Polit-Experte Kalina

"Wenn man sich Wahlkampf anschaut: Das ist wirklich arm"

Josef Kalina kennt die Politik aus allen Perspektiven. Er war SPÖ-Geschäftsführer, Kanzlersprecher, Journalist, Bundesrat, heute ist er PR-Berater. Das Podcast-Interview über den "armen" Wahlkampf, Gummistiefel und warum er trotz allem SPÖ wählt.

Polit-Experte Josef Kalina beim Podcast-Interview mit Newflix
Polit-Experte Josef Kalina beim Podcast-Interview mit Newflix
Helmut Graf
Christian Nusser
Akt. Uhr
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Dieses Bild: Der Kanzler in den gelben Gummistiefeln. Josef Kalina war Pressesprecher von Viktor Klima, als der damalige Kanzler 1997 ins Hochwassergebiet fuhr. Aber er hat eine ganz andere Wahrnehmung der seinerzeitigen Ereignisse. Das Interview darüber und über viele andere politische Momente. Josef Kalina über:

Seinen Ausstieg aus der Politik
Ich bin 2008 wirklich über Nacht aus der Politik ausgestiegen und habe mein Unternehmen gegründet. Das war nicht leicht, wer immer glaubt, man fällt nach der Politik in ein gemachtes Nest – bei mir hat das jedenfalls nicht zugetroffen. Ich habe wahnsinnig viel zu tun gehabt, ein Ein-Personen-Unternehmen aufzubauen. Mittlerweile sind wir eine ordentliche PR-Agentur.

Sein Interesse an der Politik
Ich bin ein sehr politischer Mensch, das Interesse habe ich immer gehabt, schon als Schüler. Jetzt geht es mir ein bisschen so wie manchem Fußballstar, der auf der Tribüne sitzt und unten geht nichts weiter. Der eigene Verein ist schon 0:3 hinten. Dann glaube ich, dass der eine oder andere sagt: Jetzt ziehe ich mir die Schuhe an und gehe da runter und schaue, dass es weiter geht. Das mache ich natürlich nicht, das würde auch niemand wollen, der Verein auch nicht. Aber das ist das Gefühl.

Ob er versteht, dass Politiker über Journalisten jammern und umgekehrt
Total und halte es im Kern für falsch. Ich war sechs Jahre lang Leiter der SPÖ-Kommunikation. Mir hat schon Franz Vranitzky, gesagt: "Du bist immer so ein Abwiegler." Ich glaube, alle Spitzenpolitiker ärgern sich immer wieder über Journalisten. Manche können das besser wegstecken, weil sie das Geschäft der Journalisten verstehen, manche nicht.

9. Dezember 1999: SPÖ-Chef Viktor Klima und Pressesprecher Josef Kalina verlassen die Präsidentschaftskanzlei; Bundespräsident Thomas Klestil hatte Klima gerade mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt
9. Dezember 1999: SPÖ-Chef Viktor Klima und Pressesprecher Josef Kalina verlassen die Präsidentschaftskanzlei; Bundespräsident Thomas Klestil hatte Klima gerade mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt
MARTIN GNEDT / AP / picturedesk.com

Wer nicht gut damit umgehen konnte
Ich habe Wolfgang Schüssel lange erlebt, der hat nur schlecht über Journalisten geredet. Er hat immer gesagt: "Warum schreiben die nicht einmal was Positives?" Und ich habe geantwortet: "Herr Vizekanzler, ich war Journalist, das ist ein anderes Geschäft, das folgt anderen Gesetzen, sie müssen es akzeptieren, verstehen Sie das?" Der Journalist geht jeden Tag in sein Büro und vor ihm ist ein leeres Blatt Papier. Er muss was Neues schreiben. Schauen wir doch, dass er, wenn er was Neues schreibt, eine andere Geschichte kriegt. So musst du mit Journalisten umgehen. Wer das nicht begreift, der wird immer ein Magengeschwür haben, das er nicht kurieren kann.

Für wen er die Fußballschuhe noch einmal anziehen würde
Das ist schwer zu sagen. Ich habe viele Jahre für Kanzler in einer Bundesregierung gearbeitet. Ich habe bei einem der erfolgreichsten oppositionellen Wahlkämpfe mitmachen dürfen, 2006, als Alfred Gusenbauer überraschend Schüssel geschlagen hat. Mein Geschäft war immer die Öffentlichkeitsarbeit. Das ist das, was ich gerne mache, weil ich glaube, ich verstehe es, wie es geht.

Worum es im Kern dabei geht
Es geht darum, und das verstehen viele Politiker nicht: Der Köder muss dem Fisch schmecken und die Fische sind die Wählerinnen und Wähler. Der Wahlkampf, sprich die Zeit vor einer Wahl, das ist keine Zeit für Überzeugungsarbeit, sondern das ist eine Zeit für Mobilisierung und auf einen Tag hinarbeiten.

Alfred Gusenbauer Bundesvorsitzender der SPÖ, mit Kommunikationschef Josef Kalina am 4. Jänner 2006 am Rande der Klubklausur der SPÖ in Bad Häring
Alfred Gusenbauer Bundesvorsitzender der SPÖ, mit Kommunikationschef Josef Kalina am 4. Jänner 2006 am Rande der Klubklausur der SPÖ in Bad Häring
Picturedesk

Was dabei wichtig ist
Bildlich gesprochen ist es, wie wenn der Billa nur einmal offen hat und nur einmal verkaufen darf. Um das geht es bei der Wahl. Man muss verstehen, dass das eine Dramaturgie braucht, eine Inszenierung, eine Mischung aus Programmatik und Marketing. Das ist nicht so leicht, das merkt man jetzt, wenn man sich den Wahlkampf anschaut. Das ist wirklich arm.

Kanzler Viktor Klima in Gummistiefeln
Ganz persönlich habe ich die Erinnerung: Klima hatte Gummistiefel, ich nicht. Die Feuerwehr hat mir welche zur Verfügung gestellt, die haben blöderweise ein Loch gehabt und ich bin die ganze Zeit mit überfüllten Gummistiefeln im Gatsch gegangen.

Abgesehen davon
Der Tag war ganz anders geplant. Es war geplant, wir besuchen die Opfer in der Turnhalle. Und das war schon sehr rührend. Die Leute haben sich wahnsinnig gefreut, den Kanzler zu sehen, da in dieser Turnhalle, wo die Betten aufgestellt waren. Aber der Viktor Klima ist ein herzensguter Mensch und er wollte dann auch noch die Leute im Hochwasser besuchen. Das wollten die, die das dort organisiert haben, schon nicht mehr.

Was dann passiert ist
Vom ORF-Niederösterreich waren zwei Kolleginnen in dicken Regenmänteln da, die haben gesagt, sie fahren nicht mit raus. Daraufhin habe ich mich mit der Heeresbild- und Filmstelle geeinigt, dass uns die begleiten. Die haben uns da rausgeführt in das Hochwasser, weil der Viktor das wollte, er wollte die Leute dort besuchen. Dort hat er dann auch noch, jenseits jeder Inszenierung, einfach weil er so ist, bei den Bundesheer-Soldaten mitangegriffen und den Kübel in die Hand genommen. Er hat mitgeschöpft, mit einer Zigarette in der Hand übrigens.

Der Regen kam von oben und ging nach hinten los: Der damalige Bundeskanzler Viktor Klima beim "Hochwassereinsatz" am 8. Juli 1997 in Hirtenberg (NÖ)
Der Regen kam von oben und ging nach hinten los: Der damalige Bundeskanzler Viktor Klima beim "Hochwassereinsatz" am 8. Juli 1997 in Hirtenberg (NÖ)
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Ob es einen Zeitpunkt gab, an dem man wusste: Ui, das geht nach hinten los
Nein, es ist ja auch nicht nach hinten losgegangen. Das ist eine Uminterpretation. Der Punkt war der: Wir haben die Wahl gewonnen. Wir waren mit Abstand Erster. Wir haben aber ein Stimmen-Minus gehabt. Und dann kam die Geschichte mit Wolfgang Schüssel, der Schwarzblau gemacht hat und Klima konnte nicht Bundeskanzler bleiben. Dadurch wurde der Auftritt im Hochwasser dann im Nachhinein zu einem Misserfolg.

Das heißt, die Inszenierung war zunächst ein Erfolg?
Wäre Klima Kanzler geblieben, wäre dieses Bild als eines der Erfolgsmodelle dieser super inszenierenden Spindoktoren, wie wir uns damals überheblicherweise genannt haben, bezeichnet worden.

Was davon geblieben ist
Das ist jetzt 30 Jahre her. Auf den Unis, auf den Fachhochschulen, bei Referaten werde ich jetzt immer noch auf dieses Bild angesprochen. Ich bin der Experte für Gummistiefeln. Man sieht an dem Beispiel, wie stark ein Bild ist.

In Gummlern und am Handy: Erst ging 1997 das Land unter, dann Bundeskanzler Viktor Klima
In Gummlern und am Handy: Erst ging 1997 das Land unter, dann Bundeskanzler Viktor Klima
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Und das trotz des Hubschraubers …
Der Klima ist nicht mit dem Hubschauer eingeflogen. Wir sind ganz normal hingefahren. Wir waren auf dem Weg zum Flughafen, zum spanischen König. Er wollte unbedingt nicht von da abfliegen, als Kanzler, raus aus dem Hochwasser und keine Empathie zeigen.

Wie der Auftritt in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde
Die Medien waren total positiv. Die Fotos, er zeigt Zuneigung, die Reaktion der Leute hätte man sehen müssen. Sie sind ihm um den Hals gefallen. Nachher, weil er abgelöst wurde als Kanzler, wurde dieses Bild dann zum Sinnbild für Überinszenierung. Das ist mein Pech jetzt.

Ob er Nehammer geraten hätte, am Wochenende in Gummistiefel zu schlüpfen
Ja. Ich glaube, man muss nicht in Gummistiefel schlüpfen, aber sich vor Ort ein Bild zu machen, sich zu zeigen und den Leuten Anteilnahme zu signalisieren, ist ein starkes Signal. Das erwarten sich die Leute auch von einem Politiker. Salbungsvolle Worte haben wir jetzt eh genug im Fernsehen, von einem Acting-Politiker erwarte ich mir andere Dinge.

Ob man die Nörgler einfach in Kauf nehmen muss
Ja, du musst das wegstecken. Wenn man sich erinnert, Flutkatastrophe in Amerika, natürlich fliegt dort der amerikanische Präsident nach Louisiana und zeigt sich. Man muss in dem Geschäft begreifen, dass es die Bilder sind, die zählen. Das gesprochene Wort, ja, auch wichtig, aber in allererster Linie bleiben Menschen die Bilder in Erinnerung.

Kanzler Karl Nehammer fuhr erst am Montag ins Hochwassergebiet
Kanzler Karl Nehammer fuhr erst am Montag ins Hochwassergebiet
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Hat der Kanzler hier am Wochenende eine Chance ausgelassen?
Aus meiner Sicht schon. Aber man merkt in dem Wahlkampf insgesamt: Da ist in den meisten Parteien für mich ein Kompetenzverlust feststellbar. Die Gruppe rund um den Kurz ist offensichtlich nicht mehr da. Die neue kann das nicht so.

Woran er diesen Kompetenzverlust festmacht
Herr Nehammer plakatiert sich in Wien mit einer, selbst mir als überdurchschnittlich politisch Interessierten, völlig unbekannten Dame. Das ist ja Unsinn. Die Einzigen, die einen professionellen Wahlkampf vom Marketing her machen, sind die Blauen.

Warum?
Das Plakat ist, wie es so schön heißt, plakativ. Man kann es von der Weite lesen. Es ist provokativ, die, die provoziert werden sollen, wie zum Beispiel die Bischöfe mit "Euer Wille geschehe", haben wie der Pawlowsche Hund reagiert. So funktioniert politische Werbung.

Ob ein Plakat irgendjemanden bewegt, anders zu wählen
Natürlich nicht, es ist ein Zusammenspiel all dieser Instrumente, die man als Partei hat, Medienarbeit, Mobilisierungsarbeit mit der eigenen Partei, die Leute auf die Straße schicken. Das Plakat hat die Signalwirkung, die Leute immer daran zu erinnern, an der Wahl teilzunehmen.

Wie er Andreas Babler in Feuerwehrmontur fand
Voll in Ordnung. Man muss sich ja nur vorstellen, was die Leute sagen würden, wenn der Bürgermeister als Mitglied dieser Feuerwehr dort nicht teilnehmen würde. Was man sich im Babler-Team überlegen hätte können, wäre gewesen, das weniger auffällig zu machen. Nicht ein Social Media Team mitzunehmen, sondern sich vielleicht von einem Kollegen fotografieren lassen und der stellt das dann auf Instagram. Oder zwei Tage abtreten, das sich der eine oder andere fragt, wo ist der Babler eigentlich? Und dann sagen, ja, der ist Feuerwehrmann.

Wie er die Kickl-Videos fand
Auch als vergebene Chance. Er ist irgendwann im Wald spazieren gegangen. Aber der Auftritt da in dem bunkerähnlichen Raum im Holzfällerheim war nicht dazu angetan, Empathie zu wecken.

Ob das Hochwasser etwas an der Wahl ändert
Ich persönlich bin überzeugt, nein. Denn es hat niemand einen schweren Fehler gemacht, der etwas gekostet hätte. Es konnte sich auch niemand so wahnsinnig toll ins Szene setzen, dass es was gebracht hätte.

Mit welcher Regierung er rechnet
Ich glaube, dass es etwa so laufen wird, wie ich es 1999 mit Wolfgang Schüssel schon erlebt habe. Der hat uns allen versprochen, wenn er Dritter wird, geht er in Opposition. Dann musste er sich opfern, der Arme, damit das Land nicht unregierbar bleibt, oder wird, und musste den Kanzler machen. Ich glaube, dieses Opfer wird die ÖVP auch eingehen.

"Du hast aber mit den NEOS etwas, was mir auch sehr gut gefällt, eine starke Reformkraft"
"Du hast aber mit den NEOS etwas, was mir auch sehr gut gefällt, eine starke Reformkraft"
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Was das bedeutet
Sie werden sehr lang mit der SPÖ verhandeln, wenn Babler bleibt, um dann festzustellen, mit diesem Kommunisten, da geht nix. Daher müssen wir jetzt wieder sondieren und dann werden sie wieder die Nummer rausziehen, das Land darf nicht unregierbar bleiben.

Niederösterreich II also
Ganz genau. Das wird nur dann unwahrscheinlicher, wenn sich die SPÖ und die NEOS, aber vor allem natürlich die Sozialdemokraten, so aufstellen nach der Wahl, dass sie signalisieren, sie sind regierungsbereit, willig und kompromissbereit.

Das heißt bei der SPÖ aber Führungswechsel, oder?
Das ist nicht unbedingt gesagt. Ich meine, was hat man vor der Wahl schon alles gesagt und nach der Wahl dann anders gemacht.

"Ich habe dieses Gefühl in meiner Familie miterlebt, wir sind wer, durch Kreisky und die Politik der Sozialdemokratie"
"Ich habe dieses Gefühl in meiner Familie miterlebt, wir sind wer, durch Kreisky und die Politik der Sozialdemokratie"
Helmut Graf

Wahlgeheimnis, okay, aber wen er wählt
Ich bin Stammwähler, Sozialdemokrat. Und da möchte ich dir was Ernstes dazu sagen. Ich bin ein Kind aus einer Arbeiterfamilie. Mein Vater war Straßenbahner. Ich war der Erste in der ganzen großen Familie, der Matura machen durfte. Der Vater hat immer gesagt, wenn er nicht lernt, dann macht er eine Lehre. Das war ein Ansporn. Ich habe dieses Gefühl in meiner Familie miterlebt, wir sind wer, durch Kreisky und die Politik der Sozialdemokratie. Ich bin mit dem sehr verbunden.

Welche Regierung er sich wünscht
Angesichts des zu erwartenden Wahlergebnisses fände ich Schwarz-Rot-Pink sehr interessant. Du hast eine starke soziale Komponente mit der Sozialdemokratie. Du hast aber mit den NEOS etwas, was mir auch sehr gut gefällt, eine starke Reformkraft. Da ist natürlich die ÖVP gefordert, das Beste aus drei Welten herauszuheben, um die strukturellen Probleme in dem Land anzugehen. Das wäre für so eine Regierung eine Riesenchance.

Akt. Uhr
#Menschenwelt
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