Niki Glattauer
Bodenlang! Bauchfrei! Kommt nun (auch) in Österreich die Schuluniform?
Aktuelle Mode und "importierte" Bekleidungsgepflogenheiten syrischer Mädchen geben der alten Diskussion um die Schuluniform einen neuen Spin. Die FPÖ will angeblich ein Wahlkampfthema daraus machen. Erfuhr Schulexperte Niki Glattauer – aus der SPÖ.
Drei Initialzündungen hat es für diesen Text gebraucht. Da waren zwei Leserbriefe – einer im "Falter", 32/24, der andere in meiner E-Post – und der nicht uninteressante Hinweis eines kleinen Funktionärs der Wiener SPÖ.
Stoffgefängnis Beginnen wir mit dem Leserbrief im "Falter", in dem "Magistra Elke Weißböck, Linz" Folgendes schrieb: "Die zunehmende Verschleierung immer jüngerer Mädchen ist ebenfalls ein großes Problem. Man(n) steckt die Mädchen in Stoffgefängnisse und beraubt sie ihrer Rechte, Freiheit, Chancen im Leben - ihrer Lebensfreude! Auf den Straßen wird dieser Trend vermehrt sichtbar und ich muss sagen, dass mich das sehr beunruhigt. Nicht, weil nicht jede:r tragen kann, was er:sie will. Sondern weil diese Art der Bekleidung (ich zähle auch das Kopftuch dazu) ein Symbol darstellt für eine politische Ideologie, die zutiefst antidemokratisch und menschen- und vor allem frauenfeindlich ist. Mit Religion hat das nur am Rande zu tun."
Versus bauchfrei Zufällig fast zeitgleich schickte mir "Hans Rudolf, NÖ" folgendes Mail: "In den Schulen muss es signifikante Veränderungen geben. Ich meine nicht Lehrpläne, ich meine klare Regeln, z. B. beim Handy. Warum nicht verbieten wie in Italien? Oder aber beim Schulessen, warum schweinefleischfrei? Auch bei der Kleidung. Die einen gehen bauchfrei und mit Jogginghosen, die anderen verschleiert und mit Vollbart bis zum Kehlkopf (…). Ich wohne vis a vis eines Schule. Ich sehe das Drama jeden Tag live mitan."
Wahlkampfthema Schuluniform Und dann "steckte" mir ein Funktionär der Wiener SPÖ in seinem Parteibezirkslokal ganz nebenbei, er habe aus guter Quelle erfahren, dass die FPÖ, "nämlich der Krauss", beabsichtige, zu Schulbeginn ein heißes Thema auszugraben: die Schuluniform. "Und weißt du was?", sprach er, bevor er die Antwort gleich nachschob, "Bei uns sind langsam die meisten auch schon dafür. "
"Der Krauss" als blaue Karte Gemeint war Maximilian Krauss, 31, von Heinz-Christian Strache bereits im zarten Alter von 21 zum stellvertretenden Wiener Stadtschulratspräsidenten nominiert (vom damaligen Bürgermeister Häupl dann jedoch mit Verweis auf seine Radikalität verhindert), später Nationalratsabgeordneter, seit knapp vier Jahren Klubobmann im Wiener Landtagsklub und, wie eine Nachfrage bei einem ÖVP-Lehrergewerkschafter ergab, bei FPÖ-Regierungsbeteiligung angeblich d i e "blaue Karte" für den Job des Bildungsministers…
Textiles Sorgenkind Abaya Tatsächlich könnte die Schuluniform-Diskussion einen neuen Spin bekommen, und zwar aus einem guten Grund: Bundesweit verordnete Schulbekleidung, vulgo "Uniform", brächte (siehe Leserbrief oben) der Schule tatsächlich die Möglichkeit, "importierte" Bekleidungsgepflogenheiten, die vielen Lehrerinnen ein Dorn im Aug sind, ganz pragmatisch zu unterbinden. Wobei es da weniger um den Schleier und schon gar nicht um das Kopftuch geht – der eine kommt in unseren Schulen in Wirklichkeit so gut wie nicht vor, das andere darf laut Verfassungsgerichtshof nicht verboten werden. Zum textilen Sorgenkind Nr. 1 ist das bodenlange Kleid, die Abaya, geworden, in der immer mehr Mädchen in die Schule geschickt werden, ohne dass Lehrerinnen oder Schulleitungen etwas dagegen tun könnten.
Burschen nicht, Mädchen schon Die Abaya steht im Arabischen für Kleid, genauer für ein Überkleid für Frauen. Sie ist kein religiöses Symbol, sondern dort landesübliche Bekleidung (das Pendant für Männer ist der Qami). In Familien aus Syrien und Afghanistan sind Abaya und Qami so selbstverständlich wie bei uns Jeans und T-Shirt. Das Problem hier: Die Burschen brauchen sie nicht zu tragen – sie würden sich lächerlich machen – , die Mädchen aber werden von ihren Müttern, Vätern und Brüdern "aus moralischen Gründen" sehr oft dazu verpflichtet.
In Frankreich schon "Epidemie"? Ein Problem, dem man in anderen Ländern bereits beizukommen versucht. Frankreich verbat im vergangenen Schuljahr das Tragen des Überkleids erstmals per Gesetz, nachdem sich im Erziehungsministerium die Beschwerden wegen "Verstößen gegen die Laizität" – die strikte religiöse Neutralität in staatlichen Schulen – in nur einem Jahr mehr als verdoppelt hatten: von 2.167 im Schuljahr 2021/22 auf 4.710 im Schuljahr 2022/23. Staatspräsident Emmanuel Macron gebrauchte sogar eher martialische Worte, als er meinte, Frankreichs Bildungssystem sei in Bezug auf islamische Kleider "mit einer Epidemie konfrontiert".
Jetzt auch noch die Türkinnen Auch in Österreich regt sich Widerstand. Eine Mittelschul-Lehrerin aus Wien schrieb mir: "Anfänglich waren es nur die syrischen und ein paar afghanische Mädchen, die in den bodenlangen Kleidern kamen. Jetzt fangen auch schon türkische Mädchen damit an. (…) Das Problem ist, dass sich Mädchen darin nicht bewegen können, wie sich Burschen und (!!!) Mädchen in einer normalen österreichischen Klasse bewegen, von Lehrausgängen oder Wandertagen rede ich gar nicht. Sie werden zu Statuen. Dafür muss man wirklich nicht islamophob sein, dass man das nicht gut findet."
Islamisch dominierte Klassen? Wo man es freilich ist, fällt die Kritik auch ungleich bissiger aus. Der MS-Schuldirektor Christian Klar aus Floridsdorf (wo er auch ÖVP-Bezirksvorsteherstellvertreter ist), schrieb im ideologisch sehr weit rechts angelegten Online-Medium "Exxpress": "Während wir uns noch vor Kurzem bemüht haben, Militärkleidung, Jogginghosen und Badehosen insbesondere bei Aktivitäten außerhalb der Schule zu verbannen, um in der Öffentlichkeit einen ordentlichen Eindruck zu hinterlassen, ist jetzt jede Klasse auf den ersten Blick als islamisch dominierte Klasse zu erkennen. Nicht nur die Anzahl der kopftuchtragenden Mädchen, sondern vor allem die Anzahl der Mädchen mit Abaya (bodenlanges islamisches Kleid) und dazugehörendem Niquab (enganliegender Kopfschutz mit darüber hängendem Umhang) wird immer größer. Mit Mühe schaffen wir es in Berufung auf das Vermummungsverbot, zumindest das Gesicht inklusive Kinn freizuhalten."
Jogginghosen und bauchfrei Womit Direktor Klar nebenbei den zweite Grund anspricht, den Befürworter einer Schuluniform schon seit Jahren ins Treffen führen: das Tragen vermeintlich inadäquater Bekleidung fernab von Ideologie & Religion. Auf gut Deutsch: Mit einer Schuluniform wäre man a) Jogginghosen und Hoodies (meist betroffen die Burschen) los; b) könnten Schüler nicht mehr, nennen wir es: demonstrativ textilsparend in den Unterricht kommen (meist betroffen die Mädchen).
Waschlappen mit Schuhbändern Neu ist das alles nicht. Ich beschrieb meine Annäherung an das Problem in meinem Buch "Der engagierte Lehrer und seine Feinde" schon vor 15 Jahren, und zwar an Hand eines kurzen Dialogs mit meiner Schülerin Sabrina, damals 13, die bei einer "Ich-steh-auf-H.C."-Tombola in ihrer Stammdisco unter der Bezeichnung "Girlie-Top" eine Art Waschpappen mit Schuhbändern gewonnen hatte, den sie danach an vier von fünf Schultagen trug:
- Sabrina tu dein … Top… heute in die Kochwäsche.
- In was?
- Du gibst das Teil in die Waschmaschine und drehst auf 90 Grad. Du wirst staunen, was dann geschieht.
- 90 Grad? (Sabrina erinnerte sich vage an Mathe) Ist es dann … umgedreht?
- Nein, endlich weg.
Too sexy Schülerin ade Im vergangenen Schuljahr hatten zwei Fälle für große mediale Aufregung gesorgt. In einer Kärntner Mittelschule der Ursulinen (Privatschule St. Ursula in Klagenfurt) bekamen die Eltern einer 12-Jährigen ein Kündigungsschreiben, weil sie die "Hausordnung" bezüglich strengerer Bekleidungsvorschriften als "faschistoid" bezeichneten. Den Eltern war bei Schulstart mitgeteilt worden, dass Schüler dieser Schule "ordentlich bekleidet" erscheinen müssten. Laut "Kleiner Zeitung" so: "Keine Jogginghosen, Hotpants, Leggings, keine zu kurzen, beziehungsweise bauchfreien Shirts oder Shirts mit Spaghetti-Trägern etc. Für Röcke und kurze Hosen gilt: nicht kürzer als eine Handbreite über dem Knie." Die Schule bewies Standhaftigkeit. Die Regeln blieben. Die Schülerin musste gehen.
Sexy-Verbot in Stockerau Fast deckungsgleich der Fall in einem Gymnasium in Stockerau, Niederösterreich: Dort führte man voriges Schuljahr via Hausordnung expressis verbis ein "Sexy-Verbot" ein, zur leichteren Verständlichkeit via Zeichnung (siehe Foto oben). Die Direktorin und die Obfrau des Elternvereins traten gemeinsam an, um den Schritt zu begründen: Ein Gymnasium sei ein Arbeitsplatz, entsprechend müsse die Kleidung ausgewählt werden. Die Regeln gälten für Buben wie Mädchen mehr oder weniger gleichermaßen. "Auch Buben dürfen nicht mit nacktem Oberkörper im Unterricht sitzen." Warum ein "Sexy-Verbot" überhaupt notwendig sei? Wörtlich: "Manche Schüler verließen zuletzt ihr Wohnhaus mit Hoodie und trugen darunter … wenig."
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Und wieder die Blauen Nachdem es daraufhin vor dem Gymnasium zu Protesten einiger Schülerinnen gekommen war – die "Aktion Kritischer Schülerinnen" und die "Sozialistische Jugend" forderten auf Plakaten: "Kleidungsvorschrift kübeln!" – war es auch in diesem Fall die FPÖ, die gewisse Zeichen der Zeit erkannte. Im vergangenen Mai forderten FPÖ-Wien-Chef Dominik Nepp und als FPÖ-"Jugendsprecher" auch der oben genannte Maximilian Krauss nicht nur ein "Jogginghosen-Verbot", sondern darüber hinaus gleich eine "einheitliche Schulkleiderordnung".
Hoppauf, Uniform! Tatsächlich wurde Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr wenig später im Gemeinderat von der FPÖ aufgefordert, ein Konzept für "von der Stadt finanzierte Schuluniformen" auszuarbeiten. Schuluniformen würden "den sozialen Druck von den Schülern nehmen", das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und "oft auch Mobbingvorfälle verhindern".
Hoppauf, Jogginghosen! Das Satireduo "Gebrüder Moped" (das sich im Mai 2024 auflöste) griff diese Forderung auf ihrem Twitter-Account spontan auf und empfahl, am 9. Mai 2023 "in einer Jogginghose in die Schule" zu kommen. Das sei natürlich nur ein unverbindlicher Vorschlag an alle Schüler*innen der Republik Österreich".
Braunes Hemd mit KJ-Embleme? Auch im "Standard" kamen Nepp & Krauss nicht wirklich gut weg. Journalisten-Legende Hans Rauscher widmete sich dem Thema sogar in seiner Leit-Glosse, dem so genannten 1er-Kastl, indem er zunächst die FPÖ-Argumentation von der "Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls" hernahm und dann satirisch hinzufügte: "Am besten vielleicht in einer coolen Vintage-Version, die sich historisch schon bewährt hat: braunes Hemd mit schwarzem Halstuch und kurze schwarze Hose. Dazu ein schickes Armband mit den Buchstaben KJ (für "Kickl-Jugend"). (…) Die Mädels natürlich in der Version weiße Bluse, schwarzer Rock."
"Uniform" ginge auch in Jeans Nun, Schuluniform ist die eine Sache – einheitlich vorgeschriebene Schulbekleidung eine andere. So hieß es in einem Kommentar in der "Berliner Morgenpost" anlässlich der Schuluniform-Debatte in Frankreich: "Eines ist mal klar: Schülerinnen und Schüler sind keine kleinen Bankkaufleute. Man sollte sie unbedingt verschonen mit klassischen Schuluniformen, wie wir sie aus Großbritannien oder anderen Ländern kennen. Krawatte, Weste, Sakko, Rock: Das ist etwas fürs Büro – und wird selbst dort von vielen Beschäftigten als mittelgroße Zumutung empfunden. Heranwachsende sollen sich wohl fühlen beim Lernen. Auch in ihrer Kleidung. Aber was spräche gegen Regeln in Schulen, die vorgeben, was in Sachen Kleidung geht und was nicht?"
Viele Eltern wären froh Und weiter: "Gepflegte Jeans und Sweatshirts sollten kein Problem sein. (…) Vielleicht trägt das Sweatshirt ja auch noch das Logo der Schule. Das würde das Gemeinschaftsgefühl stärken und überdies den Markenwahnsinn in höheren Klassen begrenzen. (…) Viele Eltern wären ganz froh, wenn es in der Schule ihrer Kinder Kleidungsvorschriften gäbe. Das würde ihnen so manche Diskussion beim Klamottenkauf ersparen. Oder am Morgen vor Schulbeginn, der in vielen Familien der stressigste Teil des gesamten Tages ist."
Aber nicht immer und überall Dass Bekleidungsregeln so manche Diskussion erst entstehen lassen, las ich unlängst auf "heute.at". Die Charles Middleschool in El Paso, Texas, hatte ihren Schülern zu Schulbeginn per Elternbrief verbieten wollen, im Unterricht in "Schwarz" zu erscheinen. „Wir beseitigen einen Look, der sich auf dem Campus durchgesetzt hat, bei dem die Schüler schwarze Oberteile und schwarze Unterteile tragen, was eher mit Depressionen und psychischen Problemen und/oder Kriminalität in Verbindung gebracht wird als mit glücklichen und gesunden Kindern, die bereit sind zu lernen. (Nick DeSantis, Headmaster)
Dann halt doch nicht Doch die Eltern liefen dagegen Sturm. "Durch das Tragen einer anderen Farbe wird man nicht auf magische Weise zu einer anderen Person", so ein Vater auf Facebook. "Sie sollten sich darauf konzentrieren, sicherzustellen, dass die Kinder richtig unterrichtet werden", ein anderer. Mit Erfolg, nachdem sie von der Leiterin der Jugendhilfe Rückendeckung bekamen: "Psychische Erkrankungen und Depressionen haben keine Farben. Es gibt andere Anzeichen, auf die man wirklich achten sollte." Worauf der Bezirksschulrat die bereits abgesegnete Regelung wieder aufhob …
Wie es in Österreich weitergeht? Der Wahlkampf könnte Hinweise liefern.
Wie stets, verwende ich die weibliche und männliche Form willkürlich wechselnd, alle anderen sind jeweils freundlich mitgemeint
Nikolaus "Niki" Glattauer, geboren 1959 in der Schweiz, lebt als Journalist und Autor in Wien. Er arbeitete von 1998 an 25 Jahre lang als Lehrer, zuletzt war er Direktor eines "Inklusiven Schulzentrums" in Wien-Meidling. Sein erstes Buch zum Thema Bildung, "Der engagierte Lehrer und seine Feinde", erschien 2010