KATHARINA KÖRBER-RISAK

Sexuelle Belästigung im Job: Warum der "Fall Schilling" jede(n) angeht

Dienstgeber, Beschäftige, ihre Rechte und Pflichten und warum es immer mehr Verfahren gibt. Arbeitsrechts-Spezialistin Katharina Körber-Risak arbeitet die Affäre juristisch auf.

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Die Causa Lena Schilling ist seit einem Bericht des "Standard" vom 7. Mai in aller Munde und reicht neben der politischen Dimension mittlerweile auch ins Juristische. Das Ehepaar Bohrn-Mena macht Unterlassungsansprüche gerichtlich geltend, die Staatsanwaltschaft prüft einen Anfangsverdacht wegen Verleumdung gegen die Spitzenkandidatin der Grünen. Der Fall Schilling hat aber auch eine wesentliche arbeitsrechtliche Tangente.

Nicht hundertprozentig professionell Lena Schilling hat offenbar Gerüchte über mehrere Journalisten verbreitet, die sich nach Recherchen des "Standard" und des "Falter" als unwahr herausgestellt haben. Ein Journalist, der in einem privaten Medienhaus angestellt ist und offenbar beruflichen Kontakt mit Lena Schilling in Form von Handychats hatte, wurde von ihr beschuldigt, sie belästigt zu haben. Der "Falter" berichtet, dass Ausschnitte von Handychats, in denen der Mann auf von Schilling gemachte Avancen nicht hundertprozentig professionell reagierte, von Schilling anderen Journalist:innen des gleichen Medienhauses, verbunden mit einem Vorwurf der Belästigung, gezeigt wurden. Diese sollen dann die Geschäftsleitung informiert haben.

Katharina Körber-Risak ist Gründerin und Partnerin der Körber-Risak Rechtsanwalts GmbH und seit 2004 schwerpunktmäßig im Arbeitsrecht tätig
Katharina Körber-Risak ist Gründerin und Partnerin der Körber-Risak Rechtsanwalts GmbH und seit 2004 schwerpunktmäßig im Arbeitsrecht tätig
Helmut Graf

Handychats offengelegt Der Journalist wurde offenbar von Geschäftsleitung und Personalabteilung mit den Vorwürfen konfrontiert und legte dabei die Handychats vollständig offen. So konnte er beweisen, dass er keine Grenzüberschreitungen eingeleitet hatte, sondern Frau Schilling zuerst die professionelle Ebene verlassen habe. Er habe dann versucht, die Kommunikation wieder in professionelle Bahnen zu lenken bzw. letztlich abzubrechen ("Falter"-Bericht). Der Arbeitgeber sah im Ergebnis keinen Grund zur Beendigung des Dienstverhältnisses, aber verordnete offenbar ein "Gender Sensitivity" Training. Ob die Grünen Frau Schilling auch ein Training verordnet haben, ist unbekannt.

Noch einmal gut gegangen, könnte man zusammenfassen. Aber muss der Arbeitgeber zwingend so vorgehen, oder hätte es auch anders ausgehen können? Wie ist generell mit Beschuldigungen gegen Arbeitnehmer vorzugehen, die dem Arbeitgeber zur Kenntnis gelangen?

In den letzten Jahren haben Fälle stark zugenommen, in denen sich Unternehmen mit Vorwürfen, die gegen Mitarbeiter:innen, nicht selten auch Mitglieder der Geschäftsführung oder andere Führungspersonen gerichtet sind, auseinandersetzen müssen. Nicht erst seit der Umsetzung der sogenannten "Whistleblower-Richtlinie", mit der Unternehmen zur Einrichtung anonymer Hinweisgebersysteme verpflichtet wurden, lösen Vorwürfe z.B. wegen Mobbing, Belästigung, aber auch wegen anderen Gesetzesverletzungen (von Drogenkonsum bis Tätlichkeiten, Untreue, Steuerhinterziehung, Nichteinhalten von Umweltauflagen o.ä.) einen Handlungsbedarf beim Arbeitgeber aus.

Anstandswauwau? Lena Schilling mit ihrem Mentor, Vizekanzler Werner Kogler, am 7. Mai beim EU-Wahlkampfauftakt
Anstandswauwau? Lena Schilling mit ihrem Mentor, Vizekanzler Werner Kogler, am 7. Mai beim EU-Wahlkampfauftakt
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Durchtauchen geht nicht Arbeitgeber können schon aufgrund der Sorgfaltsverpflichtungen ihrer leitenden Organe solche Vorwürfe nicht ignorieren. In aller Regel werden daher bei Aufkommen solcher Vorwürfe sogenannte "Compliance"-Untersuchungen eingeleitet, die je nach Art und Umfang der Vorwürfe mal größer und mal kleiner ausfallen. Vorwürfe von Belästigung werden in den allermeisten Fällen von Arbeitnehmer:innen (häufiger weiblich) gegen Arbeitnehmer:innen (häufiger, aber nicht ausschließlich männlich) erhoben, wobei diejenigen, die den Arbeitgeber darüber informieren, nicht immer die betroffenen mutmaßlich Belästigten sind.

Sexuelle (und auch sonstige) Belästigung am Arbeitsplatz ist nach dem österreichischen Gleichbehandlungsgesetz rechtswidrig und macht sowohl den Belästiger, als auch den Arbeitgeber schadenersatzpflichtig, der – wenn er davon weiß – nicht oder nicht rechtzeitig die Belästigung abstellt ("Abhilfe schafft").

Lächerlicher Schadenersatz Obwohl es diese rechtliche Verpflichtung schon vor 2017 gab, hat sich die Bereitschaft von Arbeitgebern, sich proaktiv mit sexuellen Belästigungsvorwürfen auseinanderzusetzen, seit Beginn der #metoo Bewegung Ende 2017 stark verändert. Dabei muss man konstatieren, dass das Risiko des Arbeitgebers weniger ein juristisches ist (die Schadenersatzbeträge, die Belästigten zugesprochen werden, sind in Österreich lächerlich gering, die Bereitschaft von Frauen mit Belästigungsvorwürfen vor Gericht zu ziehen wohl auch, aber natürlich nicht nur deswegen, sehr niedrig), als im drohenden Reputationsverlust liegt.

Fellner bis Till Lindemann Man kann es wohl je nach Standort und Standpunkt unterschiedlich beurteilen, ob ein Belästigungsvorwurf für den mutmaßlichen Belästiger einer "Existenzvernichtung" gleichkommt (prominente Beispiele von Wolfgang Fellner bis Placido Domingo oder Till Lindemann zeigen das Gegenteil), aber sie führen für Unternehmen bei Untätigkeit oder gar wahrgenommener Solidarisierung mit einem mutmaßlichen Belästiger jedenfalls zur Reputationsschäden. Von Vorwürfen betroffene Arbeitnehmer haben daher jedenfalls einen Verlust des Arbeitsplatzes, und damit ihrer wirtschaftlichen Existenz, zu befürchten.

Die Belästigungs-Vorwürfe gegen Till Lindemann (Rammstein) sorgten im Vorjahr für viele Emotionen
Die Belästigungs-Vorwürfe gegen Till Lindemann (Rammstein) sorgten im Vorjahr für viele Emotionen
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Kein Sex, da wollte er ihre Entlassung Arbeitgeber sind nämlich arbeitsrechtlich nicht verpflichtet, so umsichtig vorzugehen wie im Fall des von Lena Schilling bezichtigten Journalisten. Je nach Beweislage entscheiden sich viele Arbeitgeber – auch aus Schutzüberlegungen zugunsten der Organisation und der eigenen Verantwortung – für eine fristlose Entlassung des beschuldigten Arbeitnehmers. So wurde in einem anderen Fall, in dem wir ein Unternehmen beraten haben, ein leitender Mitarbeiter fristlos entlassen, der – uneingeladen – einer von ihm eingestellten und ihm unterstellten Mitarbeiterin das "Angebot" einer losen sexuellen Beziehung gemacht hatte.

Nachdem er dies per WhatsApp gemacht hatte, war die Beweislage eindeutig. Die Arbeitnehmerin, die sich zuvor schon bei einigen, vom Belästiger initiierten Abendessen gegen seine Avancen hatte wehren müssen, legte den Chat der Personalabteilung vor, die sofort die fristlose Entlassung veranlasste. Die Beweislage war auch deswegen eindeutig, weil der Manager unmittelbar nach der schriftlichen Ablehnung seiner Avancen durch die Arbeitnehmerin in der Personalabteilung die Beendigung ihres Dienstverhältnisses erwirken wollte.

In vielen Fällen liegen solch eindeutigen Beweise nicht vor Es kommt oft zu "he says – she says"-Situationen, in denen eine Belästigung nicht eindeutig festgestellt (aber auch nicht ausgeschlossen) werden kann. Auch hier reagieren Arbeitgeber oftmals rasch und kompromisslos mit fristloser Entlassung des mutmaßlichen Belästigers, auch wenn der Fall nicht oder nicht restlos aufgeklärt ist. Das hat neben den besprochenen Reputationsrisiken, die viele Unternehmen nicht (mehr) zu tragen bereit sind, im Wesentlichen zwei Gründe:

"Fristlose" muss sofort sein Die österreichische Rechtsprechung verlangt bei fristlosen Entlassungen neben einem gravierenden Grund (hier: die Belästigung) einen "unverzüglichen" Ausspruch durch den Arbeitgeber. Der Arbeitgeber muss, um sein Entlassungsrecht zu wahren, auch in eine bestehende Unsicherheit hinein entlassen, um sich seines Entlassungsrechts nicht zu begeben. Das führt in der Praxis dazu, dass häufig auch nicht ganz eindeutig aufgeklärte Sachverhalte zum Ausspruch der fristlosen Entlassung führen. Die restliche Aufklärung wird dann auf der Ebene eines – vom entlassenen Arbeitnehmer angestrengten – Entlassungsverfahrens betrieben. Gerichte haben deutlich bessere Möglichkeiten, Beweise zu erheben, als der Arbeitgeber. Vor Gericht besteht für Zeugen eine Aussage- und Wahrheitspflicht und ein rechtskräftiges Gerichtsurteil ist von den Parteien anzuerkennen bzw durchsetzbar.

Am 22. Jänner 2024 stellte Grünen-Chef Werner Kogler Lena Schilling als Spitzenkandidatin seiner Partei für die EU-Wahlen vor
Am 22. Jänner 2024 stellte Grünen-Chef Werner Kogler Lena Schilling als Spitzenkandidatin seiner Partei für die EU-Wahlen vor
Helmut Graf

Warum sind Arbeitgeber aber bereit, das Risiko eines Entlassungsprozesses hinzunehmen? Das hat wiederum damit zu tun, dass der Arbeitgeber aus einer fristlosen Entlassung wenig bis keine Nachteile hat (vielleicht mit Ausnahme der Prozesskosten). Denn die fristlose Entlassung beendet das Arbeitsverhältnis jedenfalls, d.h. der Arbeitnehmer ist aus dem Unternehmen entfernt, womit sich oftmals die Situation im Unternehmen des Arbeitgebers schon deutlich entspannt, vor allem dann, wenn das mutmaßliche Belästigungsopfer auch im Unternehmen arbeitet (oder etwa ein wichtiger Interviewpartner ist).

Der Arbeitnehmer ist dann gezwungen zu klagen und setzt sich damit selbst auch dem Risiko einer öffentlichen Verhandlung über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe aus. Er hat ein Kostenrisiko, das für ihn naturgemäß schwerer wiegt als für den Arbeitgeber. Und zumeist werden solche Prozesse nicht mit dem Zweck der Wiedereinstellung geführt, sondern es geht um Schadenersatz (die sogenannte "Kündigungsentschädigung“). Der Arbeitnehmer bekommt in solchen Prozessen letztlich nur, was er bei einer "normalen" Kündigung erhalten hätte. Das finanzielle Risiko des Arbeitgebers ist also überschaubar.

Können also falsche Belästigungsvorwürfe existenzielle Auswirkungen haben? Absolut: der Journalist, der zufällig noch die Chats mit Frau Schilling vorweisen konnte, hatte schlicht Glück; sein Name ist nicht öffentlich. Im Unternehmen und wohl auch zu Hause dürfte es aber keine angenehme Situation gewesen sein, auch wenn ihm der Arbeitgeber letztlich die Möglichkeit der Aufklärung gegeben hat und seine Beschäftigung andauert. Im Übrigen ist es nicht auszuschließen, dass der Arbeitgeber bei gleichem Sachverhalt anders gehandelt hätte, wäre der Belästigungsvorwurf von einer eigenen Mitarbeiterin gekommen.

Ein Musterbeispiel Unternehmen tun in einem Umfeld, in dem Belästigungsvorwürfe leichtfertig erhoben werden können, gut daran, so vorzugehen wie der Arbeitgeber des Journalisten in der Causa Schilling. Natürlich ist dann, wenn sich die Verdachtslage erhärtet, gegen Belästiger vorzugehen. Die Bewertung, dass hier keine sexuelle Belästigung vorlag, ist aber auf Basis der berichteten Fakten richtig. Nicht jedes Verhalten, das der sexuellen Sphäre bzw der Anbahnung von sexuellen Handlungen zuzurechnen ist, ist eine sexuelle Belästigung. Nach dem Gesetz muss die Handlung nämlich für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig sein. Wenn die Initiative, den professionellen Boden zu verlassen, gesendet wird und der Empfänger darauf – adäquat – reagiert, ist das wirklich "privat". Sexuelle Belästigung im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes liegt aber jedenfalls keine vor.

Katharina Körber-Risak ist Gründerin und Partnerin der Körber-Risak Rechtsanwalts GmbH und seit 2004 schwerpunktmäßig im Arbeitsrecht tätig. Sie ist Autorin zahlreicher Fachpublikationen, Lektorin an Unis und gefragte TV-Expertin

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