renaturierung

"Ein verordneter Naturschutz ist nicht erfolgreich"

Für die Renaturierung, aber gegen ein Diktat von oben: Agrarwissenschafter und Landwirt Maximilian Hardegg über das neue EU-Gesetz, empfundene Enteignungen und was die Politik nun tun müsste.

Maximilian Hardegg ist Agrawissenschafter und betreibt ein Gut im Weinviertel
Maximilian Hardegg ist Agrawissenschafter und betreibt ein Gut im Weinviertel
Privat
Christian Nusser
Akt. Uhr
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Es wäre einfacher im Leben, wenn alles schwarz-weiß wäre. Nicht schöner, aber einfacher. Und so gibt es auf das bestimmende politische Thema dieser Tage nicht eine Sicht, nicht zwei, sondern viele. Sie kommen unterschiedlich stark zur Geltung und wie so oft in Österreich werden sie erst hörbar, wenn alles vorbei scheint. Am Montag beschloss der Umweltrat der EU die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur, das Renaturierungsgesetz also. Viel war über den politischen Zank zu lesen, wenig über Inhalt und Auswirkung der neuen Regelungen.

Bei der Aufarbeitung prallen Meinungen aufeinander. Auf der einen Seite all jene, die es als zwingend nötig ansehen, dass europaweit und mit deutlichen Vorgaben geregelt wird, wie die Natur in den Mitgliedsländern auszusehen hat. Auf der anderen Seite die Praxis, die sich überfahren fühlt, von Enteignungen spricht und von überbordender Bürokratie.

Maximilian Hardegg hat in München Agrarwissenschaft studiert, ist Diplomingenieur und betreibt ein eigenes Gut im Waldviertel, Niederösterreich, mit Schweinezucht, Weinbau und Forstwirtschaft. Er ist für die Renaturierung und für einen sanften Umgang mit der Natur, gegen die neue EU-Verordnung aber hat er gravierende Einwände. Hier erklärt Maximilian Hardegg warum:

Was ist schlecht an der Renaturierung?
Eigentlich gar nichts. Die Renaturierung von Lebensräumen ist ein hohes Ziel, für das es sich lohnt zu kämpfen. Unter renaturierten Landschaften verstehen wir Landbewirtschafter eine vielfältige Kulturlandschaft, voll von Leben, strukturreiche Landschaften und hochwertige Ökosysteme. Also die ökologische Lebensgrundlage künftiger Generationen.

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grünen) stimmte im Umweltrat der EU für das Renaturierungsgesetz – gegen den Willen des Koalitionspartners ÖVP
Umweltministerin Leonore Gewessler (Grünen) stimmte im Umweltrat der EU für das Renaturierungsgesetz – gegen den Willen des Koalitionspartners ÖVP
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Wenn das alles eh klar ist, warum dann das ganze Theater?
Weil hier unterschiedliche Weltansichten aufeinanderprallen. Bei vielen Landbewirtschaftern steht neben der Erzeugung von Nahrungsmitteln und Holz sehr wohl auch die Erhaltung der Natur im Fokus. Wie das aber am Besten geht, darüber scheiden sich die Geister, da treten völlig unterschiedliche Zugänge zu Tage. Während es den Grünen um eine Verordnung von Naturschutz geht, wollen zukunftsorientierte Landbewirtschafter freiwillig und in Eigenverantwortung dieses große Thema angehen. Ganz einfach auch deshalb, weil man langfristig denkt und den Betrieb in einem besseren Zustand übergeben will, als man ihn übernommen hat.

Was also sind die Befürchtungen der Landbewirtschafter?
Die berechtigten Befürchtungen sind, dass hier eine neue Bürokratie aufgebaut wird, welche einen ideologisch grünen Fußabdruck trägt. Dazu ein Beispiel: ein Land- und Forstwirt, welcher eine wertvolle Feuchtwiese sein Eigen nennt und diese auch erhält, würde sie sofort trockenlegen, wenn er wüsste, dass Naturschutzbeauftragte diese aufnehmen, kontrollieren und möglicherweise sanktionieren. Man empfindet diese ökologische Ordnungspolitik von oben herab als Enteignung und das geht verständlicherweise den Landbewirtschaftern sehr nahe. Begegnet man dem Landbewirtschafter aber auf gleicher Augenhöhe und gewinnt über den Fachaustausch sein Vertrauen, so ließe sich auf freiwilliger Basis  viel erreichen, etwa im Rahmen von Vertragsnaturschutz.

Das mit der Freiwilligkeit scheint aber nicht zu funktionieren …
Das stimmt nicht. Beispielhaft möchte ich erwähnen, dass es seit dem EU-Beitritt Österreichs 1995 ein Umweltprogramm für die Landwirtschaft gibt, welches sich sehr hoher Beliebtheit erfreut, da heute noch über 80 Prozent der Betriebe auf freiwilliger Basis mitmachen. Die Maßnahmen haben sich über die letzten 30 Jahre stetig weiterentwickelt, auch zum Wohle der Natur.

Natürlich geht es vielen nicht weit genug, auch ich meine, dass da noch ein großes Potential für die Umwelt brach vor uns liegt. Andererseits wurden aber auch viele sinnvolle Maßnahmen aufgenommen, mich freut beispielsweise sehr, dass das Mähen der Biodiversitätsflächen im Frühjahr stark eingeschränkt wurde. Mit dieser Maßnahme haben Wiesenbrüter, Insekten und Säugetiere wieder die Möglichkeit, sich in der Feldflur erfolgreich zu vermehren, ohne ausgemäht zu werden. Man möchte sich gar nicht vorstellen, wie es bei uns heute ohne  dieses freiwillige Umweltprogramm aussehen würde.

Und warum wenden sich die Dinge für die Natur trotzdem nur so langsam zum Guten?
Man darf nicht vergessen, dass es hier einen Bewusstseinswandel bei den Landbewirtschaftern braucht, nicht alle sind da auf dem gleichen Niveau, manche sehen in Feldvögeln noch immer Fraßfeinde für die Ernte. Erst wenn auch entsprechende Natur-Bildungsprogramme in Fachschulen und Universitäten aufgesetzt sind, werden die jungen Landbewirtschafter es besser machen können.

Der Wille dazu ist grundsätzlich da, allerdings leidet die Branche unter Nachfolgeproblemen, über 50 Prozent der Betriebsleiter im Alter 50+ haben keine gesicherte Nachfolge (WU-Studie unter 1.000 Landwirten NÖ, 2016). Und die Landwirte sind auch nicht die Alleinverantwortlichen – auch Gemeinden, Wassergenossenschaften und Straßenverwaltungen bewirtschaften wertvolle Teile der Kulturlandschaft. Und auch dort ist großer Aufholbedarf.

Natura 2000: Europäisches Schutzgebiets-Netzwerk, Anteil an der Gesamtfläche in Prozent (Quelle Umweltbundesamt)
Natura 2000: Europäisches Schutzgebiets-Netzwerk, Anteil an der Gesamtfläche in Prozent (Quelle Umweltbundesamt)
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Beachten sollten wir auch die Agrarverwaltung, diese will penibel genau jeden Quadratmeter digitalisieren. Natur kann sich aber nur entfalten, wenn eben nicht alles aus- und aufgeräumt ist. Hier braucht es auf EU-Ebene ein Umdenken in Bezug auf die Agrarverwaltung, weniger Verdacht und Kontrolle, mehr Eigenverantwortung. Weniger behördliche ökologische Bevormundung, mehr Lob, Beratung und Austausch.

Und was ist schlecht an der Anordnung von Naturschutz?
Aus der Erfahrung wissen wir, dass verordneter Naturschutz nicht erfolgreich ist. Wenn der Landbewirtschafter nicht von Anfang an eingebunden ist, wird er bestenfalls "Dienst nach Vorschrift" machen, schlechtestensfall passiven Widerstand leisten. Das ist für die Natur eindeutig zu wenig!

Das beste Beispiel dafür sind die bestehenden Flora-Fauna Habitate (FFH) und Vogelschutzgebiete, besser bekannt auch als Natura 2000 Schutzgebiete, diese sollen laut Umweltminister zu 80 Prozent in einem schlechten Zustand sein und da soll die neue Verordnung bis 2030 und endgültig bis 2050 Abhilfe schaffen. Manchmal frage ich mich, wie oft die gleichen Fehler wiederholt werden müssen, bevor die Gesetzgeber zur Einsicht kommen. In die Ausweisung der Natura 2000 Gebiete wurden die Landbewirtschafter weder eingebunden noch angehört, man ist über sie ordnungspolitisch "drübergefahren" und hat die Bewirtschaftung mehr oder weniger stark eingeschränkt und das Land so entwertet.

Kein Wunder also, dass Natura 2000 ein absolutes Reizwort für Landbewirtschafter ist, sie fühlen sich schleichend enteignet. In genau dieselbe Kerbe schlägt die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur, die geschlossene Ablehnung der Landbewirtschafter scheint also vorprogrammiert zu sein. So wird es sicher nichts mit der Renaturierung.

Maximilian Hardegg und Sohn Alexius bei der Singvogelzählung
Maximilian Hardegg und Sohn Alexius bei der Singvogelzählung
Gut Hardegg

Wie könnte also eine Lösung aussehen?
Wenn ich davon ausgehe, dass diese Verordnung so stehen bleibt, dann wird es auf eine sehr umsichtige nationale Umsetzung ankommen. Als Gesetzgeber würde ich den Landbewirtschaftern die große neue Aufgabe der Renaturierung medienwirksam und auf freiwilliger Basis in Eigenverantwortung übertragen, entsprechende wirtschaftliche Anreizsysteme setzen und gleichzeitig öffentlich versuchen sicherzustellen, dass die Renaturierung dem Image der Landbewirtschafter zugute kommt.

Die nationale Umsetzung der Verordnung könnte schon ein erster Hinweis dafür sein, dass man aus den ordnungspolitischen Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und erkennt, dass der "Green Deal" nur dann umsetzbar ist, wenn man die Betroffenen von Anfang an mitnimmt und deren Ängste und Sorgen ernst nimmt. Meine Hoffnung ist, dass einerseits die fehlgeleitete grüne Ordnungspolitik zurückgedrängt wird und andererseits die Landbewirtschafter so wieder neuen Sinn finden und in der neuen Aufgabe rund um den Erhalt der Natur wachsen.

Dipl.Ing. Maximilian Hardegg leitet seit über 30 Jahren den familieneigenen Betrieb. Gut Hardegg beschäftigt 40 Mitarbeiter und versorgt rund 100.000 Österreicher mit Grundnahrung. In ganz besonderer Weise widmet sich der Betrieb der Natur und Renaturierung, das Wertversprechen lautet "gelebte Artenvielfalt". 2023 wurde Maximilian Hardegg das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich verliehen.

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