Die Trump-Strategie
"Immer attackieren, alles leugnen, Niederlagen nie zugeben"
Ein neues Buch und ein neuer Kinofilm beschäftigen sich mit Donald Trump. US-Experte Eugen Freund hat "The Apprentice" gesehen und "Wer fürchtet sich vor Donald Trump" von Hannelore Veit gelesen. Was er über die beiden Stücke denkt.
Ist über Donald Trump nicht schon alles gesagt worden? Etwa nach dem Motto Woody Allens, der einmal einem Film so benannte: "Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten".
Dennoch gibt es nun ein Buch und einen Film, die sich der Person des ehemaligen und möglicherweise künftigen Präsidenten der USA aus unterschiedlichen und weniger bekannten Perspektiven annähern. Hannelore Veit - meine ehemalige Moderationskollegin und langjährige ORF-Korrespondentin in den USA - nennt ihr Buch nicht ganz unverfänglich "Wer hat Angst vor Donald Trump". Der Filmregisseur Ali Abbasi wiederum lässt mit "The Apprentice" ("Der Lehrling") erst auf dem zweiten Blick darauf schließen, dass er den Aufstieg Donald Trumps als jungen Baulöwen vor die Linse bringt.
Der Film beginnt mit einer Musik-Collage, die so laut ist, wie sie im berüchtigten, Kokain-verseuchten "Studio 54" immer abgespielt wurde. In jener Diskothek in Manhattan, die in den 1970er-Jahren alles versammelt, was New York an Schickeria aufzubieten hatte: von Andy Warhol über Liza Minelli, von George Steinbrenner, dem das Baseball Team New York Yankees gehörte, bis zu Donald Trump. Und nicht zu vergessen Roy Cohn, dem gewieften Rechtsanwalt, der die ganze Stadt in seiner Hand hatte.
Trump hatte von ihm gehört, gelesen, kannte ihn aber nicht persönlich. Bis er von Cohn einmal an seinem Tisch gebeten wird. Der homosexuelle Cohn hatte Gefallen an Trump gefunden. Als er sich vorstellt, erwidert der Sohn des Baulöwen überrascht: "DER Roy Cohn?" Nicht lange nach dem ersten Treffen wurde eine Beziehung daraus, freilich nur eine geschäftliche, mehr wollte der promiskuitive Trump nicht.
So beginnt der faszinierende Streifen "The Apprentice", benannt nach der gleichnamigen TV-Serie, die Donald Trump von 2004 bis 2017 zu einem Fernsehstar gemacht hatte. Doch der Film konzentriert sich auf die "Lehrlingszeit" Donalds, der sich damals gerade von seinem autoritären und herrschsüchtigen Vater loslösen möchte.
New York war in den Siebziger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ziemlich heruntergekommen, das mag Touristen weniger aufgefallen sein als mir, der ich dort regelmäßig mit dem Auto in Schlaglöcher fiel, an verfallenden Häusern vorbei zur Arbeit ging oder von Kriminellen bedroht wurde.
Das Geld der Stadt war knapp geworden und dass es noch knapper wurde, dafür hatte auch Roy Cohn gesorgt. Mit erpresserischen Methoden hatte er die Behörden dazu gebracht, etwa auf die Grundsteuer zu verzichten, wodurch riesige Budgetlöcher entstanden.
Als Trump neben dem Hauptbahnhof Grand Central Station das verfallende Commodore Hotel sah, schaltete er Roy Cohn ein, der den zuständigen Planungsstadtrat dazu brachte, den Umbau des Hotels quasi steuerfrei zu genehmigen. Wie Trumps "Fixer" das schaffte? Er zog aus einem Kuvert ein Schwarz-Weiß-Foto hervor, das den Stadtplaner bei einer homosexuellen Handlung zeigte. Schon die Frage: "Soll ich das ihrer Frau zukommen lassen?", genügte, der Steuererlass wurde genehmigt.
Roy Cohn (phantastisch dargestellt von Jeremy Strong) bringt Trump (nicht minder großartig: Sebastian Stan) bei, wie man Geschäfte macht, je schmutziger desto besser, und lehrt ihm drei goldene Regeln: "Immer attackieren, alles leugnen, und Niederlagen ja nicht zugeben, niemals" - ein Motto, das sich bis weit in die Trump'sche Präsidentschaft hineinzieht.
Der Anwalt begleitet den Baulöwen bei seinem Aufstieg, nach dem Hyatt-Hotel (das wurde aus dem Commodore) hat er schon das nächste Mega-Projekt im Auge: den Trump Tower an der Fifth Avenue. Nach seinen Vorstellungen kann das nur der "schönste, größte, modernste, teuerste Wolkenkratzer der Stadt, nein, der USA, oder gleich der Welt" werden.
Doch eines gelingt dem ungleichen Paar Cohn-Trump diesmal nicht: der New Yorker Bürgermeister Ed Koch bleibt hart, Steuergeschenke gibt es von ihm nicht.
Dennoch wird Trump danach immer größenwahnsinniger. Er baut bzw. übernimmt Casinos in New Jersey ("Die Großmütter werden das lieben"), doch die Banken wollen ihre Kredite zurückgezahlt haben, Trump hält sich nur mit Mühe über Wasser.
Als ich 1990 Ed Koch zu den Schwierigkeiten befrage, in denen Trump steckt, sagt er nur: "Ach, hier geht es nicht um Schadenfreude. Ich wünsche ihm nichts Gutes, aber auch nicht finanzielle Probleme. Ich mag ihn eben nicht, und er mag mich nicht. Er ist ein guter Häusermakler. Er hat sich offenbar übernommen, aber ich hoffe, er schafft es."
Tatsächlich zieht sich Trump irgendwie aus dem Sumpf, für Roy Cohn geht es gleichzeitig immer mehr bergab. Er erkrankt an AIDS, stirbt 1986. Auch Trumps erste Ehefrau, das tschechoslowakische Modell Ivana Zelničkova, spielt eine wichtige Rolle in "The Apprentice". Sie gestaltet als selbsternannte Innenarchitektin die riesige Aula des Trump Towers an der Fifth Avenue mit dem charakteristischen rosa Marmor und der goldenen Rolltreppe, auf der Donald Trump 2015 seine Präsidentschaftskandidatur ankündigen wird. Die Ehe wird 1990 geschieden, kurz nachdem sie ihm vorgeworfen hat, von ihm – wie auch im Film gezeigt wird – vergewaltigt worden zu sein.
Als die "New York Times" den Streifen im vergangenen Mai nach seiner Premiere in Cannes bespricht, gibt es noch keinen Filmverleih – zu kontrovers für die Millionäre, die Trump unterstützen. Man muss "The Apprentice" gesehen haben, um zu wissen, warum.
Apropos "Warum". "Warum nur, warum?" Udo Jürgens' Eurovisions-Beitrag von 1964 hätte vielleicht für Hannelore Veits Buchtitel besser gepasst als die Verballhornung von Edward Albees Theaterstück "Wer hat Angst vor Virginia Woolf". Denn die ehemalige USA-Korrespondentin begibt sich auf die Spur all jener Trump-Wähler, die – aus europäischer Sicht unverständlich – diesen Mann verehren und wählen.
Wir Europäer kennen ihn, so schreibt sie in ihrem Buch, hauptsächlich von kurzen Soundbites, meist extrem kontroversiellen, sonst würde der entsprechende Beitrag gar nicht gesendet werden. Hannelore Veit, die Kundgebungen Trumps besucht hat, beschreibt ihn als witzigen, auf seine Besucher eingehenden Wahlkämpfer, der sich gerne vor allem mit der ersten Reihe unterhält.
"Er ist ein umsichtiger Gefährte", zitiert sie einen gute Freund Trumps, "er hält zu dir. Wenn Du in Schwierigkeiten bist, dann ist er für dich da." Daran ändern auch die umstürzlerischen Vorgänge vom 6. Jänner 2021 nichts. Damals hatte er seine Anhänger aufgefordert, zum Kapitol zu gehen und dafür zu sorgen, das Wahlergebnis (Joe Biden hatte die Wahlen gewonnen) zu drehen.
Das sei eine einzige Inszenierung gewesen, hört die Autorin aus ihren Gesprächen mit Trump-Verehrern heraus, in den Medien sei maßlos übertrieben worden, was damals geschah. "Die Horde sei einfach ins Kapitol eingelassen worden, da gebe es Videos, die das beweisen, aber nicht an die Öffentlichkeit kämen", steht in ihrem Buch zu lesen.
Und doch gibt es auch andere Stimmen (ehemaliger) Trump-Anhänger zu diesen Vorfällen. Etwa der Finanzmanager Michael, der den umstrittenen Ex-Präsidenten zwei Mal gewählt hat. Jetzt, wegen der Auseinandersetzungen vom 6. Jänner 2021, würde er es nicht mehr tun: "He is disgusting – er ekelt mich an!" zitiert ihn Hannelore Veit.
Sie geht auch der – für viele Europäer – unverständlichen Frage nach, warum sich ausgerechnet auch eine Mehrheit der Latinos, also der unmittelbar aus lateinamerikanischen Ländern Eingewanderten oder deren Nachkommen, auf die Seite von Donald Trump geworfen hat. Dazu sucht sie George Ramos auf, den bekanntesten TV-Moderator, dessen spanisch-sprechende Nachrichten auf Univision täglich von Millionen Landsleuten in den USA verfolgt werden. Er hat eine Erklärung: "Latinos verhalten sich zusehends wie der Rest der Amerikaner. Das zeigt, dass ein Teil der Latino-Wählerschaft vollkommen assimiliert ist, nach dem Motto: Wir sind Amerikaner, wir haben die gleichen Probleme wie alle anderen auch."
Und ja, die "Angst-Frage" wird in dem Buch natürlich auch aufgegriffen. "Muss sich Europa fürchten?" heißt es in einem kurzen Kapitel gegen Ende des Buches. Eine Antwort auf diese Frage kommt von Peter Rough, einem Mitglied des Hudson Instituts, einer konservativen Denkfabrik. Er leitet dort das Center on Europe and Eurasia: "Europa fürchtet sich anscheinend nicht. (…) Bis jetzt hat man jedenfalls die Remilitarisierung Europas nicht zustande gebracht."
Rough spielt darauf an, dass Trump in seiner ersten Amtszeit von den europäischen NATO-Mitgliedern höhere Beiträge verlangt hat. Er glaubt, die Europäer würden davon ausgehen, dass die USA weiterhin auf ihrer Seite stehen würden, wer auch immer die Wahlen gewinnt. Nichts Genaues weiß man nicht. Fest steht nur, wie Hannelore Veit an einer Stelle schreibt: Trump ist außenpolitisch unberechenbar, erratisch, widersprüchlich.
Wenn ich einen persönliche Anmerkung hinzufügen darf: Das betrifft freilich nicht nur die Außenpolitik.
Es ist zu befürchten – und mit einiger Gewissheit anzunehmen: Ein Großteil der Trump-Befürworter wird sich "The Apprentice" zumindest vor den Wahlen nicht ansehen. Es würde zumindest eineinhalb Stunden ihren Horizont erweitern. Ob sie dann Hannelore Veit für ihr lesenswertes Buch die gleichen Zitate hinterlassen hätten, werden wir nicht erfahren.
Hannelore Veit, "Wer hat Angst vor Donald Trump?" Ecowing, 184 Seiten, 25 Euro. Ab sofort
"The Apprentice", Regie Ali Abbasi. Mit Sebastian Stan (Donald Trump), Jeremy Strong (Roy Cohn), Marija Bakalowa (Ivana Trump). Kinostart 17. Oktober
Eugen Freund war Moderator der ZiB 1, lebte von 1979 bis 1984 in New York und war von 1995 bis 2001 in Washington als ORF-Korrespondent tätig. Er war Teil der SPÖ-Delegation im Europa-Parlament und ebendort Mitglied der USA-Delegation (2014-2019)