Tagebuch einer Pandemie
Corona-Kopfnüsse, Kapitel 6: Raus aus der Krise
Lesen Sie im sechsten Teil der Corona-Tagebücher über den ersten Rücktritt und ein paar seltsame Auftritte.
Kapitel 6: Raus aus der Krise
13. Mai 2020 Den Kanzler gibt es plötzlich doppelt
Kurz fährt nach Vorarlberg, Vorarlberg auf Kurz ab. Das bringt den Kanzler ins Schleudern.
Am Land, da gilt der Politiker halt noch was. Am Dienstag reiste der österreichische Bundeskanzler gegen Abend hin ins Kleinwalsertal, nach Vorarlberg also. Weil die Schulen jetzt so lange geschlossen waren, füge ich vielleicht besser an: Vorarlberg, liebe Kinder, ist das Bundesland ganz links, Österreich geht dort zu Ende oder beginnt dort, das ist Ansichtssache. An einem dieser Enden befindet sich die kleine Gemeinde Mittelberg. Lasst euch vom Namen nicht täuschen, Mittelberg liegt eher am Rand, an der Grenze zu Deutschland nämlich, aber noch auf der österreichischen Seite.
Das sorgte vor allem in Corona-Zeiten für Probleme, denn Mittelberg ist nicht über den Landweg, schon gar nicht über den Seeweg von Vorarlberg aus erreichbar, sondern nur über Bayern und die Grenzen waren zuletzt ja geschlossen. Jetzt aber sind die Balken wieder oben und die Mittelberger hatten gleich doppelten Grund zur Freude, denn Sebastian Kurz kam. Leibhaftig. Der erste Kanzler seit 47 Jahren, seit Bruno Kreisky, der das Tal besuchte. Es wurde legendär.
In seiner Euphorie schrieb sich Bürgermeister Andi Haid vorab in einen türkisen Rausch: "Die Verantwortlichen freuen sich über eine Beflaggung der Häuserfassaden und auch Bekundungen entlang der Walserstraße," ermunterte er seine Gefolgschaft auf Facebook. Kaum waren die gut gemeinten Zeilen veröffentlicht, ging ein Shitstorm über die Gemeinde nieder. "Wie in der Nazizeit", schrieb ein User, viele folgten. Die Verschreckten unter den Mittelberger löschten den letzten Satz des Postings, den anderen waren die bösen Kommentare sowieso wurscht.
Auch Corona ist ihnen ziemlich blunzn und deshalb trat nicht ein, was der Bürgermeister angekündigt hatte, dass nämlich "die Talbevölkerung keinen persönlichen Kontakt" mit dem Kanzler haben werde, im Gegenteil sie hatte sogar sehr viel Kontakt mit Kurz, mehr als diesem lieb war. An die 100 Menschen versammelten sich und johlten und jubelten dem neuen Kreisky zu, der politisch ohnehin besser ins Land passte als der einstige Sonnenkönig aus Wien. Viele kamen in Tracht, hielten Schilder hoch und Transparente mit roten Herzen darauf und liebgemeinten Sprüchen, sie standen so dicht an dicht, dass man dachte, hier will man Ischgl nachspielen. "Kitzloch", in der Open-Air-Version halt.
Kurz wusste nicht, wie ihm geschah. Er hatte Landeshauptmann Markus Wallner und Staatssekretär Magnus Brunner im Schlepptau, die beide keine große Hilfe waren. Mehrmals mahnte er die Anwesenden, doch Abstand zu halten, machte Gesten, um sie an den Babyelefanten zu erinnern, aber der Vorarlberger ist stur, das wird Corona schon noch merken. Eigentlich hätte zu diesem Zeitpunkt die Polizei einschreiten und an die 100 Strafzettel verteilen müssen, in Wien kostete das jeweils 500 Euro. Der Kanzler hielt eine kurze Rede, nachdem er ein paar Fotografen, Journalisten und Einheimische verscheucht hatte. Er erinnerte ans Händewaschen und Desinfizieren, deshalb hätte er den weiten Weg hierher nicht machen müssen, ein Video hätte gereicht. Aber den Kleinwalsertalern war es so natürlich lieber.
Wunder geschehen. Als Kurz live in Vorarlberg war, tauchte er zeitgleich live im Fernsehen auf, er wird mir langsam wirklich unheimlich. Barbara Stöckl widmete sich auf ORF der psychologischen und seelischen Komponente der Pandemie und wer könnte sich besser in der Materie auskennen als der Kanzler, als Universalgenie ist er überall als Gast gern gesehen. Stöckl begrüßte Kurz live im Studio, derselbe Kurz erklärte den Kleinwalsertalern aber gleichzeitig live, dass sie nicht so eng beieinanderstehen und ihre Hände in Unschuld waschen sollten. Er stand im ORF vor einem mystischen roten Vorhang, erzählte von seiner Oma, die von seiner Mutter "natürlich besucht" werde und überraschte das Land mit dem Satz: "Bevormundung darf und soll es nicht geben." Dann war das die letzten beiden Monate also doch ein Film.
Vielleicht gibt es ja mehrere Kurz, auch über Hillary Clinton, Trump oder Putin gab und gibt es das Gerücht, dass sie hin und wieder Doppelgänger benutzen, um einmal einen Abend frei zu haben oder ins Kleinwalsertal zu fahren oder aber ins Fernsehen zu gehen, alles gleichzeitig erscheint auch möglich. Da der Kanzler jetzt aber ohnehin fast jeden Abend im Hauptabendprogramm des ORF auftritt, sollte man vielleicht eine eigene Sendeleiste andenken. "Zeit im Kurz" ginge als Titel eventuell.
18. Mai 2020 Der Minister und das Humankapital
Die Schulen, die nie richtig geschlossen waren, sperren endlich auf, aber nicht so richtig.
Da ist er plötzlich wieder, der Hausverstand. Ein paar Tage war er jetzt weg, Corona-Ferien vielleicht, aber pünktlich zum ersten Schultag am Montag, tauchte er auf, bestens gelaunt, obwohl er jetzt doch so viel um die Ohren hat. Gegen 7.30 Uhr stand Heinz Faßmann vor der Volksschule in Brunn am Gebirge bei Wien, der blaue Himmel strahlte mit dem Bildungsminister um eine Wette, die dieser gar nicht eingegangen war. Man müsse das alles jetzt "mit einem gewissen Hausverstand" angehen, sagte Faßmann und meinte etwa das Maskentragen im Schulgebäude.
Es war ein Appell an das Humankapital, mit dem der Minister schon in den Tag gestartet war. Ihm sei, sagte er im Ö1 Morgenjournal "das Öffnen der Schule ein tiefes Anliegen, grad auch aus diesen Gründen heraus, dass es nicht zu einem Humankapitalverlust großen Ausmaßes kommt".
700.000 Angehörige des Humankapitals machten sich gestern also auf, um einen Verlust ebenjenes Humankapitals im großen Ausmaß hintanzuhalten. Genau genommen nahm lediglich die Hälfte den Kampf gegen eine etwaige Verblödung durch Home-Schooling auf, da ja gestern nur Gruppe A zu den Schulen gerufen war. Die zweite Hälfte der ersten Hälfte der Schülerinnen und Schüler versuchte daheim das Konto des Humankapitals auf einer gewissen Einlagenhöhe zu halten, eventuell durch Anhören einiger Musikerzeugnisse von Capital Bra oder RAF Camora.
Wie stark das Humankapital durch das Auftreten des Coronavirus gelitten hat, werden wir wohl erst im Herbst erfahren, denn die paar Tage, die unsere Kinder jetzt in die Klassen zurückkehren, seien nur ein "Probegalopp" für das nächste Schuljahr, sagte Faßmann, ich hoffe das Humankapital weiß das.
Es gab diese Szenen im Kleinwalsertal und die Wiener dachten sich, das können wir auch. Sebastian Kurz hatte sich Ende letzter Woche nach Vorarlberg aufgemacht und weil ein Kanzler ebendort eine Gattung Humankapital ist, die man eher selten zu Gesicht bekommt, wollten alle den Besuch aus Wien knuddeln.
Also durften ein paar Journalisten den Bildungsminister vor die Schule im Grenzkorridor zwischen Wien und Niederösterreich begleiten. Vorab wurden alle darauf hingewiesen, dass "der Schulbesuch unter strengen Sicherheitsvorkehrungen" stattfinde. "Es ist nur ein begrenztes Kontingent an Teilnehmer/innen vor Ort möglich", eine Anmeldung sei "unbedingt erforderlich", war auf der Einladung zu lesen.
In diesem Umfeld also stellte sich der Bildungsminister vor die Volksschule von Brunn am Gebirge und geriet in eine für einen gelernten Geographen seltene Ekstase: "Die Sonne strahlt, die Schule geht wieder auf. Heute ist, glaube ich, ein guter Tag", sagte Faßmann und ein Pulk aus Journalisten filmte, fotografierte oder schrieb mit. In der Euphorie warfen die Reporter alle Babyelefanten über Bord und Brunn am Gebirge wurde zum Kleinwalsertal des Ostens. Drei Meter vom Minister entfernt standen die Journalisten, die "unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen" hierhergekommen waren, Schulter an Schulter, jeder wollte die besten Bilder und der Minister, der Brunn am Gebirge überragte und über den Schneeberg hinaus bis etwa zur Adria Schatten warf, ist beileibe kein einfaches Motiv.
19. Mai 2020 Eine neue Staatssekretärin mit ohne Strom
Ulrike Lunacek ging als Kultur-Staatssekretärin von der Bühne ab, ihre Nachfolgerin hatte Tonprobleme. Es war ein ziemliches Theater.
Am Dienstag wurde aus dem Humankapital plötzlich eine vieldimensionale Matrix. Österreich bekam eine neue Staatssekretärin, der Name überraschte viele etwa so wie alljährlich das Herannahen des eigenen Geburtstages.
Weil es sich um die Staatssekretärin für Kultur handelte, lag ihre Präsentation in den Händen oder besser im Mund von Werner Kogler mit all der damit verbundenen Problematik. Ich sage einmal so: Sollte ich einmal Staatssekretär für Kultur werden, wogegen sowohl die Kultur als auch ich gute Gründe vorbringen könnten, dann wäre Werner Kogler als Laudator nur meine zweite beste Wahl, ich will höflich sein. Er sagte viele schöne Sachen über Andrea Mayer, daran lag es nicht, aber das Gesagte ging unter in einer Gerölllawine aus Sätzen und Ahs und Ähs, die vom Bergkogler ins Tal, ich will nicht sagen, rauschten, sie machten sich eher gemütlich auf den, äh, Weg. Die Lawine fand kein Ende, zuweilen konnte man auch ihren Beginn nicht erkennen. Die Lawine, sie war einfach da.
Die Regierung und das Plexiglas, das ist mittlerweile eher so eine On-Off-Beziehung. Die Präsentation von Mayer fand im Kulturministerium statt, ohne durchsichtige Paravents, die Journalisten waren Kogler also ungeschützt ausgeliefert und er ihnen. Die Kulisse fiel vor allem dadurch auf, dass es sie nicht gab, der Vizekanzler und seine neue Kulturchefin stellten sich vor ein taubengraues Irgendwas mit ein paar Logos drauf, die SPÖ hätte das nicht schlechter hinbekommen, besser aber auch nicht. Nicht einmal die sonst obligaten Fahnen hatten sich hierherbemüht, vielleicht waren sie im Kaffeehaus und probierten aus, wie das Hochfahren der Gastronomie so funktioniert. Ich hoffe, die Fahnen hatten beim Verlassen der Etablissements keine Fahne.
Irgendwann zwischen der Lawine aus Sätzen ohne Anfang und Ende und oft auch ohne Mittelteil, sagte Kogler, er habe eine "große Freude, einen echten Profi gefunden zu haben". Mayer sei seine "gute Favoritin" gewesen. Ich weiß nicht, wie groß die Gruppe der schlechten Favoritinnen gewesen ist und ob es eine solche überhaupt gegeben hat, die "gute Favoritin" setzte sich jedenfalls durch.
Dann ereignete sich etwas Epochales. Der Kulturminister erläuterte, warum Mayer seine "gute Favoritin" gewesen sei: "Weil sie sich auskennt". Er zog die Augenbrauen nach oben, schaute den Journalisten für einen kurzen Moment direkt in die Augen und ließ dann den Satz sich ausbreiten wie eine Wolke. "Auskennen". Genau in jenem Metier, für das sie nun tätig sein soll. Häufiger ist es ja so, dass Politiker sich bestenfalls in irgendwas auskennen, ihnen dann aber ein anderes Ressort zugeteilt wird, Kogler ist so ein Fall. Das mit ihm und der Kultur ist eher ein Theater.
Der Vizekanzler hätte sich jetzt auf den Schenkel klopfen und laut prustend loslachen können: "Dass ich das noch einmal erleben darf. Auskennen. Das glaubt mir daheim keiner. Wenn ich das in der Steiermark erzähle, muss ich einen Uhudler ausgeben". Das sagte er natürlich nicht und er lief auch nicht rot an, sondern schob eine weitere Begründung nach, warum Andrea Mayer seine "gute Favoritin" geworden war. Sie sei gut vernetzt und das sei in der Kultur wichtig, denn die sei eine "vieldimensionale Matrix". Dem Kulturminister bei der Präsentation einer Kultur-Staatssekretärin zuzuhören, ist auch schon eine Kunstform für sich, selbst wenn die Matrix dabei eindimensional bleibt.
Als Kogler dann beginnt, Gemeinplätzen Raum zu geben, als er etwa die Kultur "Nahrung für die Seele" nennt, taucht das Insert erstmals auf: "Entschuldigen sie die Bildstörung". Das TV-Bild ruckelt und zuckelt und verschwimmt. Vielleicht sitzen Ulrike Lunacek, die Kultur-Staatssekretärin war, und Eva Blimlinger, die gern Kultur-Staatssekretärin geworden wäre, im Keller des Ministeriums und versuchen wahllos ein paar Kabel durchzuschneiden oder durchzubeißen. Kogler erzählt noch etwas über Geldhilfen, die er "aufgleisen" will, dann gibt er ermattet auf und wir auch.
"Einen wunderschönen Vormittag", übernimmt Andrea Mayer und die Bildstörung ist wieder da. Die neue Staatssekretärin weiß natürlich nichts davon, sie spricht unbeirrt weiter und schnell wird deutlich: Sie war wohl zurecht die "gute Favoritin". "Ich werde mein Bestes geben," verspricht sie, wieder flimmert das Bild. "Künstler und Künstlerinnen nehmen in ihren kreativen Prozessen...". Weiter kommt sie nicht. Der Ton ist weg, es wird schlagartig finster, die hässliche Kulisse ist der einzige Gewinner der Situation.
Mayer schaut nach oben, lächelt, sie spricht weiter, aber keiner kann sie hören. Fünf Minuten bleibt es zappenduster. Kogler nutzt die Phase, um mit den Reportern über die Eröffnung der Tiergärten und Gastgärten zu plaudern („nicht so geglückt, weil das Wetter mies war“). "Stellen sie mir keine Fußballfrage", bittet er, dann macht er sich nützlich, kontrolliert das Kabel seines Mikros. "Vielleicht war ich schuld, weil ich zu heftig am Pult gerüttelt habe". War er nicht, auch Lunacek und Blimlinger werden vom Tatverdacht reingewaschen. Ein Kameramann war über ein Kabel gestolpert, der FI-Schalter flog raus. Der Kultur wurde der Stecker gezogen.
21. Mai 2020 Die FPÖ entdeckt den Widerstand
Viele machen sich nun Gedanken über ihren Sommerurlaub, die FPÖ erobert Neuland: Maßnahmen-Gegner.
Urlaub 2020 – es wird einfach geil. Muss auch einmal gesagt werden. Ich glaube ja, dass sich Alexander Van der Bellen versprochen hat. Der Bundespräsident wollte nicht sagen "so sind wir nicht", sondern "wo sind wir nicht?" Die Antwort kann ihm gegeben werden: Überall, außer dort, wo wir hinwollen. Aber, wie gesagt, geil wird es trotzdem.
Maskenpflicht – lästig, aber geil. Mit Einweghandschuhen zum Frühstücksbuffet und das nach Stundenplan – ungewohnt, aber geil. Jeden Tag Blutabnahme, ob man Corona hat, gehabt hat oder noch bekommen wird – schmerzhaft, aber geil. Pop-up-Länder, in die man plötzlich doch reisen kann – unplanbar, aber geil. Urlaubsorte, aus denen man wieder heimreisen darf, heimgeschickt wird, krank oder gesund, oder in denen man zumindest 14 Tage eingesperrt wird – unkalkulierbar, aber geil. Grenzübertritte mit Pass, Corona-App, Gesundheitszeugnis, im Stau unseres Lebens – zeitintensiv, aber geil. Zwei Meter Pflichtabstand am Strand, Servicepersonal in Marsmännchen-Uniform, Desinfektionsmittel am Eisstanitzel, Nervenzusammenbrüche bei jedem Huster, die Reiseapotheke platzraubender als der Gewandkoffer – mühsam, aber geil.
Elisabeth Köstinger war dieser Tage offenbar bei Ikea, der Besuch dürfte Spuren hinterlassen haben. "Auf dich wartet ein guter Sommer", schrieb sie gestern auf Twitter und das wird viele gleich doppelt verwirrt haben. Einerseits wussten sie gar nicht, dass sie mit der Heuer-bleiben-wir-aber-schön-daheim-gell-Ministerin per du sind, andererseits ist für viele derzeit unklar, ob dieser Sommer gut wird oder wenigstens annehmbar, vom Herbst gar nicht zu reden.
"Auf dich wartet ein guter Sommer", erfuhr ich zu Mittag, ist der neue Werbespruch, der Lust auf Urlaub in Österreich machen soll. Gemeinsam mit Kanzler Sebastian Kurz und Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer gab Köstinger am Donnerstag eine Pressekonferenz. Die ÖVP und die Grünen sind noch gemeinsam in einer Regierung, also zumindest Stand jetzt, aber in der Öffentlichkeit bleiben die beiden Parteien immer öfter lieber unter sich. Der Tourismus werde jetzt hochgefahren, sagte Kurz, viel ist jetzt nicht mehr unten, was noch hochgefahren werden könnte, ein paar Bühnen und Kinos vielleicht.
Elisabeth Köstinger kam als Nächste dran und es war der Zeitpunkt gekommen, an dem das Wort "entsprechend" Teil der neuen Normalität wurde. Wenn ich richtig gezählt habe, dann kam in ihrem sechsminütigen Vortrag "entsprechend" sechzehn Mal vor, was entsprechend viel ist, vor allem für ein Wort ohne entsprechend vorzuweisendem Nutzwert. Es wurden "entsprechend die Maßnahmen vorgestellt", um "entsprechend Urlaub zu machen" und "entsprechend auch im Land unterwegs" zu sein.“ "Entsprechend öffnen auch die Freizeitbetriebe", es gebe die Möglichkeit "entsprechend im Betrieb zu testen", "entsprechend zum Schutz der Gäste und der Mitarbeiter", um "entsprechend auch das Aufsperren möglich zu machen". Wir können uns darauf freuen, "entsprechend das Land zu entdecken". Damit wir das nicht allein tun müssen, sollten auch Gäste aus dem Ausland kommen, es wurde deshalb "entsprechend mit Deutschland eine Einigung" erzielt.
Nach dem missratenen Auftritt von Sebastian Kurz im Kleinwalsertal war die FPÖ auf den Kanzler losgegangen. Klubobmann Herbert Kickl nannte ihn einen "Lebensgefährder", sprach von "Heuchelei" und "Doppelmoral". Mittwoch lud Dominik Nepp, Wiener Parteichef der Blauen, zur Demo auf den Wiener Heldenplatz, um den "Corona-Wahnsinn" zu stoppen. In seiner 15 Minuten langen Rede nannte er Schutzmasken "Regierungsburka", den Kanzler "Totengräber", der Rechtsstaat werde mit Füßen getreten, worin die FPÖ entsprechend natürlich keinerlei Expertise hat.
Den Anwesenden gefiel es wie es war, die Menge skandierte "Kurz muss weg". 500 Menschen (und 150 Gegendemonstranten) hatten sich eingefunden. Auf dem Boden waren Babyelefanten aufgezeichnet, damit ja alle den Abstand einhalten. Als sich aber Nepp unter die Leute mischte, da wurde er schnell zum Kurz und der Heldenplatz sein Kleinwalsertal, die Babyelefanten waren wohl schon einen heben. Der "Corona-Wahnsinn" macht eben auch vor der eigenen Tür nicht Halt, selbst wenn der Heldenplatz keine Tür hat.
24. Mai 2020 Tatort Annagasse 8
Der Bundespräsident verplauderte sich in einer Pizzeria. Polizisten ertappten ihn beim Sperrstunden-Prellen.
Ich denke es war so: Der Bundespräsident hatte das Costolette d’agnello con demi-glacé rosmarino e contorno (26,50 Euro) links liegen lassen und sich für Coda di rospo alla Porto Fino (32,50 Euro) entschieden. Als er dann mitten in den Fragole con mascarpone o gelato limone war, rückte 23 Uhr näher. Alexander Van der Bellen war schon den ganzen Abend über nachdenklich gewesen, nicht so euphorisch, aufgekratzt und über die Maßen heiter gestimmt wie sonst immer.
"Was ist Sascha?", fragte ihn seine Ehefrau Doris Schmidauer besorgt. "Weißt Dorli", antwortete der Bundespräsident, "mir tut der Kanzler halt so leid. Der Bub hat seit seinem Besuch im Kleinwalsertal solchen Ärger. Was kann er denn dafür, der Sebastian, wenn ihn alle so furchtbar gernhaben und ihn knuddeln wollen?"
Es wurde still am Tisch, nicht einmal die Erdbeeren trauten sich einen Mucks zu machen. "Wir bleiben einfach sitzen", sagte der Bundespräsident schließlich.
"Wie meinst du das, Sascha? Es ist jetzt Sperrstunde, wir müssen heimgehen."
"Nein, wir machen einen Sitzstreik. Wie früher. Für den Sebastian. Aus Solidarität. Ich will den Buben in dieser schweren Stunde nicht allein lassen".
"Mir ist kalt, es regnet und stürmt".
"Ja und finster ist auch, ich weiß. Aber manchmal muss man für Land und Leute auch Opfer bringen".
"Das wird sicher ein zweites Hainburg", seufzte Doris Schmidauer.
Van der Bellen schaute sie von der Seite her an, aber er konnte nicht feststellen, ob sie das sarkastisch meinte oder voller Bewunderung.
Jedenfalls blieben der Bundespräsident und seine First Lady sitzen, man könnte auch sagen, sie wurden sitzengelassen, denn der Wirt sperrte zu. Die beiden warteten im überdachten Gastgarten des Nobel-Italieners "Il Sole" in der Annagasse 8 in der Wiener City. Und warteten. Und warteten. Und warteten. Aber keiner kam. Es ist ja so: Wenn es stürmt und regnet, gehen auch die Polizisten nicht gern raus und es stürmte und regnete wahrhaftig in der Nacht auf Sonntag. Es wurde Mitternacht. "Vielleicht sollten wir die Kronen Zeitung anrufen, damit die den Nehammer anruft, damit der beim Polizeikommissariat anruft, damit die eine Patrouille vorbeischicken", schlug Van der Bellen vor. "Ohne Polizei ist so ein Sitzstreik doch ein ziemlicher Reinfall und so kann ich den Sebastian nicht aus den Schlagzeilen bringen".
Im "Il Sole" war die Sonne schon untergegangen, auf dem Tisch standen zwar noch ein paar Gläser, aber der Wirt hatte sich schon aus dem Straßenstaub gemacht. Es wurde 0.18 Uhr und endlich bogen zwei Polizisten ums Eck, sahen den Bundespräsidenten, die Amtshandlung konnte beginnen und der Sitzstreik bekam endlich einen Sinn. "Jetzt kannst die Krone anrufen, Dorli", rief der Bundespräsident, "aber sag ihnen, dass wir den Nehammer nicht mehr brauchen, wir haben uns die Polizei selber organisiert".
Die Polizisten erkannten Van der Bellen vor dem "Il Sole" sofort, der sei "äußerst freundlich" gewesen, schreibt die "Krone". Alles andere hätte mich gewundert, etwa dass der Bundespräsident einen Beamten mit einem Waza-Ari auf den Rücken gelegt und das Paar erst durch den Einsatz von Pfefferspray in die Schranken gewiesen werden konnte. Er habe sich "verplaudert" und "leider die Zeit übersehen", rechtfertigte sich der Präsident am Tag danach, es tue ihm "aufrichtig leid". Was hätte er auch sonst sagen können? "Juli" wollte eine sturmfreie Bude und wir konnten nicht heim? Mir wurde etwas ins Glas gemischt, jetzt verstehe ich den Strache besser? Meine Uhr zeigt nur die Minuten an? Jedenfalls: Sollte es für den Wirt eine Strafe geben, werde er dafür "geradestehen".
Ich vermute jetzt einmal: Van der Bellen bleibt Präsident. Für den Wirt setzt es eine milde Geldbuße, wenn überhaupt. Sollten Sie abends fortgehen, bitte auf die Sperrstunde achten. Nicht jeder von uns ist durch die Verfassung geschützt.
25. Mai 2020 Endlich sind die 100 geschafft!
Die Regierung durchbricht mit ihren Pressekonferenzen eine magische Grenze.
In den letzten Wochen mag es zuweilen eine Unterversorgung mit allerlei gegeben haben, Regierungs-Pressekonferenzen aber waren in ausreichendem Maß vorhanden. Zumindest ist mir nicht bekannt, dass es Anrufe bei der Corona-Hotline gegeben hätte, in denen sich Menschen über einen diesbezüglichen Mangel beklagt hätten. Dieser Tage übersteigt die Anzahl der Regierungs-Pressekonferenzen zur Corona-Krise die Zahl 100, allein Sebastian Kurz war an gut 86 beteiligt.
Die Veranstaltungen bisher waren allesamt nach einem Baukastensystem aufgebaut. Es wurden die immer gleichen Sätze mit einem jeweils aktuellen Thema kombiniert. Einzelne Bausteine wurden mit der Zeit weggeschmissen, frische kamen hinzu. "Neue Normalität", "Reproduktionsziffer", "Eigenverantwortung", "hochfahren", "Lockdown", "Shutdown", "Lockerungen", "Containment", "die sparsamen Vier", man war immer sehr kreativ.
Und wir waren immer bei den Schnellsten, auch so eine Obsession. Das klingt, als hätten wir schon gern Covid-20, während sich die anderen immer noch mit Covid-19 herumschlagen müssen. Jetzt wieder, die neue Kultur-Staatssekretärin, kaum im Amt, schon voll integriert. Es fehlt nur noch Dompfarrer Toni Faber auf einer Regierungs-Pressekonferenz, ich höre ihn schon im Stile von Andrea Mayer sagen: "Wir waren viel schneller dran als alle Kirchen in Europa und das ist sehr, sehr gut. Wir waren mit unserem Vaterunser schon fertig, da standen die anderen noch vor der Entscheidung, welcher Religion sie überhaupt nähertreten sollten".
In den letzten Wochen hatte die Kultur einige gute Gründe, um zu sudern und zu jammern. Es gab kein Geld und wenig Liebe, die Regierung und die Szene redeten aneinander vorbei. Jetzt aber ist Hilfe da und es wird wieder etwas hochgefahren, um Erster in Europa zu sein, weil das ist "sehr, sehr gut" wie Kultur-Staatsskretärin Andrea Mayer sagte. Wir wissen.
Das geht jetzt richtig zackig. Schon ab Freitag sind Indoor-Events mit bis zu 100 Personen erlaubt, Sebastian Kurz darf also wieder ins Kleinwalsertal fahren, wenn es regnet, können alle gefahrlos reingehen. Ab 1. Juli sind 250 Personen erlaubt, das gesamte Publikum von sechs Heimspielen von Admira Wacker also, auch die Kinos öffnen, ab 1. August sind 1.000 Gäste möglich.
In den Zuschauerräumen von Theatern kann man endlich die Füße auf den Vordersessel legen, ohne dass Spießbürger das anmaßend finden. Der Ein-Meter-Abstand gilt auch hier, wo er nicht möglich ist, müssen die Sitzplätze daneben frei bleiben. Geht auch das nicht, dann gilt Schutzmaskenpflicht während der gesamten Vorstellung, was den Genuss, die Beine auf dem Vordersessel ablegen zu können, wieder etwas zunichte macht.
Wer mit Familie unterwegs ist, für den gelten keinerlei Abstandsregeln, der Einlass zu Kulturveranstaltungen könnte sich also etwas mühsam gestalten, wenn alle ihre Meldezettel, Heiratsurkunden und Mutter-Kind-Pässe herzeigen müssen. Es könnte zur spontanen Gründung von Großfamilien kommen. Wenn man sich kennt, kann man übrigens auch zu viert "unmittelbar nebeneinander" sitzen. Fragen Sie mich bitte nicht wie das nachgewiesen werden muss.
Zusperren war einfach, das Öffnen erweist sich als sperrig. Das lernen wir ab jetzt alle geschlossen kennen.
Die erste Staffel hier lesen
Finden Sie hier alle neun Folgen, als Text und als Podcast.