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Haben die Sanktionen Putin geschadet? "Sieht nicht so aus"

Eine neue Studie hat die Wirkung der westlichen Sanktionen unter die Lupe genommen. Ökonom Gabriel Felbermayr vom "Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung"(WIFO) war daran beteiligt. Das Ergebnis ist eher ernüchternd.

"Sanktionen sind eher eine symbolhafte Waffe", so Ökonom Gabriel Felbermayr, Wladimir Putin hätten sie nicht geschadet
"Sanktionen sind eher eine symbolhafte Waffe", so Ökonom Gabriel Felbermayr, Wladimir Putin hätten sie nicht geschadet
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Newsflix Redaktion
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2014 annektierte Russland die Krim, am 24. Februar 2022 ließ Russlands Staatschef Wladimir Putin seine Truppen in der Ukraine einmarschieren. Die EU reagierte mit mehreren Wellen an Sanktionen, sie richteten sich gegen Wirtschaft, Unternehmen, Einzelpersonen. Das erste Maßnahmenpaket wurde am 17. März 2014 beschlossen und erfasste 21 russische und ukrainische Amtsträger. Bis heute hat die EU 14 größere Sanktionspakete beschlossen und umgesetzt (hier finden Sie auf fast 900 Seiten alles zu den Sanktionen). Aber was war deren Wirkung?

Ein Team von Ökonomen beschäftigt sich seit rund vier Jahren mit dieser Frage. Entstanden ist daraus die "Global Sanctions Data Base"*. Die vierte Fassung davon ist am 8. Juli erschienen, die Veröffentlichung erzielte aber wenig öffentliche Wirkung. In einem Interview mit dem "Spiegel" verdeutlichte nun Gabriel Felbermayr, Leiter des WIFO in Wien, die Ergebnisse. "Russland hat die Strafmaßnahmen klug gekontert", sagt er. Putin hätten die Maßnahmen nicht nur nicht geschadet, sie hätten ihm sogar genutzt. Warum das so ist und welche Erkenntnisse die Studie sonst noch lieferte, lesen Sie hier:

Warum geht es eigentlich?
Die Studie trägt den Titel "The Global Sanctions Data Base - Release 4: The Heterogeneous Effects of the Sanctions on Russia"*, untersucht wurden also die heterogenen (uneinheitlichen) Auswirkungen der Sanktionen auf Russland. Die erste Version der GSDB wurde 2020 veröffentlicht, sie beschäftigt sich mit der Wirkung von Sanktionen bis 1950 zurück. Aktuell ist Auflage 4 erschienen, sie umfasst den Zeitraum bis Ende 2023. Insgesamt wurden bereits 1.547 Sanktionsfälle unter die Lupe genommen, der Schwerpunkt lag zuletzt logischerweise auf Russland.

"Klug gekontert": Gabriel Felbermayr ist Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO)
"Klug gekontert": Gabriel Felbermayr ist Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO)
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Wer war an der Studie beteiligt?
Insgesamt sieben Forscherinnen und Forscher aus mehreren Ländern. Beteiligt waren die "Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung" (HTWG), das "Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung"(WIFO) und die "Drexel University", eine private Uni in Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania. Für das WIFO aus Österreich machten Gabriel Felbermayr und Heider Kariem mit. Felbermayr ist seit 2021 Direktor des WIFO, Professor an der WU, zuvor war er Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft.

Woher kamen die Daten?
Hauptsächlich von der "Direction of Trade Statistics" (DOTS) des "Internationalen Währungsfonds" (IMF) und der "United Nations’ Comtrade Database", der Datenplattform der UNO für den weltweiten Handel. Sechs Arten von Sanktionen wurden erfasst: Handel, Finanz, Reise, Waffen, Militär sowie Maßnahmen, die in keine dieser Kategorien fielen.

Was waren die wesentlichsten Ergebnisse?
Für das letzte Update wurden 223 neue Sanktionsfälle untersucht. Das Forschungsteam destillierte daraus insgesamt sechs Erkenntnisse:
1. Schwache Wirkung: Die Sanktionen hatten statistisch signifikante Auswirkungen auf die russische Wirtschaft, diese Auswirkungen fielen aber relativ gering aus.
2. Zögerlicher Beginn: Die Wirkungen der Sanktionen 2014 waren geringer als die Wirkung der jüngsten Sanktionen (2022-2023).
3. Überschätzte Folgen: Der Handel von Russland mit den Sanktionsländern ging im Vergleich mit den Nicht-Sanktionsländern nur um 24 Prozent zurück.
4. Uneinheitliche Welt: Es gab Länder, die Sanktionen streng exekutierten (etwa USA, Kanada) und Länder, die sie eher schlampig exekutierten (Großbritannien, Japan).
5. Uneinheitliche EU: Schweden, Tschechien und Polen waren streng, Malta, Estland, Litauen weich.
6. Drei Hintertüren: China, Türkei und Indien ersetzten die Sanktionsländer.

Der Westen lieferte in den letzten Woche die ersten  F-16 Kampfflugzeuge an die Ukraine aus
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Warum ist das so bedeutsam?
Das Forschungsteam rät zu einer vorsichtigen Schlussfolgerung, aber genau diese die drei Länder (China, Türkei, Indien) haben den Erfolg der Sanktionen torpediert. Aber nicht nur das: Russland ist es nicht nur gelungen, den Ausfall des Handels mit den Sanktionsländern zu ersetzen, sondern sogar einen Nettogewinn daraus zu ziehen, eben durch den intensivierten Handel mit den drei neuen Verbündeten.

Wieo ist das eigentlich grotesk?
Weil die Sanktionen gegenüber Russland immer weiter gesteigert wurden. Laut Studie gab es seit 1950 bei keinerlei Sanktionen so massive Verschärfungen wie in der Zeit zwischen 2021 und 2023.

Wie hat sich der Handel mit den neuen Verbündeten entwickelt?
Prächtig. Der Handel von Russland mit China ist um 40 Prozent gewachsen, sagt Gabriel Felbermayr im Interview mit dem "Spiegel", mit der Türkei um 23 Prozent, mit Indien sogar um 140 Prozent. Erstaunlich ist: "Dieser Austausch hat den Westhandel nicht einfach ersetzt, er hat ihn sogar übertroffen."

Kommen weiter auch westliche Waren nach Russland?
Natürlich, aber über Umwege. Felbermayr nennt Kasachstan, Kirgisistan oder Armenien als Beispiele.

Recep Tayyip Erdogan, Präsident des NATO-Landes Türkei, ist einer der Hauptgewinner der Sanktionen gegen Russland
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Hat Russland also von den Sanktionen sogar profitiert?
Ja, der Ökonom drückt es allerdings wissenschaftlicher aus: "Der Nettoeffekt der Sanktionen und des Zusatzhandels mit China, der Türkei und Indien ist für Russland positiv."

Wie das vor sich gegangen ist?
Russland hat mit den drei Ländern eine Form von informellen Freihandelsabkommen vereinbart und das zum gegenseitigen Nutzen. Es wurden Handelsschranken abgebaut, Zölle verringert, die Zentralbanken haben zusammengearbeitet. Die Zollsenkung habe vier bis fünf Prozentpunkte betragen, so Felbermayr.

Was ihn überrascht hat?
"Dass Russland seine Produktion überraschend schnell umgestellt hat."

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kann sich über ihre Wiederwahl freuen, über die Russland-Sanktionen weniger
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Ob die Sanktionen damit gescheitert sind?
"Das würde ich nicht sagen", so Felbermayr im "Spiegel". Aber die Entwicklung der vergangenen zwei Jahre zeige, "dass man sich von Sanktionen nicht zu viel versprechen darf". Sie seien eher "eine symbolhafte Waffe". Was gesagt werden kann: "Es sieht nicht so aus" als wäre es gelungen, Moskaus Kriegsfähigkeit einzuschränken.

Ist der Westen damit der klare Verlierer?
Nicht unbedingt. Die Sanktionen haben nicht nur für Russland geringere Auswirkungen als erwartet, sondern auch für die Sanktionsländer. Der Ökonom nennt als Beispiel das russische Öl. Es käme weiter auf den Weltmarkt, das wirke preisdämpfend.

Ob er die Sanktionen weiter verschärfen würde?
Damit "würden die Handelsströme noch stärker umgelenkt", warnt Felbermayr. Der Westen sollte lieber mehr Länder auf seine Seite ziehen, etwa durch den Ausbau von Handelsabkommen. "Dazu müsste der Westen ihnen etwas anbieten. Mit Sanktionen gegen diese Länder würde man sich Russlands Partner erst recht zu Feinden machen."

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