Wahl-Kopfnüsse, Folge 19
So wurde die Elefantenrunde zur "Nette Leit Show"
Was ein Hochwasser alles ändert! Ohne Herbert Kickl debattierten die Parteispitzen gestern Abend auf Puls 4. Nett, ohne Häme, sie lobten sich gegenseitig sogar. Stoppt der FPÖ-Rabiator heute die eben begonnenen Flitterwochen?
Am Samstag stand ich an einer Ampel am Wiener Ring und Karl Nehammer fuhr an mir vorbei. Einfach so! Es war jetzt nicht wie damals bei der Reise der größten Delegation aller Zeiten nach Peking. Also es gab keine pausbäckigen Kinder mit fröhlich angeknipsten Gesichtern, die wie wild Fähnchen schwenkten, als hinge das Schicksal des Landes daran.
Mit KI-Stimme: So wurde die Elefantenrunde zur "Nette Leit Show"
Das mag auch daran gelegen sein, dass nicht der echte Nehammer vorbeifuhr, sondern nur sein Plakat. Es war auf die Ladefläche eines Kleinwagens montiert und ziemlich groß. Von meinem Blickwinkel aus verdeckte es sogar die Kaukasische Flügelnuss im Stadtpark.
Der Nehammer, der da die Ringstraße entlangfuhr, strebte nicht mehr nach "Sicherheit für Wien", nicht nach "Stabilität" und er zeigte kein gesteigertes Interesse mehr an einer "starken Mitte". Am Plakat stand: "Der Vergleich macht sicher". Damit geht die ÖVP in die letzte Woche des Wahlkampfes. Sie begeistert sich so an ihrem neuen Spruch, dass sie heute sogar eine eigene Pressekonferenz dazu abhält. Generalsekretär Christian Stocker ist als Conférencier angekündigt, das verspricht kurzweilige Unterhaltung.
"Der Vergleich macht Sie sicher" – mit diesem Slogan pries Siemens früher seine Weißware an. In der Reklame wird nun mehr geduzt, Siemens müsste die Werbetrommel für die Trommelmaschinen heutzutage also so texten: "Der Vergleich macht dich sicher, Oida". A1 ließ im Vorjahr das "Sie" weg und warb mit "Der Vergleich macht sicher", man wusste leider nur nicht wen. Das störte die ÖVP keine Silbe und sie klaute den Spruch.
Aber findet der Vergleich, der angeblich sicher macht, überhaupt noch statt? Der Wahlkampf biegt in die Zielgerade ein und die Autos schnurren jetzt fast. Vor drei Wochen waren fünf aufgemotzte Muscle-Cars vom Start losgebraust. In der Folge versuchte jeder jeden aus jeder Kurve zu drängen, ihn auszutricksen, Weg und Ehre abzuschneiden. Und jetzt? Auf den letzten Metern sehen wir Fahrten mit Oma und Opa ins Grüne, auf der Hutablage im Heck wiegt der Wackeldackel den Kopf sachte hin und her.
Der erzwungene Boxenstopp durch das Hochwasser hat dem Wahlkampf Tempo, Kraft und Energie geraubt. Auch viel Gehässigkeit ist weg. Eine neue Nachdenklichkeit hat Einzug gehalten. Wie ermattete Wettkämpfer stehen die Spitzenkandidaten jetzt im Fernsehen da. Sie wirken, als müssten sie sich dazu zwingen, noch einmal gegeneinander anzutreten, vor allem gegenseitig aufeinander einzutreten.
Alle Themen sind durch, nichts mehr Neues zu erfahren. Es ist alles gesagt, nur noch nicht auf jedem TV-Sender. Der Wahltermin am Sonntag ist kein Höhepunkt der Auseinandersetzung mehr, sondern ein herbeigesehnter Gnadenakt.
Das war gestern Abend gut zu sehen. Die Parteispitzen trafen sich zur Elefantenrunde, diesmal wirklich, also fast. FPÖ-Chef Herbert Kickl hatte der gemeinsamen Veranstaltung von Puls 4, ATV und Kronen Zeitung einen Korb gegeben, er schickte nicht einmal Ersatz. Sein Pult blieb an diesem Abend leer. Kickl sah sich von Puls 4 unfair behandelt, der Sender verfolge eine politische Agenda. Die Krone war einfach so böse, sie zeigte ihn auf einer Fotomontage mit einer Medaille, auf der "Rechtsextrem" stand. Dieser Vergleich machte Kickl sicher.
Also standen die drei Herren und die eine Dame da und waren 2 Stunden und 15 Minuten lang mehr oder weniger einer Meinung. Zu Beginn des Wahlkampfes hatte man verbal aufeinander eingedroschen, vor allem wenn es um das Thema Asyl ging. Es ist in den Hintergrund geschwemmt worden, nun ist das Hochwasser da und es gibt eine Art Schulterschluss. Der Kanzler, der Vizekanzler und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger redeten und Andreas Babler lobte danach: "Gescheit, was die anderen sagen." Vor zwei Wochen hätte man ihm therapeutische Hilfe empfohlen, nun wirkt das wohltuend.
Natürlich gibt es in den Plänen und in den Programmen himmelhohe Unterschiede. Bei den Steuern, beim Umweltschutz, bei der Migration, bei der Frage, ob dem Verbrennungsmotor der Überlebenskampf finanziert werden sollte. Aber als alles vorbei war, lobte Babler die "angenehme Diskussionskultur" und Kogler pflichtete ihm bei: "Wenn der Richtige fehlt, geht's sich aus." 82 Prozent der Zuschauer fanden den "Tonfall der Debatte positiv". Das ist ein Signal, auch wenn ich Blitz-Umfragen nach TV-Debatten für Voodoo-Tänze halte.
Der Flowerrain wird Nehammer helfen. Als Kanzler kann er die Krise moderieren. Er sitzt am Geldhahn. Er kann, wie gestern, Versprechungen machen, dass die Menschen nicht 20 Prozent ihrer Schäden ersetzt bekommen, sondern 50 Prozent. Er kann auf die 500 Millionen Euro verweisen, die er der EU herausgerissen hat, obwohl die EU-Kommission die Höhe der Hilfsgelder noch gar nicht bestätigt hat. Es fehlt jetzt nur mehr der Hochwasser-Tausender und der Kanzler wird nicht gewählt, sondern per Akklamation im Amt bestätigt.
Heute aber kann schon wieder alles anders sein. Zum Finale der "Konfrontationen" trifft Karl Nehammer im ORF auf Herbert Kickl, Stand jetzt hat der FPÖ-Chef noch nicht abgesagt. Zuvor duellieren sich Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger. Ich habe das Vergnügen, die Diskussionen anschließend auf ORF III zu analysieren. Ich denke, wir werden nicht über einen Flowerrain reden.
Das liegt auch an den Ereignissen vom 22. September 2021. Da kam es Laufe der 121. Sitzung des Nationalrates zu einem zeithistorischen Moment, als es eigentlich um die Asylpolitik der Regierung ging, aber eigentlich wiederum nicht. "Die Aktuelle Stunde hatte laut Überschrift ja ursprünglich ein anderes Thema, aber ich repliziere sehr gerne auf die Ausführungen des ehemaligen Innenministers und jetzigen Klubobmanns", rief Karl Nehammer, damals selbst noch Innenminister, Richtung Herbert Kickl. "Ich sage hier auch klar – und ich sage es jetzt hier bewusst so, wie ich es sage: Herr Klubobmann, ich entziehe Ihnen somit unser Du-Wort, das wir gegenseitig gerne gepflogen haben."
Es folgte eine wilde Rede voller Zwischenrufe, von "erbärmlich" über "Lug und Trug" bis zu"Bla bla bla" und "Jessas na! Jessas na!" war allerlei dabei. Am Ende mahnte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka: "Es wäre vielleicht angebracht, den Fernsehzusehern ein besseres Bild zu bieten." An diesen Satz wird man sich heute vielleicht auch erinnern.
Ich wünsche Ihnen einen Montag, der jedem Vergleich standhält. Sollte ich nach der TV-Debatte noch einigermaßen bei Sinnen sein, dann schreibe ich was darüber. Bis morgen!
Alle bisherigen Wahl-Kopfnüsse
- Folge 1: So wurde ich für den Kanzler zu einer KI
- Folge 2: Bestäubungs-Staberln und ein Wasserträger
- Folge 3: "Natürlich hat er das, ich bin kein Vollidiot"
- Folge 4: Zwischen starker Mitte und Impotenz
- Folge 5: So führt uns der Kanzler in Wien aufs Glatteis
- Folge 6: Die Volkspartei und ihr Tom Cruise von Kagran
- Folge 7: Brandherde, Brandreden und eine Brandmauer
- Folge 8: Hurra, Hurra, der Bildungsminister ist da!
- Folge 9: Halleluja, endlich wird der Wahlkampf göttlich
- Folge 10: Fasst Euch doch an die eigene Nase!
- Folge 11: Und Ihr wollt echt eine Koalition eingehen?
- 11 Folgen in einer Story gesammelt
- Folge 12: Geben Gummistiefel dem Wahlkampf Gummi?
- Folge 13: Das Hochwasser und ich, aber wo ist der Kanzler?
- Folge 14: Wieso ein Alarm in Österreich nicht einfach ein Alarm ist
- Folge 15: Bitte macht jetzt keine Instagram-Show daraus!
- Folge 16: Warum die Politiker den Gummihammer auspacken
- Folge 17: Wie sich die Volkspartei beim Geschlecht irrte
- 17 Folgen in einer Story gesammelt
- Folge 18: Verstolpert die FPÖ auf den letzten Metern den Wahlsieg?