Täter in Haft
Ministerpräsidentin über Angriff: "Er hat mich geohrfeigt"
Mette Frederiksen nimmt sich Auszeit mit Familie. Attentäter stammt aus Polen, spricht kein Dänisch und sitzt nun in U-Haft.
Am Donnerstag hatten die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und ihr Ehemann Bo Tengberg noch an den Feierlichkeiten zum D-Day in der Normandie teilgenommen. Einen Tag darauf wurde die Sozialdemokratin in der Innenstadt von Kopenhagen von einem Mann attackiert. Was man inzwischen zum Vorfall weiß:
Wie geht es Frederiksen?
Sie ist noch nicht öffentlich aufgetreten. In einer schriftlichen Botschaft teilte sie am Samstag mit: "Ich bin traurig und erschüttert über die Ereignisse, bin aber ansonsten bei guter Gesundheit. Ausnahmsweise brauche ich Frieden. Sowohl für Körper, als auch für Seele. Ich muss bei meiner Familie sein und für eine Weile ich selbst sein", heißt es darin. Sie sei dankbar für die Grüße und die Unterstützung, die sie erhalten hat.
Was weiß man über den Täter?
Er ist 39 Jahre alt und lebt seit 2019 in Dänemark. Er spricht aber die Landessprache nicht, sondern polnisch. Bei seiner Anhörung hatte er einen Dolmetscher bei sich. Er hat ein Zimmer in Brøndby Strand gemietet, einem Bezirk im Großraum Kopenhagen.
Wo fand die Attacke statt?
Am Kulturvorvet, einem Platz in der Altstadt der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Die Gegend ist sehr belebt, es gibt viele Lokale und Kaffeehäuser. Die Ministerpräsidentin wohnt in der Nähe, geht auch hier gerne spazieren.
Wann griff der Mann an?
Frederiksen hatte am Freitag mit Christel Schaldemose Wahlkampf gemacht hat, sie kandidiert für die Sozialdemokraten für das Europaparlament. Der Angriff hat aber danach stattgefunden. Gegenüber dem Fernsehsender TV2 gibt Schaldemose an, dass sie sich um 17.30 Uhr getrennt hätten. Etwa um 17.45 Uhr war Frederiksen zuletzt in den sozialen Medien aktiv. Sie berichtete über einen gemeinsamen Besuch mit Schaldemose in einer Berufsschule. Der Angriff fand um 17.49 Uhr statt.
Was passierte danach?
Frederiksen unterhielt sich auf dem Platz mit ein paar Leuten, der Attentäter kam von der anderen Seite auf sie zu. Aus dem Nichts heraus verpasste er ihr mit der Faust einen starken Schlag auf den Oberarm. Ein Zeuge hörte die Premierministerin sagen: "Er hat mich geohrfeigt. Mein Nacken tut weh, und es tut weh." Die Politikerin taumelte zur Seite, stürzte aber nicht auf den Boden. Das Büro des Premierministers teilte am Samstagmorgen mit, dass der Schlag ein leichtes Schleudertrauma verursacht habe. Sie sei ins Rigshospitalet gebracht worden.
Gibt es Augenzeugen?
Der Betreiber des Café Kulbar sah die Politikerin um 17.55 Uhr, offenbar unmittelbar nach der Attacke. Sie war in Begleitung einer Frau, wirkte nicht verletzt, aber schockiert. "Sie setzte sich, begrüßte ihre Freundin, es vergingen 30 bis 40 Sekunden, vielleicht sogar noch weniger, dann stürmten drei oder vier PET-Männer in Anzügen herbei", sagte er der Zeitung "Berlingske". Der Kaffeehausbetreiber sah dann, wie Frederiksen zu einem Auto geführt wurde, das mit hoher Geschwindigkeit wegfuhr. Bei PET handelt es sich um den Inlandsgeheimdienst Dänemarks.
Was weiß man über das Motiv?
Das ist eher rätselhaft. Der Verdächtige wurde am Samstag dem Bezirksgericht Kopenhagen vorgeführt. Er erschien in einer grauen, bis zu den Knien hochgezogener Jogginghose und in weißen Turnschuhen. Er erklärte, dass er Mette Frederiksen für eine "wirklich gute Premierministerin" halte. Er habe sie auf der Straße erkannt, an die Tat selbst habe er kaum Erinnerungen. Aus der Polizeianhörung ist zu entnehmen, dass er schwer alkoholisiert war und unter dem Einfluss euphorisierender Drogen stand.
Was sagt die Polizei?
Der Angriff auf Mette Frederiksen am Freitag in der Innenstadt von Kopenhagen wurde von der Polizei sofort als "einzelne, spontane Tat" gewertet. Sie geht derzeit nicht davon aus, dass der Vorfall politisch motiviert war. Der Verdächtige musste nach der Festnahme wegen seiner Trunkenheit von Beamten gestützt werden. Während des Gesprächs mit dem Festgenommenen stellte der Arzt fest, dass er verbal ausfälliger und aggressiver wurde. Der Mann musste gewaltsam in den Untersuchungsraum gebracht werden.
Was passiert nun mit dem Attentäter?
Der Richter verhängte U-Haft zumindest bis zum 20. Juni.
Wie reagierte Frederiksen?
Sie sagte geplante Teilnahmen an Veranstaltungen am Samstag in den Städten Herlev, Rødovre, Roskilde, Holbæk und Slagelse ab.
Wie lauteten die politischen Reaktionen?
Sie fielen umfangreich aus. Weitgehend alle politischen Lager in Dänemark zeigten sich entsetzt über den Vorfall und drückten Frederiksen gegenüber ihr Mitgefühl aus. "Wir hatten eine der zugänglichsten und offensten Demokratien. Mit Raum für Meinungsverschiedenheiten ohne Gewalt. Das alles steht auf dem Spiel", schrieb Sofie Carsten Nielsen, Fraktionsvorsitzende der linksliberalen Partei Radikale Venstre.
Gab es auch internationale Reaktionen?
Ja, viele, angesichts der laufenden EU-Wahl zeigte sich Europa betroffen von dem Vorfall. "Liebe Mette, ich war so schockiert über die Nachricht, dass du heute Abend angegriffen wurdest", schrieb Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter. "Ich verurteile diese verabscheuungswürdige Tat, die allem zuwiderläuft, wofür wir in Europa glauben und kämpfen. Ich wünsche dir Kraft und Mut – ich weiß, dass du von beidem reichlich hast."
Wer ist Mette Frederiksen?
Die Sozialdemokratin ist seit 2019 dänische Ministerpräsidentin, mit 41 kam sie als jüngste Ministerpräsidentin aller Zeiten ins Amt. Sie wurde im norddänischen Ålborg geboren, noch während ihres Masterstudiums (Afrikawissenschaften) zog sie ins Parlament ein, da war sie erst 24 Jahre alt. 2011 wurde Frederiksen Arbeitsministerin, 2014 Justizministerin, 2015 Parteivorsitzende der Sozialdemokraten. Sie ist in zweiter Ehe mit dem Kameramann Bo Tengberg verheiratet, aus ihrer ersten Ehe hat sie zwei Kinder.
Womit wurde Frederiksen bekannt?
Mit ihrem für Linke ungewohnt harten Asyl- und Migrationskurs. 75 Prozent aller Dänen seien für eine harte Ausländerpolitik, sagte sie. "Mit einem linken Kurs wären somit keine Mehrheiten zu gewinnen." Seit April 2021 schiebt Dänemark abgelehnte Asylwerber auch nach Syrien ab. Asylwerber haben auch keinen grundsätzlichen Anspruch mehr auf ein Asyl-Prüfverfahren. Im Gegenzug fährt Frederiksen einen eher linken Kurs in der Sozialpolitik und lässt Konzerne hoch besteuern.