Schwarzer grüner Tag
Schilling-Affäre: Rücktritt möglich, aber sinnlos
Eine "Standard"-Enthüllung über "problematisches Verhalten" bringt die grüne EU-Spitzenkandidatin in Bedrängnis. Was dahinter steckt.
Am Dienstag um 16.30 Uhr hatten es die Grünen noch lustig. Auf dem Wiener Karlsplatz startete die Partei unter Palmen in den EU-Wahlkampf, alle Spitzenfunktionäre kamen und hatten besteste Laune mitgebracht. Das passte gut zu den Wahlplakaten, denen das Herz übergeht. "Klima braucht Herz", "Europa braucht Herz", "Herz gegen Hetze" lauten die Slogans. Auf der Bühne und im Publikum wurden mit den Händen Herzen geformt, die Botschaft war überbracht.
Parteichef Werner Kogler gab in schwarzer Lederjacke den Einpeitscher, er hatte viel Lob für Lena Schilling über, sie sei die ideale Kandidatin vor allem für die Jungen. Eine halbe Million Stimmen, etwa so viel wie beim letzten Mal, soll die Lobau-Aktivistin für die Partei einfahren. Ob sie nicht zu jung, zu weiblich, zu unerfahren sei, keine Frage habe sie bisher häufiger gestellt bekommen, sagte Schilling und gab sich dann selbst diese Antwort: "Auch den Scheiß werden wir ihnen beweisen."
Exakt zwei Stunden später war dann wirklich die Kacke am Dampfen, um im grünen Sprachbild zu bleiben. Der "Standard" veröffentlichte auf seiner Webseite eine lange Geschichte, die sich mit dem öffentlichen und privaten Leben von Schilling beschäftigt. Gezeichnet wurde das verstörende Porträt einer jungen Frau, die der Karriere wegen reihenweise Vertraute vor den Kopf stößt, anderen Affären andichtet, üble Gerüchte in die Welt setzt, sogar das Gericht war schon damit befasst. Was man über die Affäre und die Folgen wissen sollte.
Worum es in dem Artikel geht
Am Dienstag um 18.30 Uhr stellten Katharina Mittelstaedt und Fabian Schmid ihren Artikel online. Thematisiert wird das "problematische Verhalten" der Quereinsteigerin, "mehrere Grüne, Klimaaktivisten und Freunde" hätten dem "Standard" darüber berichtet. Mittelstaedt und Schmid geben an, dass sie "schon vor Wochen begonnen" hätten, ergebnisoffen" zu recherchieren. Man habe mit "rund fünfzig Personen" gesprochen.
Was diese 50 Personen behaupten
Laut "Standard" hätten die Befragten "fast einhellig von ähnlichen Vorgängen" erzählt. "Schilling habe ein problematisches Verhältnis zur Wahrheit, spiele Personen gegeneinander aus und hinterlasse verbrannte Erde." Sie habe "viele Menschen verärgert oder verletzt und einige sogar in existenzbedrohende Schwierigkeiten gebracht".
Belästigung behauptet
Schilling soll gegenüber Bekannten behauptet haben, dass ein Journalist eines privaten Medienunternehmens ihr gegenüber übergriffig geworden sei. Der Vorwurf kam dem Unternehmen zu Ohren, es gab eine Untersuchung, der Betroffene legte sein Handy offen. In seinen Chats mit Schilling fanden sich keinerlei Belege für die angedichtete Belästigung.
Affäre behauptet
Die 23-Jährige soll laut "Standard" eine Affäre mit einem öffentlich bekannten TV-Journalisten erfunden haben. Demselben TV-Journalisten soll sie aber auch eine Affäre mit anderen Grünen unterstellt haben. Der Betroffene habe laut Bericht eine Klage überlegt, wollte der Angelegenheit dann aber nicht noch zusätzliche Öffentlichkeit verschaffen.
Der wohl schwerste Vorwurf
Die grüne Spitzenkandidatin soll in ihrem Umfeld herumerzählt haben, dass eine ihrer früher besten Freundinnen von ihrem Ehemann verprügelt werde und "nach einem Übergriff eine Fehlgeburt erlitten habe", so der "Standard". Am 12. April, also vor knapp vier Wochen, musste Schilling deshalb sogar vor Gericht eine Unterlassungserklärung unterschreiben, diese Äußerungen nicht mehr zu tätigen.
"Eine der größten Enttäuschungen"
Der Unternehmensberater und Kolumnist Sebastian Bohrn Mena schrieb am Dienstag auf Twitter: "Einige persönliche Worte zur Causa #Schilling: Ich habe Lena Schilling im Alter von 17 Jahren kennengelernt – und immer unterstützt, auf all ihren Wegen. Auch, als sie sich entschlossen hat für die Grünen zu kandidieren. Ich wusste aber nicht, mit wem ich es wirklich zu tun habe. Es ist wohl eine der größten Enttäuschungen meines Lebens. Und die Causa wird mich und die Öffentlichkeit noch lange beschäftigen. Dazu bald mehr."
Ärger auch in der Klimabewegung
Mehrere frühere Mitstreiterinnen und Mitstreiter äußerten sich gegenüber dem "Standard" negativ über ihre Erfahrungen mit Schilling. Sie habe Jüngere "gegeneinander ausgespielt, um ihre eigene Macht zu zementieren". Schilling habe "das Vertrauen, das junge Menschen in sie gesetzt hatten, ausgenutzt". Ihr Umgang mit sehr jungen Menschen sei "mehr als hinterfragenswert" gewesen.
Wie die Grünen reagieren
Lena Schilling wollte am Dienstag nichts dazu sagen. In einer schriftlichen Stellungnahme sagten die Grünen, die Vorwürfe würden "auf Gerüchten und Behauptungen" basieren oder "behandeln Dinge, die das Privatleben von Lena Schilling und/oder anderer Personen betreffen. Nichts davon hat eine politische Tangente. Die Grünen stehen voll und ganz hinter Lena Schilling". Kommuniziert wird in den nächsten Tagen vor allem das Wort "Schmutzkübel-Kampagne". Gezeichnet werden soll das Bild einer üblen Intrige, gelenkt von Missgünstigen und politischer Gegenschaft.
*Pressekonferenz am Mittwoch
Die Bestätigung dieser Kommunikationslinie erfolgte dann am Mittwoch Morgen. Für 8:30 Uhr – eine ungewöhnlich frühe Zeit für einen offiziellen Pressetermin – wurde zu einer Pressekonferenz geladen. Teile der grünen Bundesspitze – Parteichef Werner Kogler, Klubobfrau Sigi Maurer, Infrastrukturministerin Leonore Gewessler und der oberösterreichische Landesrat Stefan Kaineder – stellten sich dabei demonstrativ hinter Lena Schilling. Auffällig: Justizministerin Alma Zadic und Gesundheitsminister Johannes Rauch fehlten.
*"Gemurkse oder Gefurze"
Man lasse sich von "anonymem Gemurkse oder Gefurze" nicht aufhalten, gab Kogler die Richtung vor und ortete einen "dreckigen Wahlkampf", der "nochmal härter" wäre, da eine "junge, kompetente Frau" den Schritt in die Politik gewählt habe. Und Schilling selbst monierte, dass bei allen anderen EU-Kandidaten über Inhalte gesprochen werde, während man bei ihr ihren Charakter in Frage stelle. Auf die konkreten Vorwürfe in der "Standard"-Geschichte wollte die 23-Jährige nicht weiter eingehen, ihr Privatleben sei ihr Privatleben.
Ob das Durchtauchen gelingen kann
Das darf aus mehreren Gründen bezweifelt werden. Erwartbar ist, dass in den nächsten Tagen und Wochen einige Betroffene die Öffentlichkeit suchen werden. Der Wahlkampf von Schilling ist ab nun dauerhaft damit belastet. In jedem Interview, bei jedem TV-Auftritt – und davon sind vor der Wahl am 9. Juni einige geplant – werden die Vorwürfe Thema sein.
Ob die Grünen die Kandidatin noch wechseln könnten
Nein, die Liste der Kandidatinnen und Kandidaten musste bis spätestens 26. April um 17 Uhr an das Innenministerium übermittelt werden. Die Bundeswahlbehörde wird heute, Mittwoch, nur mehr eine rechtliche Prüfung vornehmen, ob mit den Listen alles seine Ordnung hat und sie danach veröffentlichen. Es handelt sich um einen rein formalen Akt. Egal, wie sich die Grünen nun entscheiden: Lena Schilling wird als Spitzenkandidatin auf der Wahlliste aufscheinen, ob sie nun (sehr unwahrscheinlich) doch noch zurücktritt oder nicht.
* Die Geschichte wurde am 8. Mai um 12.30 Uhr um diese beiden Absätze ergänzt