Nach Kickl-Aus
Regierung im Blitztempo? "Das glaube ich in 100 Jahren nicht"
Hat der Bundespräsident richtig gehandelt? Oder Herbert Kickl zum Märtyrer gemacht? Schaffen ÖVP und SPÖ wirklich eine Regierung und das vielleicht sogar blitzschnell? Meinungsforscher und Polit-Experte Peter Hajek analysiert die Lage.
Es war keine Überraschung mehr, überraschte aber dann doch. Alexander Van der Bellen beauftragte am Dienstag Karl Nehammer mit der Bildung einer Regierung und nicht den Wahlsieger Herbert Kickl. Peter Hajek ist Demoskop (lieferte die genaueste Prognose der Nationalratswahl) und TV-Experte. Im Podcast-Interview schätzt er die politische Situation ein und erklärt, was nun passieren wird. Hier die wichtigsten Passagen. Peter Hajek über:
Warum seine Prognose vor der Nationalratswahl so treffsicher war
Es gibt einen Spruch in der Branche: Mit Meteorologen und Wirtschaftsforschern nehmen wir es noch alleweil auf. Ich glaube tatsächlich, dass die ganze Branche immer sehr, sehr gut liegt. Wir hatten diesmal das Glück, noch genauer als die Kolleginnen und Kollegen zu sein.
Das Podcast-Interview mit Peter Hajek
Ob Astrologie und Meinungsforschung verbindet, dass beide die Glaskugel als Referenzobjekt haben
Ja, aber ich will die Wirtschaftsforscher nicht aus der Verantwortung entlassen, manchmal ist es bei ihnen ja auch ganz anders. Aber Sie haben dann oft die fundierteren Erklärungen. Mittlerweile wurde wahnsinnig viel Aufklärungsarbeit betrieben und die Menschen kennen sich, was Umfragen betrifft, heute deutlich besser aus als früher. Bei der Wirtschaftsforschung blickt kein Mensch durch.
Ob der Bundespräsident eine kluge Entscheidung getroffen hat
Wir wissen das alle nicht. Man muss es unterteilen: Der Bundespräsident hat möglicherweise das getan, was möglich und sinnvoll war im Sinne schnellerer Verhandlungen. Das ist das eine. Und er hat dafür gesorgt, dass er jemanden mit der Regierungsbildung beauftragt, bei dem die Chancen größer ist, dass er eine Regierung zustande bringt.
Ob er das Richtige gemacht hat
Wenn man es politisch taktisch sieht, hat er aus Sicht vieler nicht das Richtige gemacht. Weil man hätte ja sagen können: Lieber Herr Kickl, probieren Sie es halt einmal. Und dann hätte Herbert Kickl zurückkommen müssen und sagen, mit mir spricht niemand.
Warum ein Scheitern erwartbar war
Es gibt eine sehr interessante Argumentation von Seiten der Freiheitlichen, zuletzt von Norbert Hofer in der ZiB 2. Er hat gesagt, naja, da wird man sehen, ob dann was entsteht. In Verhandlungen und Gesprächen kann man darauf kommen, dass es doch Überschneidungen gibt und vielleicht das doch probieren will. Das war ein Gedankenfehler, weil so weit wäre Herbert Kickl nicht gekommen. Karl Nehammer und Andreas Babler hätten ihm die Tür gewiesen. Sie hätten gesagt: Sie bekommen nicht einmal einen Termin bei uns.
Wie also die Bilanz ausfällt
Grundsätzlich finde ich, wenn man es staatspolitisch betrachtet, hat das der Bundespräsident sehr ordentlich gemacht.
Ob eine Rolle spielte, dass es die letzte Amtszeit von Van der Bellen ist
Ich glaube erstens, er wollte vielmehr verbindend wirken. Also ich unterstelle ihm das jetzt einmal. Und zwar im Sinn von: Liebe freiheitliche Wählerschaft, ich grenze eure gewählte Vertretung nicht aus. Sondern wir schauen noch einmal, ob sich hier Möglichkeiten ergeben.
Und zweitens?
Er wollte von den drei Akteuren hören, dass es nicht geht. Es ist damit nicht seine Entscheidung. Er kann immer darauf verweisen, er habe zu den drei Parteichefs gesagt: Bitte reden Sie miteinander. Alle drei seien zurückgekommen und hätten gesagt, dass keine Gespräche stattfinden können. Und damit ist die Geschichte erledigt.
Ob Kickl damit zum Märtyrer wird
Naja, mein Gott, ja. Aber ganz ehrlich, insbesondere in freiheitlichen Wählersegmenten kann Alexander Van der Bellen tun und lassen, was er will, es wird immer kritisch betrachtet werden. Und es ist jetzt nicht die Aufgabe des Bundespräsidenten, politisch-taktisch zu agieren. Ja, natürlich macht er ihn ein bisschen zu einem Märtyrer, aber Populisten haben es meistens sehr, sehr einfach. Sie kommen aus fast jeder Situation heraus. Insofern hat sich Van der Bellen für das Staatsmännische entschieden.
Ob die Kritik nicht quer durch alle Parteien geht
Ja, aber die Kritik ist immer dieselbe. Zum Beispiel Christopher Drexler, Landeshauptmann der Steiermark. Er hat gesagt, er hätte das beibehalten, diese Usance, damit Herbert Kickl scheitert. Es ist eine politisch-taktischen Kritik.
Warum Herbert Kickl relativ moderat reagiert hat
Das ist irgendwie klar. Er hat sich für die Rolle des Bundeskanzlerkandidaten entschieden, diese staatstragende Rolle muss er jetzt einmal beibehalten. Dementsprechend kann er nicht wie ein Oppositionspolitiker mit dem rhetorischen Bi-Händer hineingehen, sondern jetzt ist er auf der Florett-Ebene angekommen. Jetzt rufen sicher wieder ein paar Fechter an, dass es sich um einen Degen handelt.
Das Gute beim Podcast ist, dass niemand anrufen kann…
Aber nachher.
Wie das Land die Entscheidung findet, Kickl nicht mit der Regierungsbildung zu beauftragen
Der größere Teil findet es in Ordnung, ich würde einmal sagen, es ist in einem Verhältnis von 7 zu 3 pro Van der Bellen. Aber mit einem hat Kickl natürlich recht, indem er gesagt hat, hier ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Weil er weiß, so einfach wird das für die zwei oder drei bei den Regierungsverhandlungen nicht werden.
Welchen Vorteil Kickl hat
Zeit. Er hat, egal in welcher Situation er sich gerade befindet, wahnsinnig viel Zeit. Er kann in eine Regierung, er muss nicht in eine Regierung. Er kann sich jetzt anschauen, wie beide Parteien, ÖVP und SPÖ, versuchen, hier eine Regierung zustande zu bringen. Und wenn er in die Opposition geht, dann hat er nochmals Zeit.
Welche Koalition sich Österreich wünscht
Wir haben die letzte Frage dazu vor der Wahl noch gestellt. Aber ich glaube, dass eine Mehrheit schon für ÖVP-SPÖ ist. Wobei in der ÖVP-Wählerschaft jeder Zweite sagt: Also man kann sich das schon vorstellen mit den Freiheitlichen.
Ob es jetzt Blitzverhandlungen und einen Abschluss vor der Steiermarkwahl am 24. November gibt
Also das ist glaube ich in hundert Jahren nicht. Ich wette zehn Euro dagegen. Nein, nein, nein. Tatsächlich sind die Hürden zwischen den beiden möglichen Partnern sehr, sehr hoch.
Es sind eigentlich drei Partner nötig…
Die dritte Partnerin ist kein Problem. Es ist egal, ob NEOS oder GRÜNE. Die ÖVP und die SPÖ müssen sich auf eine Reformagenda einigen. Und wenn die beiden ein wirklich gutes Paket haben, wird der Dritte kein Thema sein.
Untereinander verhandeln und dann jemand Dritten ins Boot holen, ist das nicht unhöflich?
Ich kann mit einer dritten Partei schon Gespräche führen. Aber es macht keinen Sinn, sich zu dritt an den Tisch zu setzen. Es gibt halt einmal zwei größere Partner und man weiß ja, was NEOS möchte und man weiß auch, was eine Grünpartei wollen würde. Also so schwer ist das nicht und das kann man ja auch signalisieren.
Wie denn?
Man kann zur Beate Meinl-Reisinger hingehen und sagen, wartet ihr bitte einmal. Wir wissen, ihr steht Gewehr bei Fuß, aber wir müssen zuerst die ganz großen Linien klären. Wenn zwischen den beiden größeren Parteien die großen Linien nicht geklärt sind, dann brauche ich mit dem Dritten gar nicht anfangen.
Ob die SPÖ nicht ziemlich die Hosen runterlassen muss, Erbschaftssteuern, Vermögensteuern, Migration, da hat sich Andreas Babler ziemlich eingegraben
Ja, das war natürlich wahnsinnig.
Kann er das alles über Bord werfen?
Nein, aber vielleicht macht's wer anderer für ihn.
Also, Wien zum Beispiel
Es gibt das böse Gerücht, dass die Wiener SPÖ gar nicht so erpicht darauf ist, eine Koalition mit der ÖVP zu bilden. Weil Wien, als Gegenpol zu einem schwarzblauen Land – fast schon wie in den 1920er und 1930er Jahren –, das hätte schon einen wahltaktischen Charme. Aber ich glaube, dass die Pragmatiker in Wien, Michael Ludwig und auch die Gewerkschaft, versuchen werden, Andreas Babler nicht zu drängen, aber zu "begleiten" auf diesem Weg.
Warum er nicht glaubt, dass Migration ein Streitthema wird
Weil sich pragmatische Köpfe in der Sozialdemokratie durchsetzen könnten, die sagen, wir haben hier tatsächlich ein Thema. Und das ist ja ganz leicht zu beheben, indem man sagt: Wir machen auf der einen Seite eine restriktivere Zuwanderungs- und Asylpolitik. Und auf der anderen Seite ordentliche Integrationsprogramme.
Was dann die Knackpunkte sind
Die großen Themenbereiche sind eben Steuern. Dazu haben wir den Bildungsbereich, wir haben den Gesundheitsbereich, der wirklich im Argen liegt und dort helfen mir keine neuen Steuern. Das sind Strukturprobleme, die ich angehen muss.
Wie das Steuerthema harmonisiert werden könnte
Wenn ich die ÖVP bin, gehe ich zur SPÖ und sage, also passt auf: Die Vermögensteuer, die könnt ihr bitte vergessen, das ist problematisch bei Unternehmen. Aber wir sind nicht ganz ablehnend bei einer Erbschaftsteuer. Aber wir müssen beim Faktor Arbeit zuerst runter mit Steuern und Abgaben. Und wenn wir, jetzt sage ich halt irgendeine Zahl, bei der Abgabenlast nicht mehr bei 42 Prozent liegen wie jetzt, sondern den Wert 36 Prozent erreicht haben, dann greift eine Erbschaftssteuer. Das heißt, ich offeriere etwas, ich versuche den anderen abzuholen.
Ob wir zu Weihnachten eine Regierung haben
Das weiß kein Mensch.
Peter Hajek ist Geschäftsführer und Eigentümer von "Unique Research", promovierter Politikwissenschafter und akademisch geprüfter Markt- und Meinungsforscher. Beschäftigt sich seit 25 Jahren mit empirischer Sozialforschung. Lehraufträge an Universitäten, Fachhochschulen