Neu im Kino
"Golda": Wie die "Eiserne Lady" Israel vorm Untergang rettete
Der Jom-Kippur-Krieg zerstörte den Mythos vom unbesiegbaren Israel. Wie es Premierministerin Golda Meir dennoch gelang, ihr Land durch den Konflikt zu führen, erzählt "Golda". Jetzt im Kino.
Wenn heute von Israels erster und bislang einziger Ministerpräsidentin die Rede ist, dann wird gerne folgendes Zitat angeführt: "Wir können den Arabern vergeben, dass sie unsere Kinder töten. Wir können ihnen nicht vergeben, dass sie uns zwingen, ihre Kinder zu töten. Wir werden mit den Arabern erst Frieden haben, wenn sie ihre Kinder mehr lieben, als sie uns hassen."
Acht Jahrzehnte Konflikt Ob Golda Meir das wirklich gesagt hat, ist ungeklärt. Der Satz ist aber in seiner Einfachheit sehr bezeichnend für den seit nunmehr knapp acht Jahrzehnten offen schwelenden Konflikt zwischen Juden und Arabern, der bereits vor der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 (im arabischen Raum oft auch "Nakba" = Katastrophe genannt) seinen Anfang nahm. Und der aktuell mit dem Terrorüberfall auf Israel vom 7. Oktober 2023 sowie der Geiselnahme von über 200 Israelis durch Mitglieder der Terrororganisation Hamas und den darauf folgenden und bis jetzt andauernden Gaza-Konflikt einen weiteren schrecklichen Höhepunkt erlebt.
Helen Mirren ist "Golda" In dem neuen Film "Golda – Israels Eiserne Lady", der seit 30. Mai in den heimischen Kinos zu sehen ist, wird ein früherer Konflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn behandelt, der so genannte Jom-Kippur-Krieg von 1973. Seinerzeit stand Golda Meir an der Spitze des Staates, sie war zu diesem Zeitpunkt bereits 75 Jahre alt, schwer krank und am Ende ihrer politischen Karriere. Dennoch mobilisierte sie noch einmal all ihre Kräfte, um ihr Land, dessen Verteidigungsfähigkeit kurzzeitig in eine gefährliche Schieflage geriet, durch diesen Krieg zu führen. Als Golda Meir brilliert die britische Oscar-Preisträgerin Helen Mirren.
Worum geht es Am 6. Oktober 1973, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur (das Datum, auf den Jom Kippur fällt, ändert sich von Jahr zu Jahr), greifen ägyptische und syrische Streitkräfte von zwei Seiten den Staat Israel an. Es ist der bereits fünfte Krieg zwischen dem jungen Land und seinen arabischen Nachbarn, und bisher war Israel immer als Sieger aus den Auseinandersetzungen hervorgegangen. Vor allem der Sechstagekrieg von 1967 endete mit einem triumphalen Sieg des jüdischen Staates und wurde von den geschlagenen Gegnern als tiefe Demütigung erlebt. Auch deshalb hielt sich das israelische Militär für unbesiegbar und mehrere Warnungen, die 1973 kurz vor Kriegsbeginn in Jerusalem und Tel Aviv eingingen, wurden ignoriert.
Kalt erwischt Israel wird von dem Angriff gleichsam kalt erwischt und muss in den ersten Tagen des Krieges massive Verluste hinnehmen. In dieser Situation erweist sich Ministerpräsidentin Golda Meir als ebenso kluge wie weitsichtige Strategin, die nicht nur ihre Militärs anleitet, sondern vor allem bei US-Außenminister Henry Kissinger (dargestellt von Liev Schreiber) dringend benötigte militärische Unterstützung der Vereinigten Staaten gegen zahlreiche politische Widerstände in den USA (Stichwort Ölkrise) durchsetzt und so binnen kürzester Zeit das Glück auf dem Schlachtfeld zugunsten der Israelis wendet.
Operation "Nickel Grass" Die US-Hilfe für Israel im Jom-Kippur-Krieg gilt bis heute als logistische Meisterleistung, die unter dem Codenamen "Operation Nickel Grass" ablief. Nur acht Tage nach dem Angriff der arabischen Länder (mit großer militärischer Unterstützung der Sowjetunion) gab das Weiße Haus grünes Licht für die Aktion – "schicken Sie alles … was fliegen kann" soll Präsident Richard Nixon damals angeblich gesagt haben. Knapp neun Stunden später hoben die ersten Maschinen Richtung Israel ab. Waffen und Militärtechnik wurden direkt vom Flughafen in Tel Aviv an die Front weiter transportiert, insgesamt 36 Kampfflugzeuge, die Israel den Amerikanern abkaufte, bekamen am Flughafen neue Hoheitsabzeichen, die Piloten tauschten und die Jets flogen in den Einsatz. Binnen weniger Tage wurden so insgesamt mehr als 22.000 Tonnen an Militärgütern nach Israel geschafft.
"Golda", der Film Der von Regisseur Guy Nattiv (erhielt 2018 einen Oscar für den besten Kurzfilm) in Szene gesetzte Film konzentriert sich hauptsächlich auf die Kriegstage (6. bis 26. Oktober 1973) und spielt nahezu ausschließlich in dunklen und verwinkelten Räumen – Bunkern, Amtsgebäuden, Golda Meirs privates Haus, in das sie US-Außenminister Kissinger einlädt, um ihn von der Dringlichkeit ihrer Bitten um Unterstützung zu überzeugen. Der Krieg selbst wird nur in Zahlen und Fakten sichtbar – und dadurch umso schauriger, wenn die Ministerpräsidentin die Gefallenenzahlen in ihr kleines Notizbuch einträgt.
Wer war Golda Meir? 1898 geboren als Golda Mabowitsch in Kiew, das damals zum Russischen Reich gehörte, erlebte sie bereits in ihrer Kindheit antijüdische Pogrome. 1905 emigrierte ihr Vater in die USA und holte seine Familie 1906 schließlich nach. 1917 erhielt Golda die amerikanische Staatsbürgerschaft, 1921 übersiedelte sie mit ihrem Ehemann Morris Meyerson nach Palästina, das damals unter britischem Mandat stand. Sie lebten zunächst in einem Kibbuz und dann in Jerusalem, wo sich Golda politisch zu engagieren begann. Sie trat der Arbeiterpartei bei und wurde vom späteren Staatsgründer David Ben-Gurion sukzessive stärker ins politische Geschehen eingebunden.
Gründung des Staates Israel Im Mai 1948 wurde der Staat Israel gegründet (und noch in der ersten Nacht erklärten mehrere arabische Staaten dem Land den Krieg, was zum Israelischen Unabhängigkeitskrieg führte), 1949 wurde schließlich die erste Regierung des Landes demokratisch gewählt – und Golda Meir (die Verkürzung ihres Namens von Meyerson auf Meir hatte ihr Ben-Gurion empfohlen) war als einzige Frau darin vertreten – als Ministerin für Arbeit und Soziale Sicherheit. 1969 wurde sie schließlich Israels erste Ministerpräsidentin und war somit auch die erste Frau, die das Land durch einen Krieg zu führen hatte.
"Ich bin nicht das Kind, das sich im Keller versteckt" In ihrer Kindheit in Kiew habe sie mitansehen müssen, wie Juden auf der Straße zu Tode geprügelt wurden, einfach deshalb, weil sie Juden waren, erzählt Golda Meir im Film dem US-Außenminister. Sie selbst denke aber nicht daran, sich im Keller zu verstecken, wenn es hart auf hart kommt. Ihre Beharrlichkeit, ihr Stoizismus und ein unleugbarer Fatalismus waren es auch, die Golda Meir durch ihr keinesfalls einfaches Leben gebracht haben. Als es 1973 kurzzeitig so aussah, als könnten die arabischen Gegner den jungen Staat überrennen, ließ sie die in der Negev-Wüste stationierten Atomwaffen des Landes vorbereiten, um Israel zur Not auch damit zu verteidigen (auch wenn sich der Film Mühe gibt, diese Episode des Krieges anders darzustellen). Dass es nicht zum Einsatz kam ist wohl auch dem Engagement der USA zu verdanken.
Lehren für die Gegenwart Was auffällt ist, dass sowohl der Jom-Kippur-Krieg, als auch die aktuelle Situation, vor allem deshalb so eskalieren konnten, weil sich Israel im Vorfeld zu sicher gefühlt und Warnungen in den Wind geschlagen hat. Doch sowohl die Art der Kriegsführung, als auch die Sympathien der Welt sind heute anders gelagert, als es 1973 der Fall gewesen ist.
Land gegen Frieden Was aber am wichtigsten erscheint: Vor 50 Jahren hatte Israel (angeführt von Golda Meir) einen Plan, wie es mit der Situation nach dem Waffenstillstand umgehen wollte. Langfristig führte das dazu, dass das Land einen Friedensvertrag mit Ägypten zustande brachte, der bis heute hält. Und man bekam die völkerrechtliche Anerkennung von Ländern, die Israel bis dahin jedes Existenzrecht abgesprochen hatten. Dafür gab Israel große Geländegewinne, die es in den vorhergegangenen Kriegen gemacht hatte, wieder zurück. Land gegen Frieden, könnte man sagen. Welche Strategie die aktuelle Regierung verfolgt und wohin diese einmal führen soll, das erschließt sich derzeit nicht einmal phantasievollen Beobachtern.
Fazit: "Golda" ist großes Schauspieler-Kino, Helen Mirren als Golda Meir ist fabelhaft. Das Drehbuch erlaubt sich einige dramaturgische Geschichts-Klitterungen, die der Harmonie der Story dienen, der historischen Wahrheit aber nicht genügen. Egal. Golda Meir war eine große Führerin ihres Landes, daran lässt dieser Film keine Zweifel, auch wenn ihr Bild in der (israelischen) Öffentlichkeit bis heute ambivalent ist. Ihr ging es – glaubhaft – um die Sache und nicht um sich selbst. Alleine das unterscheidet sie schon von den allermeisten Politikern der Gegenwart. In Israel und sonst wo.
"Golda – Israels Eiserne Lady", Großbritannien 2023, 100 Min., ab sofort im Kino