Wahldebatte USA
"Sie essen Hunde. Die Leute, die rein kamen, essen Katzen."
55 Tage vor den Präsidentschaftswahlen trafen sich Kamala Harris und Donald Trump zum ersten TV-Duell. Am Tag danach sprach alles über seinen Haustierspruch. Und dass Harris besser war. Eugen Freund über die Groteske.
Die meisten Kommentatoren sahen es ebenso: Eine Blitzumfrage des TV-Senders CNN unmittelbar nach der Debatte sah Kamala Harris in Front. Allerdings: Das Sample war mit 605 Befragten winzig, die Schwankungsbreite mit +/- 5,3 Prozent groß. Jedenfalls: 63 Prozent der Zuschauer der Debatte sagten, dass Harris in Philadelphia auf der Bühne eine bessere Leistung abgeliefert habe. Zuvor hatten nur 50 Prozent erwartet, dass die demokratische Kandidatin besser sein würde.
Aber was ist da in der Nacht auf Mittwoch passiert? Eigentlich hätte Joe Biden gegen Donald Trump diskutieren sollen. Es wäre das zweite Aufeinandertreffen der beiden alten Männer gewesen. "Wäre" wenn nicht. Ja, wenn nicht das erste Duell so desaströs für Biden ausgefallen wäre und danach alle sehr schnell ging: der Präsident zog sich zurück, seine Vizepräsidentin wurde aufs Schild gehoben. Von den zwei alten Männern blieb nur noch einer übrig. Donald Trump. Und ihm gegenüber stand nun eine zwanzig Jahre jüngere Frau.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis Donald Trump sein Lieblingsthema auftischte: die Einwanderung: "Sie - Harris - und Biden haben dazu beigetragen, dass Millionen von Menschen, aus Gefängnissen, aus Krankenanstalten, aus psychiatrischen Anstalten über die Grenze strömen, Terroristen, Drogenhändler, mit Gewalt Städte übernehmen und ein Chaos hinterlassen." Eigentlich wollten die beiden Moderatoren dieses Thema erst später aufgreifen, doch Trump will damit unbedingt stechen. Es gelingt ihm auch, weil Harris dazu kaum etwas zu sagen hat, lieber auf das Wirtschaftsprogramm - ihres und das "katastrophale" ihres Gegners - zu sprechen kommt.
Viele Themen, aber da ist wenig Konkretes
Nächstes Thema "Abtreibung" - Trump wirft den Demokraten vor, Babies im neunten Monat, nach der Geburt, "hinrichten" zu wollen, Kamala Harris' Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz habe gesagt, "es sei in Ordnung, ein Baby nach dem neunten Monat umzubringen". Nur durch die weise Entscheidung von sechs Richtern des Obersten Gerichtshofs ist es nun den einzelnen Bundesstaaten überlassen, wie mit diesem Problem umgegangen wird. Harris schlägt zurück: Natürlich sei das wieder eine Lüge des Gegenkandidaten, es sei eine Beleidigung für Frauen, ihnen vorzuwerfen, eine Abtreibung im neunten Monat zu verlangen.
Trump kommt auf sein Lieblingsthema zurück: die Einwanderung. Wer geglaubt hat, es kann nicht tiefer gehen, wird eines Besseren belehrt. Trump wirft den Immigranten vor, Haustiere zu töten. "Sie essen Hunde. Die Leute, die rein kamen, essen Katzen." Egal wo sie sind, die armen Tiere seien vor ihnen nicht sicher. Harris kann nur lachen. Das macht sie übrigens gerne und oft – gelegentlich führt sie auch ihre Hand ans Kinn und sieht Trump, kopfschüttelnd, ungläubig an.
Keine Antwort bekommt Moderator David Muir von Trump auf die Frage zum 6. Jänner 2021 (als ein wütender Mob das Capitol stürmte). Ob er, angesichts der gewalttätigen Vorfälle, irgendetwas bedauere. Selbst als die Frage wiederholt wird, reagiert der frühere Präsident mit seinem Lieblingshinweis, was gegen die Millionen Eindringlinge getan wird, die über die Grenze strömen.
"Ich würde Putin anrufen …"
Nach einer Stunde ist eines klar: Trump verkörpert den wütenden, bösartigen, hasserfüllten, mit Lügen und Übertreibungen um sich werfenden Kandidaten, der sein Land während seiner Amtszeit als eines, in dem Milch und Honig fließen, bezeichnet. Harris schlägt gelegentlich hart gegen Trump zurück ("Sie lieben Diktatoren, sie sind eine Schande!"), versucht aber einigermaßen ausgleichend zu bleiben und nicht ständig die Vergangenheit neu aufzurollen.
Auch die Ukraine wird diskutiert: Trump wiederholt sein Mantra, unter ihm hätte der Krieg nie begonnen, jetzt würde er den Krieg in 24 Stunden beenden. "Ich würde Putin anrufen, ich würde Selensky anrufen, und das Sterben von Millionen Menschen würde sofort aufhören. Und die Europäer würden mehr zahlen als wir …"
Harris hat eine Antwort parat: "Wir müssen unsere Freunde unterstützen und nicht unsere Feinde, wie es Trump mit den Diktatoren tut. Schauen Sie nur, wie er mit den Taliban umgegangen ist – er hat sie sogar nach Camp David eingeladen, diesen historisch so bedeutenden Ort."
Im Schlusswort verweist Kamala Harris neuerlich auf die unterschiedlichen Visionen: "Er, Trump, spricht von der Vergangenheit, ich richte meine Blicke in die Zukunft. Meine Absicht ist es, eine Präsidentin für alle Amerikaner zu sein." Trump wirft Harris zum Schluss vor, all das, was sie nun vorhat, hätte sie schon in den vergangenen dreieinhalb Jahren erledigen können. "Wir werden ausgelacht, wir sind ein Staat im Untergang. Sie zerstören unser Land, mit dem schlechtesten Präsidenten, der schlechtesten Vizepräsidentin aller Zeiten."
Momentan ist es ein "totes Rennen"
Die letzten Umfragen in den USA sprechen von einem toten Rennen: zwischen Donald Trump und Kamala Harris liegt ein einziger Prozentpunkt (48 zu 47 Prozent) - betrachtet man die Fehlerquote von rund drei Prozent nach oben und nach unten, lässt sich der Wahlausgang heute nicht vorhersagen. Die Analyse wurde noch vor der TV-Debatte erhoben, wobei auch ein weiteres interessantes Detail heraus gekommen ist: die WählerInnen wissen von Harris zu wenig.
Daran hat auch das lang anhaltende und lautstarke Hurra für die erste farbige Kandidatin nach dem Abgang von Joe Biden nichts geändert. Immer noch sagt mehr als ein Viertel aller Wähler, sie wüssten gerne mehr über und von Kamala Harris, während Trump fast alle (bis auf 9 Prozent) für ein beschriebenes Blatt halten. Für Harris stand also viel auf dem Spiel. Die (jetzt einmal geschätzten) 50 Millionen Zuseher in den USA haben nun in jedem Fall ein besseres Bild von Kamala Harris. Ob es reicht, sie an die Spitze des Staates zu hieven, wird man wohl erst am 5. November wissen.
Oder doch schon heute? Es gibt da jemanden, der davon überzeugt ist.
Der Geschichtsprofessor setzt auf Harris
Er vergleicht seine Methoden mit der Position des Polarsterns: "absolut konstant". Der Geschichtsprofessor Allan Lichtmann sagt voraus, wer die Präsidentschaftswahlen in den USA gewinnt. Und er hat seit 40 Jahren immer recht gehabt, mit einer Ausnahme - als im Jahr 2000 Al Gore das Rennen gegen George W. Bush verlor. Oder besser, als damals der Oberste Gerichtshof entschied, wer die Wahlen gewonnen hatte.
Noch vor der TV-Debatte legte sich Allan Lichtmann auch diesmal fest: die Wahl wird Kamala Harris gewinnen. Für sie sprechen 8 von 13 Entscheidungsgrundlagen, die sich auf die Stärke und die Leistung des Weißen Hauses beziehen, nur zwei davon fokussieren auf die Kandidaten selbst. Alle andere betrachten das politische Umfeld. Also etwa: wie hat die Partei in den Zwischenwahlen abgeschnitten (also wo es um Parlaments- und Gouverneurswahlen geht); wie entscheidend ist ein eventueller dritter Kandidat, wie hat sich die Wirtschaft kurzfristig und längerfristig entwickelt; gab es soziale Unruhen; oder Fehler bzw. Erfolge in der Außenpolitik.
Einige Punkte sprechen laut Lichtmann für Trump (etwa, dass Biden selbst nicht mehr kandidiert), andere wiederum helfen den Demokraten ("Die Wirtschaft ist NICHT in einer Rezession" oder "Biden hat in wesentlichen Punkten die Politik geändert", etwa was das Pariser Klimaabkommen betrifft, dem die USA wieder beigetreten sind). Jeder einzelne Punkt bringt einen Vorteil für den einen oder die andere Kandidatin - am Ende siegt, so sagt der Professor voraus, Kamala Harris relativ deutlich mit fünf Punkten.
Eine gewagte Prognose. Mit der heutigen TV-Debatte könnte durchaus ein sechster Grund dazukommen sein. Folgt ein siebenter? Das Kampagnenteam von Harris forderte Trump unmittelbar nach dem Duell nun doch zu einer zweiten Debatte auf. "Vizepräsidentin Harris ist bereit für eine zweite Debatte. Ist es Donald Trump?", hieß es in der Mitteilung. Zusage gibt es noch keine.
Eugen Freund war Moderator der ZiB 1, lebte von 1979 bis 1984 in New York und war von 1995 bis 2001 in Washington als ORF-Korrespondent tätig. Er war Teil der SPÖ-Delegation im Europa-Parlament und ebendort Mitglied der USA-Delegation (2014-2019)