Eugen Freund analysiert

Macht Kennedy-Twist nun Trump zum US-Präsidenten?

Er wollte als dritter Kandidat ins Rennen gehen, nun die Wende: Am Freitag stoppte Robert F. Kennedy Jr. seine eigene Bewerbung und schloss sich Donald Trump an. Für den Ex-Präsidenten ein Triumph. Eugen Freund über den neuen Kennedy-Krimi.

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Der Parteitag der Demokraten klang aus, am Donnerstag hielt Kamala Harris ihre große Rede, die wichtigste ihres bisherigen politischen Lebens. Die Stimmung unter den Delegierten könnte nicht besser sein. In den nächsten Tagen wird sich – wie fast immer nach solchen Großereignissen – die Euphorie auch in Umfragedaten widerspiegeln: Kamala Harris wird neuerlich zulegen, und doch sind das nur Momentaufnahmen.

Tatsächlich beginnt der Wahlkampf in den USA immer nach dem Labor-Day, diesmal ist das der 2. September. Danach wird sich zeigen, ob die Nachfolgerin von Joe Biden Kritik an ihr und programmatische Fragen einfach wird weglächeln können oder ob sie nicht doch auch in die Tiefe wird gehen müssen. Und ein weiteres Problem kommt auf sie zu: der bisher – zumindest in Europa – kaum wahrgenommene dritte Kandidat, in dessen Name mehr Glanz und Geschichte steckt als in dem der beiden etablierten Parteigänger.

US-Experte Eugen Freund vor einem Porträt von Robert Kennedy Jr.
US-Experte Eugen Freund vor einem Porträt von Robert Kennedy Jr.
Denise Auer

Am Freitag machte Kennedy alles klar

Robert F. Kennedy Jr. schickt sich an, diesem an Wendungen nicht armen US-Wahlkampf einen neuen Twist zu geben. Ab Mittwoch verdichteten sich die Gerüchte, dass er aus dem Rennen um die Präsidentschaft aussteigen und sich Donald Trump anschließen will. Am Tag davor hatte Nicole Shanahan, die als Vizepräsidentin für den unabhängigen Kandidaten ins Rennen geht, in einem Podcast Spektakuläres verkündet: Entweder man mache weiter, dann aber bestehe das Risiko, dass Kamala Harris die Präsidentschaftswahl am 5. November gewinne. Oder man schließe sich jetzt mit dem Republikaner Trump zusammen.

Am Mittwochabend dann berichtete CNN, dass Robert F. Kennedy Jr. Freitag in der Früh eine "Rede an die Nation" halten werde. Sie soll in Phoenix, Arizona, stattfinden. Und so war es dann auch. Der 70-Jährige kündigte an, sich in den Swing States, also in jenen Bundesstaaten, in denen sich sowohl Trump also auch Harris Chancen ausrechnen können, vom Stimmzettel streichen zu lassen.

"Ich glaube nicht mehr, dass ich eine realistische Chance auf einen Wahlsieg habe", sagte Kennedy. Er werde seinen Namen in etwa zehn Staaten vom Wahlzettel nehmen, überall dort, wo seine "Anwesenheit eine Störung darstellen würde". Und ja, seiner Entscheidung habe er in Absprache mit dem republikanischen Ex-Präsidenten Trump getroffen.

In ersten Staaten, etwa in Pennsylvania oder Arizona, hat Kennedy bereits den Antrag auf Streichung gestellt. Er ist kein kleines Licht. In einer landesweit durchgeführten Umfragen von "The Hill" schaffte Kennedy in dieser Woche bei 8,7 Prozent. Für Trump, der zuletzt in der Defensive schien, ist der Überläufer ein Coup.*

Robert F. Kennedy Jr. mit Ehefrau und Schauspielerin Cheryl Hines: Die beiden sind seit zehn Jahren verheiratet
Robert F. Kennedy Jr. mit Ehefrau und Schauspielerin Cheryl Hines: Die beiden sind seit zehn Jahren verheiratet
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Robert F. Kennedy Jr. – ein Verschwörungs-Theoretiker

Wer ist nun Robert F. Kennedy Jr.? Wenn man seine Stimme hört, bekommt man den Eindruck, der Mann, leidet an Corona: so rau, so kratzig klingt sonst niemand, der sich aktuell noch um das höchste Amt im Staate bewirbt. Doch Covid-19 gibt es für Robert F. Kennedy Jr. gar nicht. Er ist nämlich ein Verschwörungstheoretiker - seit das Virus zum ersten Mal in den USA (und auch weltweit) aufgetaucht ist, behauptet der mittlerweile 70-jährige Sohn des gleichnamigen Präsidentschaftsbewerbers aus dem Jahre 1968, Covid sei eine Erfindung der Pharmaindustrie. Und er legte gleich noch abstruses drauf: das "Virus" verschone askenasische Juden und Chinesen und bevor Impfungen auf den Markt kommen, müssten sie erst getestet werden - so als ob es das nicht gab und gibt.

Es ist eine seltsame und seltene Mischung aus amerikanischem Polit-Adel und Ahnungslosigkeit, die mit dem Auftreten von Robert Kennedy das Rennen um das Weiße Haus noch unvorhersehbarer macht, als es ohnehin schon ist. Aus den ursprünglich zwei - oder wenn man den weißhaarigen Kennedy-Spross hinzuzählt - drei alten weißen Männern, sind nach dem Ausscheiden von Joe Biden noch zwei übrig geblieben. Und mit Kamala Harris ist plötzlich eine junge (oder vergleichsweise jüngere), dynamische Frau hinzugekommen. Das hat das Rennen völlig durcheinander gewirbelt, doch ein Unsicherheitsfaktor ist der gleiche geblieben: Robert F. Kennedy Junior.

Jacqueline Kennedy mit ihren Kindern Caroline and John Jr. und Robert F. Kennedy, dem Vater des nunmehrigen Kandidaten, nach der Ermordung von JFK
Jacqueline Kennedy mit ihren Kindern Caroline and John Jr. und Robert F. Kennedy, dem Vater des nunmehrigen Kandidaten, nach der Ermordung von JFK
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Die Dynastie steht gegen ihn auf

"Don’t run!" Fast einhellig reagierte der Kennedy-Clan, als der Sohn, Bruder, Cousin, Schwager, Neffe oder Enkel der einflussreichen, verzweigten Polit-Dynastie seine Absicht ankündigte, sich für das Weiße Haus zu bewerben. Dabei war es nicht die Sorge, er könnte das gleiche Schicksal erleiden, das schon seinen Vater und seinen Onkel hinweg gerafft hatte.

Am 23. November 1963 beendeten Schüsse das Leben und Wirken des begnadeten (und wie sich viel später herausstellte, keineswegs moralisch hochstehenden) Präsidenten John F. Kennedy. Auf der Fahrt zu einer Wahlkundgebung in der texanischen Stadt Dallas zielte der damals 24-jährige Lee Harvey Oswald aus einem Fenster der Stadt-Bücherei auf die Fahrzeugkolonne des Präsidenten. Kennedy erlag eine Stunde später seinen Schussverletzungen. Auch Oswald wurde am Tag danach bei der Überstellung in ein Gefängnis ermordet.

Am 6. Juni 1968 wurde dann Robert Kennedy, der Bruder des getöteten Präsidenten, das Opfer eines Anschlags: er war in der Nacht nach seinem Sieg bei den Vorwahlen in Kalifornien von einem Palästinenser, Sirhan B. Sirhan, umgebracht worden. Robert F. Kennedy Junior war damals 14 Jahre alt.

Es hätte auch nicht dieses traumatischen Ereignisses gebraucht, dass der Jungendliche sehr bald mit Drogen in Kontakt kam und beinahe nicht mehr auf den rechten Weg zurück fand. Tatsächlich schaffte er es doch und fand, wenn man so will, auf den linken Weg zurück. Er wurde eine Art grüner Aktivist, der gegen das in den USA beliebte "Fracking" von Erdöl oder gegen die Verschmutzung von Flüssen ankämpfte und Unternehmen verklagte, die, in welcher Form auch immer, die Umwelt vergifteten. Das führte sogar dazu, dass das Time-Magazin ihn einmal in einem Artikel mit der Überschrift "Ein Held dieses Planeten" ehrte.

Dauerfröhliches Duo: Kamala Harris mit Tim Walz, der im Falle eines Wahlsieges Vizepräsident werden soll
Dauerfröhliches Duo: Kamala Harris mit Tim Walz, der im Falle eines Wahlsieges Vizepräsident werden soll
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Der Wurm im Hirn

Spätestens als Chirurgen 2010 einen toten Wurm in Robert Kennedys Hirn fanden - wie er selbst immer wieder erzählte - wandelte sich seine Gesinnung. Einmal nannte er Palästinenser das durch internationale Hilfsorganisationen "meist unterstützte Volk in der Geschichte der Welt", ein anderes Mal erwiderte er auf den Vorwurf, er habe seine Babysitterin missbraucht: "Schauen Sie, ich bin kein Messdiener, ich habe so viele Skelette in meinen Abstellkammern, wenn die alle wählen könnten, könnte ich zum König der Welt kandidieren…" Das alles musste wohl seine enge Verwandtschaft geahnt haben, als sie ihm von der Kandidatur abrieten.

Und doch - viele Wähler und Wählerinnen fühlen sich von diesem Namen und wohl auch von seinen Ideen hingezogen. "Die Kennedys sind so etwas wie Könige in unserem Land, sie machen immer das Richtige," ist ein Unterstützer im Fernsehen zu hören. "Wenn Sie für ihn stimmen, dann werden sie in der Lage sein, ein Haus zu kaufen," begründet Katie Zimmerman, warum sie Kennedy unterstützt. "Er ist ein ehrlicher Kandidat, sagt immer die Wahrheit," meint Michael Rankin, der sich als Kennedy-Wähler ausgibt.

Genau das hören sie auch von Robert Kennedy: "Ich sage die Wahrheit, ich bin der einzige, der das tut - in einem betrügerischen System, das total dominiert wird von Sonderinteressen und 'dunklen Kräften…'" ohne diese genauer zu definieren. (Kurzer Einschub: kommt uns diese Wortwahl vor unseren Nationalratswahlen nicht ein wenig bekannt vor?)

Robert Kennedy Jr. lässt sich schwer ideologisch eingrenzen. Ist er nun ein Liberaler oder doch eher ein Konservativer? Seine Leugnung der Covid-Krankheit stellt ihn auf eine ähnliche Stufe wie viele Trump-Anhänger, nicht zuletzt sein Name und seine Vergangenheit als Vorkämpfer für industrielle Fehlentwicklungen machen ihn auch für Demokraten attraktiv. Der Bundesstaat Michigan ist ein gutes Beispiel für das Dilemma, vor dem die Wähler stehen. Dort liegen Donald Trump und Kamala Harris knapp beieinander. Wer in diesem Bundesstaat gewinnt, bekommt alle 16 Wahlmänner-Stimmen auf sein (oder ihr) Konto. Genau diese paar tausend Stimmen könnten  Harris nun zum Sieg fehlen – wenn Kennedy ins Trump-Lager wechselt.

Bekommt Ex-Präsident Donald Trump unvorhergesehene Unterstützung?
Bekommt Ex-Präsident Donald Trump unvorhergesehene Unterstützung?
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Spielverderber gab es schon mehrmals

In der jüngeren Geschichte erwiesen sich sogenannte "Third Party Candidates" bestenfalls als Spielverderber der einen oder anderen Partei, doch nie als ernsthafte Kandidaten für die Präsidentschaft. Zuletzt war es im Jahr 2000 Ralph Nader, der sich als Kritiker der US-Automobilindustrie landesweit einen Namen gemacht hatte, der dem Favoriten Al Gore gerade soviel Stimmen kostete, dass nicht Gore, sondern G.W. Bush zum Präsidenten gewählt wurde.

Mit Spannung erwartet wurde im Jahr 1992 auch das Abschneiden von Ross Perot. Er hatte sich mit "Electronic Data Systems" zum Milliardär gemacht, eine nicht unwesentliche Voraussetzung, um in einem US-Wahlkampf einigermassen mitspielen zu können. Perot trat damals gegen Präsident George W. Bush und den jungen, dynamischen Gouverneur von Arkansas, Bill Clinton, an. Am Ende gewann Ross Perot zwar keine einzige Wahlmänner-Stimme, doch mit seinen fast 20 Millionen Unterstützern hatte er dazu beigetragen, dass Bush das Weiße Haus verlassen musste.

Dazu wird es diesmal jetzt wohl nicht kommen. Nur eines ist sicher: die Etnscheidung von Robert F. Kennedy wird den Ausgang der Präsidentschaftswahlen 2024 in der einen oder der anderen Form mitbestimmen. Wie massiv, wird man wohl erst am Wahltag, oder jedenfalls knapp danach, erfahren.

* Aktualisiert

Eugen Freund war Moderator der ZiB 1, lebte von 1979 bis 1984 in New York und war von 1995 bis 2001 in Washington als ORF-Korrespondent tätig. Er war Teil der SPÖ-Delegation im Europa-Parlament und ebendort Mitglied der USA-Delegation (2014-2019)

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