EUGEN FREUND
"Wenn Trump verliert, droht den USA ein Bürgerkrieg"
Biden weg, nun soll es Kamala Harris richten. US-Experte Eugen Freund über gefährliche Parteitage, die USA am Abgrund und warum Begräbnisse eine Bedeutung haben.
Loslassen ist immer eine schwierige Angelegenheit. Vor allem im Alter. Denken sie nur an die eigene Familie: wie oft mussten sie Mutter oder Großvater erklären, dass das mit dem Autofahren einfach zu gefährlich geworden ist. Meiner hatte auch noch seinen Foxterrier am Schoß, zwischen Brust und Lenkrad, und sagte bei unserem entsprechenden Einwand: "Pittchen" (so hieß der Hund) "kann mindestens so gut lenken wie ich!"
Mit 88 war dann Schluss Wir nahmen ihm (dem Großvater, "Pittchen" war inzwischen gestorben) den Zündschlüssel weg. Und der Protest war gewaltig. Wie schwer muss es erst sein, wenn man von allen Seiten gesagt bekommt, dass man als Lenker der Supermacht USA zu alt geworden ist.
4 Stunden Arbeit am Tag, mehr ging nicht "Seine Unterschrift wurde immer zittriger, er konnte sich immer weniger und kürzer auf eine Sache konzentrieren." So schrieb Joseph Lelyveld über die letzten sechzehn Monate eines alternden Mannes im Weißen Haus. Nein, nicht über Joseph Biden, sondern über den Zweiten-Weltkriegs-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt. Einen Monat vor der Invasion der Alliierten an der französischen Küste konnte Roosevelt nur noch vier Stunden am Tag arbeiten.
Eine schwere Kaffeetasse als Trick Doch ohne soziale Medien und mit Hilfe einer damals noch hörigen Presse (im Vor-TV-Zeitalter) wusste die Mehrheit der Amerikaner über den schlechten Gesundheitszustand Roosevelts nicht Bescheid. Seine Frau und die Agenten des Secret Service schirmten ihn so ab, dass seine Kinderlähmung, der Bluthochdruck und sein Tremor in den Händen ("Man gab ihm eine schwerere Kaffeetasse in die Hand", schreibt Lelyveld) nicht so offensichtlich waren. Ein Wahlkampf ging sich gerade noch so schlecht wie recht aus, ein Jahr später starb Roosevelt - immerhin war der Krieg zu Ende.
Biden wollte nicht Sündenbock sein Acht Jahrzehnte später sah Joseph Biden alle Zeichen an der Wand - und wenn er sie nicht selbst gesehen hat, so beschrieben sie ihm seine Mitarbeiter mit deutlichen Worten: "Sie können die Wahl gegen Donald Trump nicht gewinnen, die Millionen-Spenden werden immer geringer und nun ist darüber hinaus noch zu befürchten, dass wir auch die Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus verlieren." Die Schuld dafür wollte Joe Biden nicht übernehmen. Und er verzichtete auf die Kandidatur.
Doch wie geht es nun weiter? Vielleicht hilft uns wieder einmal ein Blick in die Geschichte.
Die Kennedys als Spielverderber
Der Zufall will es, dass der Parteitag der Demokraten in Chicago abgehalten wird - so wie im Jahr 1968, als der damalige Präsident Lyndon B. Johnson im März überraschend ankündigte, sich nicht mehr zur Wahl stellen zu wollen. Sein schärfster Rivale, Robert F. Kennedy, der Johnson schon seit Monaten herausgefordert hatte, wurde im Juni desselben Jahres ermordet, zwei Monate davor war Martin Luther King, der schwarze Bürgerrechtler, Opfer eines Attentats.
Desaster zweite Wahl Die Stimmung war - ähnlich wie nach dem missglückten Anschlag auf Donald Trump - entsprechend aufgeheizt. Dazu kam der Vietnam-Krieg, den Johnson von seinen Vorgängern übernommen hatte, der jedoch für die USA immer mehr zu einem Desaster wurde. Das Team Hubert Humphrey (er war Vizepräsident unter Johnson) und Edmund Muskie überzeugte weder die Parteitags-Delegierten, noch im November die Mehrheit der Wähler. So kamen Richard Nixon und sein Kompagnon Spiro Agnew an die Macht.
"Offener Parteitag" als Gefahr Eine Lehre könn(t)en die Demokraten daraus ziehen: ein "offener Parteitag", also einer, der erst unter mehreren Kandidaten auf offener Bühne einen auswählt, birgt große Gefahren in sich. Wenn die Demokraten nicht rasch an einem Strang ziehen, sind die Wahlen schon verloren. Das lässt sich auch am Beispiel des Jahres 1980 erklären. Damals war es neuerlich ein Kennedy – Roberts Bruder Edward "Ted" Kennedy –, der Präsident Jimmy Carter die Wiederwahl streitig machte. Auch wenn es durchaus noch andere äußere Einflüsse gab (etwa die Iran-Geisel-Krise), der Parteitag der Demokraten war so gespalten, dass Carter schließlich die Wahlen gegen Ronald Reagan verlor.
Kamala Harris - zu wenig auf Begräbnissen
Zum Zeitpunkt, während ich diese Zeilen schreibe, deutet viel darauf hin, dass Bidens Vize Kamala Harris ins Rennen ziehen wird. Mit jeder Stunde meldet sich neue Unterstützung für sie - und neues Geld kommt bei der Tür herein. Zuletzt warf sich Nancy Pelosi, die einflussreiche, wenn auch nun Ex-Vorsitzende des Repräsentantenhauses, auf ihre Seite. Und die Spenden fließen auch deutlich in die Kasse der Demokraten - 81 Millionen Dollar waren es in den ersten 24 Stunden, nachdem bekannt geworden war, dass Joe Biden nicht mehr anritt (hier mehr dazu lesen).
Meinungsumfragen zu ihrer Person sind derzeit wenig aussagekräftig. Wie soll sie beurteilt werden, wenn sie bisher immer im Schatten des Präsidenten stand. Bevor sie also nicht als Spitzenkandidatin Wahl kämpft, können ihre Chancen nicht objektiv beurteilt werden.
Eugen Freund über "seine" USA
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Sie hatte allerdings in einem Aspekt auch Pech Während der Amtszeit Biden-Harris sind ausgesprochen wenig ausländische Potentaten gestorben, an deren Begräbnissen sie hätte teilnehmen können - wie es zu den Pflichten eines Vizepräsidenten gehört. Bei solchen feierlichen Anlässen kann man sich tatsächlich profilieren, nicht notwendigerweise gegenüber den Toten, doch immerhin gegenüber den anderen anwesenden hochrangigen Spitzenpolitikern, denen man zumindest die Hand schütteln oder mit denen man sich gar zu einem Zweier-Gespräch zusammensetzen kann (man denke nur an die schönen TV-Bilder, die solche Treffen hergeben …)
Plötzlich Nummer 1 Auf all das musste Kamala Harris verzichten und so blieb sie oft unter dem Radar. Ist sie nun tatsächlich die stärkste Kandidatin, die daran gemessen wird, ob sie Donald Trump schlagen kann? Eines kommt ihr jedenfalls zugute: In ihrem früheren Beruf war sie unter anderem Staatsanwältin, was grundsätzlich eine gute Ausgangslage ist, um einen mehrfach vorbestraften Konkurrenten verbal in die Schranken zu weisen. Und die "Kriegskasse" kann sie auch mühelos von Biden übernehmen, ein nicht zu unterschätzender Vorteil im US-Wahlkampf, der in die Milliarden Dollar geht.
Vize-Kandidaten werden überschätzt
Viel wird derzeit auch darüber geschrieben und gesprochen, dass es nicht zuletzt darauf ankomme, wen sie sich als Vizepräsidentschafts-Kandidaten (oder Kandidatin) an ihre Seite holt. Doch das sollte meiner Ansicht nach nicht überbewertet werden. Ich kenne keinen Bewerber, der es ins Amt geschafft hat, nur weil der Mann (oder die Frau) an seiner Seite so geglänzt hat.
Zwei Frauen? In den USA undenkbar Am ehesten war es noch umgekehrt: Sarah Palin hatte als Vize des Republikaners John McCain eine so unglückliche Figur gemacht, dass sie sogar den sehr geachteten Senator mit in die Tiefe riss. Das einzige, was ein Vizepräsidentschafts-Kandidat mitbringen kann, sollte und muss, ist sein Heimatstaat. Wenn der oder die (auch wenn es mehr als zweifelhaft ist, dass das Ticket aus zwei Frauen bestehen kann) aus einem umkämpften Bundesstaat kommt, der für den Wahlausgang entscheidend sein könnte, wäre das schon ein Asset.
Facht Verlierer Trump einen Bürgerkrieg an?
Mit der Vorhersage vom vergangenen November (die ich dann auf Newsflix im März noch einmal bestätigt habe), dass Joe Biden nicht der "gesetzte Kandidat" sein wird, habe ich mich weit aus dem Fenster gelehnt. Jetzt vorauszusagen, wer die Wahlen gewinnen wird, könnte einen Fenstersturz bedeuten.
Trump wird nicht aufgeben Auf eine Wahrscheinlichkeit (ich bin vorsichtig geworden) möchte ich jedoch auf jeden Fall hinweisen, auf etwas, das derzeit kaum diskutiert wird: sollte Trump verlieren, geht der Kampf erst richtig los. Und sollte er noch dazu gegen eine schwarze (!) Frau (!) verlieren, wird Trump - wie schon bei seiner Niederlage gegen Biden - alle Register ziehen, um dieses "schändliche, auf Betrug beruhende" Wahlergebnis in Frage zu stellen.
Und "alle Register" wird dann auch den Sturm auf das Capitol, wie er ihn im Jänner 2021 anheizte, erblassen lassen. "Civil War" bleibt dann nicht nur ein Filmtitel, der heuer die Kinosäle und damit die Kassen füllte, der "Bürgerkrieg" kann dann sehr leicht von der Leinwand in Teile der amerikanischen Gesellschaft überspringen.
Eugen Freund war Moderator der ZiB 1, lebte von 1979 bis 1984 in New York und war von 1995 bis 2001 in Washington als ORF-Korrespondent tätig. Er war Teil der SPÖ-Delegation im Europa-Parlament und ebendort Mitglied der USA-Delegation (2014-2019)