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"Sunny": Ein Roboter für gewisse Stunden
Die neue Serie "Sunny" ist düsterer Science-Fiction-Mystery-Mix und skurril-schräger Clash of Cultures in einem. Aber vor allem ist sie wirklich spannend. Ab 10. Juli auf Apple TV+.
Japaner und Roboter, das ist ein ganz besonderes Verhältnis. In keinem Land der Welt genießen Maschinen, die nicht nur menschliche Arbeit verrichten, sondern auch punkto Aussehen und Verhalten Menschen imitieren, so viel Ansehen und Zuneigung wie im Land der aufgehenden Sonne. Dass dabei die Grenzen in der Beziehung Mensch – Maschine leicht einmal verschwimmen können, war schon öfter Stoff für Bücher, Filme oder Serien. In dem neuen, dystopischen Zehnteiler "Sunny", der für Apple TV+ produziert worden ist und dort am 10. Juli anläuft, kommt noch eine gehörige Portion Mystery dazu. Das Ergebnis: Skurril, schräg – und sauspannend.
Worum geht es in "Sunny"? Die Amerikanerin Suzie (Rashida Jones, zweitjüngste Tochter von Musik-Legende Quincy Jones) ist mit dem japanischen Ingenieur Masa Sakamoto (Hidetoshi Nishijima) verheiratet. Mit ihrem gemeinsamen Sohn lebt die kleine Familie in einem Kyoto der nahen Zukunft. Masa arbeitet bei einem Hightech-Unternehmen daran, Kühlschränke zu verbessern, während Suzie vor allem Japans Kultur und Kulinarik genießt. Eigentlich wäre alles in bester Ordnung, doch dann verschwinden Mann und Sohn bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz plötzlich spurlos. Ein Verlust, der Suzie vollkommen aus der Bahn wirft.
Ein Roboter zieht ein Aber nicht nur, dass die Leichen der Opfer des vermeintlichen Flugzeugabsturzes verschollen bleiben, steht auf einmal ein Mitarbeiter der Firma, für die Masa gearbeitet hat, daheim bei Suzie und bringt ihr einen Roboter: Sunny. Der soll ihr helfen, mit dem Verlust fertig zu werden. Und als Suzie dieses Angebot ablehnt – "Ich hasse Roboter!" – meint der Firmen-Abgesandte: "Aber Ihr Mann hat doch Sunny entworfen!?" Also hat Suzie auf einmal ein rollendes Michelin-Männchen daheim mit einem riesigen Kopf und einem ebenso großen Display, auf dem Sunny seine "Emotionen" grafisch-mimisch darstellt.
Was geschah wirklich mir Suzies Familie? Während sich Suzie langsam – auch mit Hilfe der Barkeeperin Mixxy, die sie in der Lieblingsbar ihres Mannes kennenlernt – mit der Realität zu arrangieren beginnt, tauchen immer mehr Fragen über die berufliche Vergangenheit Masas auf: Woran hat er wirklich gearbeitet? Weshalb ist er wie vom Erdboden verschwunden? Und wer sind die Leute, die Suzie eines Tages von der Straße weg kidnappen und nach ihrem Mann ausfragen, ehe sie sie wieder laufen lassen? Da bietet sich plötzlich Sunny an, die beiden Frauen bei der Suche nach der Wahrheit zu unterstützen. Aber kann man dem Roboter auch trauen?
Paranoia-Dystopie Die zehnteilige Serie "Sunny", die auf dem gleichnamigen Roman des in Japan lebenden Iren Colin O'Sullivan basiert, ist ein stellenweise ziemlich wüster Mix aus Psychodrama einerseits und Verschwörungs-Paranoia-Dystopie andererseits. Rashida Jones ist schlicht fulminant in der Darstellung einer Frau, der der Boden unter den Füßen so brutal und gründlich weggezogen wird, dass es nicht verwunderlich ist, wenn sie strauchelt. In zahlreichen Rückblenden erläutert der Serie in der Folge die Beziehung des Ehepaares, was mit der Zeit ein bisschen Licht in das Dunkel und die vielen Erzähl-Stränge bringt, die den Zuseher anfangs ordentlich verwirren.
Rätselhaftes Japan Aber am schillerndsten und gleichzeitig am verwirrendsten ist das Land, in dem "Sunny" spielt. Seit jeher ist der "Clash of Cultures" zwischen dem Westen und Japan ein besonders heftiger, auch und nicht zuletzt im Kino. "Black Rain" (mit Michael Douglas und Andy Garcia), "Tokyo Vice" (tolle Serie, die 2022 startete, mit Ansel Elgort, der als Reporter zum Thema Yakuza recherchiert), die fabelhafte Serie "Shogun" (seit diesem Februar auf Disney+) oder das formidable Drama "Lost in Translation" (mit Bill Murray und Scarlett Johansson) sind nur einige filmische Beispiele für das ewige Unverständnis zwischen diesen Kulturen. Und bei "Sunny" kommt schließlich noch der "Roboter-Faktor" erschwerend hinzu.
Die "Roboter-Liebe" der Japaner Nirgendwo auf der Welt werden Roboter dermaßen vermenschlicht wie in Japan. Das hat mehrere Gründe und ist tief in der Gesellschaft sowie in der Spiritualität der Japaner verwurzelt. Denn zum einen ist das Land extrem fortschrittsgläubig und hat seit jeher einen starken Hang zu Hightech-Phantasien, der auch in der Populärkultur des Landes ausgelebt wird (Stichworte Mangas und Kino – "Godzilla"). Und andererseits ist der Shintoismus, eine der beiden Hauptreligionen Japans, der gut zwei Drittel der Bevölkerung anhängen, davon überzeugt, dass sowohl belebte, als auch unbelebte Dinge eine Seele haben. Das erleichtert es wesentlich, auch Robotern eine Seele zuzugestehen.
Japan wird immer älter Doch es gibt noch einen wesentlich handfesteren und weltlicheren Grund für die "Roboter-Gläubigkeit" der Japaner. Denn das Land leidet an einer massiven Überalterung der Gesellschaft. Bereits 2015 waren 26 Prozent der Bürger des Landes älter als 65, bis zum Jahr 2050 wird dieser Wert auf knapp 40 Prozent steigen. Und die durchschnittliche Lebenserwartung der Japaner liegt jetzt bereits bei 81 (Männer) bzw. 87 Jahren (Frauen) – in keinem Land der Erde ist sie höher. Das ist schön für die Japaner, stellt aber das Gesundheits- und Pflegesystem vor gewaltige Herausforderungen.
Roboter statt Immigration Gleichzeitig hat Japan eines der strengsten Einwanderungsreglements der Welt und die Insellage der Nation macht illegale Einwanderung nahezu unmöglich. Folge: Es gibt kaum ausländische Arbeitskräfte im Gesundheitswesen. Und die, die es gibt, haben damit zu kämpfen, dass sie weder von ihren Schutzbefohlenen, noch von deren Angehörigen so akzeptiert werden, wie es für ein vertrauensvolles-Pfleger-Patienten-Verhältnis nötig wäre. Und anstatt hier ein Umdenken herbeizuführen, entwickeln Japans Hightech-Konzerne lieber hochspezialisierte Pflegeroboter und vergleichbare Anwendungen – etwa Exoskelette, die inzwischen sowohl von gebrechlichen Patienten, als auch von Pflegern verwendet werden, um die Leistungsfähigkeit des Körpers zu erhöhen.
Roboter zum Streicheln und Liebhaben Aber nicht nur für Pflegeaufgaben werden in Japan Roboter entwickelt, sondern auch für die Seele. Einer der Schlager für einsame (und alte) Menschen sind die "Lovot"-Roboter (für LOVe RobOT) des Herstellers Groove X. Die kleinen Gefährten kamen 2019 auf den Markt, haben einen Plüschüberzug und eine Kamera auf ihrem Kopf, sie erzeugen "Körperwärme", die man spürt, wenn man sie berührt, und kommunizieren mit "ihren" Menschen. Man kann ihnen unterschiedliche Kleidung anziehen und wenn sie umfallen müssen sie aufgerichtet werden. Das erhöht die Bindung und gibt dem Menschen das Gefühl, gebraucht zu werden.
Lange Warteliste Gute 6000 Euro kostet ein "Lovot", es gibt aber auch Leasing-Modelle. Zwar werden die Kuschel-Roboter gelegentlich auch für Kinder gekauft, aber die Hauptzielgruppe seien Erwachsene, so der Gründer von Groove X, Kaname Hayashi. Und das Geschäft mit den niedlichen Mini-Robotern läuft prächtig, es gibt lange Wartelisten und der Hersteller kommt mit der Produktion kaum nach. "Viele unserer Kunden hatten früher Hunde oder Katzen", erzählt Hayashi im Interview. "Aber nachdem ihre Tiere gestorben waren, wollten sie sich nie wieder dem Stress dieses Abschieds aussetzen und haben sich statt eines neues Tieres für einen 'Lovot' entschieden."
Konsequent weiter gedacht In "Sunny" wird diese Situation also nur konsequent weiter gedacht: Der Ehemann ist tot, ein Roboter kommt ins Haus, der einen nie wieder verlässt. Ob das allerdings wirklich so erstrebenswert ist, wird sich weisen.
"Sunny", USA 2024, 10 Folgen à ca. 30 Minuten, die ersten beiden Folgen ab 10. Juli, danach jeden Mittwoch bis 4. September eine weitere Folge, Apple TV+