Gericht entscheidet

Corona-Krisenstab muss seine Protokolle veröffentlichen

Journalisten klagten, das deutsche Robert Koch-Institut musste jetzt 2.500 bisher geheime Seiten einsehbar machen. Ein Großteil davon ist aber geschwärzt.

Eingang zum Robert Koch-Institut in Berlin: Bei der Bundesbehörde arbeiten 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Eingang zum Robert Koch-Institut in Berlin: Bei der Bundesbehörde arbeiten 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
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Newsflix Redaktion
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Das Robert Koch-Institut (RKI) ist ein Tanker. Die Behörde, die dem deutschen Bundesministerium für Gesundheit untersteht, hat rund 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sitzt in Berlin und hat den Arbeitsauftrag, "Krankheiten von hoher Gefährlichkeit, weitem Verbreitungsgrad oder großer öffentlicher oder gesundheitspolitischer Bedeutung zu bewerten, analysieren und erforschen".

Während der Pandemie fielen im RKI die wichtigsten Entscheidungen. Lockdowns, Maskenpflicht, Impfungen, die Ergebnisse der Beratungen im Haus hatten drastische Konsequenzen für das ganze Land. Transparent gemacht wurden die Grundlagen der Entscheidungen nie, nun aber kommt etwas Licht ins Ende des Tunnels - wenn auch nur zum Teil.

"Magazin" fordert Einblick Das Webportal "Multipolar" wurde im Jänner 2020 von drei Männern gegründet: Stefan Korinth, Sozialwissenschaftler und freier Journalist, Paul Schreyer, ebenfalls freier Journalist, unter anderem für den WDR, und Ulrich Teusch, Professor für Politikwissenschaft (er ist inzwischen ausgeschieden). Das Trio nannte das eigene reine Online-Produkt "Magazin", geboten werden sollte "multiperspektivischer Journalismus". "Multipolar"wurde mit Geld aus Crowdfunding gestartet, 200 Personen zahlten ein, viele Kleinspender erhalten das Portal heute am Leben.

Lothar Wieler (l.), Ex-Leiter des RKI (Robert Koch-Institut), mit dem deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach
Lothar Wieler (l.), Ex-Leiter des RKI (Robert Koch-Institut), mit dem deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach
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"Multipolar" war von Beginn an gegenüber der deutschen Coronapolitik zumindest hochskeptisch eingestellt, die Gruppe wurde recht schnell ins Schwurblereck gestellt, ob zurecht oder nicht ist Ansichtssache, wie so vieles im Zusammenhang mit Covid-19.

Ewiger Rechtsstreit Im Mai 2021 jedenfalls stellte die Gruppe einen Antrag an das RKI und nahm dabei Bezug auf das Informationsfreiheitsgesetz. Gefordert wurde die Herausgabe "sämtlicher Protokolle, Tagesordnungen, Teilnehmerlisten und sonstiger Notizen des RKI-Corona-Krisenstabes" vom 6. Jänner 2020 (der Krisenstab wurde erstaunlich früh gegründet) bis zum 30. April 2021. Dazu "alle Dokumente, Notizen und Schriftwechsel der Behörde ... sämtlicher Dokumente und Notizen, darunter auch Schriftwechsel innerhalb des RKI sowie zwischen dem RKI und dem Bundesgesundheitsministerium sowie ggf. weiteren Behörden der Bundesregierung."

1.059 Seiten Begründung Das Robert Koch-Institut legte sich quer. Ein monatelanges juristisches Tauziehen begann, man traf sich vor Gericht. Als das RKI erkannte, auf verlorenem Posten zu stehen, legte die Behörde im April 2023 stark geschwärzte Protokolle vor, dazu 1.059 Seiten (!) als pdf-Dokument mit Begründungen für jede einzelne Schwärzung. "Multipolar" akzeptierte die Schwärzungen nicht. Es folgte ein hin und her zwischen dem Medienportal, dem RKI und dem Gericht, das schließlich eine mündliche Verhandlung für den 6. Mai 2024 am Verwaltungsgericht Berlin ansetzte.

Lothar Wieler, von 2015 bis 2023 Präsident des Robert Koch-Instituts, bei einer Ordensverleihung in Berlin.
Lothar Wieler, von 2015 bis 2023 Präsident des Robert Koch-Instituts, bei einer Ordensverleihung in Berlin.
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Diesen Termin wollte "Mulitpolar" (das bisher laut Eigenangabe 15.000 Euro ins Verfahren investiert hat) nicht wie ursprünglich geplant abwarten, sondern entschied, die gesamten Dokumente sofort zu veröffentlichen, wenn auch inklusive Schwärzungen. Das alles ist nun online auf "Multipolar" einsehbar. Der öffentliche-rechtliche TV-Sender ZDF misst den Dokumenten "politische Sprengkraft" bei, ob das stimmt, wird sich erst weisen, aber einen Skandal geben die bisher veröffentlichten Stücke nicht her. Die angeführten Beispiele:

Beispiel 1: Der erste Lockdown

Die vorgelegten Unterlagen legen offen, wie es am 17. März 2020 zur Entscheidung kam, die Risikobewertung für Corona von "mäßig" auf "hoch" zu ändern. Die Rede ist davon, dass die Bewertung nun "hochskaliert" werden sollte. Und: "Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald (hier ist der Name der Person geschwärzt) ein Signal dafür gibt." Welche ominöse Person hat diese Entscheidung getroffen?

Beispiel 2: Masken

In einer Besprechung am 30. Oktober 2020 beschäftigt sich das RKI mit dem Tragen von FFP2-Masken. Die Krisenstab-Runde stellt klar: "FFP2-Masken sind eine Maßnahme des Arbeitsschutzes. Wenn Personen nicht geschult/qualifiziertes Personal sind, haben FFP2-Masken bei nicht korrekter Anpassung und Benutzung keinen Mehrwert." Und: "Es gibt keine Evidenz für die Nutzung von FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes, dies könnte auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden." Die Öffentlichkeit erfuhr davon jedoch nichts.

Beispiel 3: Impfstoff

Bei AstraZeneca tauchten früh Zweifel auf. In der Sitzung vom 8. Jänner 2021 wird protokolliert: "Kein Selbstläufer wie bei den anderen, da Impfstoff weniger perfekt ist." Debattiert wird, ob es für AstraZeneca Beschränkungen geben soll, Daten für ältere Personen seien sehr begrenzt. Nur zwei Monate später, Anfang März, empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) den Impfstoff aber dann doch für alle Altersklassen und verweist auf neue Erkenntnisse aus Studien.

Was als erste Bilanz fix gesagt werden kann: Nachher ist man immer klüger.

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