Jetzt vorbeugen
Hallo aufwachen! Nach dem Hochwasser ist vor dem Hochwasser
10 Prozent aller Häuser stehen in Überflutungsgebieten. Der Agrarwissenschafter und Landwirt Maximilian Hardegg erklärt, wie sich Österreich jetzt schützen müsste. Wie Renaturierung dabei helfen kann. Und warum die Zeit drängt.
Es ist gerade zwei Monate her, dass Österreich, vor allem Niederösterreich, von einem der schlimmsten Hochwässer heimgesucht wurde. Eine Folge ausufernder tagelanger Regenfälle.
Die große Gefahr, welche jetzt besteht, ist einsetzende Lethargie und das Setzen auf das schnelle kollektive Vergessen. Anstatt das Hochwasser datenmäßig zügig aufzuarbeiten und so eine aktuelle Richtschnur für die zu setzenden Maßnahmen zu finden, verlieren die öffentlichen Stellen unnötig Zeit im föderalen Wirrwarr. Anstatt aufzuwachen droht der institutionelle Winterschlaf. Bis zum nächsten Hochwasser. Dabei ist alles recht eindeutig. Maximilian Hardegg zeigt aus Sicht der Praxis auf, was jetzt zu tun wäre:
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Warum war es diesmal mit dem Hochwasser in Niederösterreich so schlimm?
Die Regenfälle waren ja in weiten Teilen Mitteleuropas zu spüren, aber halt besonders heftig in Niederösterreich mit Regenmengen zwischen 250 und 450 Millimeter. Dies entspricht in den betroffenen Gebieten einer Niederschlagsmenge eines halben Jahres, passierte aber in drei bis vier Tagen. Man bezeichnet dies als Vb-Wetterlage (Fünf b), ein atlantisches Tiefdruckgebiet schiebt sich über das westliche Mittelmeer und wird dann nach Norden abgeleitet. Dort trifft es auf eine Kaltluftströmung und das führt zu einem regelrechten Ausquetschen der Wolken.
Wieso kam das Hochwasser später als dasjenige 2002?
Besonders fatal war diesmal, dass das Mittelmeer aufgrund des extrem heißen Sommers Wassertemperaturen von 28 bis 30 Grad aufwies und so die Atlantikluft extrem viel Feuchtigkeit aufnehmen konnte. Beim Jahrhunderthochwasser 2002 kamen die Starkregenfälle circa einen Monat früher, die Ursache war aber die gleiche.
Wie waren wir im Vergleich zu 2002 vorbereitet und gerüstet?
Das verheerende Hochwasser 2002, welches uns mit den Bildern von Kamp und Donau in Erinnerung geblieben ist, hat dazu geführt, dass umfassende Schutzmaßnahmen in den betroffenen Gebieten ergriffen wurden, von Rückhaltebecken bis Hochwasserdämmen. All diese Maßnahmen zum Schutz der Menschen samt ihrer Häuser, beispielhaft seien der Machland Damm entlang der Donau oder die Maßnahmen am Kamp angeführt, haben ihre Wirkung nicht verfehlt und damit dort Schlimmeres verhindert. Dafür hat das Wasser andernorts zugeschlagen.
Wieso bekommen wir das Hochwasserproblem nicht in den Griff?
Die Vorhersage von Hochwasser ist sehr komplex. Ein erfahrener Seewärter am Wolfgangsee hat es im September auf den Punkt gebracht mit den Worten: "Wann der See kummt, dann kummt er."
Wir haben erst wenige Tage vor dem Starkregen Informationen bekommen, dass es schlimm werden könnte. Weiters ist es sehr schwierig, Häuser und Siedlungen zu schützen, welche offenbar im Überflutungsgefahrengebiet errichtet wurden. Man verwendet hier den Begriff "HQ", welcher für "Hoch" steht in der Kombination mit der Abflusskennzahl "Q". Ein HQ 100 bedeutet also ein Hochwasser, welches statistisch alle 100 Jahre auftritt.
Wie viele Häuser befinden sich in "Übeflutungsgebieten"?
In Österreich stehen laut Schätzungen des BML (Bundesministerium für Landwirtschaft) über 300.000 Häuser bereits in einer HQ25 Zone, das sind 10 Prozent aller Häuser. Diese zu schützen ist sehr schwierig und vor allem sehr teuer. Eine verpflichtende Hochwasser-Versicherung für alle Gebäude ließ sich politisch bisher nicht durchsetzen, wäre aber durchaus sinnvoll.
Warum siedeln wir uns in solchen Gefährdungszonen an?
Was die Vergangenheit betrifft, also die historische Bausubstanz, ist das wirklich schwer zu beantworten. Flussufer und Übergänge waren natürlich immer sehr beliebt, ich glaube man hat damals die Hochwässer eher in Kauf genommen als heute.
Warum eine heutige Raumordnung es immer noch ermöglicht, dass im HQ 25 gebaut wird, verstehe ich allerdings nicht. Selbst öffentliche Gebäude wie Feuerwehrhäuser, werden nicht immer auf sicheren Standorten gebaut. Wahrscheinlich gibt es einen "Bürgermeistereffekt". Hier wäre dringend Abhilfe zu schaffen, um Schäden und Kosten durch eine verfehlte Raumordnung zukünftig zu minimieren. Immerhin hat dieses Hochwasser laut vorsichtigen Schätzungen den Staatshaushalt mit über 700 Millionen Euro belastet.
Und die Schäden in der Landwirtschaft?
Waren und sind für die Betroffenen beträchtlich. Vor allem überall dort, wo entlang der Bäche und Flüsse gewirtschaftet wird. Das Hochwasser 2024 war vor allem eines entlang der kleinen Zubringergräben, diese waren teils völlig überfordert und so wurden Felder großflächig überschwemmt.
Zahlt hier nicht die Versicherung?
Nur ein kleiner Teil der Schäden (Ernteverluste) kann versichert werden, die Verschlämmung der Böden, die Strukturschäden und die Unbefahrbarkeit sind im öffentlich gestützten Versicherungsangebot nicht abgedeckt, bedeuten aber Probleme auf Jahre und eine schwere Belastung für die betroffenen Betriebe. 2002 haben Bund und Land rasch und effizient über Schadenskommissionen auf Gemeindeebene geholfen. Im Gegensatz dazu gab es 2024 für die Landwirtschaft keine Unterstützung.
Was hätte getan werden müssen?
Mit etwas gutem politischen Willen wäre es ganz einfach gewesen. Meinen Schätzungen nach wären in Summe österreichweit schon 5 bis 10 Millionen Euro bzw. 1.500 bis 2.000 Euro pro überschwemmtem Hektar ausreichend gewesen, um den betroffenen Landwirten zu Hilfe zu kommen. Rasch und effizient. Ich verstehe nicht, warum die Politik sich diese Chance zur Hilfe hat entgehen lassen. Nimmt man diese 10 Millionen der Landwirtschaft in Relation zu den geschätzten 700 Millionen für Häuser, so wird rasch klar, dass es sich hier um vergleichsweise kleine Beträge handeln würde.
Wie kommt man zu Schutzgebieten und wie wirken sie?
Wir müssen uns dringend für das nächste Hochwasser vorbereiten. Um einen Schutz der Siedlungen, Häuser und öffentlichen Gebäude zu erreichen, wird es Hochwasserschutzgebiete brauchen, welche die Wassermassen aufnehmen. Also Felder, Wiesen und Wälder von privaten Landbewirtschaftern. Die Flüsse sind ja öffentliches Gut, gehören also dem Staat, und dieser sollte schon danach trachten, dass sie funktionieren und keinen Schaden anrichten.
Was muss passieren?
Es muss der Staat an die Landbewirtschafter mit einem Anbot zum Hochwasserschutz herantreten und wahrscheinlich in Form von Servituten bzw Dienstbarkeitsverträgen sicherstellen, dass das Wasser im Fall der Fälle in Richtung der Felder austreten bzw. umgeleitet werden kann. Die Bereitschaft zur Überflutung und der möglicherweise eintretende Schaden sind dem Landbewirtschafter von der Öffentlichkeit abzugelten, vielleicht auch in Form von Steuererleichterungen.
Warum ist das vernünftig?
Ich plädiere für eine großzügige Abgeltung, denn dies ist allemal viel günstiger als die nächste Hochwasser-Milliarde. Vereinfacht gesagt: Vorsorge ist allemal besser und günstiger als Schadensabgeltung und Stützung der immer teureren Versicherungsprämien. Die Politik kann also kreativ werden.
Lassen sich mit diesen Hochwassergebieten auch ökologische Ziele erreichen?
Unbedingt. Ich glaube, die Kombination von Hochwasserschutz und Renaturierung der Gewässer ist auf der Höhe der Zeit und der anzustrebende Königsweg. In der EU gibt es im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie eine Festlegung, dass europaweit bis 2030 auf einer Fließstrecke von 25.000 Kilometern Flüsse renaturiert werden sollen.
Was ist darunter zu verstehen?
Darunter versteht man die Wiederherstellung eines annähernd natürlichen Fließverlaufes mit Mäandern, lateralen Ausbuchtungen, Flussbänken und tiefen Kolken (natürliche Vertiefungen an Flüssen). Weiters gibt es Bestrebungen, die Durchgängigkeit der Flüsse wieder herzustellen und sogenannte FFR (Free Floating Rivers)-Abschnitte zu gestalten, nicht zuletzt um den Fischaufstieg zu ermöglichen. Zweifelsfrei sind die Flüsse in der Landschaft ein Spiegelbild für unseren Umgang mit der Natur und damit nicht nur ökologisch, sondern auch gesellschaftlich von Bedeutung.
Worauf ist dabei zu achten?
Praktisch gesprochen würde das bedeuten, dass die zu schaffenden Hochwasserschutzgebiete auch mit den Augen der Renaturierung erstellt werden. Auch hier gilt es, den Landbewirtschaftern auf Augenhöhe zu begegnen und die von ihnen eingebrachten Flächen großzügig abzugelten. Schließlich soll der Hochwasserschutz nicht zum Nachteil des Grundeigentümers sein. Je positiver Pilotprojekte kommuniziert werden, umso einfacher wird die Aufgabe der Wasserbauer.
Wenn das alles so klar ist, warum dauert der Hochwasserschutz dann so lange?
Im Zuge des ÖWAV (Österreichischer Wasser- und Abfallwirtschaftsverband) -Seminars vom 12. November 2024 mit dem Thema "Renaturierung in der Wasserwirtschaft" (oewav.at) wurde mir rasch klar, dass wir es mit einem Wirrwarr politischer Verantwortungen zu tun haben. Während der Wasserbau ganz klar im Landwirtschaftsministerium angesiedelt ist, ist das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur dem Klimaschutzministerium zugeordnet. Die Materien überschneiden sich aber.
Dann gibt es die Landesstellen für Wasserbau, welche wieder selbst Daten zu den Flüssen erheben, welche sich nicht zwingend mit denjenigen des Bundes decken.
Positiv anzumerken ist aber, dass sich die verantwortungsvollen Beamten durch diesen Wirrwarr nicht beirren lassen und sehr wohl das Ziel von Hochwasserschutz und Renaturierung im Auge behalten. Trotz Föderalismus und trotz gesetzlicher und ministerieller Doppelgleisigkeiten.
Wieso ist der Föderalismus zu beachten?
Die Umsetzungen im Wasserbau passieren unter Federführung der Länder, auch hier zeigen sich Unterschiede. Während in Niederösterreich beispielsweise eher mehr Flächen den Flüssen zugeschlagen werden, denkt man in der Steiermark und in Oberösterreich viel kleinräumiger.
Im Ergebnis ist aber klar, dass die Projekte sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Ein Hofrat aus Niederösterreich hat mir beispielsweise erzählt, dass seine Abteilung zwei bis drei Jahre braucht, um die Datengrundlage für ein Flussbauprojekt zu erstellen.
Was muss passieren, damit wir schneller zu Hochwasserschutz kommen?
Es beginnt ganz oben. Die Agenden der Umwelt müssen in der neuen Regierung wieder mit denjenigen der Landbewirtschaftungen vereint werden. Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft gehören thematisch einfach zusammen.
Was ist sonst noch wichtig?
Um schneller umsetzen zu können, braucht es eine rasche Datenverarbeitung. Bei vielen Bächen und Flüssen gibt es keine Zahlen zu den Abflusskapazitäten, obwohl das Hochwasser eigentlich die Rohdaten geliefert hat. Aufgrund der Wasserströme lässt sich recht einfach für jeden Bach und Fluss ein Konzept erarbeiten. Mit diesem kann an Grundeigentümer herangetreten werden. Wenn hier ein interessantes Angebot gelegt wird und der Landbewirtschafter sich eingebunden fühlt, quasi als wichtiger Teil der Lösung, dann wird der Erfolg sich einstellen und Hochwasserschutz in der Fläche stattfinden.
Und zu jedem Projekt braucht es ein Kommunikationskonzept auf kommunaler Ebene. Hier müssen sich die Bürgermeister konstruktiv einbringen, um Halbwahrheiten und Gerüchte am Stammtisch von Anfang an zurechtzurücken. Und natürlich braucht es die verantwortlichen Landespolitiker, welche sich voll hinter die Projekte stellen und sich nicht beim ersten Lüfterl wegdrücken.
Eine große Unterstützung sind zweifelsfrei die Pilotprojekte, auf diese kann man sich beziehen und sie regen zur Nachahmung an.
Schlußendlich noch der Landbewirtschafter: diesem kommt eine neue Rolle zu als Ermöglicher von Hochwasserschutz für Siedlungen und Häuser. Dafür gebührt ihm die entsprechende öffentliche Anerkennung und ich habe die Hoffnung, dass er in diese neue Rolle rasch hineinwachsen wird. Zum Wohle der Gesellschaft und zum Wohle der Natur.
Dipl.Ing. Maximilian Hardegg leitet seit über 30 Jahren den familieneigenen Betrieb. Gut Hardegg beschäftigt 40 Mitarbeiter und versorgt rund 100.000 Österreicher mit Grundnahrung. In ganz besonderer Weise widmet sich der Betrieb der Natur und Renaturierung, das Wertversprechen lautet "gelebte Artenvielfalt". 2023 wurde Maximilian Hardegg das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich verliehen