Meteorologe analysiert

Hört denn diese Sommerhitze heuer nie mehr auf?

Die höchste Durchschnittstemperatur, die meisten Tropennächte, kein Frost in 3.000 Meter: Der Sommer 2024 wird sich in unser Gedächtnis brennen. ORF-Wetterexperte Manuel Oberhuber sagt, wie es jetzt weiter geht.

Extremwetter-Zone Innenstadt: Seit Wochen sinkt die Temperatur in der Wiener City auch nachts nicht unter 20 Grad, soeben begann eine weitere Hitzewelle. Nicht nur den Fiakerpferden auf dem Petersplatz wird das alles langsam zu viel
Extremwetter-Zone Innenstadt: Seit Wochen sinkt die Temperatur in der Wiener City auch nachts nicht unter 20 Grad, soeben begann eine weitere Hitzewelle. Nicht nur den Fiakerpferden auf dem Petersplatz wird das alles langsam zu viel
ALEX HALADA / AFP / picturedesk.com
Newsflix Redaktion
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"Jetzt folgen vorerst 9 weitere Tage mit viel Sonnenschein & 32 bis 35° im östlichen Flachland". Mit dieser Botschaft auf X sorgte der Meteorologe Manuel Oberhuber bei vielen für Schnappatmung.

Meteorologisch beginnt am 1. September der Herbst, astronomisch dauert es noch drei Wochen länger. Aktuell sieht es aber nicht so aus, als würde der Sommer so rasch das Feld räumen. Soeben begann in Wien die gefühlt zehnte Hitzewelle des Sommers, nachdem die Temperaturen für zwei kurze Tage knapp unter die 30-Grad-Marke gerutscht waren. Dafür stehen der Bundeshauptstadt nun wieder sieben bis zehn Tage mit Spitzentemperaturen jenseits des 30ers bevor – und ebenso viele Tropennächte. Kein Wunder, dass die meisten Wienerinnen und Wiener inzwischen ziemlich weichgekocht sind.

Rekord an Tropennächten Bereits vor dem Start der aktuellen Hitzewelle hatte Wien den Rekord an Tropennächten – also an Nächten, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt – geknackt. Bis 26. August wurden in der Innenstadt 42 extraheißer Nächte gezählt, wie Geosphere Austria mitteilte. Zum Vergleich: Zwischen 1991 und 2020 gab es im Schnitt pro Jahr 21 Tropennächte in der City.

Und auch die Tage haben es in sich: Stand 24. August ist der Sommer 2024 im Mittel um 2,2 Grad wärmer gewesen als der Temperatur-Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2020. Er liegt damit auf Platz 1 seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 257 Jahren - sogar knapp vor dem Extremsommer 2003, der bislang als der heißeste der Messgeschichte gilt.

Zwidemu: Am Maria-Theresien-Platz in Wien kann man sich zwischen den Museen abkühlen
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Helmut Graf

Aber weshalb heizt uns die Natur gerade wieder so sehr ein? Oder sind wir das am Ende gar selbst und die Naur ist nur Zuschauerin bei unserem konstruktiven Plan, unsere Lebensgrundlage selbst zu zerstören? Der ORF-Meteorologe Manuel Oberhuber beschäftigt sich seit Kindheitstagen mit dem Wetter – primär im Alpenraum, aber auch weit darüber hinaus. Was er von den aktuellen Hitze-Rekorden hält, wie lange der Sommer noch dauern wird und ob er uns einen "heißen Herbst" prognostiziert – der studierte Geo- und Atmosphärenwissenschafter Manuel Oberhuber über den Hitzesommer 2024:

Welcher Großwetterlage verdanken wir die längste Hitzewelle seit Jahren und dutzende Tropennächte am Stück?
Wir haben in diesem Sommer Tropennächte auf Rekordniveau, vor allem im Osten des Landes. Gleichzeitig bricht die Hitze am Tag aber keine Rekorde. Wir sind heuer von Nachmittagstemperaturen an die 40 Grad verschont geblieben und das wird sich auch nicht mehr ändern. Der Hauptgrund für die vielen Tropennächte liegt im Frühsommer. Da hat es in ganz Mitteleuropa sehr viel geregnet, wesentlich mehr als in den Jahren davor. Dadurch ist jetzt sehr viel Feuchtigkeit in der Luft und das verhindert eine zu starke Abkühlung in den Nächten.

Gibt es für die Wettersituation, wie wir sie derzeit im Osten Österreichs haben, einen meteorologischen Fachausdruck?
Nicht unbedingt. Vereinfacht gesagt: Das Hochdruckgebiet, das sich für gewöhnlich aus den Ausläufern des Wetters in der Sahara über dem Mittelmeer bildet und für stabiles Ferienwetter sorgt, hat sich weiter nach Norden verschoben – das ist eine der Auswirkungen des Klimawandels. Und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir in Österreich ebenfalls dieses stabile Hochdruckwetter bekommen, wie man es aus Italien, Spanien und Griechenland kennt.

Gehen nicht auch relativ wenige Gewitter nieder für die Hitze, die nun schon seit Wochen herrscht?
Das ist natürlich regional sehr unterschiedlich. Aber an sich haben wir nicht weniger Gewitter als sonst. Die Blitz-Verteilung liegt auf dem Niveau der Vorjahre, in der Osthälfte des Landes ist sie sogar ein bisschen höher. Das liegt daran, dass die größte bzw. abnormalste Hitze in Europa heuer am Balkan gemessen wurde und der Osten Österreichs von dieser Hitzeblase stärker beeinträchtigt war als der Westen. Dementsprechend war die Luft hier auch etwas schwüler und gewitteranfälliger.

Nicht nur in den Alpen können Sturzfluten für Überschwemmungen sorgen. Auch in Wien Döbling war zuletzt Land unter
Nicht nur in den Alpen können Sturzfluten für Überschwemmungen sorgen. Auch in Wien Döbling war zuletzt Land unter
Deutsch Gerhard / KURIER / picturedesk.com

Und die Unwetter waren bisher auch etwas anders gelagert als in den Jahren zuvor. Heuer gab es vor allem sehr große Regenmengen und dadurch jene Sturzfluten, wie wir sie in den letzten Wochen immer wieder gesehen haben, etwa in St. Anton am Arlberg, in Hollabrunn oder zuletzt auch in Wien Döbling.

Der übliche Sommerregen ist aber heuer ausgeblieben, oder?
Richtig, es gab bisher kein klassisches Tiefdruckgebiet, mit großen Regenmengen, die auch zu lokalen Überschwemmungen führen können. Das gab es im Süden Deutschlands, hat uns aber nur ganz am Rande gestreift.

Gab es noch weitere außergewöhnliche Wetterphänomene in den letzten Wochen?
Die Temperaturen im Hochgebirge sind heuer auch für Hochsommer sehr hoch. Auf dem Sonnblick etwa, auf mehr als 3.100 Metern Seehöhe, gab es in diesem August bisher noch keinen einzigen Tag mit Frost. Das ist überhaupt das erste Mal so seit Messbeginn, und am Sonnblick wird schon sehr lange gemessen (konkret seit 1886, Anm.). Das bedeutet, dass es in den vergangenen 30 Tagen durchgehend niemals unter null Grad gehabt hat, und das ist sehr ungewöhnlich. Es passt aber zur allgemeinen Großwetterlage, wie sie in Österreich seit Juli vorherrscht.

Wenn es nicht noch zu einem außergewöhnlichen Temperatursturz kommt, wird der Sommer 2024 der heißeste in der 257-jährigen Messgeschichte sein
Wenn es nicht noch zu einem außergewöhnlichen Temperatursturz kommt, wird der Sommer 2024 der heißeste in der 257-jährigen Messgeschichte sein
ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Wie stellt sich diese dar?
Alles in allem auf Rekordniveau. Der Juni war noch eher durchwachsen und regnerisch, ich weiß noch, dass viele Bauern ziemliche Probleme hatten, ihr Heu einzubringen, weil es kaum einmal drei Tage am Stück trocken gewesen ist. Aber seit Juli-Beginn haben wir einen extremen Sommer in Österreich, also mit sehr hohen Temperaturen über eine sehr lange Dauer. Der August ist zwar noch nicht zu Ende, aber es ist gut möglich, dass sowohl der Monat August, als auch der gesamte meteorologische Sommer (also die Monate Juni bis August, Anm.) einen neuen Temperaturrekord bringen.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang "Rekordsommer"?
Dass die Durchschnittstemperatur über ganz Österreich und über alle drei Monate hinweg die höchste bislang gemessene ist. Wir liegen jetzt schon auf dem Niveau des Sommers 2003, der bisher den diesbezüglichen Rekord hält.

Wie lange wird die aktuelle Hitzewelle im Osten jetzt noch andauern?
Auf jeden Fall bis in die nächste Woche. Wie es derzeit aussieht, wird sich die Hitze bis Mitte, vielleicht auch bis Ende nächster Woche hinziehen. So ganz genau lässt sich das noch nicht vorhersagen. Das Wetter kann sich nächste Woche in zwei Richtungen bewegen: Entweder es kommt eine Kaltfront aus dem Westen und beendet die hohen Temperaturen im Osten. Oder das Hoch ist so stabil, dass es sich nicht so rasch verdrängen lässt, und die Hitze dauert noch ein paar weitere Tage an. Beide Varianten sind aus heutiger Sicht plausibel.

ORF-Meteorologe Manuel Oberhuber analysiert den Rekord-Sommer 2024
ORF-Meteorologe Manuel Oberhuber analysiert den Rekord-Sommer 2024
ORF

Wie hat sich dieser Sommer im Rest Europas gestaltet? Es wurde ja massiv vor Rekordtemperaturen und teils lebensfeindlichen Bedingungen gewarnt …
Mit diesen frühzeitigen Warnungen vor Wetterextremen in der einen oder anderen Richtung ist das immer so eine Sache. Ein seriöser Meteorologe würde nicht im Mai davor warnen, dass es im Sommer an diesem oder jenem konkreten Ort eine Hitzewelle geben wird. Inzwischen weiß man: Es wird auch heuer im Großteil Europas ein überdurchschnittlich warmer Sommer gewesen sein, mithin auch ein Rekordsommer, das wird man sehen.

Es hat zahlreiche neue Temperaturrekorde in jenen Bereichen gegeben, wo dieses stabile Hoch gelegen ist, also beginnend vom Osten Österreichs bis hinunter nach Griechenland, also am gesamten Balkan bis hinüber in die Ukraine. Hier gab es teils sehr hohe Temperaturen und in einigen Ländern auch Temperaturrekorde. Ob sich dieses Extrem in Form einer Übersterblichkeit in den betroffenen Ländern manifestiert, wie das auch im Rekordsommer 2003 vor allem in Frankreich der Fall gewesen ist, kann man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Das wird sich erst in den nächsten Monaten erweisen.

Die Frage, wie der kommende Winter wird, ist auch Hokuspokus, oder?
Genau, das funktioniert leider nicht, obwohl wir solche Fragen sehr häufig gestellt bekommen. Unsere Wettermodelle reichen leider nicht so weit in die Zukunft bzw. sind bei weitem nicht genau genug, um hier valide Aussagen treffen zu können.

Wir können nur aus aktuellen Situationen Schlüsse für die nächsten Monate ziehen. So ist zum Beispiel das Mittelmeer derzeit massiv überhitzt, wir haben um 4 bis 5 Grad höhere Temperaturen an der Wasseroberfläche als gewöhnlich, vor allem in Teilen der Adria. Dementsprechend ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Wärme in den kommenden Wochen auf Mitteleuropa – und somit auch auf Österreich – auswirken wird, sehr hoch. Und zwar einerseits durch höhere Lufttemperaturen als üblich um diese Jahreszeit. Und andererseits durch eine höhere Luftfeuchtigkeit. Heißt die Wahrscheinlichkeit für höhere Temperaturen auch im Herbst ist relativ hoch.

Keine nachhaltige Idee: den Kopf in den Kühlschrank zu halten
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iStock

Und es könnte auch wahrscheinlicher zu Starkregenereignissen kommen – aber das ist keine konkrete Aussage. Es könnte genauso gut sein, dass einfach den ganzen Herbst über ein wetterbestimmendes Hochdruckgebiet vorherrscht, ohne dass gleichzeitig ein gefährliches Tief über die Adria zieht. Dann würden auch keine starken Regenfälle entstehen. Aber die Voraussetzungen für solche Regenfälle sind heuer jedenfalls ein bisschen erhöht.

Liegt das, was hier zu beobachten ist, im Rahmen der Schwankungsbreite, oder sind das Auswirkungen des Klimawandels, die es so in dieser Form noch nicht gegeben hat?
Ich würde ziemlich sicher sagen Zweiteres. In solchen Sommern wie heuer haben wir die natürliche Schwankungsbreite des Klimas verlassen. Es geht hier allerdings nicht um den langfristigen Klimawandel, den es immer schon gegeben hat, weil er zur Erdgeschichte dazu gehört. Aber dieser natürliche Klimawandel läuft so langsam ab, dass ihn ein Mensch im Laufe seines Lebens nicht merken würde. Da sprechen wir von Veränderungen in einem Zeitraum von 1000 Jahren und nicht von 20, wie es derzeit der Fall ist.

Manuel Oberhuber, geboren in Südtirol, Studium der Geo- und Atmosphärenwissenschaften in Innsbruck, seit 2016 in der ORF-Wetterredaktion als Meteorologe tätig. Spezialgebiete: Wettervorhersage im alpinen Raum – diese ist nicht vergleichbar mit der Wettervorhersage im Flachland, weil mehr Aspekte in kürzerer Zeit zu beachten sind – und da vor allem die Unwettervorhersage.

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