iran greift an

"In The Name Of Allah": 180 Raketen auf Israel und nur 12 Minuten Zeit

Die Sirenen gingen an, dann blieb den Menschen nicht einmal eine Viertelstunde, um in die Bunker zu kommen. Mit einem massiven Raketenangriff nahm der Iran Dienstagabend Israel unter Beschuss – und scheiterte. Der Angriff und die Folgen.

In Israel suchte die Bevölkerung Schutz in Bunkern
In Israel suchte die Bevölkerung Schutz in Bunkern
Reuters
Newsflix Redaktion
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Seit Tagen war damit gerechnet worden, nun ist es passiert. Und die Folgen sind nicht absehbar. Israel erlebte einen schwarzen Dienstag. Bei einem Terroranschlag an einer Busstation wurden sieben Menschen ermordet. Wenig später begann der Iran mit einem massiven Luftschlag gegen das Land.

Die Raketen der Mullahs richteten verhältnismäßig geringen Schaden an, aber sie versetzten das Land erneut unter Schock. Der Angriff ist dazu geeignet, die Situation im Nahen Osten endgültig entgleisen zu lassen. Israel hat bereits eine Antwort auf die Bomben aus Teheran angekündigt. Das müssen Sie über die Geschehnisse wissen:

Was passierte beim Terroranschlag?
Gegen 19 Uhr stiegen zwei Terroristen in Tel Aviv in eine Straßenbahn und eröffneten das Feuer. Dann verließen sie den Zug und schossen auf der Straße weiter auf Zivilisten. Aufnahmen zeigen zwei Männer mit Maschinengewehren, die auf am Boden liegende Menschen feuern. Die Bilanz: sieben Tote, mehrere Verletzte. Die beiden Attentäter wurden von der Polizei bzw. von Zivilisten erschossen. Als die Helfer noch am Tatort waren, gingen die Sirenen los.

Trümmerteile von zerstörten iranischen Raketen stürzen brennend auf Israel herab. Der Angriff des Iran auf Israel mit 180 ballistischen Raketen verursachte zwar erhebliche Sachschäden, es wurden aber nur zwei  Menschen leicht verletzt
Trümmerteile von zerstörten iranischen Raketen stürzen brennend auf Israel herab. Der Angriff des Iran auf Israel mit 180 ballistischen Raketen verursachte zwar erhebliche Sachschäden, es wurden aber nur zwei  Menschen leicht verletzt
AHMAD GHARABLI / AFP / picturedesk.com

Wie verlief der Raketenangriff auf Israel?
Dienstagabend gegen 19.30 Uhr Ortszeit (18.30 in Mitteleuropa) gehen in Israel wieder einmal die Sirenen an. Das Militär meldet einen unmittelbar bevorstehenden, massiven Raketenangriff aus dem Iran. Bereits Stunden zuvor hatten die USA bekannt gegeben, dass Teheran Raketen für einen Angriff scharf machen lässt.

Wie lange dauerte der Angriff?
Es gab offenbar zwei Wellen. Am Ende sollen es 180 ballistische Raketen gewesen sein, die der Iran auf Israel abgefeuert hat – die von der Luftabwehr errechneten Ziele der Raketen sind auf der Karte unten zu sehen. Die große Mehrheit der Israelis saß etwa eine Stunde lang in Luftschutzbunkern oder sonstigen Schutzeinrichtungen, ehe das Militär Entwarnung gab.

Gab es Opfer und Zerstörungen in Israel?
Etwa eine Stunde nach dem Angriff gab das Militär bekannt, dass zwei Personen in Tel Aviv von Splittern getroffen und verletzt worden sein sollen. In Jericho im Westjordanland wurde ein Palästinenser von Trümmerteilen einer abgefangenen Rakete getroffen und tödlich verletzt. Zahlreiche Trümmerteile der abgeschossenen Raketen schlugen im ganzen Land ein und sorgten teils für massive Schäden an der Infrastruktur.

Konnten alle Raketen vom Luftabwehrsystem "Iron Dome" abgefangen werden?
Nach offiziellen Angaben konnten 99 Prozent der Raketen abgefangen und zerstört werden. Dabei kam es offenbar erneut zu einer Zusammenarbeit mit befreundeten Streitkräften. Das hatte es beim letzten derartigen Angriff des Iran auf Israel Mitte April 2024 bereits gegeben.

Wer hat diesmal geholfen?
Das ist nicht ganz klar, in jedem Fall die USA. Sie haben von ihren Kriegsschiffen in der Region offenbar wieder einen Teil der Raketen abschießen können, das Pentagon sprach von etwa einem Dutzend Flugkörpern, die zerstört werden konnten. Der Rest wurde von "Iron Dome" abgefangen (siehe auch Video unten), einem von Israel entwickelten Luftabwehrsystem, das als führend in der Welt gilt.

Eine Iranerin sieht sich die Bilder des Luftangriffs auf Israel im iranischen Fernsehen an
Eine Iranerin sieht sich die Bilder des Luftangriffs auf Israel im iranischen Fernsehen an
ATTA KENARE / AFP / picturedesk.com

Wie schützt der "Iron Dome" Israel?
Meist wird der Sammelbegriff "Iron Dome", also Eiserne Kuppel, für die gesamte Luftabwehr verwendet. Tatsächlich handelt es sich um ein ganzes System aus verschiedenen Bauteilen, der eigentliche "Iron Dome" wehrt "nur" Bedrohungen aus der unmittelbaren Umgebung ab. Also Geschoße, die aus einer Entfernung von bis zu 70 Kilometern abgefeuert wurden.

Wie ist das Verteidigungssystem aufgebaut?
Die erste Einheit "Iron Dome" wurde 2011 in der Negev-Wüste aufgestellt. Dazu kamen mit der Zeit "Arrow-2", das Mittel- und Langstreckenraketen abfängt (obere Schicht) und "Arrow-3" gegen Langstreckenraketen (obere Schicht). Dazu "David's Sling" für Boden-Boden-Raketen kurzer bis mittlerer und mittlerer bis langer Reichweite (mittlere Schicht).

Wie viele "Iron Dome"-Einheiten hat Israel?
Offiziell zehn, vermutlich einige mehr. Israel gibt eine Erfolgsrate von 85 bis 90 Prozent an, so viele Raketen können also damit abgefangen werden.

Was kostet "Iron Dome"?
Die Errichtung einer Einheit rund 100 Millionen Dollar, Eine Abfangrakete des "Iron Dome“ kostet etwa 80.000 US-Dollar.

Hat auch das muslimische Königreich Jordanien wieder bei der Verteidigung Israels mitgeholfen?
Auch Jordanien war nach eigenen Angaben wieder an der Abwehraktion beteiligt und habe mehrere Raketen abgeschossen, wie arabische Medien berichteten. Dabei seinen Trümmerteile im ganzen Land niedergegangen und hätten zwei Menschen leicht verletzt. Bereits im April waren vor allem langsam fliegende Drohnen und Cruise Missiles, die eher nahe am Boden ihre Ziele ansteuern, von der jordanischen Luftwaffe aufgespürt und abgeschossen worden. Das Königreich hatte damals argumentiert, dass es seine eigenen Bürger vor fehlgeleiteten Flugkörpern beschützen müsse und deshalb die unbemannten Fluggeräte abgeschossen habe.

Iron Dome
Iron Dome
APA-Grafik / picturedesk.com

Was war dieses Mal anders?
Der Iran schoss ausschließlich ballistische Raketen auf Israel ab. Diese steigen senkrecht in den Himmel bis auf eine Flughöhe von etwa 2.000 Kilometern und tauchen nach wenigen Minuten Flugzeit wieder in die Erdatmosphäre ein, um ihre Ziele zu treffen. Diese Raketen sind vom Iran bis Israel nur rund 12 Minuten unterwegs und aufgrund ihrer Geschwindigkeit und ihrer Flughöhe wesentlich schwieriger aufzuspüren und zu treffen. So konnten viele der Raketen auch erst knapp über dem Boden abgefangen werden, was zu spektakulären Fernsehbildern führte, aber auch Zerstörungen an der Infrastruktur mit sich brachte. Nach Schätzungen der USA war der Angriff am Dienstag von der Intensität her etwa doppelt so heftig wie jener im vergangenen April.

Also verlief der Angriff im Grunde glimpflich?
Der Luftangriff verlief glimpflich, wenn man von den bisher bekannten Opfern und den Sachschäden absieht – bald nach der Entwarnung kursierten bereits zahlreiche Videos im Netz, die zeigen, wie Trümmerteile der Raketen geborgen werden. In Ramallah wurde daraus ein Happening unter Jugendlichen (Video unten), im israelischen Tel Sheva ging es bei der Bergung der dort niedergegangenen Rakete ruhiger zu (Bild unten).

Wie argumentiert der Iran seinen Angriff auf Israel?
Irans Revolutionswächter teilten in einer Stellungnahme mit, der Angriff sei eine Vergeltung für die Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Haniyyeh, Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah sowie eines iranischen Generals gewesen. Greife Israel weiter Iraner oder mit dem Iran assoziierte Kämpfer an, würde auch der Iran seine Attacken auf Israel fortsetzen.

Bei einem zeitgleichen Angriff zweiter palästinensischer Terroristen auf eine Haltestelle in Jaffa starben 6 Israelis, zahlreiche weitere wurden teils lebensgefährlich verletzt
Bei einem zeitgleichen Angriff zweiter palästinensischer Terroristen auf eine Haltestelle in Jaffa starben 6 Israelis, zahlreiche weitere wurden teils lebensgefährlich verletzt
JACK GUEZ / AFP / picturedesk.com

Was ist damit gemeint?
In den vergangenen Wochen kam es zu einer Eskalation der Auseinandersetzung zwischen Israel und den beiden vom Iran geführten und unterstützten Terrororganisationen Hisbollah im Libanon und Hamas im Gazastreifen bzw. im Westjordanland. Israel hatte zunächst in mehreren Aktionen tausende Pager und Funkgeräte von Hisbollah-Kämpfern per Fernzündung explodieren lassen, wobei es zahlreiche Tote und mehr als tausend Verwundete gab. In der Folge kam es zu einigen höchst präzisen Luftschlägen, bei denen auch mehrere Führer der beiden Terrororganisationen ums Leben kamen.

Sind auch direkte Kämpfe zwischen israelischen Soldaten und der Hisbollah zu erwarten?
Diese habent bereits begonnen, und zwar in der Nacht auf Dienstag, also nur wenige Stunden vor dem Raketenangriff des Iran. Israel begann eine Bodenoffensive auf libanesischem Terrain und lieferte sich den ganzen Tag über schwere Kämpfe mit Hisbollah-Kämpfern. Dazu kamen unvermindert schwere Luftschläge gegen vermutete Hisbollah-Stellungen im ganzen Libanon sowie auch im benachbarten Syrien. Kaum vorstellbar, dass diese Handlungen nicht auch dazu beigetragen haben, dass der Angriff des Iran jetzt stattgefunden hat.

Israels Armee begann in der Nacht auf den 1. Oktober mit einer Bodenoffensive im Südlibanon
Israels Armee begann in der Nacht auf den 1. Oktober mit einer Bodenoffensive im Südlibanon
AHMAD GHARABLI / AFP / picturedesk.com

Könnte es noch einen weiteren Grund gegeben haben, weshalb der Iran genau heute angegriffen hat?
Schon möglich. Am Mittwoch beginnt das jüdische Neujahrsfest Rosch ha-Schana, das heuer bis 4. Oktober dauert. Es wäre nicht das erste Mal, dass arabische Staaten just vor einem hohen jüdischen Feiertag einen Krieg gegen Israel beginnen.

Was ist die Hisbollah und was sind ihre Ziele?
Wie die Hamas ist auch die Hisbollah eine radikalislamische Organisation. Beide Gruppen eint ein Hauptziel: die Vernichtung Israels und die Errichtung eines islamischen Staates Palästina. Die Hamas operiert in Gaza und teilweise im Westjordanland, die Hisbollah im Libanon. Und beide Gruppen werden vor allem vom Iran finanziell und logistisch unterstützt.

Wie ist die Hisbollah entstanden?
Sie wurde 1982 in der Folge des israelischen Einmarsches im Libanon gegründet. Tatsächlich in Erscheinung trat sie Mitte der Achzigerjahre. Sie besteht aus zwei Teilen, einer politischen Partei und einer paramilitärischen Miliz. Im Libanon bildet sie eine Art Staat im Staat, der die libanesischen Streitkräfte nichts entgegenzusetzen haben.

Mit Luftschlägen attackiert Israel seit Wochen immer wieder Stellungen und Kommandogebäude der Terrororganisation Hisbollah in Beirut
Mit Luftschlägen attackiert Israel seit Wochen immer wieder Stellungen und Kommandogebäude der Terrororganisation Hisbollah in Beirut
FADEL ITANI / AFP / picturedesk.com

Wie stark ist die Hisbollah?
Laut "Country Reports on Terrorism 2021" der US-Regierung verfügt sie über "zehntausende Unterstützer und Mitglieder weltweit".

Wer unterstützt die Hisbollah?
Der Iran sponsert die Terrorgruppe mit mehreren hundert Millionen Dollar im Jahr, auch Katar unterstützt vor allem finanziell, strategische Hilfe kommt aus Syrien. Die Hisbollah ist stark im Waffenhandel und im Drogengeschäft (Cannabis, Kokain) engagiert. Der Libanon ist Umschlagplatz für das Aufputschmittel Captagon, das Amphetamin kommt aus Syrien ins Land.

Was ist der Unterschied zwischen den Terrorgruppen?
Im Islam gibt es verschiedene Glaubensrichtungen, die beiden bedeutsamsten sind das Sunniten- und Schiitentum. Die Hamas ist eine sunnitische, die Hisbollah eine schiitische Organisation. Was die beiden primär eint ist der Hass auf den gemeinsamen Feind Israel.

Hisbollah-Kämpfer in Beirut beim Begräbnis ihres Kommandanten Mohammed Srur am 27. September 2024. Srur war bei einem gezielten israelischen Drohnenangriff ums Leben gekommen
Hisbollah-Kämpfer in Beirut beim Begräbnis ihres Kommandanten Mohammed Srur am 27. September 2024. Srur war bei einem gezielten israelischen Drohnenangriff ums Leben gekommen
-STR / AFP / picturedesk.com

Was ist der Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten?
Beide interpretierten die Nachfolge des Propheten Mohammed anders. Die späteren Sunniten waren der Auffassung, Mohammed habe keinen Nachfolger benannt und wollten diesen wählen. Die späteren Schiiten forderten, der neue Kalif oder Imam müsse aus der Familie des Propheten stammen.

Wie geht es jetzt weiter?
Es steht zu befürchten, dass sich die Eskalationsspirale rasant weiter drehen wird. Israel hat bereits eine Stunde, nachdem Entwarnung gegeben werden konnte, erklärt, noch in der selben Nacht gegen den Iran zurückzuschlagen – siehe dazu unten das Video von Armeesprecher Daniel Hagari – falls das bereits geschehen ist, wurde es bislang noch nicht bekannt. IdIn welcher Form und vor allem mit welcher Intensität Israel zurückschlägt, bleibt abzuwarten. Aber dass man nur symbolisch einen Angriff gegen ein unbedeutendes Ziel im Iran fliegt, wie das im April nach dem ersten großen Angriff der Fall gewesen ist, gilt unter Beobachtern als ausgeschlossen. Und auch der Iran hat sofort wieder neue Drohungen und Vergeltungsmaßnahmen für allfällige israelische Gegenangriffe in Aussicht gestellt.

Wie verhalten sich die USA?
Der bedeutendste Verbündete Israels stellte am Dienstag unmissverständlich klar, dass Israel aus seiner Sicht das Recht zur Selbstverteidigung hat. Sicherheitsberater Jake Sullivan erklärte, dass der iranische Angriff eine "bedeutende Eskalation" der Lage sei, die Konsequenzen haben werde. Und daran arbeite man nun mit Israel. Details wurden aber auch hier nicht genannt.

Weshalb hat sich die Lage im Nahen Osten überhaupt so dramatisch entwickelt?
Begonnen hatte die Eskalation der Gewalt am 7. Oktober 2023 mit einem Überfall tausender Terroristen der palästinensischen Hamas auf Israel, bei dem mehr als 1.250 Israelis teils bestialisch getötet und weit über 200 Menschen in den Gazastreifen verschleppt wurden. Israel begann daraufhin eine militärische Invasion im Gazastreifen mit dem erklärten Ziel, die vom Iran unterstützte Hamas vollends zu zerschlagen und die israelischen Geiseln zu befreien.

Ein Schild, aufgestellt in Teheran, fordert die Auslöschung Israels
Ein Schild, aufgestellt in Teheran, fordert die Auslöschung Israels
Picturedesk

Hat Israel seine Ziele in Gaza mittlerweile erreicht?
Nein, auch ein knappes Jahr nach dem Terrorüberfall gelten noch immer über 100 der verschleppten Israelis als vermisst und auch die Hamas konnte nicht vernichtet werden. Zudem hat Israel weite Teile der islamischen Welt gegen sich aufgebracht. Auch viele westliche Staaten sind von der bedingungslosen Unterstützung Israels abgerückt. Gleichzeitig intensivierte auch die – ebenfalls vom Iran unterstützte – Terrororganisation Hisbollah vom Südlibanon aus ihren Kampf gegen Israel durch einen andauernden Beschuss mit tausenden Raketen. Weshalb mittlerweile mehr als 60.000 Israelis die Grenzregion zum Libanon verlassen mussten. Das ist auch der Hintergrund der aktuellen Kampfhandlungen Israels im Südlibanon.

Droht jetzt ein großer Krieg im Nahen Osten?
Die Gefahr dafür steigt jedenfalls mit jeder weiteren Schraubendrehung an Gewalt. Auch den USA gelingt es nicht, den Konflikt zu befrieden. Und der Iran jubelt. Die Raketen habe man "In The Name Of Allah" abgeschossen, heißt es in mehreren Videos.

Akt. Uhr
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