wer baut die Brandmauer auf, wer macht sie wie hoch und wer ist am glaubwürdigsten dabei? Darüber wird es im Rest des Wahlkampfes vorrangig gehen. Die SPÖ hat das in der Vergangenheit in Wien schon mehrfach vorgemacht. Sie hat sich als Brandmauer gegen die FPÖ inszeniert. Michael Häupl und Michael Ludwig haben damit Wahlen gewonnen.
Alle bisherigen Wahl-Kopfnüsse
- Folge 1: So wurde ich für den Kanzler zu einer KI
- Folge 2: Bestäubungs-Staberln und ein Wasserträger
- Folge 3: "Natürlich hat er das, ich bin kein Vollidiot"
- Folge 4: Zwischen starker Mitte und Impotenz
- Folge 5: So führt uns der Kanzler in Wien aufs Glatteis
- Folge 6: Die Volkspartei und ihr Tom Cruise von Kagran
Aber: Funktioniert das noch? In Zeiten wie diesen? Vor Jahren kämpfte die Meinungsforschung noch damit, dass sich so wenige Menschen zur FPÖ bekennen wollten, "Unterdeckung" nannte sich das. Die Freiheitlichen schnitten immer besser ab, als es die Rohdaten der Umfragen hergaben. Zuletzt war das andersrum. Es gab eine "Überdeckung". Mehr Menschen gaben bei Umfragen an, die FPÖ wählen zu wollen, als sie es dann am Wahltag tatsächlich taten. Diesmal wieder?
Wir werden sehen. Bis dahin wird noch oft von der "Brandmauer" die Rede sein. Es gilt, die entscheidende Frage zu beantworten: Fürchten sich noch viele Menschen vor Freiheitlichen in der Regierung, oder ist die Angst eine Tochter der Zeit?
Ich wünsche einen kühlen Montag. Mögen Ihre Geschäfte heute bestens laufen! Das, was von oben kommt, nennt sich übrigens Regen. Nur falls Sie sich nicht mehr erinnern können.