US-Wahl
"Hat noch jemand die Absicht, in Ohnmacht zu fallen?“
Ein Altersschub? Taktik? Knapp vor der US-Wahl werden die Auftritte von Donald Trump immer seltsamer. Aber der Ex-Präsident kann sagen, was er will, seine Anhänger jubeln ihm zu. US-Experte Eugen Freund über die Gründe und die Folgen.
Es ist gleichgültig, was die Zeitungen schreiben. Oder wie die Berichte in den etablierten TV-Sendern ausfallen. Die Wähler lassen sich davon nicht mehr beeinflussen. Sie haben ohnehin ihre eigenen Quellen, wenn es darum geht, von Auftritten ihres Lieblings-Kandidaten zu erfahren.
Interessant, dass sich die Rechtsaußen-Sprachrohre und deren Apologeten völlig von dem abkoppeln, was vor einigen Jahren noch selbstverständliche Nachrichten-Quellen waren. Seien es nun ABC, NBC, CBS oder die "New York Times" in den USA, oder ORF, "Die Presse", "Kurier" oder "Kleine Zeitung" in Österreich - all das wird von rechten Wählergruppen nicht mehr wahrgenommen, oder jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie es demokratiepolitisch notwendig wäre.
Trump ist alt geworden
In den USA hat etwa nur eine geringe Minderheit ohnehin liberaler Leser mitbekommen, was die angesehene "New York Times" kürzlich in einem großartig recherchierten Bericht über die "zunehmend bösartigen, weit schweifenden Reden" Donald Trumps analysierte. Nämlich, dass sie auch Auskunft über sein zunehmend bedenkliches Alter und seinen Zustand geben.
In der Tat, Trump ist mit seinen 78 Jahren fast zwei Jahrzehnte älter als seine nunmehrige Gegenkandidatin Kamala Harris und damit auch der älteste Präsidentschaftsbewerber der USA. Das merkt man ihm an. Auch wenn er körperlich keine Schwächen zeigt und sich am Beginn seiner Ansprachen einigermaßen an sein Skript hält, wann und wie er genau aufhört, wissen weder seine engsten Mitarbeiter, noch die Besucher seiner Wahlveranstaltungen.
Bei seinen ersten Auftritten im Jahr 2015 waren seine Reden im Schnitt rund eine Dreiviertelstunde lang, jetzt ufern sie meist auf über 80 Minuten aus. Doch auch diese fast eineinhalb Stunden müssen nicht immer mit brauchbarem Inhalt gefüllt sein.
Nehmen wir ein Beispiel: Kindervorsorge (Child Care). Das klingt bei ihm dann so: "Das ist ein wichtiges Thema. Aber ich glaube, wenn man über die Zahlen spricht, über die ich spreche - weil, schauen sie, Kindervorsorge ist Kindervorsorge. Es ist - könnte - wissen Sie, es ist etwas - man muss sie haben. Aber wenn man über die Zahlen spricht, verglichen mit den Zahlen, über die ich spreche, indem Steuern von ausländischen Staaten eingenommen werden, an die sie nicht gewöhnt sind. Aber sie werden sich sehr schnell gewöhnen. Das wird sie nicht daran hindern, mit uns Geschäfte zu machen, aber sie werden ziemlich hohe Steuern haben, wenn sie (ihre) Produkte in unser Land schicken …"
Diesen unverständlichen Sätzen folgt tosender Applaus seiner Anhängerschaft.
Statt zu reden lässt Trump Hits abspielen
In Pennsylvania gab es zwei medizinische Notfälle im Publikum, Trump rief ins Mikrofon: "Hat noch jemand die Absicht, in Ohnmacht zu fallen?" Danach beschloss er, die Hitparade seiner beliebtesten Songs abspielen zu lassen, statt weiter Fragen zu beantworten. Eine halbe Stunde wackelte er im Takt mit, tanzte oder bewegte Kopf und Arme nach der Musik. Auch das nahm ihm das Publikum mit Applaus ab.
Doch mittlerweile klingen seine Ansprachen ohnehin immer häufiger wie erfundene Musiktexte. Ohne jeden Zusammenhang taucht plötzlich der Begriff "Golf" auf, oder "Haifische" oder er tischt den Leuten - aus dem Nichts - Cary Grant oder Clark Gable auf, beides Hollywood-Schauspieler, die schon seit Jahrzehnten tot sind ("Cary Grant mit 81 – er geht jetzt auf die Hundert zu – würde in einer Badehose auch nicht mehr so fesch aussehen, obwohl er ein wirklich toller Mann war …").
Dann bringt er noch seinen eigenen Körper mit ins Spiel: "Ich könnte mich am Strand sonnen - so einen schönen Körper haben Sie noch nie gesehen. Viel besser als 'Sleepy Joe'". Damit spielt er auf den 81-jährigen Joe Biden an, der in der Zwischenzeit aus dem Rennen ausgeschieden ist.
Zuletzt tauchte er nach einem Wahlkampfauftritt in einer Filiale von McDonald's in Feasterville-Trevose in Pennsylvania auf, legte sich eine Schürze um und frittierte zur Show Pommes. 15 Minuten lang.
Spott und Schimpfworte für Kamala Harris
Für Kamala Harris, seine eigentliche Konkurrentin, hat er nur Spott und Schimpfworte übrig. Lange war in den USA von republikanischer Seite das am häufigsten verwendete Schimpfwort für politische Kontrahenten, die nicht rechts verankert sind, "Sozialist" oder "Sozialistin". Als Barack Obama sein System einer umfassenden Krankenversicherung diskutierte, warfen ihm die Republikaner vor, den "Sozialismus" in Amerika einführen zu wollen.
Dieser Begriff ist für Trump zu milde. So nennt er Harris häufig eine Kommunistin, alternativ Marxistin. Oder er verwendet solch abwertende Äußerungen wie "Kriminelle", oft auch eine "geistig Zurückgebliebene".
Wenn diese "Verrückte" es aber wagt, bei Donald Trumps Lieblingssender "Fox" aufzutreten (Rupert Murdochs 24-Stunden-Sender "Fox News" schlug sich ganz auf Trumps Seite) dann beschimpft der republikanische Spitzenkandidat auch Fox-Moderator Bret Baier, der das Interview mit Harris geführt hatte, als "schwach" und "matt". Die meisten TV-Kritiker stießen sich eher daran, dass Baier Harris sehr oft unterbrach und sie sich immer wieder dagegen wehren musste.
Ich beobachte seit über 40 Jahren amerikanische Wahlkämpfe, aber derart vulgäre Ausdrücke wie Trump hat noch kein Präsidentschaftskandidat auch nur annähernd verwendet. Am vergangenen Wochenende ließ er das Publikum das Wort "Scheiße" skandieren. Er rief der Zuhörerschaft zu: "Alles was die Regierung angriff, verwandelte sich in …"
Damit nicht genug: Auch Kamala Harris persönlich warf er vor, "eine Scheiß-Vizepräsidentin" zu sein. Alles Anzeichen, dass sich Trump nicht mehr im Griff hat.
Anhängerschaft hält Trump die Treue
Wie Hannelore Veit in ihrem neuesten Buch "Wer hat Angst vor Donald Trump" recherchierte, lassen sich die Bewunderer von Donald Trump ohnehin nicht davon abhalten, ihn auch diesmal zu unterstützen: "Nicht alles so ernst zu nehmen, was er sagt …" – "Dass Politiker nicht die Wahrheit sagen, lässt sich nicht auf Trump reduzieren …" – "Hauptsache, er bringt die Wirtschaft wieder auf Vordermann…" - all das sind ihre vorgebrachten Argumente.
Weil es nun, so wenige Tage vor dem Urnengang, mutmaßlich immer noch quasi unentschieden steht, unterstellt er der demokratischen Partei, als letztes Mittel sogar im Wahllokal "nachzuhelfen".
So diskreditiert Trump ununterbrochen "illegale Immigranten", die sich angeblich mit Hilfe eines Führerscheins (grundsätzlich ein legales Ausweis-Dokument) in die Wählerlisten eintragen lassen. Ernstzunehmende Recherchen haben ergeben, dass die Zahl derer, die so die Wahl mitentscheiden wollen, verschwindend gering ist: 68 Fälle waren es insgesamt in den vergangenen 40 Jahren.
Weil aber Trump und seine Leute dieses Thema ständig trommeln, glaubt schon die Hälfte der Wähler (und sogar 80 Prozent der Republikaner), dass illegale Einwanderer am 5. November vor den Wahlurnen Schlange stehen werden.
Wahlhelfer mit dem Tod bedroht
Eine erkleckliche Zahl der Wahlbeobachter sind sogenannte "election deniers" - gehören also zur Gruppe jener Menschen, die fest daran glauben, dass Donald Trump vor vier Jahren die Wahl gewonnen hat. Ihren Interessen kommt zugute, dass jeder dritte den Demokraten zugeneigte Wahlhelfer diesmal nicht dabei sein wird, weil er oder sie wegen der Abstimmung 2020 bedroht worden war (sogar mit dem Tod).
Wenn das alles noch nicht hilft, dann lassen die Republikaner jetzt schon wissen, dass Handzählungen zur Pflicht werden und nicht nur dort, wo es Unstimmigkeiten über den Wahlzettel gibt. Im Jahr 2000 mussten wir bis zum 12. Dezember warten, bis schließlich der Oberste Gerichtshof darüber entschied, wer nun gewählter Präsident geworden ist. Mittlerweile ist das höchste richterliche Gremium noch weiter nach rechts gerückt. Auch dank Trumps Ernennung von drei Höchstrichtern während seiner Amtszeit von 2017 bis 2020.
Diesmal, so scheint es, ist alles aufgetischt, um es Donald Trump zu ermöglichen, ein weiteres Mal ins Weiße Haus einzuziehen. Egal, wer am 5. November die meisten Stimmen auf sich vereinigen wird.
Eugen Freund war Moderator der ZiB 1, lebte von 1979 bis 1984 in New York und war von 1995 bis 2001 in Washington als ORF-Korrespondent tätig. Er war Teil der SPÖ-Delegation im Europa-Parlament und ebendort Mitglied der USA-Delegation (2014-2019)