Wahl 2024

Muss man für Umfragen heuer Spekulations-Steuer zahlen, Herr Hajek?

Fünf Wochen vor der Nationalratswahl: Meinungsforscher Peter Hajek über Kickl, Nehammer und Babler, die Chancen von Madeleine Petrovic und warum er den Wahlkampf "Folklore" nennt.

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In weniger als 40 Tagen wählt Österreich einen neuen Nationalrat. Neun Parteien treten bundesweit an, so viele wie noch nie haben eine Chance auf den Einzug. Der Meinungsforscher, Politikexperte und Zahlenflüsterer Peter Hajek beobachtet den Wahlkampf aus der Nähe. Lesen Sie hier die wichtigsten Passagen aus dem Podcast-Interview mit Christian Nusser. Peter Hajek über:

So ist die Lage etwas mehr als einen Monat vor der Wahl
Das wissen wir nicht. Ganz einfach gesagt, weil wir keine aktuellen Zahlen vorliegen haben.

Warum er keine aktuellen Umfragedaten hat
Weil die Parteien jetzt nichts mehr machen, es bringt fast nichts mehr. In US-Wahlkämpfen beginnen Wochen vor der Wahl rollierende Umfragen. Das heißt, man macht am Montag eine Befragung von 1.000 Leuten, am Dienstag wieder, legt das zusammen, dann hat man 2.000 Befragte und so weiter. Da kann man dann relativ genau sagen, verliert eine Partei, verliert ein Kandidat an Boden oder gewinnt er dazu.

Warum Parteien in Österreich nicht wissen wollen, welche Themen momentan wichtig sind
In Österreich hat es sich durchgesetzt, dass man deutlich mehr in Plakate investiert, ein kleiner Anachronismus zur restlichen Welt. Das ist das eine und das zweite ist, dass man sagt, naja, ist jetzt egal, wie es steht, da verunsichern wir sogar nur eher noch die eigenen Funktionäre.

Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte
Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte
Helmut Graf

Ob die Wahl schon entschieden ist und wir jetzt einen Monat lang Show erleben, ohne dass sich was Maßgebliches ändert
Jetzt bin ich sehr, sehr spitz und sage: Was würden die armen Medien machen ohne Wahlkampf?

Und die armen Meinungsforscher …
Denen ist das schon wurscht. Wir haben ja, wenn wir für Parteien oder Kandidaten arbeiten, unsere Arbeit längst erledigt. Alle Budgets sind verplant, für Plakate, Inserate, Banner, in Social Media. Jetzt kommen nur noch die Medien dazu. Bekanntermaßen verdient man da nicht rasend viel. Aber grundsätzlich ist Wahlkampf, glaube ich, tatsächlich sehr viel traditionelle Folklore.

Österreichs Kanzler Karl Nehammer im Bundeskanzleramt
Österreichs Kanzler Karl Nehammer im Bundeskanzleramt
Picturedesk

Ob sich mit Wahlkampf überhaupt noch was bewegen lässt
Ohne auf das Alter zu verweisen, aber Sie haben ja schon einige Wahlkämpfe mitgemacht. Ich auch. Wenn es nicht ein externes Ereignis gegeben hat, wie etwa Ibiza zehn Tage vor der Wahl, habe ich selten bis nie Wahlkämpfe erlebt, wo es einen wahnsinnigen Turnaround gegeben hätte, oder?

Gusenbauer gegen Schüssel?
Auf das habe ich jetzt gewartet.

Die falsche Pflegerin von Schüssel, der Begriff soziale Kälte: Ob durch den Wahlkampf 2006 eine Tendenz verstärkt wurde
In Wirklichkeit wurde dieser Wahlkampf nicht auf der einen Seite gewonnen, sondern auf der anderen Seite verloren, weil sich Wolfgang Schüssel und sein Team damals viel zu sicher waren, dass man dieses Match gewinnen wird.

Also hat Wahlkampf doch Sinn?
Man bräuchte keinen Wahlkampf, wenn Ihnen keiner machen würde. Sobald einer damit beginnt, müssen die anderen mitziehen, sonst kommen die Funktionäre und sagen: "Wieso haben die Plakate aufgestellt und wir keine? Und warum machen wir nichts?"

Andreas Babler bei der Enthüllung seiner Wahlplakate vor dem Kanzleramt
Andreas Babler bei der Enthüllung seiner Wahlplakate vor dem Kanzleramt
Helmut Graf

Man macht das also vorrangig für "die eigenen Leute"?
Grundsätzlich sind die ganz großen Wählerstrukturen, die ganz großen Wählersegmente verortet. Es geht nur darum, einerseits meine Wählerinnen und Wähler zur Urne zu bekommen, andererseits jene Wähler, die eine gewisse Affinität zu mir haben, aber noch nicht bei mir sind, davon zu überzeugen, doch mir die Stimme zu geben. Aber es werden sicher keine Prozentwerte im ausgewiesenen Ausmaß übertragen.

Weil sich bei den Umfragen monatelang kaum was geändert hat: Lässt sich mit Loriot sagen, dass Umfragen im Moment möglich, aber sinnlos sind?
Nein! Weil ich lerne nur aus vielen Umfragen etwas und nicht aus keinen Umfragen, zumindest aus demoskopischer Sicht.

Aber diesmal treten bundesweit neun Parteien an, so viele wie nie haben Chancen auf den Einzug. Muss man für Umfragen nicht Spekulationsteuer zahlen?
Das mit der Spekulationsteuer ist ein guter Sager, aber wir denken in Szenarien und haben natürlich Vergleichszahlen. Für Dominik Wlazny die Wien-Daten, die Bundespräsidentenwahl. Für die KPÖ Graz und Salzburg. Für die Liste Petrovic die DNA. Maria Hubmer-Mogg hat bei der Europapawahl aus dem Stand 3 Prozent gemacht und die hatte niemand am Zettel. Sie wird nicht mehr antreten, aber Teile der DNA haben sich mit der Liste Petrovic zusammengetan.

Auftritt durch Papierwand: Monika Henninger-Erber, Madeleine Petrovic und Nora Summer (v.l.) auf der der Pressekonferenz zur Parteigründung
Auftritt durch Papierwand: Monika Henninger-Erber, Madeleine Petrovic und Nora Summer (v.l.) auf der der Pressekonferenz zur Parteigründung
Picturedesk

Ob Madeleine Petrovic die Überraschung wiederholen kann
Sie hat einen guten Namen, kann Menschen aus dem linken Umfeld sicher abholen. Das kann schon ein Achtungserfolg werden.

Kann Petrovic wirklich Linke abholen?
Ja, natürlich, also wir haben die Impfkritiker, die sind links wie rechts fast gleich verteilt. Sie haben bei den Freiheitlichen starke Segmente, aber auch im linken Sektor ganz starke Segmente. Wenn Sie in die linke Hemisphäre der Wählerschaft schauen, gibt es dort unfassbar viele Kritiker der Waffenlieferungen an die Ukraine. Da wird immer gesagt, man müsse jetzt endlich mit Putin über Friedensverträge verhandeln.

Das heißt, es gibt auf der linken Seite ein Gewurrl, das den Koglergrünen und der SPÖ gefährlich werden kann?
Es ist sogar für Wlazny gefährlich, der aber wirklich querbeet einsammelt. Er holt auch von Mitte-Rechts ab.

Ob eine Partei fast ohne Programm erfolgreich sein kann
Frank Stronach?

Das wäre auch meine erste Assoziation gewesen … Aber geht das heute noch ohne Programm?
Da kommt die Digitalisierung ins Spiel, der Zugang zu anderen Quellen, auch Alternativquellen, da sind auch welche dabei, die durchaus seriös sind. Das ist die Basis. Aus Sicht von Wlazny- oder Petrovic-Wählern haben die Parteien versagt. Nehmen wir die Probleme mit dem Budget. Bis auf die NEOS machen das die Parteien wie in der "Nackten Kanone": "Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen!" Da verliert man das Vertrauen, weil die Menschen das Gefühl haben, es wird mit ihnen nicht ganz ehrlich umgegangen.

FPÖ-Chef Herbert Kickl im ORF-Sommergespräch mit Martin Thür
FPÖ-Chef Herbert Kickl im ORF-Sommergespräch mit Martin Thür
ORF/Roman Zach-Kiesling

Wie Wlazny das nutzen kann
Er hat eine gute Ausbildung, ist nicht dumm, kann sich artikulieren, authentisch ist er auch noch. Und dann kommt immer der klassische Sager: "Na, der soll's halt einmal probieren."

Ob Wirtschaft doch ein Thema im Wahlkampf wird
Also dieses Thema mehr Netto vom Brutto ist da. Die Menschen haben mittlerweile ein Gefühl entwickelt, dass ihnen wenig überbleibt. Auch Steuern sind mittlerweile ein Thema. Herbert Kickl ist interessanterweise im ORF-Sommergespräch aufgesprungen.

Wie er Kickl fand
Erwartbar, er hat seine Themen gespielt. Auf der anderen Seite musste er natürlich in Konfrontation zum ORF gehen. Er hat beim Thema Wirtschaft und Steuern Botschaften abgesetzt, etwa bei Fachkräftemangel. Da will er Leute aus dem EU-Raum holen, da wünsche ich ihm viel Spaß. Wäre ich Martin Thür gewesen, hätte ich zur Pflege und zum Wohnen Fragen gestellt.

Nach den Unwettern am Arlberg und in Hollabrunn ist mir die Klimadebatte abgegangen
Nein, da tut sich Herbert Kickl leicht. Die Freiheitlichen haben ihre Position über die Jahre geändert. Früher hat es geheißen, es gibt den Klimawandel nicht. Mittlerweile sagt man, na gut, es gibt den Klimawandel, aber er ist nicht von Menschenhand gemacht. Das ist dann die Unterscheidung. Kickl wird sagen, ja, da müssen wir was tun und natürlich sind wir für den Klimaschutz, aber dazu brauchen wir auch technische Voraussetzungen und bitte nein, der Wähler kann nichts dafür.

Dominik Wlazny punkten mit Charisma, weniger mit einem Programm
Dominik Wlazny punkten mit Charisma, weniger mit einem Programm
Sabine Hertel

Warum die ÖVP nun mehr auf Law and Order setzt
Das ist eine Orientierung Richtung österreichische Bevölkerung. Es gibt ein ganz, ganz großes Sicherheitsbedürfnis. Die österreichische Bevölkerung tickt mittlerweile bei diesen Themen sehr, sehr konservativ. Man denke an den möglichen Terroranschlag – die Swifties sind großteils junge Mädchen und Frauen. Da möchte man die Menschen abholen. Das ist eine logische Folgerung einer konservativen Partei.

Und beim Thema Migration?
Da ist das genauso. Wir wissen, dass man auch in linken Segmenten mit der aktuellen Migrationspolitik unzufrieden ist, natürlich unterschiedlich konnotiert. Aber die gestiegenen, vermeintlich gestiegenen Gewalttaten in diesen Milieus, die machen auch vor linken Wählerinnen und Wählern im 7. Bezirk nicht halt.

Die SPÖ ist schwer einzuschätzen, oder?
Ich glaube, die Europaparlaments-Wahl war schon ein ganz guter Gradmesser. Mehr als der zweite Platz wird sich nicht ausgehen. Der Unterschied zur ÖVP ist statistisch nicht signifikant, die SPÖ wird zwischen 20 und 25 Prozent zu liegen kommen.

Warum es nicht mehr wird
Die SPÖ macht eine sehr, sehr klassische, fast schon 70er-Jahre-Kampagne. Das ist 50 Jahre zu spät. Und: Das Thema Kinderarmut ist sehr honorig, steht aber nicht auf der Top-5-Liste der Bevölkerung. Das Zweite ist: Andreas Babler hat gegenüber Nehammer und Kickl Nachteile, was seine Kanzlerfähigkeit betrifft. Das wird ihm außer in der engen SPÖ-Zielgruppe schlicht und ergreifend nicht zugetraut. Erstaunlich bei dem Mitbewerb, weil auch Kickl und Nehammer sind alles andere als strahlende Kandidaten im Vergleich etwa zu Sebastian Kurz.

Meinungsforscher Peter Hajek beim Podcast-Interview mit Christian Nusser
Meinungsforscher Peter Hajek beim Podcast-Interview mit Christian Nusser
Helmut Graf

Die blödeste Frage zum Schluss, weil wir hier einen Podcast machen über die Nationalratswahl. Aber sind mutmaßlich 58 TV-Sendungen vor der Wahl nicht etwas viel? Werden wir die Politik hassen lernen im September?
Wir zwei vielleicht schon. Wir dürfen nicht vergessen, wir verfolgen das ganze Szenario natürlich vollkommen anders als Herr und Frau Österreicher. Die sehen sich vielleicht das eine oder andere an, dann schaut man, was über soziale Medien noch so hereinschwappt.

Welche Rolle das Smartphone spielt
Heute sind wir permanent am Handy. Und dann merken wir in den Umfragen, dass man sich damit eigentlich unwohl fühlt. Dass man sagt, ich möchte eigentlich gerne weniger davon haben.

Peter Hajek ist Geschäftsführer und Eigentümer von "Unique Research", promovierter Politikwissenschafter und akademisch geprüfter Markt- und Meinungsforscher. Er beschäftigt sich seit 25 Jahren mit empirischer Sozialforschung. Lehraufträge an Universitäten, Fachhochschulen

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