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Brutalität Wahlkampf: "Ich war so verzweifelt, dass ich geweint habe"

Vor zehn Jahren war Eugen Freund EU-Spitzenkandidat der SPÖ. Warum er mit Lena Schilling mitfühlt, wie er Medien erlebte, warum er in seinen Kalender schrieb: "Ich kann nicht mehr."

Zweiter Platz: Spitzenkandidat Eugen Freund in der Parteizentrale der SPÖ am Wahltag, 25. Mai 2014
Zweiter Platz: Spitzenkandidat Eugen Freund in der Parteizentrale der SPÖ am Wahltag, 25. Mai 2014
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Christian Nusser
Akt. Uhr
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Eugen Freund hat elf Jahre in den USA gelebt, auch als US-Korrespondent für den ORF dort gearbeitet. Er hat die ZiB 2 und vor allem die ZiB 1 moderiert. Heute ist er Autor vieler guter Bücher, etwa über die EU 2019 ("Haben sie schon abgestimmt?") und Experte für die US-Wahl auf Newsflix. Freund war aber (zwischen 2014 und 2019) auch fünf Jahre lang EU-Abgeordneter für die SPÖ in Brüssel. Die zentralen Passagen aus seinem Podcast-Interview:

Wie es ist, EU-Abgeordneter zu sein
Naja, es ist vor allem mühsam, EU-Abgeordneter zu werden. Zu sein ist eine schwierige Aufgabe, aber das Werden war natürlich schon eine schwere Geburt.

Wie bei ihm alles anfing
Das hing damit zusammen, dass ich am 31. Dezember 2013 vom ORF in die Wüste geschickt wurde, nachdem ich gute zwei Jahre die ZiB 1 moderiert habe und auch vorher journalistisch tätig war. Das sage ich jetzt für alle, die mich als Fernsehansager titulieren. Ich habe vom Fall der Berliner Mauer berichtet, vom Jugoslawienkrieg, ich war natürlich ein bekanntes Gesicht.

Warum er beim ORF aufgehört wurde
Ich hatte einen Vertrag unterschrieben, dass ich nach zwei Jahren gehe. Aber mir wurde auch gesagt, wenn ich danach weitermachen möchte, dann können wir reden. Es stand dann viel in der Zeitung, dass ich nicht gehen will und doch gehen werde. Dann hat mich der Josef Ostermayer (Kanzleramtsminister unter Kanzler Werner Faymann, Anm.) angerufen. Den hatte ich bis dahin einmal in meinem Leben getroffen.

Was Ostermayer anzubieten hatte
Er hat gesagt, du, wir überlegen uns, dich für die Wahl zum EU-Parlament zu kandidieren, würdest du das machen?

Was der erste Reflex war
Es war knapp vor Weihnachten, wir sind mit der Familie nach Kärnten gefahren und ich habe im Auto eine Abstimmung abgehalten. Ich habe gesagt, also ich bin dafür, dass ich das mache, wer noch? Es ist drei zu eins ausgegangen, die einzige Stimme, die dagegen war, kam von meinem Sohn, der Politikwissenschaften studiert hat.

Ob der Sohn mit den Bedenken recht hatte
Er hatte Recht für die ersten sechs Monate, aber nicht, was die Tätigkeit dann betrifft.

ÖVP-Spitzenkandidat Othmar Karas wird von Theresia Leitinger, Nummer 13 auf der VP-Liste für die EU-Wahl, am Wahlabend zur TV-Diskussion chauffiert
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Warum?
Im Wahlkampf wurde ich so behandelt, als würde ich die Welt aus den Angeln heben können. Also jede einzelne Äußerung von mir wurde auf die Waage gelegt und seziert und hinterfragt und alles war wichtig, was ich gesagt habe. Und als ich dann im Parlament war und sozusagen die Welt aus den Angeln hätte heben können in meiner Tätigkeit als EU-Abgeordneter, hat sich kein Mensch mehr interessiert dafür.

Ob man als EU-Abgeordneter machtlos ist oder was bewegen kann
Es hat Abstimmungen gegeben, die 300 zu 301 ausgegangen sind. Also man kann etwas bewegen, wenn man mitstimmt, dann geht die Abstimmung entweder dafür oder dagegen aus. Und man kann sich natürlich einbringen. Ich war Außenpolitiker, ich war im Außenpolitischen Ausschuss, in der Amerika-Delegation und in der Israel-Delegation.

Warum die EU den Österreichern so wurscht ist
Das hängt, glaube ich, sehr damit zusammen, dass die österreichischen Politiker, wenn sie aus Brüssel zurückkommen, immer so tun, als wäre das das böse Brüssel, dass irgendetwas entschieden hat, aber nicht sie selber. In Wirklichkeit sind sie im Rat, entweder als Regierungschef oder als Minister, und entscheiden dort mit. Und dann kommen sie und sagen, Brüssel tut uns das an.

SPÖ-Spitzenkandidat Eugen Freund vor einer Fernsehdiskussion im EU-Haus in Wien
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Ob wir also ein Vereinigtes Europa der Ausreden haben
Ja, das ist, glaube ich, das einzige Europa, das die Österreicher gerne hätten, ein Vereinigtes Europa der Ausreden.

Ob man merkt, wie die Partei mit Quereinsteigern umgeht
Man bekommt es schon mit. Aber ich muss sagen, die haben mich alle wirklich total positiv aufgenommen. Natürlich waren der Faymann und der Ostermayer dafür, also die zwei Leute, die etwas zu sagen hatten. Ich hatte auch keinen schlechten Ruf. Den haben erst die Medien erzeugt.

Welche schlechten Erfahrungen er mit Medien gemacht hat
Ich war natürlich auch selber schuld daran. Kurz nach meiner Bekanntmachung habe ich "Profil"-Journalisten zu mir nach Hause eingeladen. Was kann mir schon passieren? Dann wurde ich gefragt, wie viel ein Arbeiter verdient und die Zahl hat halt nicht gestimmt (Freund schätzte 3.000 Euro brutto im Schnitt, tatsächlich waren es 2.000 Euro, Anm.).

Was dann passierte
Es war jetzt wieder nicht so eine riesige Katastrophe. Aber es hat gereicht, dass ich in allen Artikeln, die danach erschienen sind, als derjenige gebrandmarkt wurde, der nicht weiß, was ein Arbeiter verdient.

Die FPÖ schafft 19,7 Prozent: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Spitzenkandidat Harald Vilimsky
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Wie er aus der anderen Perspektive Journalismus erlebte
Du glaubst, das sind eh alles deine Freunde, aber ab dem Tag deiner Nominierung sind sie keine Freude mehr.

Wie brutal Wahlkampf ist
Wir sind 40.000 Kilometer durch Österreich gefahren und jeder, der Österreich halbwegs kennt, weiß, dass es nur 1 .000 Kilometer lang ist. Man fährt ununterbrochen im Auto von einer Versammlung zu anderen, von einem kleinen Parteigremium zum anderen. Alle wollen dich irgendwie anfassen und abtasten. Aber ich muss sagen, es war immer nett.

Warum er am 1. Mai 2014 nicht am Wiener Rathausplatz reden durfte
Keine Ahnung warum nicht, aber ich war ja auch nur der Spitzenkandidat für die 25 Tage später stattfindende EU-Wahl.

Ob die Menschen früher höflicher waren
Es hat natürlich damals schon die sozialen Medien gegeben, zwar mehr im Anfangsstadium als jetzt, aber Hass hat es auch gegeben im Netz. Ich wurde abgeschirmt davon, dass ich das ja nicht mehr lese. Ich muss das jetzt sagen und das sage ich gerne, mir geht der Fall Schilling natürlich auch nahe.

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Ob ihn das an den eigenen Wahlkampf erinnert
Es war im Jänner oder Anfang Februar, da war ich total verzweifelt. Ich war so verzweifelt, dass ich geweint habe und nicht wusste, was mache ich jetzt, soll ich das wirklich noch durchziehen? Dann hat mich ein guter Freund getröstet und hat gesagt, das wird schon wieder.

Was die Verzweiflung ausgelöst hat
Ich glaube, dieses ständige Trommeln. "Wie soll er denn mit Leuten umgehen können, wenn er immer nur aus dem Bildschirm geschaut hat?" Dass ich eine Vergangenheit habe in St. Kanzian am Klopeiner See, wo ich mit meinem Vater, der Arzt war, ständig unterwegs war und von einem Bauern zum nächsten Arbeiter gezogen bin und gesehen habe, wie die Leute dort aufwachsen, das hat niemanden interessiert.

Ob die Partei wusste, dass er aufhören will
Ich habe niemandem was gesagt. Aber im Kalender, den ich geführt habe, steht drin: "Ich kann nicht mehr." Ich habe mich mit dem Schriftsteller Janko Ferk in einem Gasthaus getroffen. Dort bin ich dann echt zusammengebrochen.

Warum ihn der Fall Lena Schilling an ihn erinnert
Am Ende des Wahlkampfes hat die "Krone" geschrieben, dass der Eugen Freund ein Tito-Spion ist. Irgendein schwindeliger Historiker aus Laibach hat irgendein Blatt hervorgegraben. Natürlich alles erstunken und erlogen.  Aber am nächsten Tag haben alle anderen Zeitungen geschrieben, dass die "Kronen Zeitung" geschrieben hat, dass ich ein Spion bin. Dann habe ich bei der "Zeit im Bild" angerufen und gefragt: "Bringt ihr das auch?" Und die Antwort war: "Na ja, was sollen wir denn tun? Es steht ja überall."

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Was er nach der Wahl getan hat
Ich habe sofort zum Jörg Leichtfried gesagt, dass er Delegationsleiter bleibt. Wir waren ab da wirklich gute Freunde, alle fünf. Weil ich mich zurückgezogen habe. Aber es war auch ein Fehler.

Warum?
Weil ich nie mehr in den Medien vorgekommen bin. Das macht einen Riesenunterschied.

Was er gelernt hat
Dass du unbedingt ein zweites Mal antreten musst. Du brauchst gute zwei, zweieinhalb Jahre, bis du in diesem unglaublich komplexen Gefüge Fuß gefasst hast. Dann kennst du dich aus. Dann bist du wer und du weißt auch, wer die anderen sind.

Warum er nicht mehr angetreten ist
Ich war damals auch schon 68. Alte weiße Männer gibt's ja auf der Welt genug, ja. Es ist von der Partei auch niemand an mich herangetreten.

Wie man den Österreichern die EU schmackhafter machen könnte
Noch mehr Leute nach Brüssel und nach Straßburg holen, damit sie sich das einmal vor Ort anzuschauen. Ich habe da wirklich die besten Erfahrungen gemacht. Wenn junge Leute gekommen sind, dann haben wir immer wieder gemerkt, dass dieses totale Desinteresse, das sie hatten, sich in ein wirklich großes Politverständnis gedreht hat.

Eugen Freund, Ex-Abgeordneter im EU-Parlament, mit Christian Nusser (Newsflix)
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Wie er den aktuellen Wahlkampf sieht
So wie er immer ist. Es geht wieder nicht um Themen, sondern um irgendwelche Partikularinteressen. Wie kann man Klicks erzeugen? Klicks kann man mit Lena Schilling erzeugen, indem man sagt, sie ist eine unausgereifte Intrigantin. Aber von Klimawandel und vor allem von den wirklich großen Fragen – wie wird sich Europa in der Welt durchsetzen können gegenüber China, gegenüber den Vereinigten Staaten, gegenüber Russland, wie werden wir diesen Ukraine-Krieg beenden – wo steht da irgendetwas?

Wen er am 9. Juni wählt
Ich war immer ein Springer zwischen den Welten. Ich habe immer Kreisky gewählt, ich habe oft Grün gewählt. Ich habe absurderweise den Waldheim gewählt, aber nicht 1986, sondern 1971, als er das erste Mal angetreten ist. Also die ÖVP würde ich jetzt nicht mehr wählen … So wie sich die SPÖ derzeit im EU-Wahlkampf verhält, muss ich sagen, dass wenig dagegenspricht, sie zu wählen.

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