hart, härter, hockey
Für Olympia ließ sich Hockey-Star Fingerglied amputieren
Landhockey-Crack Matt Dawson verletzte sich zwei Wochen vor Paris schwer. Die Alternative hieß: Amputation oder Olympia von der Wohnzimmercouch aus. Doch aus dem Gold-Traum wurde nichts.
Australiern sagt man generell nach, ziemlich harte Hunde zu sein. Ein riesiger, fast menschenleerer Kontinent, gnadenlose Natur, eine Vergangenheit als Strafkolonie der britischen Krone, das alles spielt wohl eine Rolle. Aber dann gibt es immer noch welche, die ein bisschen härter, ein bisschen ärger drauf sind als der Rest. So wie Matt Dawson. Der 30-jährige Verteidiger der australischen Landhockey-Nationalmannschaft ließ sich ein Stück seines Ringfingers abschneiden, um bei Olympia in Paris dabei sein zu können. "Für mich war das die beste Option", sagte der Mann aus Gosford im Bundesstaat New South Wales – und träumte von Olympia-Gold.
Ein alter Hase Matt Dawson ist eigentlich ein alter Hase im Nationalteam, den "Kookaburras" – so nennt sich das Landhockey-Team der Australier, nach den Vögeln, die man in Europa als Lachender Hans kennt. Er stand bereits 2016 im Olympiateam in Rio de Janeiro, da wurden die "Kookaburras" Fünfte. 2021 in Tokio gewannen die Australier Silber, geschlagen nur von Belgien. Dawson war mit dabei. Und bei den Commonwealth Games 2022 holte man den Titel – Dawson stand auch da im Aufgebot. Bis Paris spielte er in 209 Partien für Australien und schoss dabei 25 Tore – als Verteidiger eine beachtliche Leistung.
Hiobsbotschaft zwei Wochen vor Paris Während eines Vorbereitungsspiels zwei Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele schließlich die Katastrophe. Dawson bekommt den Schläger eines Gegners so unglücklich gegen die Hand, dass der rechte Ringfinger hinterher aussieht wie Matsch. "Wenn die Leute um dich herumstehen und nichts sagen, weiß man natürlich, dass es ziemlich schlimm ist“, sagte Dawson später in einem Interview mit "CNN Sport". Als Dawson selbst sah, was passiert war, wurde er ohnmächtig – harter Australier hin oder her. Das oberste Glied des Fingers war massiv beschädigt – "der Chirurg meinte, es sein ein Wunder, dass der Finger überhaupt noch dran hing", so der Spieler später.
Monatelange Rekonvaleszenz – oder Amputation Die Diagnose der Ärzte war niederschmetternd. Sie könnten den ganzen Finger möglicherweise retten, müssten dafür aber Draht durch den Knochen führen und so alles zusammenflicken. Ob der Finger wieder seine ursprüngliche Funktionsfähigkeit erlangen würde – keiner konnte es sagen. Dauer der Rekonvaleszenz: Monate. Paris? Nie im Leben. Doch es gab eine Alternative: "Die Ärzte meinten, wenn wir das oberste Glied amputieren, wäre ich in zehn Tagen wieder einsatzbereit, da der Rest des Fingers heil geblieben war", so Matt Dawson.
"Die Spitze meines Finger ist der Preis" Für den "Kookaburra" gab es da nicht viel nachzudenken: "Ich bin definitiv näher am Ende meiner Karriere als am Anfang und wer weiß, vielleicht sind das meine letzten Olympischen Spiele", so Dawson in Podcast "Parlez Vous Hockey". "Und ich wusste, wenn ich das Gefühl hätte, dass ich danach immer noch meine beste Leistung bringen kann, wenn also die Spitze meines Fingers der Preis dafür wäre, nochmals zu spielen, dann würde ich das tun", so der Teamspieler im Podcast.
Seine Frau wollte nichts überstürzen Matt Dawsons Ehefrau riet ihrem Mann, sich diese Entscheidung gut zu überlegen, doch da hatte der sie bereits getroffen. "Ich hatte alle Informationen, die ich brauchte – nicht für Paris, sondern für das Leben danach." Und: "Für mich war das die beste Option." Wie die Ärzte es versprochen hatten, war Matt Dawson keine zwei Wochen nach dem Eingriff wieder fit und bereit, den Schläger zu halten. Staunenden Journalisten führte er in Paris seine Hand vor: "Ich habe meine volle Funktionsfähigkeit, kann alle Finger komplett bewegen und bis glücklich, hier zu sein", so der knallharte Hockey-Mann im Interview mit dem Sender Channel 9.
Der Trainer ist begeistert … Colin Batch, der Trainer der "Kookaburras", über die Initiative seines Teamverteidigers: "Er hat die Messlatte für jeden, der sich in Zukunft einen Finger bricht, sicherlich hoch gelegt, aber Matt verdient die volle Punktzahl; er hat diese Entscheidung getroffen und ist offensichtlich fest entschlossen, in Paris zu spielen."
… die Mitspieler weniger Dawsons Teamkollegen waren von der Nachricht vor allem fassungslos: "Wir wussten nicht wirklich, was wir denken sollten, als wir hörten, dass er ins Krankenhaus gegangen war und sich den Finger hat abhacken lassen", so Aran Zalewski, der Kapitän der australischen Nationalmannschaft, auf einer Pressekonferenz in Paris.
Fast ein Auge verloren Für Matt Dawson war es allerdings nicht die erste kritische Situation in seiner Sportlerkarriere. Bereits vor sechs Jahren hätte er beinahe ein Auge eingebüßt – auch damals nach einem Stockschlag eines Gegners. Und so stand der Spieler mit der Nummer 6 wieder am Feld, als Australien am 27. Juli in Paris sein erstes Spiel gegen Argentinien bestritt, immerhin Olympiasieger 2016. Matt Dawson spielte durch und hielt mit seinen Kollegen ein knappes 1:0 gegen die Gauchos fest, ein gelungener Auftakt.
Goldtraum endet im Viertelfinale Drei Siege und zwei Niederlagen in der Gruppenphase brachten den Australiern zwar den Aufstieg ins Viertelfinale, da war aber Endstation. Die favorisierten Niederländer stutzten den "Kookaburras" mit einem 2:0 ordentlich die Flügel. Und während Holland nach einem überlegenen Halbfinal-Sieg gegen Spanien (4:0) nun gegen Deutschland um Gold kämpft, musste die Australier ohne Edelmetall heimreisen. Ob Matt Dawson weiter von Olympia-Gold träumen darf – der Traum, für den er sich sogar ein Stück von seiner Hand hat abschneiden lassen – wird sich zeigen. Bei Olympia 2028 in Los Angeles wird er 34 sein – es könnte sich gerade noch einmal ausgehen.