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"Ein Gentleman in Moskau": Tolles Buch, aber was taugt die Serie?
Der Bestseller des Amerikaners Amor Towles wurde mit Ewan McGregor in der Titelrolle als achtteilige Serie verfilmt. Ab sofort zu sehen auf Paramount+.
Buchverfilmungen sind eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits können gelungene Adaptionen Büchern und Autoren neue Leser zuführen, die sonst vielleicht niemals auf dieses oder jenes Werk aufmerksam geworden wären. Andererseits führen Verfilmungen (selbst die großartigsten) zwangsläufig bei vielen Zuerst-Lesern zu heftigen Irritationen.
Wen ein Buch wirklich packt, der "denkt sich" dessen Protagonisten bzw. das Umfeld, in dem eine Handlung spielt, zurecht. Sei es das Aussehen, sei es die Stimme oder auch die Art, wie etwas gesagt wird – beim Lesen eines fesselnden Buches entsteht in jedem Kopf ein eigener (Gedanken-)Film mit einzigartigen Personen und Schauplätzen. Und mit diesem "Film im Kopf" kann später kaum ein "echter" Film mithalten.
Papier ist (un-)geduldig Dazu kommt: Auf den Seiten eines Buches, mit dem simplen Werkzeug der Sprache, können Autoren neue Welten entwerfen, riesige Zeitspannen überbrücken, gigantische Distanzen mit wenigen Worten bewältigen und alle Personen, die ihnen für eine Geschichte wichtig und relevant erscheinen, auftreten lassen, ohne auf Film-Laufzeiten oder Schauspielergagen achten zu müssen. Um derartige Epen in das (auch budgetäre) Korsett einer Filmproduktion zu zwängen, sind Kürzungen, Straffungen und Vereinfachungen meistens unumgänglich.
32 Jahre Hotel-Arrest Unter diesen Vorzeichen hatte "Ein Gentleman in Moskau", ein Bestseller des US-Autors und ehemaligen Bankers Amor Towles aus dem Jahr 2016, denkbar schlechte Karten für eine filmische Umsetzung. Spannt sich doch die Handlung dieses Entwicklungsromans über ganze 32 Jahre, in deren Verlauf der Protagonist, der russische Graf Alexander Rostov, in einem ehemaligen Moskauer Luxushotel ausharren muss und einem ganzen Panoptikum an Personen begegnet, die alle mehr oder weniger Einfluss auf sein Leben nehmen. Dass die daraus entstandene achtteilige Serie aber trotz aller Kürzungen und Straffungen nicht nur spannend und berührend, sondern vor allem sehenswert ist, ist ein kleines Wunder, das primär dem Hauptdarsteller, Ewan McGregor, zu verdanken ist.
Worum geht es Graf Alexander Rostov (Ewan McGregor) wird 1921 in Moskau von einem Parteigericht der Sowjets zu lebenslangem Hausarrest im Hotel Metropol verurteilt, da "seine Klasse ein Feind der Werktätigen" sei. Einer standrechtlichen Exekution entgeht der Adelige nur, da ihm ein Gedicht zugute gehalten wird, in dem er bereits vor Jahren revolutionäres Gedankengut propagiert habe, so das Urteil der Sowjets. Zurück im Hotel, in dem der Graf bereits seit 1918 logiert und wo er eine stattliche Zimmerflucht bewohnt, muss er in eine ehemalige Dienstbotenkammer übersiedeln und darf nur einige persönliche Habseligkeiten mitnehmen, der Rest seines Besitzer geht in das Eigentum des Volkes über.
Menschen im Hotel Der Graf arrangiert sich jedoch wider Erwarten rasch mit seiner Situation und ist bemüht, das Beste daraus zu machen. "Weshalb ihnen die Genugtuung geben zu zeigen, dass es einem etwas ausmacht" lautet sein Motto, wie er einem befreundeten Prinzen eines Abends an der Hotelbar anvertraut. Nach und nach kommt er auch mit den Menschen, die das Hotel im Auftrag der Kommunisten weiter am Laufen halten und die er bislang nur als Bedienstete wahrgenommen hat, näher in Kontakt, lernt sie kennen und erfährt, wem er vertrauen kann und wem nicht.
Liebe und Verantwortung Auch Frauen treten in der Abgeschiedenheit des Hauses wieder in sein Leben. Da ist einerseits die gefeierte und mondäne Stummfilmdiva Anna Urbanova (dargestellt von McGregors Ehefrau Mary Elizabeth Winstead), mit der er eine Affäre beginnt, obwohl sie auch enge Kontakte mit einflussreichen Größen der KPdSU pflegt. Und die zu Beginn der Handlung neunjährige Nina (Alexa Goodall), die Tochter eines Hotelangestellten, die sich mit dem Grafen anfreundet und ihn nach und nach in die Geheimnisse des riesigen Hauses, das gegenüber dem Bolschoi-Theater und in unmittelbarer Nähe des Roten Platzes liegt, einweiht.
Die Sowjetunion im Zeitraffer Aus Wochen im Hotel werden Monate, aus Monaten Jahre. Und während es dem Aristokraten bei angedrohter Todesstrafe verboten ist, die riesige Trutzburg zu verlassen, durchläuft draußen vor der Drehtür die Sowjetunion die ersten turbulenten Jahre ihrer Entwicklung – was sich auch auf Alexander Rostovs Leben drinnen auswirkt. Um die zeitliche Distanz der Handlung einigermaßen nachvollziehbar zu überbrücken, hat Vorlagen-Autor Amor Towles einen Trick angewandt: Er beschleunigt die Story, als würde man ein Tonband vorspulen.
Grande Finale Beschreibt er die Erlebnisse Rostovs anfangs noch sehr detailliert, vergehen in der Folge immer mehr Jahre zwischen den einzelnen Kapiteln – eine Finesse, die auch für die Serie übernommen wurde. Gegen Ende hin, wir sind da bereits nach dem Zweiten Weltkrieg angelangt, der sowjetische Diktator Josef Stalin ist nicht mehr bei bester Gesundheit, verlangsamt sich dann das Erzähltempo wieder sukzessive, als würde man das Tonband langsam abbremsen, und die Geschichte steuert auf ihren finalen Höhepunkt zu.
Herzensbildung im Angesicht des Terrors Was das Buch lesens- und die Serie sehenswert macht ist, die Entwicklung des Grafen zu beobachten. Von Haus aus zu guten Manieren erzogen und mit großer Gelassenheit gegenüber dem Wahnsinn der Welt gesegnet, entdeckt er in der Enge seines Gefängnisses die emotionale Weite und Großzügigkeit, zu der ihn seine Herzensbildung befähigt. Je besser er das Hotel und seine Menschen kennen lernt, desto besser erkennt er auch, wie er zu handeln hat. Und begegnet dem Irrsinn und der Absurdität des stalinistischen Terrors mit zunehmendem Humanismus und jener Leichtigkeit, die aus wahrer Weisheit erwächst.
Die Briten können das Eine alte Weisheit im TV-Geschäft erfährt mit "Ein Gentleman in Moskau" einmal mehr ihre Bestätigung: In Großbritannien wird gutes Fernsehen gemacht wie kaum sonst wo auf der Welt. Seien es Krimis oder Dramen, Humor oder Herzschmerz, es gelingt durchschnittlich besser, was von der Insel kommt. Und so zeichnet sich auch der Achtteiler aus durch eine behutsame, klassisch-stilvolle aber niemals langweilige Inszenierung, die geschickt die Balance hält zwischen Emotion und wohldosiertem Humor. Das Setting – gedreht wurden die Hotelszenen vor allem in Liverpool – ist großartig, das am Computer animierte Moskau vor 100, 90 oder 80 Jahren ist gut gelungen. Daumen hoch auch dafür.
Sex-Education Was im Vorfeld der Streaming-Veröffentlichung für einige Heiterkeit sorgte war die Tatsache, dass für die Liebesszenen zwischen dem Grafen und dem Filmstar ein "Intimitäts-Koordinator" engagiert wurde. Denn was inzwischen bei so gut wie allen seriösen Produktionen gang und gäbe ist, wirkte hier ein wenig seltsam, sind doch die beiden Darsteller Ewan McGregor und Mary Elizabeth Winstead miteinander verheiratet. Für die beiden war das jedoch vor allem der Rücksichtnahme auf das Filmteam geschuldet: "Es ist immer seltsam, vor anderen Leuten miteinander intim zu sein", so der britische Star. Es gehe darum, dass sich alle Seiten bei solchen Drehs wohlfühlen, und auf diese Art sei das am besten zu bewerkstelligen.
"Ein Gentleman in Moskau", Großbritannien 2024, 8 Folgen à ca. 42-55 Min., ab sofort auf Paramount+