Tagebuch einer Pandemie
Corona-Kopfnüsse, Kapitel 9: Unterwegs in den Lockdown
Lesen Sie im neunten Teil der Corona-Tagebücher, warum Österreich wieder vorm Zusperren stand.
Kapitel 9: Unterwegs in den Lockdown
6. September 2020 Neues vom gelben Rudi
Die Corona-Ampel ist da, aber keiner weiß, was sie tun soll.
Die Corona-Ampel erblinkte das Licht der Welt, aber natürlich wurde sofort wieder herumgemosert, etwa warum sie vier Farben hat. Ich finde das goldrichtig, außerdem sind es ja nicht vier Farben, sondern genau genommen bis zu acht. Bei der Präsentation sprach Anschober nämlich davon, dass die einzelnen Ampelfarben auch blinken könnten. Also wenn es zum Beispiel grün blinkt, dann muss man die Maske über zumindest ein Ohr ziehen, bei gelbem Blinken über die Augen und bei orangem Blinken über den Lumpi. Geht doch!
Volksnaher wäre es natürlich gewesen, die Farben mit einem Namen zu verknüpfen, also "Roter Rudi" oder "Grüner Rudi", das hätten sich die Leute auch besser gemerkt. Vielleicht haut momentan der Verfassungsgerichtshof deshalb so viele Bestimmungen zurück, weil die Formulierungen lebensfremd sind.
Also wenn man ins Gesetz etwa reinschreibt, "beim gelben Rudi haut´s Euch den Fetzn über die Pappn", dann wirkt das gar nicht mehr wie eine Vorschrift, sondern mehr so wie eine Empfehlung und darauf will die Regierung ja hinaus, wenn ich sie richtig verstanden habe. Wenn man dann in die Erläuterungen schreibt "beim orangenen Rudi gibt´s als Sport nur mehr Taschenbillard" und "beim roten Rudi schleicht`s Eure alle ham", dann ist die Sache geritzt. Mit der Ampel macht die Regierung schon viel richtig, es fehlt nur mehr der letzte Ruck.
Die Corona-Ampel schlug ein wie eine Plombe. Wenn uns der Deutsche lobt, dann ist es um uns sowieso geschehen. Die "Bild" jubelte über die "Ösi-Ampel", forderte das auch für Deutschland ein, schrieb Österreich eine "Vorreiterrolle" zu, es sei angemerkt, wir sind das auch bei den Infektionszahlen. Es gibt noch keine Verordnung, wie wir uns bei welcher Ampelfarbe zu verhalten haben, aber im juristisch freihändigen Radfahren sind wir sowieso Weltmeister.
Jeder Freitag ist jetzt "Ampeltag", kündigte Anschober an. Statt Sudokus lösen wir ab nun am Wochenende das Regierungsrätsel, was bedeuten könnte, was uns da präsentiert wurde. Wenn wir alles verstanden, ausgeführt und uns daran gewöhnt haben, kommen die Vorschriften neu und es beginnt von vorne.
Die Ampel-Kommission besteht aus fünf Vertretern von Ministerien, neun Gesandten aus den Bundesländern, fünf Experten. Das passt, denn es ist alles sehr kompliziert. "Der wesentliche Vorteil des Instrumentes ist es, dass wir über eine wesentliche Kennzahl, die 7-Tages-Inzidenz, hinaus in der Lage sein sollten, das Transmissionsgeschehen mit Hilfe von Determinanten von Risikofaktoren einzustufen," sagte die Sprecherin der Kommission, Daniela Schmid und das TV-Publikum wandte sich hilfesuchend an Werner Kogler, damit er die Sache in ein, zwei Sätzen auf den Punkt bringt, selbst wenn das Mittagessen deswegen kalt wird. Weit haben wir es gebracht.
12. September 2020 Babyelefanten geht ein Licht auf
Die Corona-Ampel wird zur Lachnummer, aber niemand findet die Nummer witzig.
Ich weiß schon, es sind verwirrende Tage für uns alle, aber hat irgendjemand schon einen Gedanken daran verschwendet, wie es der Corona-Ampel gerade geht? Monatelang wurden ihr Hoffnungen auf eine große Karriere gemacht. Vor zwei Wochen wurde sie als künftiger Superstar angekündigt. Wir wollten sie hinausschicken in die weite Welt als unsere neue Waffe gegen Covid-19. Die Ampel fühlte sich stark, kräftig genug, um sich dem Virus entgegenzustellen, ihn rot oder orange oder gelb anzufunkeln. Sie sah sich einen "Amadeus" gewinnen, einen Professorentitel einheimsen, am Opernball in der Ehrenloge sitzen, das Große Goldene Ehrenzeichen am Bande auf der Stange befestigt. Nun liegt alles in Scherben.
Über Nacht war die Idee aufgetaucht, man müsste der Pandemie eine neue Symbolik geben, der Babyelefant hatte wohl bei den Gagenforderungen überzogen und eine auf den Rüssel bekommen. Dann kam der Tag der Tage, die Präsentation, die Ampel hatte sich herausgeputzt, aber alles lief schief. Sie erkannte sich nicht mehr wieder. Die nächsten Tage wurde an ihr herumgeschraubt, sie bekam neue Funktionen verpasst, andere fielen weg. Die Farben bedeuteten einmal dies, einmal das, es war aus dem Celon zu fahren. Die Ampel versuchte, sich in die Debatte einzubringen, sie zeigte auf und rief, aber niemand nahm sie wahr. Am Ende wurde sie sogar ausgelacht. Kein Orden, kein Opernball, kein "Amadeus", kein nichts. Ein Ende als Leuchte.
Ich fand die Idee der Ampel pfiffig, ich dachte, das ist eine gute Möglichkeit, den Menschen im Land einfach und klar zu veranschaulichen, wo wir momentan stehen, ob wir noch ein bisschen mehr Acht geben müssen auf uns und auf andere, wann Gefahr droht. Vor Beginn von Woche zwei wünsche mir den Babyelefanten zurück, bei dem hat man wenigstens noch gewusst, wo vorn und hinten ist.
Vom Prinzip her ist alles recht einfach. Es gibt Zahlen und es erscheint einigermaßen klar, was zu passieren hat, wenn sie leuchten. Ab 25 Infizierten auf 100.000 Einwohner schaltet die Ampel auf Gelb, ab 50 auf Orange, ab 100 auf Rot. Es gibt aber Parameter, die für eine "Herabstufung" sorgen können, die Zahl der durchgeführten Tests etwa, verfügbare Plätze auf der Intensivstation, gut rückverfolgbare Infektionsfälle, ob die Erkrankten mehrheitlich alt oder jung sind. Die "Corona-Kommission" ringt sich also in mehreren Stunden zu einer Entscheidung durch, sie schaltet die Ampel aus, dann wieder ein.
Dann wird das Ergebnis den Landeshauptleuten mitgeteilt. Was das heißt, erfuhr man am vergangenen Wochenende: Die Daten fuhren Achterbahn, es war der reinste Rummelplatz. Zunächst wurden am Freitag sieben Regionen als Gelb festgelegt, lediglich drei mehr als die Woche zuvor, erstaunlich angesichts der Entwicklungen. Die Infektionszahlen explodierten, aber plötzlich galten für eine geringere Anzahl an Menschen strengere Bestimmungen. Nix mehr Ampel. In ganz Österreich soll ab Montag Maskenpflicht in Geschäften gelten, das war eigentlich erst bei Ampelfarbe Orange geplant, nun gilt es für alle, für die gelben, aber auch für grüne Bezirke. Linz wurde am Freitag von Gelb auf Grün bessergestuft, hat nun aber schärfere Bestimmungen als davor.
"Bitte lassen Sie sich nicht verwirren durch die Farben der Ampel" sagte der Kanzler. Danke für den Hinweis, aber die Farben allein sind es nicht.
"Die Ampel ist ein vereinfachender Übersetzungsversuch der Risikoeinschätzung," sagt Rudolf Anschober. Eigentlich nicht mehr. Sie wird enden wie die Corona-App, irgendwann wird sich niemand mehr an sie erinnern. Der Prozess hat schon begonnen. Am Wochenende wurden von der Webseite des Gesundheitsministeriums die Erklärungen entfernt, was bei welcher Ampelfarbe zu passieren hat. Nur mehr Grün wird ausgeführt. Unter Gelb steht: "Der Bundesminister ermöglicht den betroffenen Bundesländern, bei Gelbschaltung noch strengere Maßnahmen, als unter Grün vorgesehen, zu setzen". Das ist alles. Orange und Rot kommen nicht mehr vor. Das System werde überarbeitet, sagt das Ministerium.
Die Daten, mit denen die Kommission arbeitet, sind naja. In Wien dauert es in vielen Fällen inzwischen vier bis fünf Tage, ehe man getestet wird und das auch nur, wenn man Glück hat. Ein bis drei Tage später erhält man das Ergebnis oder auch nicht, oft landet es im Briefkasten oder eingeschrieben in der Post. Zum Postkastl darf man nicht hin, weil man eigentlich in Quarantäne ist, aber das ist das Gute an der Wartezeit: Wenn man seinen Bescheid hat, dass man nicht raus darf, dann darf man schon wieder raus.
Für die Kommission ist das ein Problem, denn sie gibt ja Empfehlungen aufgrund des vorliegenden Datenmaterials ab. Alle Labors in Österreich sind so vernetzt, dass jeder durchgeführte Test innerhalb von 24 Stunden eingemeldet werden muss. Wenn der Test aber fünf Tage später durchgeführt wird, dann erfährt die Kommission erst die Woche darauf, was zwei Wochen vorher passiert ist. "Inakzeptabel", nennt das Daniela Schmid, Sprecherin der "Corona-Kommission". Aber auch die Zahlen, die das Gremium sonst so verwendet, sind nicht immer taufrisch. Weil das Virus schneller ist als wir, will sich die "Corona-Kommission" nun schon morgen wieder treffen. Hoffentlich erfährt Corona das nicht.
Politisch ist das brisant, denn im Hintergrund ist auch Rummel. Am Freitag, als die Regierung das Ergebnis ihrer Beratungen präsentierte, sah das "virologische Quartett" aus wie eine Gruppe unschuldiger Schulbuben, die sich nicht erklären können, wer das Fenster der Klasse eingeschossen hat. Hinter den Kulissen aber waren die Fetzen geflogen, das Kanzleramt und das Innenministerium hätten gern schärfere Regeln gehabt, Anschober stemmte sich dagegen. Er will sich Luft nach oben lassen, also noch ein paar Farben zur Verfügung haben, wenn die Zahlen schlechter werden, und das werden sie sehr, sehr rasch. Wir sind in Siebenmeilenstiefeln unterwegs zu einem zweiten Lockdown.
15. September 2020 Wollt ihr uns verampeln?
Ganz Österreich geht ein Licht auf, also eigentlich schillert das Land in allen Farben. Selbst Politiker reden schon von "Fantasie".
Eines muss man zugestehen: Die Ampel ist ein voller Erfolg. Sie funktioniert so gut, dass jetzt jeder eine will. Auch die Bundesländer finden die Ampel super, jetzt schaltet jeder seine eigene ein, es gibt plötzlich Republiksampeln und Schulampeln und Bundeslandampeln, vielleicht müssen wir doch noch das Kraftwerk in der Hainburger Au bauen, damit wir genug Strom haben, um all das Licht zu erzeugen.
Die Republiksampeln und die Schulampeln und die Bundeslandampeln haben alle vier Lichter und überall bedeuten diese vier Lichter etwas anderes. In Vorarlberg gilt in den zwei Regionen, die Orange geschalten wurden, ein Besuchsverbot in Spitälern. Außer das jeweilige Krankenhaus legt etwas anderes fest. Es handelt sich auch nicht um ein Gesetz, eine Verordnung oder einen Erlass, sondern um eine "Empfehlung". Im angrenzenden Tirol wurden zwei Bezirke Orange geschaltet, aber alles bleibt Grün oder Gelb, falls das einen Unterschied macht. Der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi (Grüne) sieht das "Ampel-Orange" eher als "rein symbolisch" an, als Appell: "Leute, reißt euch am Riemen".
So ähnlich ist das in Wien auch. Vorletzte Woche wollte das Rathaus lieber Grün bleiben, sah Gelb als "politische Entscheidung" der Bundesregierung an. Als man die Woche darauf auf Gelb verharrte, passte es wieder nicht, denn da wäre man lieber Orange geworden, aber das klappte beim ersten Anlauf nicht. Montag dann schon. In den drei Tagen dazwischen muss Magisches passiert sein. Die "Corona-Kommission" stufte Wien höher, aufgrund welcher Zahlen blieb diffus, jedenfalls fühlte sich die Bundeshauptstadt angekommen und reagierte wie Österreich oft in solchen Situationen. "Alles ist jetzt anders, gottlob ändert sich dadurch nix".
Orange ist das neue Gelb. Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker trat in der ZiB2 auf, erklärte sich dort "einverstanden" mit der frischen Einstufung, neu werde dadurch aber wenig. Die "Maßnahmenlage" sei noch "vage", zur Ampel habe "jeder seine Fantasie entwickelt, wir sind erst in der Entwicklung des Systems".
Auch die Schulen treiben es bunt. Bildungsminister Heinz Fachmann schickte seine eigene Ampel los und wies den einzelnen Farben Maßnahmen zu, also so richtig genau und klar, wie man sich das wünscht. Das passiert bei Grün, bei Gelb, bei Orange, bei Rot. Man konnte also als Schüler oder Elternteil planen, aber wiederum auch nicht. Denn am 4. September zog Faßmann der Ampel die Ohren lang. In einer "zentralen Zusatzinformation" entzog er ihr wieder alle Farben und verfügte, dass nun jede Woche situationselastisch entschieden werde, was bei welcher Farbe zu passieren habe und so geschah es auch.
Am Montag dann sprangen in sieben Regionen in Österreich die Ampeln tatsächlich auf Orange. Für Schüler ab der neunten Schulstufe bedeutet das eigentlich, dass sie ins Home-Schooling wechseln. Tun sie aber nicht. Die orange Ampel bekam die Eigenschaften der gelben Ampel zugeordnet. Soll noch einer sagen, unsere Schulen seien situationselastisch wie Betonburgen.
27. September 2020 Alles bleibt anders gleich
Die Infektionszahlen steigen wieder. Maskenpflicht, Sperrstunden, Beschränkungen von Veranstaltungen, alles wieder da. In der Gastro muss man sich nun registrieren lassen.
Wir sollten uns nicht in den Sack lügen. Wir haben den Sommer für den Winter geopfert. Wir haben uns im Frühjahr Zeit erkauft, aber sie nicht ausgegeben, um für den Herbst zu planen, sondern wir haben die Monate bis dahin verplempert. Jetzt, im September, wird zusammengeschustert und geleimt, was man monatelang solide aufbauen hätte können, aber da mussten wir die heimischen und internationalen Betten vollliegen, damit der Tourismus nicht den Schwung verliert.
Das wird sich dann schon irgendwie finden mit der Wintersaison, haben wir uns gedacht. Das schaut nicht gut aus, gar nicht gut. Wenn das Wetter ein Hund ist, dann schneit es uns heuer mit Pulverschnee zu und die Sonne strahlt und trotzdem sind die Pisten leer, weil sich keiner von Kitzbühel bis ins Kleine Deutsche Eck anstellen will, um den Babyelefanten vor dem Einstieg in die Gondelbahn einzuhalten.
Jetzt also wieder Klopapier. Und Nudeln. Man hört aus einzelnen Supermärkten in Wien, dass erneut gehamstert wird, die einschlägigen Regale waren Samstag leer oder nur mehr halbvoll. Der offenkundige Notstand hat sogar schon die Spitzenpolitik erreicht. "Kaufst Klopapier Du wieder gern, ist der Lockdown nicht mehr fern?", reimte Neos-Bundeschefin Beate Meinl-Reisinger auf Twitter. Es macht schon was mit uns, dieses Corona.
Seit etwa zwei Wochen kursiert in Wien tatsächlich das Gerücht eines zweiten Lockdowns, den die Regierung vorbereiten würde. Ende Oktober sollen für zehn Tage die Rollbalken runtergehen. Am Freitag wurde der Vizekanzler in der ZiB 2 darauf angesprochen und dementierte heftig, aber in der Kogler-Version eben. Er sagte also nicht "Unsinn, stimmt nicht, Punkt". Sondern er holte ein bisschen aus, schob das Gerücht Norbert Hofer in die Schuhe, was nur eingeschränkt stimmt, empfahl der "ganzen blauen Truppe" die Konsultation eines "Sektenbeauftragten", nannte das Gerücht schließlich "völlig an den Haaren herbeigezogen". Das kann stimmen, aber auch nicht. Ich kenne etwa ein renommiertes Unternehmen, das den Mitarbeitern letzte Woche per Rundschreiben empfahl, sich auf einen möglichen Lockdown vorzubereiten.
Wir müssen über das "Augenmaß" reden. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat das Wort in die Corona-Debatte eingebracht, es wird uns die nächsten Wochen noch beschäftigen, denke ich. Am Freitag gab es das erste Mal seit März wieder mehr als 1.000 Neuinfizierte innerhalb von 24 Stunden, zumindest konnte man das einer Statistik entnehmen, die vom Gesundheitsministerium stammen dürfte oder auch nicht.
In den vergangenen sieben Monaten haben wir es nicht geschafft, die offiziellen Zahlen zu vereinheitlichen, sie stimmig zu machen, sie schwanken wie ein Schiff auf hoher See. Manchmal sind es 100 Infizierte mehr, dann wieder 100 weniger. Tote werden lebendig, wer aus dem angebotenen Zahlenwerk ein paar Additionen versucht, stellt schnell fest, da passt wenig zusammen. Mit dieser Genauigkeit in den Zutaten könnte man nicht einmal einen Gugelhupf backen.
Eine Mutter erzählt mir Seltsames aus einer Schule in Wien. Der Direktor habe den Eltern geschrieben, dass es einen Verdachtsfall in der Klasse gebe, der betreffende Schüler werde umgehend getestet. Das war am vergangenen Dienstag. Wir haben Sonntag, bis jetzt liegt kein Testergebnis vor. Die Eltern wussten in der Zeit nicht, was tun. Die Kinder daheimlassen? Selbst arbeiten gehen und das Risiko in Kauf nehmen, andere im Unternehmen anzustecken?
Und dann begannen die Kleinen ein bisschen zu husten und zu schnupfen wie sonst auch im Herbst und dann waren überhaupt alle ratlos. Die meisten Kinder gingen weiter in der Schule, die Lehrer hielten Unterricht querbeet in allen möglichen Klassen. Die Sozialräume und das Lehrerzimmer und der Essensraum und die Bibliothek und der EDV-Raum, alles war offen für alle. Geturnt wurde indoor, es war als hätte Corona eine Bestellliste aufgegeben und die wurde nun in der Schule abgearbeitet.
Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Solange wir nicht schnelle Tests schaffen, werden wir das nicht in den Griff bekommen. Schnelle Tests heißt nicht, dass irgendwer flott kommt und ein Stäbchen in den Hals steckt. Schnelle Tests heißt, dass Ergebnisse rasch vorliegen müssen. "Rasch" ist nicht übermorgen, auch nicht am nächsten Tag, sondern am selben. Wenn wir das nicht zustande bringen, dann lassen wir den ganzen Zinnober lieber bleiben, da ist Corona schneller durch eine Klasse durchgerauscht als eine neue Verordnung am Tisch.
Mir nutzt es auch nichts, dass es Pressekonferenzen gibt, in denen Gurgeltests versprochen werden und sich Fahrradboten kameragerecht mit den ersten Exemplaren auf die Reise machen. Testet von mir aus den Achselschweiß, nehmt Haarproben, schaut den Schülerinnen und Schülern meinetwegen tief in die Augen, aber tut endlich!
16. Oktober 2020 Bla, bla und noch mehr bla, bla
Die Corona-Ampel zeigt in vier Bezirken erstmals Rot. Es gibt weitere Verschärfungen, vor allem in Alten- und Pflegeheimen.
Wo ist eigentlich das Licht hingekommen? Im Tunnel sind wir immer noch, soweit ich das erkennen kann, aber jetzt ist dort wieder finster. Die Züge fahren kreuz und quer, man kann den ohrenbetäubenden Lärm hören, jeder Lokführer sucht nach dem Ausgang, keiner findet ihn.
Überall in Europa steigen die Infektionszahlen, es wird zugesperrt und eingeschränkt und beschnitten. Wir starren wieder auf Zahlen und Kurven, hören den Experten zu, deren Aussagen immer widersprüchlicher werden. Medikamente sind der Durchbruch oder helfen nichts, Spitalsbetten werden knapp oder sind ausreichend vorhanden, Intensivbetten voll oder gar nicht belegt, die Testreihen von Impfungen werden unterbrochen oder man steht unmittelbar vor der Zulassung des Immunserums, im Dezember werden wir alle durchgeimpft, nur das Jahr steht noch nicht fest.
In Österreich geht wieder ein Ort in Quarantäne, der Bürgermeister von Kuchl in Salzburg erfuhr es aus den Nachrichten. Die Bestimmungen traten in der Nacht auf Samstag in Kraft, die Verordnung dazu tauchte erst am Vorabend gegen 21.30 Uhr auf. Die Unternehmen wussten nicht, ob die Handwerker am Montag einpendeln können (können sie nicht), die Kinder nicht, ob sie in die Schule nach Golling und zurückdürfen (sie dürfen). Die Geschäfte können offenhalten, aber die Menschen dürfen nicht raus auf die Straße, außer aus wichtigen Gründen, wozu der Kauf von Schuhen, Herrenoberbekleidung, Computerspielen, Büchern und dergleichen nicht zählt, ein Kundenkontakt erscheint mir aus diesen Gründen nur eingeschränkt möglich.
Der Gesundheitsminister sagte seine Pressekonferenz für Freitag ab, angeblich aus "Termingründen". Der Kanzler weilte in Brüssel beim EU-Gipfel, es ging der Regierung wie den Geschäftsleuten in Kuchl, sie fanden nicht zueinander. Am Vorabend allerdings trat Rudolf Anschober in der ZiB 2 auf, er öffnete seine Schublade einen Spalt, aber schob sie schnell wieder zu. Der Gesundheitsminister stellte eine bundesweite Verschärfung der Maßnahmen in Aussicht, entließ die Österreicher dann mit einem seltsamen Satz in die Nacht: "Ich würde nicht ausschließen, dass das schon in den kommenden Tagen sein könnte". Wir wussten von da an nicht, sind wir nun am Arsch oder bekommt die Pandemie ein neues Gesicht?
Ich verstehe das ja nicht. Seit Monaten weiß man, was auf uns im Herbst zukommt. Es war klar, welche Szenarien es geben könnte, die Quarantäne eines Ortes ist eines dieser Planspiele. Warum wurde nicht schon vor Wochen auf Punkt und Beistrich festgelegt, was in so einem Fall zu passieren hat? Was geschieht mit den Geschäften, den Unternehmen, den Schulen, den Altenheimen, den Hotels, den Verkehrsmitteln, den Veranstaltungen? Wer darf raus, wer rein? Was ist mit den Autobussen, dürfen die durchfahren, darf man aussteigen? Was ist mit den Urlaubern, die noch da sind und denen, die kommen wollten? Wenn es los geht, ziehe ich den Zettel aus der Lade und fertig.
Uns trifft jede Corona-Krisensituation wie ein Komet. Da müssen erst die Gremien tagen und der Bürgermeister von Kuchl erzählte, dass er über 200 Mails und 200 Anrufe in einem Tag bekommen hat und wenige Fragen beantworten konnte. Wenn ein Slogan fürs Krisenmanagement gesucht ist, ich könnte eines beisteuern: "Operation aufgeschreckte Hendln".
Auch die Kommunikationspolitik der Regierung stellt mich vor immer mehr Rätsel. "Ich würde nicht ausschließen, dass das schon in den kommenden Tagen sein könnte", was soll irgendwer mit einer solchen Information anfangen? Wir können nicht ausschließen möglicherweise eventuell irgendwelche Maßnahmen heute, morgen, übermorgen, bald oder nie anzudenken oder auch nicht, aber fangt zur Sicherheit einmal an euch zu fürchten?
Auch der Kanzler ließ die Schublade gestern zu. Er wolle in einer Videokonferenz "gemeinsam die nächsten Schritte besprechen" und die "richtigen Maßnahmen im Bund und in den Ländern setzen", sagte er. Welche das sein könnten, ließ Kurz auch auf Nachfrage offen, es wird aber wohl Montag nach der Videokonferenz eine Pressekonferenz geben, in der Verschärfungen der bisherigen Verschärfungen mitgeteilt werden. Wir haben jetzt ein Wochenende lang Zeit, uns auszumalen, ob wir demnächst auch beim Schlafen Maske tragen müssen, uns nur mehr mit uns selbst treffen dürfen und es lediglich einen Grund gibt rauszugehen, nämlich wieder reinzugehen Es schadet jedenfalls nicht, Klopapier und Hefe einzulagern, wofür auch immer.
Vielleicht hilft Optimismus, wir sollten das Virus kommunikativ positiver managen. Der neue Lockdown darf auf keinen Fall Lockdown heißen, schon gar nicht Shutdown. Es darf nichts verboten werden, sondern es ist nur nicht mehr erlaubt. Wir werden auch nicht mehr in den eigenen vier Wänden eingekerkert wie im Frühjahr, sondern wir ziehen uns zur inneren Einkehr zurück. Kurz und Kogler sind nicht mehr die Chefs einer Verbotsregierung, sondern sie werden zu Ermöglichern. Neue Ermöglichungen werden im Rahmen von Erweckungs-Pressekonferenzen mitgeteilt, mit der richtigen Musik kann das sehr stimmungsvoll sein.
Die Ermöglichungs-Regierung erteilt uns keine Befehle, sondern sie räumt uns Chancen ein. Sie ermöglicht es uns etwa, daheim bleiben zu können, wir haben Pop-up-Ferien. Wir dürfen den ganzen Tag mit unseren Kindern verbringen. Teilhabe an ihren Hausarbeiten nehmen. Die Regierung macht möglich, dass wir uns auch die Suche nach uns selbst machen können, ohne vorher verloren gegangen zu sein. Wir bekommen eine Auszeit geschenkt, eine Lebenspause, Arbeits-Entschlackung. Es sind seelische Wellness-Wochen, wenn auch nur im eigenen Bad.
Die Anzahl der Möglichkeiten, das Gute im Schlechten zu sehen, ist unendlich groß. Man infiziert sich nicht, man erweitert sein Körperspektrum. Man wird nicht krank, sondern man fiebert neuen Aufgaben im Leben entgegen. Man kommt nicht ins Krankenhaus, sondern kurt.
Die Regierung wird sich hinstellen und uns vier Gründe nennen, warum wir gern daheimbleiben. Das Licht am Ende des Tunnels wird die Wohnzimmerleuchte sein, die wir in der Nacht anknipsen, damit wir die Klotür finden. Und bald wird jeder jemanden kennen, der sich bei Ikea eine neue Sitzgruppe gekauft hat.
18. Oktober 2020 Geschlossene Gesellschaft
Acht Monate Pandemie, aber beim Management der Infektionsdaten ist immer noch Tag 1. Bitter vor einem bevorstehenden Lockdown.
Um 10.30 Uhr tritt das "virologische Quartett" in voller Mannstärke an, um neue Verschärfungen einzumahnen, ORF II überträgt live. Zu erwarten ist an diesem Montag wohl ein Mix aus Appellen und Maßnahmen, ich denke es wird zunächst einmal Sebastian Kurz vor einem zweiten Lockdon warnen, dann wird Werner Kogler vor einem zweiten Lockdown warnen, es wird ihn aber keiner verstehen, dann wird Rudolf Anschober vor einem zweiten Lockdown warnen und ein Taferl herzeigen und dann wird Karl Nehammer vor einem zweiten Lockdown warnen und gegebenenfalls anbieten, die Polizei zu schicken, wohin auch immer.
Vielleicht tut sich was mit der Sperrstunde, eventuell bei der Maskenpflicht, sicherlich bei den Zusammenkünften, ich hoffe auf mehr Klarheit. Ich meine mit Klarheit nicht: "Ab Freitag dürfen sich nur mehr höchstens fünf Leute in einem indischen Lokal treffen, die nicht näher miteinander verwandt sind als in zweiter Linie und die in den letzten fünf Jahren nicht gemeinsam die Wüste Gobi durchwandert haben". Aber lassen wir uns überraschen, das Jahr war ohnehin noch nicht überraschend genug.
Ich stelle fest, dass es die Regierung nach nunmehr fast acht Monaten Pandemie nicht geschafft hat, die wesentlichsten Daten auch nur an einem Tag akkurat zu kommunizieren. Am Samstag wurde Österreich in der Früh damit erschreckt, dass es in den vergangenen 24 Stunden gleich 2.317 Neuinfektionen gegeben habe. Es waren aber tatsächlich 1.747, wie später korrigiert wurde, auch fast alle Bundesländerwerte waren falsch. Es begann eine stundenlange Suche, wer schuld an dem Pallawatsch sein könnte, die recht österreichisch endete, und zwar mit der Antwort – niemand.
Ich bin zu müde für eine Aufarbeitung nach all den Monaten, aber: Wäre es nicht vernünftig, eine einzige Stelle würde – um sagen wir einmal 14 Uhr – ein gemeinsames Zahlenwerk veröffentlichen, die dabei verwendeten Zahlen würden zumindest einigermaßen stimmen und zwar auch, wenn man ein paar einfache Additionen und Subtraktionen versucht? Ich weiß, es ist schwierig, es gibt so viele Ministerien und Bundesländer und Gremien und Personen, die sich nur bedingt leiden können und sich mäßig vertrauen. Aber gebt Euch einen Ruck, für uns. Wenn es sein muss, setzen wir in Zukunft vorm Computer Masken auf, wenn wir die Zahlen lesen, okay? Aber beendet bitte endlich dieses Durcheinander!
Mit diesem Appell schließe sich das erste Tagebuch der Corona-Kopfnüsse. Wunderbar und danke, dass sie so lange zugehört haben! Ich hoffe, wir hören uns in Buch 2.
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