Wahl-Kopfnüsse, Folge 13

Das Hochwasser und ich, aber wo bitte ist der Kanzler?

Österreich ringt mit den Fluten, Karl Nehammer ringt nach Worten. Die seltsame Kommunikations-Politik von Karl Nehammer in Zeiten der Krise.

Bundeskanzler Karl Nehammer am Sonntag während eines Pressestatements im Innenministerium in Wien
Bundeskanzler Karl Nehammer am Sonntag während eines Pressestatements im Innenministerium in Wien
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Der Tag, an dem das Wasser kam. Auch zu mir. Das hatte ich schon, aber es ist immer wieder anders neu. Du schaust beim Kellerfenster hinaus und denkst dir: "Moment, ich habe ja keine Karibik-Kreuzfahrt gebucht und schon gar nicht Unterdeck Außenkabine." Das Wasser steigt, der Lichtschacht füllt sich auf, das geht alles rasend schnell.

Dann ist der Druck zu groß. Durch die Fensterritzen dringen die ersten Rinnsale ein, es wird mehr und mehr. Schnell sind die Socken feucht, bald ist es überall nass, es riecht muffig. "Hoffnungsraum", nennt der Kabarettist Klaus Eckel den Keller, weil dort viele Sachen lagern, die darauf hoffen, wieder einmal nach oben gebracht zu werden. Das klappt selten und rächt sich jetzt. Kartons nehmen Flüssigkeit dankbar auf, sie sind dabei nicht einmal wählerisch.

Diesmal schießt das Wasser auch durch die Schutzrohre der Stromleitung. Handtücher fliegen auf den Boden, du fliegst nach, aufwischen auf Knien ist angesagt. Kübel werden aufgestellt. Es rinnt und tropft.

Ganz Niederösterreich ist Katastrophengebiet, Böheimkirchen bei St. Pölten wurde schwer erwischt
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Ein paar Augenblicke später stehst du im Freien, der Regen prasselt auf dich ein, er kommt wegen des Sturms von allen Seiten. Das Wasser muss vom Haus weggeleitet werden. Die Feuerwehr kann nicht helfen, sie kommt nicht einmal mehr dazu, das Telefon abzuheben. Mit Hacke und Schaufel gräbst du dem Wasser das Wasser ab, buchstäblich, du lenkst den Strom weg vom Haus. Das gelingt einigermaßen.

Niemand verletzt, es bestand zu keiner Zeit Gefahr für Leib und Leben, im Vergleich zu den Schicksalen, die ich im Fernsehen gesehen habe, bin ich ein Glückspilz. Der Schaden ist bewältigbar, er sorgt nur für allerlei Mühseligkeit. Das brackige Wasser muss rasch beseitigt werden, Lehmerde wird schnell hart wie Beton. Der Garten ist verschlammt, meine Freizeitbeschäftigung 2025 nimmt Konturen an.

Mit einem Auge verfolge ich, wie das Land die Krise managt. Das ist schon auch bewegend. Mit großer Behändigkeit, Professionalität, fast wie selbstverständlich greifen die Glieder der Ketten ineinander. Feuerwehr, Rettungsdienste, Polizei, Bundesheer, Hilfsorganisationen, die vielen Freiwilligen, das entwickelt eine gleichzeitig sichtbare wie unsichtbare Kraft, die dem Unwetter die Stirn bietet. So sind wir auch.

Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, Bundeskanzler Karl Nehammer beim Presse-Statement zur "Aktuellen Hochwasser-Situation in Niederösterreich" in Tulln
Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, Bundeskanzler Karl Nehammer beim Presse-Statement zur "Aktuellen Hochwasser-Situation in Niederösterreich" in Tulln
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Aber abseits davon gab es viele Versäumnisse und über die wird noch zu reden sein. Denn die Naturkatastrophe kam nicht aus heiterem Himmel. Viele wussten, was passieren wird. Tage davor waren die Regenmengen für die einzelnen Regionen ziemlich punktgenau vorhergesagt worden. Es musste klar sein, was das bedeutet, und ich frage mich, warum das nicht in aller Deutlichkeit kommuniziert wurde? Warum mit den Evakuierungen gewartet wurde, bis das Wasser vielen bis zum Hals stand und das ist in einigen Fällen nicht allein sprichwörtlich gemeint?

Ich hatte etwa die App "Katwarn" des Innenministeriums am Handy installiert. Ich weiß nicht, was die beruflich macht, vor Bedrohungen warnt sie jedenfalls nicht. Als ich gegen die Fluten ankämpfte, zeigte die App in aller Fröhlichkeit "keine Gefahr" an, und zwar für beide Orte, die ich eingespeichert hatte, einer in Wien, einer in Niederösterreich. So war es die ganzen vergangenen Tage über.

Auch mit seinem General-Alarmsystem murkst Österreich seit Jahren herum. Viele Staaten haben das seit langem. Sobald Gefahr droht, bekommt man eine Warnung aufs Handy. Vor nicht ganz zehn Jahren war ich in einem Auto in New York unterwegs, es gab Terroralarm in der Stadt, fast zeitgleich schlug auf allen Smartphones im Wagen ein Alarmton an und jeder konnte den Warnhinweis lesen.

Kennen wir von Corona: Kanzler, Vizekanzler, Innenminister, Verteidigungsministerin im Staatlichen Krisen- und Katastrophenschutzmanagement
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Bei uns? "AT-Alert" sollte schon im Vorjahr starten, jetzt wird der 5. Oktober angepeilt, drei Wochen nach dem Hochwasser. Fast ein Treppenwitz, aber keiner lacht. Seit 9. September wird der Dienst ausprobiert, wieder ist das Innenministerium federführend. Ich will nicht zynisch sein, obwohl mir das an Tagen wie diesen nicht leicht fällt, aber: Wurde "AT-Alert" im Kaufhaus Österreich bestellt? Und jetzt, wo die Chefin weg ist, funktioniert das genauso nicht, wie es nicht funktioniert hat, als die Chefin noch da war?

Im ersten Jahr Pandemie gab die Regierung 213 Pressekonferenzen, bei nicht wenigen davon stellte sich die Sinnfrage, und das davor und danach. Jetzt aber, als ein Teil Österreichs dem Untergang gefährlich nahe kam, geschah nichts. Keine echte Pressekonferenz, keine Rede an die Nation, tagelanges Schweigen.

Kein Kanzler, der dasteht, dem Land die Lage erklärt, sagt, was geschehen ist und was kommt. Der Mut macht, Hilfe verspricht, sich bedankt. Und das nicht erst Sonntag am Abend, sondern am Donnerstag, am Freitag, am Samstag, am Sonntag und am Montag. Immer! Die Bevölkerung muss das Gefühl haben, die Spitze des Landes steht an ihrer Seite. Sie hat die Lage im Blick und im Griff.

Sonst ein Rinnsal, nun eine Flutwelle: Blick auf den Wienfluss, aufgenommen am Sonntag, 15. September 2024 in Wien
Sonst ein Rinnsal, nun eine Flutwelle: Blick auf den Wienfluss, aufgenommen am Sonntag, 15. September 2024 in Wien
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Der Kanzler überließ die digitalen Räume seinen Mitbewerbern. Seltsam! Grundsätzlich und im Wahlkampf erst recht. Andreas Babler zog sich in seinem Heimatort die Feuerwehrjacke an, auf der Bürgermeister am Namensschild zu lesen ist, und postete im Regen und unter starkem Seitenwind Videos vom Unwettereinsatz. Keiner wusste, wo die Straßen liegen, von denen er erzählte, aber die Bilder prägten sich ein. Herbert Kickl lud zwei Videos hoch, in denen er sich an die Bevölkerung wandte und sich bei den Hilfskräften bedankte.

Von Karl Nehammer tauchten tagelang vor allem Bilder auf. Sie zeigten ihn im Krisenzentrum des Bundes, am Sonntag dann bei einer Lagebesprechung in Niederösterreich. Er ließ sich mit ernster Miene abbilden, sagte dann ein paar Sätze in die Kamera, mehr nicht. Es entstanden Fotos, von denen Kommunikations-Experten dringend abraten würden: Das Land steht im Regen, der Kanzler sitzt im Bunker.

Ich will keine Gummistiefel. Ich will nicht, dass sich Politiker an die Rettungskräfte anbiedern und an die Opfer erst recht nicht. Aber Politik muss der Bevölkerung Sicherheit geben, Präsenz und Empathie. Das wurde verabsäumt. Der Regen hat den Blick dafür wohl getrübt.

Ich wünsche einen regenarmen Montag. Redearm wird die Woche nicht. Es gibt drei Elefantenrunden. Die beiden Duelle Babler gegen Kickl und Nehammer gegen Kogler, die für Montag angesetzt gewesen wären, wurden vom ORF aufgrund der Hochwassersituation auf Freitag verschoben. Bis morgen!

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