Tagebuch einer Pandemie
Corona-Kopfnüsse, Kapitel 7: Auf Schlingerkurs
Lesen Sie im siebenten Teil der Corona-Tagebücher, wie Österreich den Corona-Urlaub plante. Und eine App bekam.
Kapitel 7: Auf Schlingerkurs
3. Juni 2020 Hurra, Badeurlaub in Liechtenstein
Sebastian Kurz überlegt, wo er uns im Sommer auf Urlaub hinschicken will. Wir trösten uns inzwischen mit Mischmaschinen.
Das klingt jetzt vielleicht auf den ersten Blick etwas abwegig, aber Betonmischer sind das neue Klopapier. Bitte nicht falsch verstehen, das ist nicht als Ersatz gedacht, so etwas kann recht schnell schief gehen. Also wenn sie dann doch noch eine Mischmaschine ergattern, aber kein Klopapier, bitte artgerecht verwenden, sonst haben Sie schnell einen betonierten Hintern.
Überhaupt kaufen wir im Moment ein bisschen seltsam ein. Nicht dass wir an sich seltsam geworden wären, also ein bisschen schon natürlich, okay ein bisschen viel möglicherweise, jedenfalls aber erregen Produkte unser Interesse, von deren Existenz wir bisher kaum Ahnung hatten. Seit April etwa stieg das Interesse in Österreich an Produkten der Fachgruppe "Bänder, Borten und Kordel" im Internet um 30.000 Prozent, erhob das Vergleichsportal idealo.at.
Nähmaschinen nähten wir uns um 881 Prozent mehr ein, Stoffe spannten wir um 1.340 Prozent häufiger auf. Auch Tischtennisplatten (plus 1.537 Prozent), Trampoline (plus 851 Prozent), Gartenschläuche (plus 1.272 Prozent), Swimmingpools (plus 908 Prozent) und Gartenduschen (plus 760 Prozent) erkraulten sich unser Interesse. Damit wir Outdoor nicht allzu verwahrlost ausschauen, warfen wir vermehrt ein Auge auf Haar- und Bartschneider (plus 1.569 Prozent) und Hanteln (plus 593 Prozent). Am besten trainiert sind jetzt die Postler.
Hat Liechtenstein eigentlich einen Strand? Ich frage nur, denn dort dürfen wir jetzt hin, wirklich, ich habe Tränen in den Augen. Vaduz im Sommer, wer träumt nicht davon? Wir sitzen am Rheinufer, Schutzmasken auf, bräunen unser halbes Gesicht, am Abend sehen wir aus wie Hannibal Lecter. Die Regierung beendete am Mittwoch etwas zögerlich unsere Gatterhaltung, in sieben Länder dürfen wir ab jetzt ausreisen, ohne an der Grenze eine grenzwertige Untersuchung über uns ergehen lassen zu müssen. Deutschland, Liechtenstein, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn, nicht gerade die Perlen der Karibik, aber wir sind bescheiden geworden in unseren Ansprüchen, wenn wir uns solche überhaupt noch leisten können.
Italien steht nicht auf der Begnadigungsliste, aber das folgt wohl nächste Woche. Keine Regierung hält dem Druck stand, uns im Sommer überall hinzulassen, nur nicht nach Lignano oder Jesolo. In Italien werden wir schon mit offenen Armen erwartet. Grotesk oder? Am Neusiedler See, in Tirol, im Salzkammergut, im Wienerwald, nirgends kann man die Wiener leiden, zur Not lässt man sie im Sommer gnadenhalber Urlaub machen, lieber wäre es, sie würden nur das Geld schicken. Aber in Italien, da freuen sie sich arrabiata auf uns.
Seltsam mutet das Schauspiel tatsächlich etwas an, das muss ich schon sagen. Während die Regierung in Wien abwägt, wo wir wann überall hindürfen und wen wir ins Land lassen sollten, sind längst schon alle da. In Kitzbühel wimmelt es seit Wochen von Autos mit deutschem Kennzeichen, obwohl es formal immer noch ein Einreiseverbot gibt. In Hallstadt bekam man am Wochenende keinen Parkplatz mehr. Auf Facebook postete eine Almwirtin aus dem Salzkammergut Fotos ihrer vollen Hütte und schrieb dazu: "Und wenn ihr uns jetzt fragt, wie all die Deutschen über die Grenzen kommen, kann ich es euch nicht beantworten".
Ich schon. Während die Politiker von Stichproben-Kontrollen an den Grenzen faseln, sind diese längst sperrangelweit offen. Kleinere Übergänge werden überhaupt nicht mehr bewacht, an größeren, wie etwa Suben in Oberösterreich, werden alle Autos durchgewunken. Für Briten besteht in Österreich eigentlich ein Einreiseverbot, also fliegen alle von London aus nach Zürich, setzen sich dort in den Zug und fahren nach Wien weiter, ohne jede Kontrolle. Die Flieger sind brechend voll. Umgekehrt geht das natürlich auch. Österreicher, die nach Italien wollen, können mit dem Auto zum Münchner Airport fahren und von dort nach Mailand, Venedig oder Rom fliegen, alles ohne Quarantäne.
Diese Eigenverantwortung ist schon eine grandiose Sache. Also alle, die Verantwortung übernehmen, sind irgendwie eigen. Oder war das anders gemeint?
11. Juni 2020 Wenn alle Masken fallen
Also doch! Wir dürfen im Sommer nach Italien, die Masken abnehmen und näher aneinanderrücken. Sogar in der Kirche.
Nun werden wir also doch früher ausgewildert. Seit Mittwoch steht fest, dass wir diesen Sommer auch nach Italien, Kroatien oder Griechenland dürfen. Überrascht? Wohl kaum! Seit Wochen ist ohnehin den meisten klar, dass die Reisefreiheit raufgefahren wird, damit wir runterfahren können in den Süden. Die Regierung wollte uns nur noch ein bisschen am Schmäh halten, damit wir Österreich ausbuchen. Ja, wer will kann dieses Jahr gern in Österreich bleiben, die Regierung hat das ausdrücklich erlaubt. Schön, oder?
In der Nacht auf Dienstag öffnen die Grenzen, in rund 20 Länder wird man ab da reisen können, die Eigenverantwortung im Kofferraum. Eine kleine Heimtücke ist dabei, denn am kommenden verlängerten Wochenende bleiben die Grenzbalken noch unten, wer in den Süden will, muss einen Schleichweg finden. Oder man nimmt sich den Montag als Urlaubstag dazu. Beim Ausreisen wird man ohnehin nicht mehr kontrolliert, wer nach Montag Mitternacht über die Grenze nach Österreich zurückreist, muss nicht mehr in Quarantäne und benötigt auch keinen Covid-19-Test. Es wird fast wie früher, noch nicht neue Normalität, nicht mehr alte Normalität, am ehesten normale Normalität.
Unterhaltung wird jetzt leichter, also die Unterhaltung untereinander. Ab Montag können wir die Maskenpflicht vorerst als historische Anekdote betrachten. Nur mehr in den Öffis, im Gesundheitsbereich, also in Apotheken, bei Ärzten und im Spital, und bei Dienstleistungen, bei denen der Mindestabstand von einem Meter unterschritten wird, etwa bei Friseuren und Masseuren, müssen wir unsere Mund- und Nasenpartie noch bedecken.
Mittwochnachmittag fiel auch die Maskenpflicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Supermärkten. In der Kirche heiligen Abstandsregeln nicht mehr alle Mittel, im Flugzeug auch nicht, die Sperrstunde wird auf 1 Uhr verlegt, Tankstellen-Shops dürfen länger offenhalten. Für die normale Normalität ist o´zapft.
14. Juni 2020 "Fußball ist kein Grundrecht"
Die Regierung geht in Klausur, diesmal der Einfachheit halber in Wien. Es wurde trotzdem einen Wettlauf daraus.
Klausuren an sich sind Veranstaltungen, denen in Österreich etwas Besonderes anhaftet, obwohl Besonderheiten in diesem Land nichts Besonderes sind, das Normale ist eher die Exotik. Regierungen fahren also auf Klausur, um dort besonders intensiv darüber zu diskutieren, was man vorher schon beschlossen hat. Bisher fiel das nicht besonders auf, weil im Vorfeld besonders darauf geachtet wurde, dass die Besonderheiten nicht bekannt wurden, das hätte die Show empfindlich gestört.
Uns Journalisten hätte das vielleicht auffallen können, denn stets verschwanden die Regierungsmitglieder hinter verschlossenen Türen, um kurze Zeit später mit fixierten Arbeitspaketen unterm Arm zurückzukehren, für die ein paar Wochen Verhandlungen angemessen erschienen. Auch diesmal ist das nicht anders. Es gibt drei Plenarsitzungen, die erste („Coronakrise“) dauert zwei Stunden, die zweite („Rettung, Entlastung und Investitionen“) und die dritte („Gemeinsamer Ausblick 2020“) jeweils eineinhalb Stunden. Ich hege den Verdacht, dass im Klausurraum in der Vergangenheit nicht debattiert wurde, sondern es wurden ein paar Bummerl ausgespielt, wer gewann durfte als Erster raus oder als Letzter, wenn es um Sparpläne ging, das könnte diesmal auch so sein.
Ein bisschen was ist diesmal trotzdem anders. Die Grünen dürften davon erfahren haben, dass der Regierungspartner die Sonntagszeitungen mit Vorab-Infos füttern will. Deswegen erzählte Werner Kogler dem "Standard" schon für die Samstagausgabe, was Sebastian Kurz den anderen Zeitungen für die Sonntagsausgabe erzählen wollte. Irgendwann wird man soweit sein, dass man vor einer Klausur erfährt, was bei der übernächsten Klausur beschlossen werden soll.
Der Vizekanzler also erklärte, dass ein "Sozialpaket" paktiert wird, ein Teil der Steuerreform kommt früher, ein "Kinderbonus" extra. Weil Werner Kogler also die Geschichte der Klausur schon vorher auserzählt hatte, musste die ÖVP für den Sonntag etwas drauflegen und das muss man den Türkisen nicht zwei Mal sagen, flugs war der "Familien-Tausender" erfunden. Der "Kinderbonus" bekam ein Update, gratis, aber nicht umsonst.
Wenn ich mich nicht verzählt habe, dann gab es in den letzten drei Monaten 122 Pressekonferenzen, man kann der Koalition einiges absprechen, medienscheu aber ist sie nicht wirklich. Nach bis zu vier Pressekonferenzen an einem Tag pfiff man bei der Klausur nun aber darauf, obwohl es tatsächlich etwas zu verkünden gegeben hätte, wenn auch schon zuvor Ausgeplaudertes.
Also es gab schon so etwas Ähnliches wie Pressekonferenzen, aber die hießen plötzlich anders, nämlich "Doorsteps", ich übersetze das der Einfachheit halber einmal mit Türlschnapper, am Dienstag gab es gleich drei "Türlschnapper" hintereinander. Beim „Türlschnapper" geht der Politiker üblicherweise zu einem vorher genau festgelegten Zeitpunkt durch eine vorher genau festgelegte Tür, an deren Schwelle zufällig Journalisten warten und spontan Fragen stellen.
Nicht Sebastian Kurz oder Werner Kogler traten zum "Türlschnapper" an, sondern zunächst einmal Christine Aschbacher, die Rudolf Anschober als Aufpasser an die Seite gestellt bekam. Der "Doorstep" begann damit, dass sich die door zum room öffnete, in dem sich sonst das Pressefoyer zuträgt, und der Gesundheitsministerin mit der Arbeitsministerin in den Saal steppte. Die beiden nahmen hinter zwei Mikrophonen und vor einer riesigen, weißen Wand Aufstellung, Warum, wurde Anschober gefragt, könnten sich 50.000 Menschen zu einer Demo treffen, aber die Sportstadien müssten leer bleiben? "Nun", antwortete er, "zunächst einmal ist Fußball kein Grundrecht".
In der Sekunde rissen wohl Tausende Fußballfans ihre Anschober-Poster von den Wohnzimmerwänden, Frauen wünschten sich keine gemeinsamen Kinder mehr mit dem Gesundheitsminister, bei einigen Tattoos stehen mühsame Cover Ups ins Haus. Nur Christine Aschbacher bewegte das nicht, sie skizzierte das ganze große Bild der Klausur. "Es geht darum, dass wir gemeinsam gegen die Weltwirtschaftskrise kämpfen". Hoffentlich bekommt die Weltwirtschaftskrise keinen Lachkrampf, wenn sie uns Armutschkerln sieht, wie wir die Ärmel aufkrempeln.
21. Juni 2020 Hallo Hase 19!
Warum Corona-Apps nicht miteinander reden wollen und was ein Nacktmull damit zu tun hat.
Gnade, ich bitte um Gnade. Vielleicht können wir einen Pakt schließen, okay? Ich fahre irgendwann im Sommer ein paar Tage irgendwohin in Österreich und ihr hört dafür jetzt mit dieser Dauerbeschallung auf, ich halte das nicht mehr aus. Ich weiß, nirgendwo auf der Erde oder im Weltall oder auf der Milchstraße, egal ob man links oder rechts abbiegt, ist es auch nur annähernd so schön wie bei uns, aber ich habe das jetzt ausreichend oft gehört. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich nur an ein anderes Land denke. In der Früh wache ich schweißgebadet auf, weil ich von einer Reise weiter als nach Attnang-Puchheim geträumt habe. Mein Patriotismus ist hinlänglich bewiesen, gegen mich kann man die FPÖ, was die Liebe zur Heimat anlangt, als wankelmütig betrachten.
Der Kanzler und der Vizekanzler und die Tourismusministerin und die Wirtschaftsministerin und der Finanzminister und die gesamte restliche Bundesregierung und die Landeshauptleute und die Tourismusmanager und wer weiß ich sonst noch alles, tragen uns Österreich seit Wochen an wie früher die Standler am Naschmarkt ihre Paradeiser und Salathäupl. Das müssen sie nicht, wir sind inzwischen gewohnt, dass man mit uns anders umspringt. Ihr habt uns wochenlang eingesperrt, jetzt braucht Ihr auf den letzten Metern auch nicht mehr zimperlich werden. Sagt einfach, dass es für uns nur mehr vier Gründe gibt, um im Sommer ins Ausland zu fahren: Ihr seid von dort, ich wollte nicht mehr zurück, wir haben euch rausgeschmissen oder ihr habt einen Klopfer. Das kann doch nicht so schwer sein.
Ich schalte den Fernseher ein und sehe Drohnenflüge über das schöne Österreich. Prominente reisen durch das schöne Österreich und zeigen uns die schönsten Seiten vom schönen Österreich. Es gibt Sondersendungen und Reportagen und Magazine über das schöne Österreich. Ich sehe Plakate und Inserate von schönen Menschen mit schönen Kindern im schönen Österreich und alle haben schöne Zähne und lachen so schön und glücklich, weil sie in unseren schönen Gewässern baden dürfen.
Ich schlage die Zeitungen auf und Berichte über das schöne Österreich strahlen mich an, ich blättere Illustrierte durch und überall greifen Bilder über das schöne Österreich nach mir. Hoteliers kommen zu Wort und sie sagen, dass es ihnen total super geht oder total mies oder irgendwas total dazwischen, dass die Verluste des Frühjahrs sicher aufgeholt werden können oder sicher nicht, aber jedenfalls sei es sehr schön da, wo sie gerade sind und wer jetzt woanders hinfährt, hat tatsächlich einen Klopfer.
Dieser Tage war ich zu einem Abendessen eingeladen. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass dabei sämtliche Corona-Bestimmungen der Regierung penibel eingehalten wurden, alle, die früher galten, jetzt gelten oder später einmal gelten werden, auch jene, die nie Gültigkeit erlangten oder mit denen man uns angeschwindelt hat, um es jetzt einmal vorsichtig auszudrücken. Vor dem Sommerurlaub in unserem schönen Österreich sind unsere Politiker vielleicht etwas sensibel, da sollten wir nicht zu grob zu ihnen sein. Jedenfalls standen und saßen wir einfach einen Meter voneinander entfernt und wuschen uns vor dem Essen alle die Hände – hoffe ich.
Zehn Leute waren da, zwei deutsche Staatsbürger, gut die Hälfte hatte die Corona-App am Smartphone geladen, die Deutschen die deutsche App, die Österreicher die österreichische App. Die Deutschen konnten die österreichische App nicht herunterladen, denn das geht nicht, die Österreicher konnten die deutsche App nicht herunterladen, denn das geht auch nicht. Insofern war es gut, dass wir den Babyelefanten machten, denn natürlich werden die Deutschen nicht verständigt, wenn einer aus der Österreicher-Gruppe erkranken sollte, umgekehrt erfahren wir nicht, wenn die Deutschen krank werden, denn dann werden wir nicht informiert. Das ist eine interessante Konstellation für den Sommer, aber glücklicherweise urlauben selten Deutsche in Österreich. Ich sage einmal so: Die EU hat sich unter Corona nicht über Nacht zu den Vereinigten Staaten von Europa entwickelt.
Die Corona-Warn-App der Deutschen arbeitet mit einem so genannten digitalen Handshake. Wenn sich Nutzer über einen längeren Zeitraum, also rund 15 Minuten, näher als etwa zwei Meter kommen, dann werden zwischen den Geräten via Bluetooth automatisch Zufallscodes ausgetauscht, die 14 Tage gespeichert bleiben und sich dann selbsttätig löschen. Wird ein Nutzer positiv getestet, kann er das seiner App mitteilen, die daraufhin alle anderen Anwender über die Gefahr informiert. Betroffene können sich dann auf Kassenkosten testen lassen.
Österreichs Corona-App kann keinen digitalen Handshake, noch nicht, in den nächsten Tagen oder Wochen kommt das nächste Update, dann sollte das klappen. Vor allem aber lief bei uns die Debatte über Sinn und Nutzen von Anfang an anders, man könnte auch sagen schief. Der Kanzler war zunächst ein glühender Fan, die Liebe erkaltete schnell, Umfragen trudelten ein. Wer Sebastian Kurz heute nach der App fragt, hat den Eindruck er wisse gar nicht, worum es sich dabei handle. Die Bevölkerung ist hochskeptisch, die Download-Zahlen stagnieren bei etwas über 600.000, vor allem aber ist die Diskussion politisch aufgeladen, meist ein Garant fürs Scheitern. Aber was will man auch anderes erwarten in einem Land, im dem sogar Radfahren politisch ist.
Dabei ist unsere App viel lustiger als die von den Deutschen, wir verwenden nämlich Tiernamen. Beim nämlichen Abendessen saß ich plötzlich an einem Tisch mit "Igel 35", "Fuchs 08", "Bache 68" und "Katze 46". Die Codes werden auch bei uns automatisch vergeben und wechseln bei jedem Log-in, aber immer bestehen sie aus einer Kombination aus einem Tiernamen und zwei Ziffern. Dafür gibt es keinen besonderen Grund, verrät das "Rote Kreuz", das die App managt. Also es gibt schon einen Grund und der ist zutiefst österreichisch, er lautet nämlich "Spaß". Die Entwickler machten sich eine Gaudi, sie entschlossen sich, nicht "AE35XYß_g" mit "Op32–7go_9" zu verbinden, sondern "Esel 12" mit "Schakal 34". Nett, oder?
Nett schon, aber das kann zu heiklen Situationen führen. Wenn der CEO bei einem Meeting plötzlich "Sau" heißt. Oder stellen Sie sich den 80er von Oma vor, wenn der Schwiegersohn, der "Affe", und die Tochter, die "Kuh", dem Geburtstagskind, diesem "Dromedar", ein neues paar Hauspatschen schenkt. Wenn in ein paar Jahrzehnten Außerirdische das große Glück haben, ausgerechnet in Österreich zu landen, dann werden sie in den Archiven auf wahre Schätze stoßen. Eventuell, dass ein Nacktmull Corona-Hilfspakete auf den Weg gebracht hat und ein Nashorn sich wesentliche Verdienste um die Digitalisierung der Schule erwarb.
29. Juni 2020 Als Österreich zu Burkina Faso wurde
Österreichs Schulen verabschieden sich in die Sommerferien. Stromlos, aber zufrieden, vor allem mit sich.
Es war einer dieser magischen Augenblicke während der Coronakrise. Um ein bisschen die deutsche Sprache zu pflegen, könnte man auch sagen, es war einer der strongest moments im Distance Learning während des Home-Schoolings. Die Französischlehrerin eines mir gut bekannten 16-Jährigen meldete sich per Video-Konferenz bei ihren Schülerinnen und Schülern. Sie hatte die Gunst der Stunde genutzt und sich in die leere 5. Klasse verfügt, deren sonstige Insassen nun daheim vor den Bildschirmen auf ihren Schreibtischsesseln klebten und auf den Unterricht warteten, einige davon im Pyjama. Ein paar Pyjamas lagen mit dem dazugehörigen Innenleben auch noch im Bett, aber lassen wir das beiseite.
Mutterseelenallein saß die Lehrerin da und lernte die Realität des heimischen Schulwesens auf die ungemütliche Tour kennen. Als sie nämlich mit dem Unterricht beginnen wollte, merkte sie, es gibt kein WLAN, also ein bisschen schon, aber nicht viel. Ein bisschen WLAN bedeutet in den meisten Gegenständen, dass dem Unterricht schwer zu folgen ist. In Französisch allerdings ergibt ein bisschen WLAN, dass man nur jedes dritte Wort hört, was eine ganz neue Sprache ergibt, eine, die sich nicht zwingend in Unterrichtsplänen wiederfindet. Wir reden hier von einer modernen Schule mitten in Wien, nicht in Burkina Faso, ohne das afrikanische Land jetzt herabwürdigen zu wollen, vielleicht sind die dort beim WLAN tipptopp.
Als die Lehrerin dann ihr Notebook anstecken wollte, weil der Strom knapp wurde, stellte sie fest, dass sich im Klassenzimmer nur eine einzige Steckdose befindet, was für sie ausreichend war, aber im Vollbetrieb Knappheit erzeugen könnte. Es sei denn die lieben Mädchen und Buben werden von ihren Eltern mit Notstromaggregaten im Ranzen am Schultor abgegeben. Wir planen jetzt Marsflüge und der Bildungsminister will Schülerinnen und Schülern mit Laptops beschenken, aber sie werden sie wohl zum Zwiebelschneiden oder Tischtennisspielen benutzt müssen oder man versucht durch Auf- und Zuklappen ein paar Gelsen zu fangen, dem Unterricht damit zu folgen, wird schwierig. Nicht unmöglich, aber schwierig.
Das ist vielleicht nicht ganz wurscht, denn unsere Kinder werden das WLAN brauchen, weil sie – rotwangig vom Urlaub am Bauernhof zurück – ab Herbst wieder in die Schule gehen sollen und das nicht separiert in A-Hörnchen und B-Hörnchen, sondern gemeinsam in einer Klasse sitzend. Der Bildungsminister schrieb den Eltern nun einen Brief, ihm war wohl zu Ohren gekommen, dass es ein gewisses Informationsbedürfnis gibt, wie es denn mit dem weitergeht, was in den nächsten Tagen endet, die Schule nämlich.
Heinz Faßmann beginnt in dem Schreiben mit einem bisschen Lob für sich, er kann nicht verleugnen, eine fixe Größe der türkis-grünen Regierung zu sein. Er erwähnt also, die Schule wieder in Richtung "Normalität" gebracht zu haben, was sie, mit Verlaub, noch nie war, dann beschreibt er das Biotop, in dem er tätig ist, ein klein wenig genauer. "Wir haben in den letzten Wochen und Monaten deutlich gesehen: Schule ist nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern auch der Begegnung und des sozialen Austauschs". Ohne WLAN zwar und mit nur einer Steckdose, aber Begegnungen und sozialen Austausch gibt es ohne Zweifel.
Der soziale Austausch ohne WLAN und mit nur einer Steckdose soll im Herbst wieder in gewohnten Bahnen verlaufen. "Mein Ziel für das kommende Schuljahr 2020/21 ist daher, den Schülerinnen und Schülern im September einen möglichst regulären Schulstart zu ermöglichen", schreibt der Bildungsminister. "Das heißt, dass – wenn es die aktuell sehr stabilen Infektionszahlen auch bis dahin zulassen – die Schule im Herbst so beginnt, wie sie auch im letzten Schuljahr begonnen hat, mit gewohntem Stundenplan, ohne Schichtbetrieb".
Leider ist es derzeit so, dass die Infektionszahlen nicht "sehr stabil" sind, sondern stabil nach oben gehen, aber vielleicht ist ja alles wieder besser, wenn unsere kleinen Schichtarbeiter im Herbst in die Schule müssen oder gehen dürfen. Das hängt davon ab, ob sie gerne ganztags Pyjama tragen oder eben nicht.
30. Juni 2020 Erbsenzählen an der Wurstheke
Juchu, die Umsatzsteuer wird runtergefahren. Das macht den Kauf von Leberkässemmeln aber lebensgefährlich.
Die Regierung schaut darauf, dass wir nicht nur mit ihr unseren Spaß haben, sondern es in unserem Leben grundsätzlich heiter zugeht. Und was bereitet uns am meisten Freude? Tiere und Clowns. Im Parlament wurde gestern eine großzügige Senkung der Umsatzsteuer fixiert, ich denke irgendwann wird die Regierung sagen: „Wisst´s was Leute, ihr zahlt einfach, was Ihr wollt, diese ewige Prozentvorschreiberei nervt.
Also: Umsatzsteuer auf Speisen von 10 Prozent auf 5 Prozent runter, Würstelstände und Catering sind mitgemeint. Umsatzsteuer auf alkoholische und alkoholfreie Getränke von 20 Prozent auf 5 Prozent runter, auf Eintrittskarten (Tierparks, Museen, etc.) von 13 Prozent auf 5 Prozent, auf Übernachtungen von 10 Prozent auf 5 Prozent, das gilt für Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen, Campingplätze. Und, habe ich es nicht gesagt: Der Zirkus wird billiger, statt 13 Prozent Umsatzsteuer sind nun nur mehr 5 Prozent abzuführen.
Ich freue mich für alle Dromedare und dressierten Hunde stellvertretend mit, obwohl ich Zirkus, abgesehen von "Roncalli", nicht gut leiden kann. Was ich bestens finde: Auch "Schaustellungen" werden nur mehr mit 5 Prozent statt mit 13 Prozent besteuert. Wenn also Sebastian Kurz, sagen wir einmal, in der Auslage von Peek & Cloppenburg in der Kärntner Straße ausgestellt wird, dann ist für diese "Schaustellung" nur mehr eine reduzierte Abgabe an den Fiskus abzuführen. Billiger gab es den Kanzler noch nie.
Weil uns die Regierung gern im Alltag unterhält, hat sie sich einen Spaß erlaubt. Sie unterscheidet nämlich zwischen verabreichten und nicht verabreichten Speisen. Nicht verabreichte Speisen werden natürlich auch verabreicht, aber halt nicht im jeweiligen Geschäftslokal, sondern irgendwo anders, auf der Straße, im Auto, daheim. Ihnen mag das wurscht sein, wo Sie Ihre Wurstsemmel essen, der Steuer aber nicht. Für verabreichte Speisen fällt nämlich jetzt eine Umsatzsteuer von nur mehr 5 Prozent an, für nicht verabreichte Speisen muss man die volle Länge von 10 Prozent pecken.
Wenn sie sich also jetzt beim Fleischhauer eine Leberkässemmel kaufen, dann wird er sie fragen: "Essensasgleiodernehmensasmit?", also "verzehren sie die Semmel umgehend oder darf ich sie einpacken?" Es entstehen automatisch zwei Kategorien von Lebensmitteln, eine Art Fleisch-Rassismus greift um sich. Das hat Folgen. Wenn der Fleischhauer wissen will "Essensasgleiodernehmensasmit?", können sie antworten: "Ich esse die Semmel hier". Dann aber, wenn sie die „Essensasgleiodernehmensasmit"-Semmel in Händen halten, dann machen sie am Absatz kehrt, reißen die Tür auf und rennen los als wäre der Leibhaftige – es ist nicht Kurz gemeint – hinter ihnen her.
Für Ihre "Essensasgleiodernehmensasmit"-Semmel haben Sie nämlich dann nicht 10 Prozent, sondern nur 5 Prozent Umsatzsteuer gezahlt. Es kann zu kniffligen Situationen kommen. Etwa wenn ihnen der Fleischer nachläuft, was immer noch besser ist, als er schmeißt ihnen ein Messer nach, und sie an der Tür am Krawattl erwischt. Dann ist es ganz entscheidend, ob sie zumindest schon eine Schuhspitze im Freien haben, denn davon hängt die gesamte Umsatzsteuerlast ab. Ich weiß nicht, wie genau das gesetzlich geregelt wird, aber ich rege die Einführung eines Videoschiedsrichters an, ähnlich wie man ihn vom Fußball her kennt. Auch Leberkässemmeln kennen so ihre Millimeterentscheidungen.
Damit wurde Österreich in den Sommer entlassen. Eine heitere Phase begann, doch in der Sonne vergaßen wir, dass Corona noch nicht weg war. Das sollte sich rächen.
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