US-Experte Freund
"Die Wahl Trumps ist nichts anderes als eine Tragödie"
Trump ist zurück, das Zittern beginnt. Der 45. Präsident der USA wird auch der 47. USA-Experte Eugen Freund analysiert das Ergebnis und nennt die Gründe. Wie Trump die Medien lenkte, ihm alle auf den Leim gingen und welche Schuld Biden trifft.
"Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA ist nichts anderes als eine Tragödie für die amerikanische Republik." Dem ist wenig hinzuzufügen. Diese Beurteilung könnte von mir sein, ist es aber nicht. Sie stammt von David Remnick am Tag, als das Wahlergebnis feststand.
Und er fuhr fort: "Es ist eine Tragödie für die Verfassung, und ein Triumph jener Kräfte, die die Wünsche und Bedürfnisse der Amerikaner über die Interessen der Einwanderer stellen und ebenso der Kräfte, die Frauenfeindlichkeit, ein autoritäres Regierungssystem und Rassismus in den Vordergrund stellen."
OK, David Remnick ist kein National-Konservativer, im Gegenteil, er ist der liberale Chefredakteur des amerikanischen Wochenmagazins The New Yorker. Oh, noch etwas habe ich vergessen: dieser Artikel erschien am 9. November 2016, also nach der ersten Wahl Donald Trumps. Man kann mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass die ersten Zeilen seines dieswöchigen Leitartikels nicht viel anders lauten werden. Am ehesten werden sie noch etwas schärfer, dunkler ausfallen.
Die Wähler haben ein schlechtes Gedächtnis
Dass Trump wiedergewählt wurde – nach einer vierjährigen Unterbrechung durch die Präsidentschaft von Joe Biden – fußt auf mehreren Faktoren. Erst einmal: die Mehrheit der Wähler, oder jedenfalls derer, die ihn gewählt haben, hat ein ziemlich schlechtes Gedächtnis, was seine erste Amtszeit betrifft.
Vor allem die konservativen Wechselwähler, das ergab eine Studie im März dieses Jahres, wissen genau, warum sie Biden ablehnen, aber sie haben schon vergessen, was ihnen an Trump nicht gefallen hat.
Auch die jetzige Jungwähler haben keine Ahnung, was sich in der Regierungszeit Trumps abgespielt hat: Er wollte mit allen Mitteln die Krankenversicherung, die Obama eingeführt hatte, zugrunde richten, doch das gelang ihm nur teilweise.
Dafür schaffte er alles, was mit Umweltverbesserung zu tun hatte, mit einem Federstrich ab. Und das Schlimmste: er diskreditierte traditionelle Medien so sehr, dass "Fake News" von einem Schimpfwort zu einem Alltagsbegriff wurde.
Dazu kommt: die freundschaftliche, ja beinahe liebevolle Erwähnung des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Un; dass Mexico – im Unterschied zu seinen Versprechen - natürlich den Grenzwall nicht bezahlt hat, den er errichtete, um die Immigranten fernzuhalten.
Dass er dem russischen Präsidenten Vladimir Putin mehr vertraute als dem amerikanischen Geheimdienst; dass er bei rechtsradikalen Ausschreitungen in Virginia von "sehr guten Menschen auf beiden Seiten" sprach; dass er mitverantwortlich für den Sturm aufs Capitol war.
Dass am Ende seiner Amtszeit kaum ein Regierungsmitglied, das er am Anfang ausgesucht hat, noch dabei war, haben auch schon fast alle vergessen. Für uns Europäer kam noch die völlig abwertende Haltung zur Europäischen Union hinzu, seine Drohung, die Amerikaner aus Europa abzuziehen.
Und statt "America First" galt für ihn bei Auslandsreisen immer "Trump First": davon weiß vor allem Duško Markovič, der Präsident Montenegros, ein Lied zu singen. Er war es, den Donald Trump bei einem Brüssel-Besuch vor laufender Kamera grob zur Seite schob, nur damit er selbst in der ersten Reihe stehen konnte.
Aus dem Pariser Klimaabkommen verabschiedete er sich rasch, auch aus dem Iran-Atom-Abkommen - so unter dem Motto: die Europäer sollen sehen, wie sie in diesen Bereichen ohne die Vereinigten Staaten zurechtkommen.
Alles vergessen: ein kollektives Gedächtnis, das alle, oder jedenfalls die Mehrheit der Amerikaner teilen, ist im Zeitalter der Polarisierung und der sich gegenseitig bekämpfenden (sozialen) Medien kaum vorhanden. Das Einzige, an das sie sich erinnern, ist, dass es ihnen finanziell damals besser gegangen ist. Ob das nun Trumps Verdienst war, oder er auf der Welle geschwommen ist, die ihm sein Vorgänger Barack Obama hinterlassen hat, ist unbedeutend.
Ein "Entertainer" im Weißen Haus
Zum Zweiten: Trump ist ein großartiger Medienmanipulator, ein "Entertainer". Er weiß, wie man mit den bewegten Bildern umgeht, etwas, das vor ihm zum ersten Mal nur der kalifornische Schauspieler Ronald Reagan 1979/1980 und dann in den Jahren danach als US-Präsident bewiesen hatte.
Das stärkste Bild, das von Trump in Erinnerung geblieben ist (auch wenn es durch noch so viele rhetorische Entgleisungen danach in den Schatten gestellt wurde), war seine erhobene Faust nach dem Schusswaffen-Anschlag am 13. Juli 2024 bei einer Wahlveranstaltung in Virginia.
Damals hatte eine Kugel eines Attentäters sein rechtes Ohr gestreift, er ließ sich zu Boden fallen, raffte sich jedoch sogleich wieder auf, rief "Fight, fight, fight!" (hinter ihm wehte eine riesige amerikanische Flagge) und wurde von Sicherheitsleuten vom Podium gezerrt.
"Es war ein Zeichen Gottes, dass ich heute hier vor ihnen stehe," sagte Donald Trump in Anspielung auf das Attentat in seiner ersten Rede nachdem sein Sieg so gut wie feststand.
Ich würde freilich auch noch einwenden: nirgendwo fand sich so viel Heuchelei wie im Wahlkampf Trumps.
Jedes einigermaßen ordinäre Schimpfwort wird normalerweise im US-TV ausgepiepst, doch der Präsidentschaftskandidat verwendete ununterbrochen abwertende Bezeichnungen für seine Gegenspieler und vielfach auch gegenüber jenen Bevölkerungsgruppen, die er für seinen Siegeszug ja auch auf seiner Seite haben musste – vorwiegend Einwanderer aus Mittel- und Südamerika, manchmal auch die Afro-Amerikaner und gelegentlich auch Frauen.
Egal. Er hat die Mehrheit der Wahlmänner-Stimmen und diesmal auch die Mehrheit der Bevölkerung erzielt.
Schuld sind die Demokraten
Wie konnte es so weit kommen? Noch nie hat im amerikanischen Wahlkampf die Partei des Präsidenten so spät einen Spitzenkandidaten aufgestellt, oder im konkreten Fall: ausgewechselt. Die Auseinandersetzung um die Spitzenposition im Staat beginnt in den USA mindestens eineinhalb Jahre vor dem eigentlichen Wahltermin.
Für die Demokraten stand fest, dass ihr Kandidat der amtierende Präsident Joe Biden sein wird. In einigen Medien wurde zwar die Frage ventiliert, ob Biden nicht zu alt für das Amt sei, nicht jetzt, aber zur Mitte oder gegen Ende seiner zweiten Amtszeit, wo er dann schon Mitte achtzig sein würde.
Doch diese Fragen blieben Theorie hinter vorgehaltener Hand. Bis, ja, bis zum 27. Juni 2024.
An diesem Abend zeigte sich der wahre (Gesundheits-)Zustand Joe Bidens. Er war nicht mehr in der Lage, kohärente Sätze zu bilden, einfache Fragen zu beantworten, oder seinem Gegenspieler Trump Kontra zu geben – ein Bild, das ich von ihm schon im November 2023 gezeichnet hatte und das mich zur Ansicht führte, Biden würde seine Kandidatur frühzeitig zurücklegen.
Der Termin – alles andere als frühzeitig – kam dann am 21. Juli 2024: "…im besten Interesse seiner Partei und seines Landes" habe er beschlossen, kein weiteres Mal das Amt des Präsidenten der USA anzustreben.
Der Rest ist dann sozusagen Geschichte: seine Vizepräsidentin Kamala Harris wurde in einem Blitzverfahren zur neuen Kandidatin bestimmt, nach Hillary Clinton die zweite Frau, aber die erste Farbige, die sich in die Schlacht warf. Und, wie zu erwarten war, von Donald Trump mit den bösartigsten Beleidigungen („dumm“, "verrückt", "kriminell", "geistig zurückgeblieben", "irr", "Kommunistin", "Marxistin", etc.) beworfen wurde.
Ganz generell betrachtet ist es offenbar für die Mehrheit der Amerikaner schwer vorstellbar, dass vom Oval Office aus eine Frau, noch dazu eine Farbige, die Geschicke des Landes oder gar der Welt bestimmt.
Trump wird für Europa die Hölle
Was kommt also jetzt auf uns zu? Dunkle Zeiten! Für uns Europäer besonders interessant: Wird er, so wie schon in seiner ersten Amtszeit, auch diesmal versuchen, die Europäische Union zu spalten. Ungarns Viktor Orbàn hat er ohnehin auf seiner Seite, wird ihm Donald Tusk aus Polen nun auch folgen?
Frankreich und Deutschland sind (innenpolitisch) so schwach, dass von dort auch wenig Widerstand zu erwarten ist.
Und besonders: Auf welche Weise wird er den Krieg in der Ukraine – wie er es im Wahlkampf verkündete - in einem Monat beenden? Wie anders kann das geschehen, als dass er sich mit Vladimir Putin, den er gelegentlich als seinen Freund bezeichnet, darauf einigt, dass alles, was Russland in der Ukraine besetzt hat, behalten darf. Dass also die Ukraine einen beträchtlichen Teil seines Territoriums dem Aggressor überlässt.
"Diktator – wenn auch nur für einen Tag!"
Erfahrene Beobachter des neugewählten Präsidenten warnen vor allem vor seiner Irrationalität. Daher sind Vorhersagen über das, was er umsetzen wird und kann, nur mit Vorsicht zu treffen.
Immer wieder wiederholte er seine Ankündigung, dass er am ersten Tag nach seiner Wahl (gemeint war wohl nach seiner Amtseinführung) ein Diktator sein möchte, "just for one day!" Auch wenn das die Verfassung nicht hergibt, vieles liegt doch in seiner Macht.
Wird er tatsächlich seine Gegner festnehmen und ins Gefängnis werfen lassen, wie er das androhte? Wird er tatsächlich Millionen von illegalen Immigranten zusammentreiben und über die Grenze bringen lassen?
Wie soll das technisch vor sich gehen? Werden Spitzel die Polizei informieren und die Einwanderer, die sich irgendwo in ihrer Nähe versteckt haben, den Behörden verraten? Gehen die USA dann jenem Zustand entgegen, den Deutschland und Österreich (und dann auch andere Staaten Europas) in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts erlebt haben? Wo hunderttausende Juden in Transportwaggons gepfercht und danach in Konzentrationslager geführt wurden?
Ach, werden jetzt viele einwenden, das sind (waren) ja nur Sprüche des Wahlkämpfers Trump, es wird ja nie so heiß gegessen, wie gekocht wird. Doch in seiner ersten Ansprache fiel auch der entscheidende Satz: "Promises made – promises kept!" – Also ich werde meine Versprechen halten.
Das betrifft natürlich auch seine Androhung, seine Feinde vor Gericht zu stellen. Wer das nun genau ist und wie das vor sich gehen kann, darauf hat er sich nicht festgelegt. Doch man kann davon ausgehen, dass nun große Angst in diesen Kreisen herrscht.
Ein Spielzimmer ohne Erwachsene (und ohne Opposition)
Darüber hinaus gibt es noch einen wesentlichen Unterschied zu seiner vorigen Amtszeit: es gibt keine Erwachsene mehr im Spielzimmer von Donald Trump. Zu viele seiner ehemaligen Mitarbeiter haben sich – geradezu verächtlich – von ihm abgewandt, bis hin zu seinem früheren Stabschef, der ihn zuletzt sogar einen "Faschisten" genannt hat.
Jetzt kann sich Trump auf die Mehrheit berufen, die die Republikanische Partei auch im Senat haben wird und er außerdem nur noch von Ja-Sagern umgeben sein wird, die alles umsetzen werden, was er ihnen befiehlt.
Von "checks and balances" bleibt nicht mehr viel übrig – auch der Senat wird von Republikanern beherrscht, der Oberste Gerichtshof ist in seiner Hand, die etablierten Medien, längst völlig diskreditiert von ihm und seinen Leuten, spielen nur noch eine geringe Rolle. Trump hat alle Macht.
Eine schreckliche Vorstellung.
Eugen Freund war Moderator der ZiB 1, lebte von 1979 bis 1984 in New York und war von 1995 bis 2001 in Washington als ORF-Korrespondent tätig. Er war Teil der SPÖ-Delegation im Europa-Parlament und ebendort Mitglied der USA-Delegation (2014-2019)