LOKALE KRITIK

Die Sommerfrische im Ausseerland isst, wie sie ist

Die Cuisinière & Der Connaisseur kulinarisch und heimatkundlich am Sehnsuchtsort der Wiener, nicht nur zum "Kiritog" oder dem Narzissenfest.

Karotte gefällig? Wolfgang Fischer und Jacqueline Pfeiffer probieren sich für Newsflix durch die Küchen der nahen und fernen Welt
Karotte gefällig? Wolfgang Fischer und Jacqueline Pfeiffer probieren sich für Newsflix durch die Küchen der nahen und fernen Welt
Helmut Graf
Jacqueline Pfeiffer  und Wolfgang Fischer
Akt. Uhr
Teilen

"Wos tatn i durtn?", versuchte sich Der Connaisseur im tiefsten Ausseerisch. Wie wohl er immer behauptete, jedwede Art der Anbiederung an die "Dosigen" abzulehnen. Die "Wean-Seer" – ein Sammelbegriff für alle Begierde-Ausseer mit allerhöchstem, dennoch selbstgewähltem Assimilationsdruck, haben es dem Connaisseur angetan.

Er meint diese Spezies, die am Vormittag eines ordinären Dienstags zum Maislinger um Semmerln  geht, aufgedirndlt von den Haferlschuh'n bis zum Ausseer Hut, natürlich mit der Ledernen vom Raich, Sakko und Gilet,  als ob sie tagaus tagein am Weg zur eigenen Hochzeit wären. Natürlich muss die sündteure Camouflage, die das Ziel hat, als urigster Ureinwohner seit Erzherzog Johann und Verwandter von Anna Plochl zu wirken, krachend scheitern. Aber es trägt zur massiven Belustigung - nicht nur - der Bevölkerung des Ausseerlandes, das sich in aller Bescheidenheit als der Mittelpunkt Österreichs betrachtet, bei. Und der Belebung der regionalen Wirtschaft natürlich.

Nur schwer konnte Die Cuisinière den Redeschwall des Connaisseurs stoppen. "Was regst du dich so auf?", fragte sie erstaunt. "Ich meinte ja nur, dass wir uns einmal der 'WIRTSCHAFT' in Altaussee widmen sollten" – "Und deswegen fragst du, was du dort tun sollst?", übersetzt sie die ausseerische Eingangsbemerkung des Connaisseurs.

"Ich meine nicht das Lokal sondern Altaussee, den Ort", spielt der jahrzehntelange Besucher dieser "wunderbaren, einmaligen, großartigen Gegend" auf die vermeintlichen – oder tatsächlichen - tiefen Gegensätze zwischen den beiden zehn Kilometer voneinander entfernt liegenden Orten Altaussee und Grundlsee – beide an gleichnamigen Seen gelegen – an.

Der Grundlsee
Der Grundlsee
Privat

"Und du willst Grundlseer sein?! Natürlich ohne kulturelle Aneignung!?!", schien sie sich über die selbstgewählte Heimatzugehörigkeit des Connaisseurs lustig zu machen, "… eh keine Anbiederung!??" – "So einfach ist das nicht", doziert Der Connaisseur. "Die Kluft zwischen den beiden wunderschönen Orten war bis vor ein paar Jahrzehnten so groß, dass es faktisch keine Hochzeiten über den Tressenstein hinweg gegeben hat." Und holt, ganz Pseudo-Heimatkundler, weiter aus, um von den historischen Unterschieden zu berichten.

Der Cuisinière knurrt nicht nur der Magen; als Profi aber so dezent, dass es Der Connaisseur geflissentlich überhören konnte. Und setzt an: von den angesehenen, wohlhabenden Bergmännern in Altaussee und den armen Bauern und Holzknechten in Grundlsee. Und das bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Gössl, am Ostufer des Grundlsees, vor dem sagenumwobenen Toplitzsee gelegen, keine reguläre Straße führte.

"Du weißt aber schon, dass von uns nicht ein Fremdenführer, sondern eine Lokale Kritik erwartet wird?! Sonst müssen wir doch den Löffel bei Newsflix abgeben", spielt Die Cuisinière auf des Chefredakteurs visionären Bildtext ihrer letzten Auslassung, der Vendetta Istria, an.

Beim Eintreffen in der "WIRTSCHAFT", mitten in Altaussee, regnete es – ausnahmsweise! Was für den Sommer 2024 tatsächlich stimmt. Hungrig, auch nach frischer Alpenluft, begehrt Die Cuisinière, in dem gemütlichen Garten auf der überdachten Veranda zu sitzen und dem Niederschlag zu trotzen.

Die "WIRTSCHAFT" in Altaussee
Die "WIRTSCHAFT" in Altaussee
Privat

Die Kellnerin, "so eine lustige Typ'n, wo man sich gleich wohl und willkommen fühlt", erfüllte ohne Umschweife den Wunsch der Cuisinière. Fast vermisste sie den beinahe obligatorischen Satz in Wien, "… schon alles reingeräumt …!" Ähnlich beliebt wie "... die Kaffeemaschine ist schon geputzt!", ergänzt Der Connaisseur.

Die kleine, feine Karte mit fünf Vorspeisen, nicht zu Unrecht auch als "Tapas" bezeichnet, fünf "Hauptgerichten" und vier Desserts, sei nicht nur von der Anzahl des gebotenen interessant, befand Die Cuisinière; die es ja wissen muss. "Lieber weniger, dafür originell und frisch", eifert sie dem vorhin dozierenden Connaisseur nach. "Nur nicht so ausführlich", betont sie nach seinem diesbezüglichen Hinweis!

"Apropos ausführlich, die Karte war schon mal um eine Handvoll Positionen umfangreicher", stellt Der Connaisseur sein gutes Gedächtnis und die vorigen Besuche unter Beweis. Aber entsprechend des Diktums der Cuisinière sei es in der Hauptsaison angebracht, allenfalls zu reduzieren. "Wird aber wahrscheinlich im Herbst wieder", erläutert die trotz Stress unerhört aufmerksame zweite Kellnerin. "Vertrauen Sie dem Koch nicht mehr?", fragt Der Connaisseur, was ob der frechen Ansage Entsetzen am Tisch hervorruft. Die Kellnerin lächelt milde und erkennt, dass sich Der Connaisseur nur als Insider wichtig machen wollte, denn diese Speise mit exakt diesem Namen gab es im Juli noch. "Welche Speise?", fragt Die Cuisinière verwirrt, nicht erkennend, dass es sich um einen Überraschungsgang handelte.

Also, die Karte bietet – kurz gesagt – Asia auf Ausseerisch, mit Saibling und Wels statt Lachs und Tuna.

Der in steirischen Gefilden beheimatete, aber hier "Asiatische Backhenderl-Salat" (15 Euro) nähert sich dem gewollten Einschlag durch Chili, Limette, Koriander und Erdnüssen.

Asiatischer Backhendlsalat – Chili | Limette | Koriander | Kohlrabi | Karotte | Erdnüsse
Asiatischer Backhendlsalat – Chili | Limette | Koriander | Kohlrabi | Karotte | Erdnüsse
Privat

Spannend wurde es für Die Cuisinière bei der "Altausseer Auster" (22 Euro). Dass es sich dabei um ein Ceviche vom Edel-Wels handelt, verriet die Karte – aber Auster? "Vielleicht die in Mode gekommene Geflügel-Auster?", rätselt sie und wieder überfraute Die Cuisinière der Drang zur Wissensvermittlung, um seiner Heimatkunde-Vorlesung etwas entgegenzusetzen und sie beantwortet die nicht gestellte Frage, dass so zwei Mini-Teile zwischen Keule und Rückgrat des Geflügels genannt werden.

Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen und stieß ein "sot-l'y-laisse" hervor. Da war Die Cuisinière, die auch in einer Sterne-Hütte in Frankreich ihr Wesen trieb, tatsächlich einmal sprachlos! Was so gut wie nie vorkommt. Ihr verblüfftes "Woher weißt du?!" blieb im Raum stehen.

Dabei hatte sie ihm das einmal selbst erzählt!

2002, nach ihrer Rückkehr aus der Schweiz und Frankreich, war sie wahrscheinlich die erste, die diese Köstlichkeit in die Heimat brachte! Bald nach ihrem Dienstantritt als Österreichs jüngste Chef de Cuisine im "Le Ciel" fandn sich dieser exquisite Hendl-Teil auf ihrer Karte wieder.

Mittlerweile war die Antwort auch da. Keine Geflügelauster, sondern einfach die Form des Gebindes, in dem das "schön abgeschmeckte Ceviche" serviert wurde. Chili, fruchtig, Säure, Zwiebel, Koriander habe alle Stückerln gespielt! "Der Wels an sich, das wissen wir ja schon seit trude & töchter, hat einen festen Biss", ergänzt sie.

Altauseer Auster – Ceviche | Edelwels | Koriander | Chili | Limette | Orange
Altauseer Auster – Ceviche | Edelwels | Koriander | Chili | Limette | Orange
Privat

Wer im steirischen Salzkammergut doch traditioneller bleiben will, ist in der "WIRTSCHAFT" mit dem "Kaspressknödel Salat" (18 Euro) und der "Bio Ente aus Kremsmünster" (35 Euro) auf der heimischen Seite, wobei erstere durch eine originelle "Preiselbeer Aioli" auffällt.

Bio-Ente aus Kremsmünster – Keule | Brust | Sellerie | Apfel | Karotte | Jus
Bio-Ente aus Kremsmünster – Keule | Brust | Sellerie | Apfel | Karotte | Jus
Privat
Kaspressknödel-Salat – Preiselbeer-Aioli | Kernöl | Karotte
Kaspressknödel-Salat – Preiselbeer-Aioli | Kernöl | Karotte
Privat

"Keine Liebe ist aufrichtiger als die Liebe zum Essen!", deklamiert Der Connaisseur plötzlich. Auch wenn das Menü schon weggeräumt ist, kann sich Die Cuisinière daran erinnern, dass dieser Satz in der Speisekarte stand. "Fremde Federn!?!", meinte sie. "Kann ja trotzdem von mir sein", bluffte er. "Heißt du George Bernard Shaw?", konterte sie kühl!

Diesmal behielt Die Cuisinière tatsächlich das letzte Wort.

Das Zitat auf der Speisekarte
Das Zitat auf der Speisekarte
Privat

Kommentare, Wünsche, Beschwerden, Anregungen bitte an [email protected]

Die Cuisinière & Der Connaisseur

  • Die Cuisinière und Der Connaisseur arbeiten schon länger projektweise zusammen, haben sich zusammen getan, um über das Essen zu reden. Und nun auch zu schreiben. Es ist, wie es isst!
  • Die Cuisinière ist Jacqueline Pfeiffer, Grand-Master Chef – bis vor kurzem Chef, jüngst She-Chef - genannt. War Kochlöffel in diversen Hauben- und Sternehütten in Mitteleuropa ("Adlon", Gstaad, "Marc Veyrat" usw.), irgendwann "Köchin des Jahres" und hatte in den 10er-Jahren im Wiener "Le Ciel" (nach neuer Gault Millau-Zeitrechnung) vier Hauben erkocht. Nunmehr ist sie als Enjoyment-Consultant mit ihrem PfeiffersGiG selbst kochend fast ausschließlich im diskreten gastronomischen Spitzenbereich oder als Beraterin unterwegs.
  • Der Connaisseur ist Wolfgang Fischer, war Journalist und Medienmanager, zehn Jahre CEO der Wiener Stadthalle, nunmehr Geschäftsführer der DDSG Blue Danube, bester Freund von Admiral Duck – und Gourmet wie Gourmand seit Jahrzehnten. Also ein klassisch übergewichtiger weiser alter Mann.
Newsletter
Werden Sie ein BesserWisser!
Wissen, was ist: Der Newsletter von Newsflix mit allen relevanten Themen des Tages und den Hintergründen dazu.