asyl-Gipfel in Brüssel

EU-Chefs fordern (von sich) schnellere Abschiebungen

Ab Donnerstag trafen sich die EU-Regierungschefs zum "Europäischen Rat". Hauptthema: Asyl. Am Ende stand eine Erklärung, in der "entschlossene Maßnahmen zur Erleichterung und Beschleunigung der Rückführungen" gefordert wurden. Wieder einmal.

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, beim Empfang von Ukraine-Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj am Gipfel
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, beim Empfang von Ukraine-Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj am Gipfel
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Newsflix Redaktion
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Erst im Mai hatte sich die EU auf einen "Asyl- und Migrationspakt" (hier mehr dazu nachlesen) geeinigt. Es war keine leichte Geburt. Den Mitgliedsländern wurden zwei Jahre für die Umsetzung der neuen Regeln eingeräumt, aber viele sind inzwischen überzeugt, dass es gar nicht mehr dazu kommen wird. Weil es in Europa Wahlen gab und einen Rechtsruck und die verschärften Bedingungen einzelnen Ländern nicht mehr verschärft genug sind. Und weil die EU selbst ständig neue Ideen auf den Markt bringt.

Am Donnerstag tagen die EU-Regierungschefs in Brüssel und rangen erneut um eine gemeinsame Linie in der Asylpolitik. Große Würfe wurden nicht erwartet und die Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Am Ende stand eine "Erklärung" mit Absichten. Aber: Die Tonalität in der EU, was Asyl und Migration betrifft, hat sich deutlich geändert. Das müssen Sie über die Gipfelergebnisse wissen:

Worum ging es beim EU-Treffen genau?
Auf der Tagungsordnung stand am Donnerstag zunächst die Lage in der Ukraine. Präsident Wolodymyr Selenskyj stellte seinen "Siegesplan" im Krieg gegen Russland vor (hier mehr dazu lesen). Bis knapp vor 23 Uhr beherrschte dann das Thema irreguläre Migration die Debatten.

Kanzler Karl Nehammer am Rande des Gipfels: Die Staaten seien "hochmotiviert"
Kanzler Karl Nehammer am Rande des Gipfels: Die Staaten seien "hochmotiviert"
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Wer nimmt für Österreich am Europäische Rat teil?
Kanzler Karl Nehammer. Er war am Mittwoch am späteren Nachmittag nach Brüssel geflogen. Vorab hatte er am Nachmittag SPÖ-Chef Andreas Babler zu Vorvor-Sondierungsgesprächen gesprochen. Der "Europäischen Rat" ist auf zwei Tage anberaumt, er geht am Freitag zu Ende.

Wie zufrieden war Nehammer mit dem Ergebnis des "Asylgipfels"?
Ziemlich. Er sprach von einem "Paradigmenwechsel" in der EU-Migrationspolitik, die Union habe "neue Maßstäbe gesetzt". Es gebe eine "klare Aufgabenstellung, dass wir gerade bei den Rückführungen deutlich besser werden müssen". Die Kommissionspräsidentin und alle betroffenen Staaten seien "hochmotiviert".

Warum war Migration am Gipfel wieder Hauptthema?
Weil EU-Kommissionpräsidentin Ursula Von der Leyen am Montagabend einen Brief an die Regierungschef der einzelnen Länder geschickt hatte. Darin hatte sie an gekündigt, dass sie am Gipfel einen neuen Gesetzentwurf zur Rückführung illegal eingereister Migranten vorlegen will.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, nach der Pressekonferenz
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, nach der Pressekonferenz
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Worum geht es darin?
Das Schreiben ist sieben Seiten lang und umfasst 10 Reformpunkte. Angepeilt werden Gesetzesänderungen, vor allem um Rückführungen besser organisieren zu können.

Aber war da nicht was im Mai?
Ja, die EU hat nach langem Hängen und Würgen einen "Asyl- und Migrationspakt" durchgewunken. Das EU-Parlament hatte die insgesamt zehn Gesetzestexte am 10. April beschlossen. Am 14. Mai nahm der "Rat der Europäischen Union" (nicht zu verwechseln mit dem "Europäischen Rat" der Regierungschefs) das Vertragswerk an.

Wer hat es beschlossen?
Die Finanzminister, die sich sowieso in Brüssel trafen. Für Österreich stimmte Magnus Brunner zu. Der Finanzminister definierte damit unbewusst sein künftiges Aufgabengebiet. Er ist als EU-Kommissar für Migration designiert. Am 5. November muss er sich dem Hearing durch das EU-Parlament stellen.

Schloss den EU-Pakt und wird dafür zuständig sein: Magnus Brunner, momentan noch Minister für Finanzen und Digitalisierung
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Was wurde im Mai beschlossen?
Besserer Schutz der Außengrenzen. Lager an der Außengrenze. Ein "Solidaritätsmechanismus", nach dem sich EU-Länder entscheiden können: Sie nehmen eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen auf oder sie leisten stattdessen Geldzahlungen. Die Rede ist von 20.000 Euro für jeden abgelehnten Asylbewerber.

Was ist der Haken dabei?
Die Regelungen traten nicht mit sofortiger Wirkung in Kraft. Den Ländern wurde ein Zeitrahmen von zwei Jahren vorgegeben, um in ihren nationalen Parlamenten und Behörden für die Umsetzung zu sorgen. Start wäre der Juni 2026.

Kommt es überhaupt zur Umsetzung?
Daran zweifeln viele. In mehreren EU-Ländern haben rechte, migrationskritische Parteien mehr Einfluss gewonnen, die Macht übernommen, oder stehen unmittelbar davon. Die Niederlande und Ungarn haben inzwischen gefordert, von den gemeinsamen Asylregeln ausgenommen zu werden.

Kann man so einfach aussteigen?
Momentan nicht. Für sogenannte Opt-outs braucht es Änderungen in der EU-Gesetzgebung und dabei müssen alle Länder zustimmen.

Die Niederlande (hier Wahlsieger Geert Wilders am Donnerstag am Weg zum Gipfel) wollen aus dem EU-Asylpakt aussteigen
Die Niederlande (hier Wahlsieger Geert Wilders am Donnerstag am Weg zum Gipfel) wollen aus dem EU-Asylpakt aussteigen
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Was schrieb von der Leyen nun in ihrem Brief?
Sie beschäftigt sich vor allem mit dem Thema Rückführung, also, wie bringt man abgelehnte Asylwerber in ihre Heimatländer zurück. "Eine EU-Migrationspolitik kann nur dann wirksam sein, wenn gewährleistet wird, dass jene, die kein Recht auf Aufenthalt haben, die Union tatsächlich verlassen", schreibt sie. Und: Mit dem bestehenden Regelwerk sei dieses Ziel nicht erreichbar, "wir brauchen einen neuen rechtlichen Rahmen".

Wie begründet sie das bisherige Versagen?
Nur jeder fünfte Asylwerber, dessen Antrag abgelehnt wird, kehrt tatsächlich in sein Heimatland zurück. Viele probieren in einem anderen EU-Land ihr Glück.

Was schlägt die Kommissionchefin vor?
Einen besseren Datenaustausch zwischen den einzelnen EU-Ländern auf digitalem Weg. Dadurch soll eine Weiterreise abgelehnter Asylwerber verhindert werden. Und: Die Migranten sollen zu "klare Verpflichtungen zur Zusammenarbeit" mit den Behörden angehalten werden.

Wie sollen mehr Rückführungen möglich werden?
Durch Druck auf die Herkunftsländer. Kurz gefasst: Wer kooperiert, kommt auf die Fast Lane, wird also etwa beim Visa-System oder in Handelsbeziehungen bevorzugt. Wer sich sperrt, wird nach hinten gereiht.

Das spanische Rettungsschiff "Salvamar Adhara" nimmt Flüchtlinge vor den Kanarischen Inseln auf
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Geht es auch um Geld?
Immer! Von der Leyen schlägt Abkommen mit Ländern vor, die an Migrationsrouten liegen. Sie sollen Geld bekommen, wenn sie Menschen an der Weiterreise hindern. Die Rede ist von der Türkei, Tunesien, Libyen, Ägypten, Marokko und Algerien, Mali und dem Senegal.

Wie sollen die Pläne durchgesetzt werden?
Mit einer besser ausgestatteten Polizei. Europol soll mehr Geld erhalten. Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, soll ausgebaut werden.

Was meint sie mit "innovativen Lösungen"?
Rückkehrzentren in Drittstaaten, in dieser Woche ging das erste auf Betreiben von Italien in Albanien in Betrieb. Von der Leyen kann dem Prinzip nach längerer Skepsis etwas abgewinnen. Asylverfahren sollen also in Ländern außerhalb der EU stattfinden. Großbritannien plante das mit Ruanda, zur Durchsetzung kam es nach dem britischen Regierungswechsel nicht mehr.

Eine Gruppe von Staatschefs, darunter Österreichs Kanzler Karl Nehammer, traf sich für Absprachen vor dem Gipfel
Eine Gruppe von Staatschefs, darunter Österreichs Kanzler Karl Nehammer, traf sich für Absprachen vor dem Gipfel
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Hat die Drittstaaten-Variante Chancen auf Durchsetzung?
Ja, inzwischen schon. Es dürfte in der EU eine qualifizierte Mehrheit dafür sein, also 15 Staaten, die mehr als sechzig Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Nehammer sprach am Donnerstag von 18 Alliierten über Parteigrenzen hinweg. Die Gruppe sei sich einig, dass die "Frage der Migrationspolitik ins Zentrum der europäischen Politik gehört".

Wer soll sich um die Rückkehrzentren kümmern?
Das wird der Job von Magnus Brunner. Er soll sichere Drittstaaten finden und Kooperationen vereinbaren. Ihn erwähnte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Pressekonferenz nach dem "Asylgipfel" namentlich.

Was war nun das Ergebnis des Gipfels?
Die 27 Staats- und Regierungschefs rangen sich zu einer "Erklärung durch". Darin werden "entschlossene Maßnahmen auf allen Ebenen zur Erleichterung und Beschleunigung der Rückführungen" gefordert. Die EU-Kommission soll "dringendst einen neuen Gesetzesentwurf vorlegen". Von der Leyen kündigte in ihrer Pressekonferenz an, das "Konzept der sicheren Drittstaaten" überprüfen zu lassen. Es geht darum, in Ländern außerhalb der EU Rückkehrzentren zu errichten. Das war lange ein Tabu.

Gibt es unmittelbare Konsequenzen?
Jein, aber immerhin die Zusicherung der Kommissionspräsidentin, dass die EU bereit sei, die Umsetzung des neuen EU-Pakts für Asyl und Migration "zu beschleunigen". Man darf nicht vergessen: Am Pakt, der im Mai geschlossen worden war, arbeitete die EU gut zehn Jahre.

Der polnische Regierungschef Donald Tusk will das Recht auf Asyl befristet aussetzen
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War die Tonalität diesmal tatsächlich anders?
Ja, inzwischen geben die migrationskritischen Länder in der EU den Takt vor. In der "Erklärung" betont der Rat etwa seine "Entschlossenheit, die EU-Außengrenzen mit allen Mitteln und unter Respektierung des europäischen und internationalen Rechts zu schützen". Von der Leyen strich die Bedeutung von Abkommen mit Drittstaaten heraus. Die Zahl illegal Einreisender über die Mittelmeer-Route sei dadurch um 64 Prozent zurückgegangen.

Welche Rolle spielt Österreich dabei?
Kanzler Karl Nehammer gehört klar zur Gruppe der migrationskritischen Länder. Er stellte sich auch an die Seite Polens, dessen Staatschef Donald Tusk für sein Land die vorübergehende Aussetzung des Rechts auf Asyl gefordert hatte.

Warum brennt beim Thema Asyl wieder der Hut?
Aus mehreren Gründen. Im Nahen Osten eskaliert der Konflikt immer mehr. Die EU schließt eine Flüchtlingswelle nicht aus. Man brauche deshalb neue "Notfallspläne". In den vergangenen Wochen seien mehr als eine Million Menschen vertrieben worden und es bestehe ein klares Potenzial für weitere Vertreibungen, schreibt von der Leyen.

Welche Gründe gibt es noch?
Die EU ist überzeugt, dass Russland die Migration als politische Waffe benutzt. Flüchtlinge werden also bewusst an EU-Grenzen gebracht, Europa soll destabilisiert werden. Mehrere Staaten mit Grenzen zu Russland oder Weißrussland sind seit Monaten starkem Migrationsdruck ausgesetzt. Finnland hat seine Grenzen zu Russland geschlossen.

Streit mit Orban, nun will von der Leyen "Ebene der Harmonisierung und des Vertrauens"
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Das hat weitreichendere Konsequenzen, oder?
Ja, deshalb hatte der polnische Regierungschef Donald Tusk am Wochenende bekannt gegeben, dass er das Recht auf Asyl befristet aussetzen will. Das kann in der EU zu einem Dominoeffekt führen. In der Gipfelerklärung heißt es nun dazu: ""Russland, Belarus oder irgendeinem anderen Land darf nicht erlaubt werden, unsere Werte, einschließlich des Rechts auf Asyl, zu missbrauchen und unsere Demokratien zu untergraben".

Lässt sich das mit Zahlen belegen?
Ja, neue Frontex-Daten zeigen, dass sich die Zahl der registrierten ir­regulären Grenzüberschreitungen an der östlichen Landgrenze der EU auf nunmehr gut 13.000 Personen verdreifacht hat.

Wie entwickeln sich die Migrationszahlen?
Am Dienstag gab Frontex neue Zahlen bekannt. In den ersten neun Monaten kam es in der gesamten EU zu 166.000 registrierten ir­regulären Grenzüberschreitungen, um 42 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die zentrale Mittelmeerroute und die Balkanroute verlieren an Bedeutung. Die Ankünfte auf der östlichen Mittelmeerroute sind dagegen um 15 Prozent gestiegen und haben sich auf den Kanaren auf mehr als 30.000 verdoppelt.

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