Kopfnüsse

"Stell Dir vor, es ist Regierung und keiner geht hin"

Was, wenn niemand will? Nehammer nicht Steigbügelhalter für Kickl sein möchte? Babler nicht Steigbügelhalter für Nehammer? Weil Opposition Pferdemist ist, eine Sparpaket-Regierung aber noch viel pferdemistiger? Über die neuen Rösselsprünge zur Macht.

Noch-nicht-Kanzler Herbert Kickl nennt den Kanzler "Noch-Kanzler"
Noch-nicht-Kanzler Herbert Kickl nennt den Kanzler "Noch-Kanzler"
Helmut Graf
Newsflix Kopfnüsse
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Manchmal im Leben lichten sich die Nebel, manchmal nebelt sich auch nur das Licht ein. An diesem Moment der Geschichte stehen wir jetzt. Eine neue Regierung ist immer weniger gut auszumachen.

Vielleicht müsste der Bundespräsident die Parteispitzen nun mit einer anderen Art von Gesprächen beauftragen, man könnte sie Nebelkerzen nennen: Ein paar Nebelleuchten setzen sich auf Nebelbänken zusammen, essen eine Nebelsuppe, trinken sich einen Nebelfetzen an und reden so lange miteinander, bis sie Nebellichter am Ende des Tunnels sehen.

Mit KI-Stimme: "Stell Dir vor, es ist Regierung und keiner geht hin"

Es passte, dass mir dieser Tage wieder einmal die Geschichte von Sam Bartram unterkam, ich weiß gar nicht mehr wo und warum. Bartram war Tormann von Charlton Athletic. Am 25. Dezember 1937 spielte er mit seinem Team auswärts bei Chelsea, als in London dichter Nebel einfiel. Charlton Athletic war überlegen, führte 1:0, Bartram hatte wenig zu tun und deswegen fiel ihm nicht auf, dass bald auch andere nur mehr wenig zu tun hatten.

In seiner Autobiographie "The Story of a Goalkeeping Legend" beschrieb er, was passiert war. Zunächst einmal eine Viertelstunde lang nichts. "Irgendwann sah ich eine Person aus dem Dickicht auf mich zukommen", erinnerte er sich. Aber es war kein gegnerischer Stürmer, sondern ein Polizist. "Er hat mich gefragt, was ich da mache." Was Bartram nicht wusste: Der Schiedsrichter hatte das Match 15 Minuten davor abgebrochen und die Spieler in die Kabinen geschickt. Auf den Tormann war im Nebel vergessen worden.

Vielleicht endet auch Österreichs Regierungsbildung diesmal so. Der Bundespräsident bricht sie ab, die Verhandler bekommen es nicht mit, der Nebelvorhang fällt.

Torhüter Sam Bartram in einem Match, in dem er nicht vom Nebel verschluckt wurde
Torhüter Sam Bartram in einem Match, in dem er nicht vom Nebel verschluckt wurde
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Auch bei Herbert Kickl ging es diesmal um Sport, gleich zwei Mal, die Nebel lichteten sich dadurch nur bedingt. Der FPÖ-Chef hatte sich einen Tag Zeit gelassen, um am Mittwoch darüber zu referieren, wie er, der Bergsteiger, das Gespräch mit Karl Nehammer, dem Boxer, empfunden hatte. Richtig schlau wurde man daraus nicht. Er habe den Kanzler, den er abwertend "Noch-Kanzler" nannte, "in gewisser Weise emotional beleidigt erlebt", sagt Kickl. Auf die Idee, das eine könnte mit dem anderen zusammenhängen, kam er nicht.

Kickl hatte für 12 Uhr zur "Nachlese zum Gespräch mit Karl Nehammer" geladen. Anders als der Bundespräsident kam er damit Rudi Fußi nur ein bisschen in die Quere. Die neue Zukunftshoffnung der Sozialdemokratie präsentierte um 13 Uhr seine "Neue Asyl- und Migrationspolitik samt Koalitionsbedingungen" und das ungefragt.

Warum bloß? Er habe den Kanzler "in gewisser Weise emotional beleidigt erlebt", sagte Kickl.
Warum bloß? Er habe den Kanzler "in gewisser Weise emotional beleidigt erlebt", sagte Kickl.
Helmut Graf

Dem Wunschkandidaten von sich selbst auf den SPÖ-Vorsitz fehlt zwar noch die Partei für die Umsetzung seiner Ideen, aber vielleicht zäumt Österreich das Pferd diesmal von hinten auf. Es werden Regierungsprogramme erarbeitet und diese Regierungsprogramme suchen sich erst danach die passenden Parteien für den Vollzug aus. Vielleicht sogar unter Zuhilfenahme von KI.

Das kam am Mittwoch zum Vorschein, als der Wunschkandidat von sich selbst erklärte, wie er die Flüchtlingsproblematik aus der Welt schaffen will. Mit Liebe. Als Gegenprogramm zu Angst, Hass, Nieder- und Zwietracht, das Einzige, was die FPÖ stark mache, sagte Fußi. "Wie immer geht es um die Frage, ob sich der Hass oder die Liebe durchsetzt." Über diese Schiene hat es Kickl bei Nehammer noch nicht versucht.

Politberater Rudolf Fußi: "Kickl hat bisher beim Thema Migration keinen Gegner gehabt, jetzt ist er da, und was für einer"
Politberater Rudolf Fußi: "Kickl hat bisher beim Thema Migration keinen Gegner gehabt, jetzt ist er da, und was für einer"
Helmut Graf

Bei aller Liebe: Für den FPÖ-Chef verschob der "Neue Rote" seinen Auftritt diesmal nicht, er wirkte auch nicht "emotional beleidigt", sondern eher emotional aufgeladen. Man merkte an diesem Mittwoch, dass Fußi ein großer Fan von sich selbst ist. Am Ende wird er alle 14.000 Unterstützung-Erklärungen für sich eigenhändig unterschreiben und nicht verstehen, warum die SPÖ sich dadurch "emotional beleidigt" fühlt.

Seine Asylpläne stellte er nicht einfach so vor, er erhob sie zur "Koalitionsbedingung", der sich ÖVP und NEOS zu fügen hätten, ohne überhaupt mit Fußi in Verhandlungen eingetreten zu sein. Die illegale Migration soll auf null gesetzt werden, im Gegenzug sollten 5.000 Zuwanderer jährlich legalen Zugang zu Österreich erhalten. Kickl habe bisher beim Thema Migration keinen Gegner gehabt, "jetzt ist er da, und was für einer", sagte Fußi und meinte sich. "Der Abstieg der Freiheitlichen Partei beginnt heute."

Faust auf Faust: Bergsteiger Herbert Kickl sieht sich mit Boxer Karl Nehammer sportlich verbunden
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Helmut Graf

Der Abstieg der FPÖ begann dann tatsächlich damit, dass sie Mappen austeilte, schwarze und blaue, "damit sich niemand benachteiligt fühlt", sagte Kickl. Die neue Wokeness reißt jetzt auch das freiheitliche Lager mit sich. Bei der nächsten "Nachlese" wird Kickl vermutlich schon per Glottisschlag gendern.

Diesmal war alles noch etwas verschult. In den ausgeteilten Mappen fand sich der erste Entwurf eines Regierungsprogrammes, die Lernziele waren als Punktationen angeführt, dazu wurde ein Stundenplan mitgeliefert. Ausmalen musste man ihn nicht mehr, das hatte der Klassenstreber schon erledigt.

Lass dich drücken, Karl! EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola in Wien ...
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Sabine Hertel

In der Kickl-Klasse werden sechs Gegenstände unterrichtet, "Wirtschaft und Standort", "Arbeit und Leistung", "Asyl und Zuwanderung", "Gesundheit und Pflege", "Sicherheit und Neutralität", "Demokratie und "Medien". Unterrichtsort ist immer das Parlament. Das Programm ist recht dicht, schon am kommenden Montag soll es losgehen, am 14. November ist Prüfungsschluss, dann soll die blau-türkise Koalition stehen. Die Wochenenden und Allerheiligen sind frei.

Dem Regierungsprogramm fehlt nur noch Entscheidendes: Jemand für die Zweitunterschrift. Aber Nehammer verweigert sich.

Das ist inzwischen auch Kickl aufgefallen. Ihn scheint die brüske Zurückweisung durch den Kanzler beim einstündigen Gespräch am Dienstag erstaunt zu haben. Zumal der FPÖ-Chef jetzt seit rund einer Woche mit ausgestreckter Hand dasteht. Das ist selbst für geübte Bergsteiger mit der Dauer schmerzhaft.

... ein Küsschen vom Kanzler links ....
... ein Küsschen vom Kanzler links ....
Sabine Hertel

Es war jetzt nicht so, dass Kickl der Samtpfötigkeit anheimgefallen war, aber er beleidigte Nehammer etwas weniger als sonst. Natürlich, er unterstellte ihm, am "geliebten Kanzlerposten" zu hängen, ein "beleidigter Wahlverlierer" zu sein, "Stehsätze" zu fabrizieren, unbeweglich zu sein, den Text über das Gespräch mit ihm schon vor dem Gespräch geschrieben zu haben. Aber dann las er sein "Regierungsprogramm" vor und es war eigentlich das Regierungsprogramm der ÖVP.

Er sei Optimist, er glaube noch an eine Zusammenarbeit, aber so wirklich glaubt er nicht mehr daran, das war zu spüren. Nehammer gebe ihm keine Chance auf einen zweiten Termin, sagte Kickl, "er will die Verhandlungen nicht, weil er Angst hat, dass sie zu einer Einigung führen".

Also Ampel? Mit falschen Farben zwar, aber eine Dreierkoalition eben aus ÖVP, SPÖ und NEOS? Kickl sieht das als so gut wie beschlossen an. "Die ÖVP hat sich der SPÖ ausgeliefert. Das Ganze: Links um!"

... ein Küsschen vom Kanzler rechts ...
... ein Küsschen vom Kanzler rechts ...
Sabine Hertel

Am Mittwoch redeten Karl Nehammer und Andreas Babler wieder miteinander, es war der zweite Termin, diesmal kam er auf Wunsch des Bundespräsidenten zustande. Das Treffen diente dazu, sich besser kennenzulernen, hieß es danach, nachdem schon das erste Treffen dazu gedient hatte, sich besser kennenzulernen. Irgendwann wird das schon klappen.

Aber der Umgang war anders. Lückenlose Diskretion, keine Inhalte, die kommuniziert wurden, keine Pressekonferenzen. Niemand da wie Kickl, der Zeitpunkt des Gesprächs, die Länge und die Inhalte ausplauderte, gegen alle Absprachen. Der Termin zwischen Babler und Nehammer war von Dienstag auf Mittwoch verschoben worden. So what? Sagen beide Seiten.

Eine Koalition muss daraus noch lange nicht werden, sie hätte auch kein leichtes Leben. Zu sparen, zu kürzen, zu sanieren, die Förderungen einzufangen, das ist schon mit einer absoluten Mehrheit kein Honigschlecken. Mit drei Parteien, die jeweils vollkommen unterschiedliche Wählergruppen beibringen müssen, dass es kein Geld mehr gibt, stellt es das Gegenteil einer süßen Versuchung dar.

... na schau, hat ja nicht ganz schlecht geklappt!
... na schau, hat ja nicht ganz schlecht geklappt!
Sabine Hertel

Kickl redete die SPÖ in eine erhabene Position. Sie könne der Volkspartei nun die Inhalte diktieren. Das ist wohl Wunschdenken. Babler wird sich von vielem verabschieden müssen, von den Vermögenssteuern sicher, von den Erbschaftssteuern mutmaßlich. Es werden ein paar Maßnahmen übrigbleiben, mit denen Besserverdiener gezwickt werden, aber es wird eher fürs Auge sein.

Verweigern aber, das kann sich die SPÖ schwer leisten. Weniger weil Opposition eine Gymnastikübung für sie ist, bei der sie über den Purzelbaum nie hinauskommen wird. Sondern, weil sie den Freiheitlichen das Land nicht überantworten will. So simpel ist das.

Jetzt ist aber einmal der Bundespräsident am Zug. Er wird am Freitag die Spitzen der drei stimmenstärksten Parteien zu neuerlichen Gesprächen einladen, sie werden Anfang der Woche stattfinden. Mein Tipp (ohne Gewähr): Er wird danach Karl Nehammer mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen, und das damit begründet, dass er bei Kickl keine Chance auf eine Koalition sieht. Wir werden wieder etwas von verlorenen Kilometern hören, die nicht verloren werden sollten.

Ob Österreich dann tatsächlich erstmals eine Regierung aus drei Parteien erhält, steht in den Sternen, dafür brauche ich gar keine Astro-Show. Die ÖVP kann mitten in den Verhandlungen immer noch abspringen. Eine Hand wird weiter ausgestreckt warten. Auch wenn es noch mehr weh tut.

Ich wünsche einen Donnerstag ohne emotionale Beleidigungen. Und ohne Nebel. Bis in einer kleinen Weile!

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