Mitten in der Krise
Finanzminister gefeuert: So schaltet sich deutsche Ampel aus
In Österreich wird an einer Dreierkoalition gebastelt, in Deutschland geht die Bastelstunde gerade mit Scherenwürfen zu Ende. Kanzler Olaf Scholz (SPD) setzte Finanzminister Christian Lindner (FDP) vor die Tür. Nun wird wohl im März vorzeitig gewählt.
Gibt es einen kritischeren Zeitpunkt, um alles platzen zu lassen? Man kann die Überlegungszeit abkürzen. Nein!
Die Europäische Union versucht gerade den Schlag in die Magengrube aus den USA wegzustecken, dabei hat Donald Trump sein Amt nach dem Wahlsieg noch nicht einmal angetreten. Die deutsche Wirtschaft liegt am Boden, erst am Mittwoch meldete sich mit BMW der nächste Autohersteller krank. Im dritten Quartal brach der Gewinn um 84 Prozent ein.
Statt die Ärmel aufzukrempeln und das möglichst gemeinsam, wurde am Mittwochabend das Ende der sogenannten Ampelregierung eingeläutet. Sie wird nun abgewickelt. Vordergründiger Hintergrund ist ein Streit zwischen SPD-Kanzler Olaf Scholz und FDP-Finanzminister Christian Lindner, aber die Wurzeln des Konflikts liegen tiefer. Das müssen Sie über das Ampel-Finale wissen:
Wie wurde das Ende verkündet?
Am Mittwochabend um 21.20 Uhr trat der deutsche Kanzler Olaf Scholz vor die Kameras. In einer rund 14 Minuten langen Rede rechnete er mit Finanzminister Christian Lindner ab. Er warf ihm "Verantwortungslosigkeit" vor, Lindner würde "oft parteipolitisch kleinkariert" taktieren, sein "Egoismus" sei "unverständlich".
Dann folgte der entscheidende Satz: "Ein solches Verhalten wolle er dem Land nicht weiter zumuten." Danach skizzierte Scholz, wie die deutsche Regierung zu Ende gemanagt wird und er stellte Wahlen im März in den Raum.
Worum geht es da eigentlich?
In den vergangenen Wochen rang die Regierung um einen neuen Kurs. Die letzten Wahlen in Sachsen und Thüringen waren für die drei Ampelparteien mit einem Desaster zu Ende gegangen. Zusätzlich gab es fast schon im Tagesrythmus Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft. Die Ampel wusste, sie musste was tun, im Herbst 2025 sind Bundestagswahlen. Aber alle wollten was anderes.
Wie spitzte sich die Lage zu?
Wie zerrissen das Tischtuch zwischen SPD, FDP und Grünen zuletzt war, bekam die Bevölkerung in der vergangenen Woche vor Augen geführt. Die Koalition traf sich zu Wirtschafts-Krisengipfeln – aber getrennt voneinander. Am 29. Oktober lud Kanzler Scholz Wirtschaftsvertreter zu sich, um die Probleme der Industrie zu besprechen. Geplant waren mehrere Termine.
Warum kam es dann zum Affront?
Weil die beiden Koalitionspartner nicht zu Tisch gebeten wurden, auch nicht Robert Habeck. Der grüne Vizekanzler ist aber eigentlich auch Wirtschaftsminister. Daraufhin lud Finanzminister Lindner zu einem eigenen Wirtschaftsgipfel über den Mittelstand. Zu dem lud er alle ein, die im Kanzleramt nicht eingeladen gewesen waren. Den Kanzler, der ihn links liegen gelassen hatte, ließ er ebenfalls links liegen.
War es das dann mit den Kindereien?
Mitnichten! Der ausgebootete Wirtschaftsminister Robert Habeck legte ein eigenes Reformpapier vor. Es enthielt die Einrichtung eines Investitionsfonds und steuerliche Abschreibungen als Feuerwehr-Maßnahme gegen die Krise. Die hatte die Ampel zu diesem Zeitpunkt auch schon mit sich selbst.
Warum brennt der Hut eigentlich?
Weil im nächsten Jahr viel Geld fehlt. Am 24. Oktober hatte Lindner die aktuelle Steuerschätzung für 2025 vorgelegt und die sieht bitter aus. Dem Arbeitskreis "Steuerschätzungen", ein Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, war eine Lücke von 12,7 Milliarden Euro aufgefallen. Im deutschen Budget häufen sich inzwischen die Lücken. Also Krisensitzung(en).
Warum krachte es dann endgültig?
Am Freitag tauchte dann plötzlich ein neues "Grundsatzpapier" von Christian Lindner auf, es wurde wohl aufgrund einer Intrige an die Öffentlichkeit gespielt. Auf den 18 Seiten finden sich zahlreiche Zumutungen für die Koalitionspartner, die sichtbar und hörbar verärgert reagierten. Vor allem: Der Finanzminister stellte Grundpfeiler des Koalitionspakts in Frage.
Das steht im Lindner-Grundsatzpapier
- Das Budget 2025 muss ein Sparhaushalt sein. Sensibel in einem Wahljahr
- Es soll Ausnahmen von der Schuldenbremse geben, sie ist in Deutschland in der Verfassung verankert
- Für die nächsten drei Jahre soll es ein "Moratorium" geben, also zwei Jahre über die aktuelle Regierung hinaus
- Das "Moratorium" schreibt ein Verbot für neue Gesetze vor, die Unternehmer bürokratisch belasten, betroffen wäre etwa das Lieferkettengesetz
- Die EU soll dazu gedrängt werden, Berichts- und Nachweispflichten aus dem Green Deal zu streichen
- Der Solidaritätszuschlag ("Soli"), also die Finanzhilfe für die Ost-Bundesländer, soll abgeschafft werden
- Die Körperschaftssteuer soll gesenkt werden
- Die Klimaschutzziele sollten aufgeweicht werden, die Klimaneutralität wird erst fünf Jahre später angestrebt
- Das Bürgergeld, also die Grundsicherung, soll gekürzt werden
Was passierte danach?
Wutschnauben. Vor allem Kanzler Scholz fühlte sich hintergangen, er suchte die Nähe zu Vizekanzler Habeck. Und umgekehrt. Die Koalition verlor endgültig die Balance.
Wieso alles auf den Bruch zusteuerte?
Weil die FDP Bundestagsfraktion das "Grundsatzpapier" trotz Kritik beschloss. "Große Reformen erfordern große Kraft", sagte Lindner. Die Ampel einigte sich auf einen Regierungsgipfel am Mittwoch im Kanzleramt. Nach außen hin wurde Optimismus versprüht. "Wenn man will, kann man sich einigen", sagte Kanzler Scholz nach Gesprächen mit beiden Ampelpartnern. Aber die Uhr tickte längst.
Was passierte dann am Mittwoch?
SPD-Kanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) trafen sich wie vereinbart um 8 Uhr zum Gipfel, es war der vierte seit Montag, berichtet der Spiegel, und er zog sich in die Länge. Schnell stellte sich heraus: Es geht nicht mehr um Lücken, sondern um das große Ganze, die Regierung. Und die stand Spitz auf Knopf: Um 18 Uhr wurde die Dreierrunde auf einen großen Koalitionsausschuss erweitert. Jetzt wurde es ernst.
Warum ging es dann plötzlich ganz schnell?
Lindner ging in die Offensive. Er schlug vorgezogene Wahlen vor, bis dahin sollte eine kommissarische Regierung walten, die FDP würde sie stützen, auch ein Notbudget. Scholz reichte es. Er entließ den Finanzminister aus dem Amt. Formal musste er den Bundespräsidenten ersuchen, das durchzuführen, es passierte noch am Abend.
Wie reagierten die Parteichefs?
Alle gaben Statements ab und spätestens da war klar: Hier ist alles zerbrochen. Scholz trat als Erster vor die Kamera, er redete nicht, er formulierte eine Abrechnung. Er sehe sich zur Entlassung des Finanzministers "gezwungen, um Schaden von unserem Land abzuwenden", sagte er. Er habe der FDP noch am Mittwoch ein neues Angebot zur Schließung des Budgetlochs vorgelegt, sie habe es abgelehnt.
Der 4-Punkte-Plan von Scholz
- Wir sorgen für bezahlbare Energiekosten
- Wir schnüren ein Paket, das Arbeitsplätze in der Automobilindustrie und bei den vielen Zulieferbetrieben sichert
- Wir führen eine Investitionsprämie ein und verbessern noch einmal die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten, damit Unternehmen jetzt in den Standort Deutschland investieren
- Wir erhöhen unsere Unterstützung für die Ukraine, die einem schweren Winter entgegengeht. Auch als Signal in die USA: Auf uns ist Verlass
Das war aber noch nicht alles, oder?
Nein, es folgte ein Hagel an Vorwürfen gegen Lindner. Er habe "Gesetze sachfremd blockiert", "oft Streit öffentlich inszeniert", "Vertrauen gebrochen". Ihm gehe es "um die eigene Klientel", um "das kurzfristige Überleben der eigenen Partei." Er "schürt Unsicherheit in unserer Wirtschaft". "Wer in eine Regierung eintritt, der muss seriös und verantwortungsvoll handeln. Der darf sich nicht in die Büsche schlagen, wenn es schwierig wird."
Das war nicht die einzige Abrechnung an diesem Tag, oder?
Nein! Zunächst meldet sich Robert Habeck zu Wort. Es sei aus seiner Sicht nicht nötig gewesen, "dass der Abend so endet", sagte er. Die Entlassung von Christian Lindner nannte er "folgerichtig".
Und wie reagierte Lindner?
Er holte zum Rundumschlag aus. Scholz habe die wirtschaftlichen Sorgen "lange verharmlost", sagte er. Seine Gegenvorschläge seien "matt und unambitioniert" gewesen. "Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen".
Und er warf dem Kanzler eine Inszenierung vor. Scholz sei es längst nicht mehr um eine Einigung gegangen, sondern "um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition".
Wie geht es jetzt weiter?
Scholz wurde in seiner Fraktion mit großem Applaus empfangen. Er will am 15. Jänner im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Nachdem ihm (gilt als gesichert) das Misstrauen ausgesprochen wird, beginnen die gesetzlichen Fristen zu laufen. Eine Wahl im März scheint wahrscheinlich.
Scholz will in der Zwischenzeit im Bundestag (da hat er keine Mehrheit mehr) mit der CDU zusammenarbeiten. Er suche das Gespräch mit Fraktionschef Friedrich Merz, sagte er.
Warum ist eine Märzwahl wahrscheinlich?
Weil die CDU noch am Mittwoch in den sozialen Medien einen Wahlkampfslogan publizierte. "Deutschlands große Chance: März 2025". "März" durchgestrichen und "Merz" daruntergeschrieben. Friedrich Merz wird Spitzenkandidat der Union bei der Wahl. Das Posting ist inzwischen gelöscht.
Was passiert mit der aktuellen Regierung?
Die FDP zog noch am Mittwoch alle ihre Minister ab, Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und Justizminister Marco Buschmann. Verkehrsminister Volker Wissing hingegen kündigte Donnerstag vormittags an, aus der FDP auszutreten und weiter im Amt zu bleiben. Die Regierung besteht nun nur mehr aus Ministern von SPD und Grünen – und eben dem dann parteilosen Volker Wissing.