Neues Buch
Terror-Experte: Warum uns eine neue Anschlagswelle drohen könnte
In seinem neuen Fachbuch warnt der bekannte Terrorismus-Forscher Peter R. Neumann vor einer neuen islamistischen Terrorwelle. Aber: Es kann noch gegengesteuert werden. Sein 5-Punkte-Plan.
In letzter Minute vereitelte Anschlagspläne zweier muslimischer Teenager auf die Taylor-Swift-Konzerte in Wien. Ein Österreicher mit bosnischen Wurzeln, der mit einem alten Weltkriegs-Karabiner in München auf das israelische Generalkonsulat feuert und daraufhin von der Polizei getötet wird. Ein Messerattentat auf die Besucher eines Festes im deutschen Solingen, bei dem drei Menschen sterben. Nur drei von insgesamt mehr als zwei Dutzend islamistisch motivierten Attentaten oder Attentatsversuchen, die in den vergangenen Monaten europaweit für Angst und Schrecken gesorgt haben.
Der Terror ist zurück Bei Sicherheitsbehörden läuten alle Alarmglocken: Nachdem es zuletzt eher Still um das Thema geworden war, kehrt der islamistische Terror mit neuer Wucht zurück nach Europa. Und, irritierender: Er hat sein Gesicht geändert. Der Attentäter von heute hat mit dem vor zehn oder 15 Jahren nicht mehr viel gemein, weder optisch noch ideologisch. Das schreibt der deutsche Terrorexperte Peter R. Neumann in seinem neuen Buch "Die Rückkehr des Terrors".
Der Terror-Experte Seit bald 30 Jahren beschäftigt sich der deutsche Politikwissenschafter und Publizist mit dem Thema Terror. Zunächst in Zusammenhang mit dem Nordirland-Konflikt, ab dem 11. September 2001 primär mit jenem islamistischer Prägung. Am Londoner King's College lehrt er als Professor für Sicherheitsstudien, 2008 gründete er dort außerdem das "Internationale Zentrum zur Erforschung von Radikalisierung und politischer Gewalt" (ICSR), dem er zehn Jahre lang auch als Direktor vorstand. Vor allem die Entwicklung des Dschihadismus ist sein Fachgebiet. Mit seinem Team hat er die islamistisch motivierten Gewalttaten der vergangenen Jahre untersucht und legt nun die Ergebnisse zusammengefasst vor. Hier die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Buch:
Wie viele islamistische Attentate gab es zuletzt in Europa?
Laut Zählung von Neumann waren es 29 Vorkommnisse – 7 tatsächlich durchgeführte Attentate und 22 vereitelte Versuche oder aufgedeckte Anschlagsplanungen – zwischen Oktober 2023 und jetzt. Im Vergleich zu den zwölf Monaten davor ist das eine Vervierfachung der terroristischen Aktivitäten.
Weshalb ist das so?
Für Neumann ist der Terrorüberfall der palästinensischen Hamas auf den Staat Israel am 7. Oktober 2023 der Auslöser der neuen europaweiten Terrorwelle. Dabei kamen etwa 1.250 Israelis ums Leben, die Kämpfer der Hamas verübten unsagbare Gräueltaten an der israelischen Zivilbevölkerung und entführten etwa 250 israelische Bürger in den Gaza-Streifen, von denen etwa die Hälfte möglicherweise noch am Leben ist. Als Folge begann Israel einen Krieg gegen die Terrororganisation, bei dem bislang weite Teile der Infrastruktur in Gaza zerstört worden sind und viele Menschen getötet oder verwundet wurden. Diese Geschehnisse sind demnach der Brandsatz, der das Feuer des Terrors auch in Europa wieder entfacht hat.
Wer sind die Attentäter?
Vor allem immer mehr Teenager, die primär über Social Media angesprochen und radikalisiert werden. Von den Menschen, die die genannten 29 Attentate oder Anschlagspläne seit dem 7. Oktober 2023 durchgeführt bzw. geplant hatten, waren fast zwei Drittel (64,4 Prozent) zwischen 13 und 19 Jahren alt. Das bereitet den Behörden auch die größten Probleme.
Denn einerseits weiß man noch extrem wenig über die Beweggründe dieser jungen Menschen, da das Phänomen sehr neu ist. Und andererseits gehen diese so gut wie nicht mehr in die Öffentlichkeit mit ihrer Ideologie, sondern bewegen sich nahezu ausschließlich im Internet. Vom ersten Interesse über die Ansprache durch spezialisierte Anwerber über die Sozialisierung bis hin zur konkreten Attentatsplanung findet mittlerweile der komplette Radikalisierungs-Zyklus online statt.
Und diese Teenager sind alles Dschihadisten?
Sie werden dazu gemacht, wie sehr sie sich tatsächlich der Ideologie verpflichtet fühlen, weiß man nicht. Laut Neumann werden diese jungen Menschen (überwiegend Männer) auf unzählige Arten in Social Media angesprochen, es gäbe richtiggehend islamistische Influencer, so der Terrorexperte. Aus den unzähligen islamistischen Strömungen und möglichen Motivationen suchten sich diese Nachwuchs-Attentäter dann jene zusammen, die ihnen am ehesten entsprächen, ideologische Differenzierung sei kaum ein Thema. Oftmals drehe sich das Interesse primär um Gewalt gegen eine als verhasst empfundene Gesellschaft. Neumann zitiert dazu den Chef des österreichischen Nachrichtendienstes DSN, Omar Haijawi-Pirchner: "Was da passiert, ist mehr Gewaltfantasie als Ideologie."
Wer steckt hinter den Anwerbungen?
Die wichtigste islamistische Terrorgruppe ist mittlerweile der ISPK, das steht für Islamischer Staat Provinz Khorasan. Das ist eine Abspaltung jenes IS, der zwischen 2014 und 2017 in Syrien und dem Irak ein sogenanntes Kalifat errichtet hatte und der von Koalitionskräften (an denen u.a. das US-Militär beteiligt gewesen ist) nahezu vernichtet worden ist. Der ISPK hat sich nach Afghanistan zurückgezogen und führt von dort aus seinen Kampf primär gegen Juden, Christen und alle Ungläubigen (wozu er auch muslimische Schiiten zählt). Die Mehrzahl seiner Kämpfer stammen aus Zentralasien, vielfach aus den ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus. Via Internet und Social Media versucht der ISPK, Kämpfer im Westen zu rekrutieren.
Sind auch ISPK-Kämpfer aus Afghanistan in Europa?
Ja, vor allem über die diversen Flüchtlingsbewegungen der vergangenen Jahre dürften zahlreiche ISPK-Kämpfer nach Europa gelangt sein. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden seien demnach vor allem Männer aus Tadschikistan, Afghanistan und Kirgistan nach Europa gekommen. Über die Flüchtlingswelle aus der Ukraine nach Kriegsbeginn seien außerdem auch Tschetschenen nach Westeuropa gelangt, von denen viele zuvor bereits in Syrien gekämpft hätten. Demnach seien, so die Erkenntnisse der Behörden, praktisch alle Verdächtigen der letzten drei Anschlagsversuche in Deutschland auf diesem Weg in den Westen gekommen.
Der neue Dschihadismus in Europa ist demnach ein importierter?
Das kann man so sagen. Einerseits kommen die späteren Attentäter als Flüchtlinge nach Europa, andererseits werden vor allem junge Menschen hier via Internet aus dem Ausland angesprochen und rekrutiert.
Ist Westeuropa das einzige Ziel der ISPK-Terroristen?
Keineswegs. Bei dem Terroranschlag auf eine Musikveranstaltung in Moskau im März 2024, bei dem 145 Menschen starben, waren vier der gefassten Attentäter ISPK-Kämpfer. Auch im Iran hat der ISPK bereits mehrere Anschläge durchgeführt, da er die muslimischen Schiiten, die vor allem im Iran leben, ebenso als Ungläubige sieht und bekämpft wie Juden und Christen.
Weshalb wird vor einer neuen Terrorwelle gewarnt, wenn doch bereits so viele Anschläge stattgefunden haben?
Nach den Erkenntnissen von Terrorismusforscher Peter R. Neumann könnte es sich bei den aktuellen Anschlägen bzw. Anschlagsversuchen um den Beginn einer Welle handeln mit dem Ziel, einen wirklich großen, verheerenden Anschlag in Westeuropa durchzuführen. Das würde der Logik der Dschihadisten (= Heiligen Krieger des Islam) entsprechen und sich mit den beiden ersten großen islamistischen Anschlagswellen nach dem 11. September 2001 sowie nach der Etablierung des Kalifats in Syrien decken. Neumann: "Zwei bis drei Jahre nach diesen primären Ereignissen kam es dann zu einer Vielzahl schwerer Anschläge mit teils hunderten Toten. Das könnte und jetzt wieder bevor stehen."
Was wir dagegen tun können?
Fünf Punkte hat der Terrorismus-Forscher herausgearbeitet, die jetzt relevant seien, um die Gefahr in den Griff zu bekommen, nämlich:
Was jetzt zu tun ist, um die Terror-Gefahr zu minimieren
- Prioritäten setzen: Der Dschihadismus sei derzeit, nach einigen Jahren der relativen Ruhe, wieder die stärkste Bedrohung für unsere liberale Demokratie und die Gefahr, die von ihm ausgeht, genauso hoch einzuschätzen wie jene durch den zunehmenden Rechtsradikalismus. Die Sicherheitsbehörden müssten sich dieser Tatsache bewusst werden und sich darauf vorbereiten, beide Gefahren notfalls auch gleichzeitig in den Griff zu bekommen.
- Gezielte Repression: Die gravierendsten Fehler bei der Terrorbekämpfung würden meist dann passieren, wenn der Staat Härte beweisen wolle, so der Experte. Das würde jedoch oft nur zu einer weiteren Radikalisierung beitragen. Skalpell statt Breitschwert sei vielmehr das Mittel der Wahl. Heißt: Gezielte, kluge und ineinandergreifende Maßnahmen zur Reduzierung der Terrorgefahr seien wesentlich zielführender als solche, die "mit der Gießkanne" stattfinden würden.
- Prävention: Gezielte Präventionsarbeit, vor allem die Deradikalisierung von Hochrisikopersonen, leiste einen wichtigen Beitrag zur Terrorismusbekämpfung und müsse langfristig betrieben werden. Zudem müsse man schneller auf neue Herausforderungen wie die Radikalisierung von Minderjährigen und Flüchtlingen reagieren.
- Konflikte lösen statt fördern: Deeskalation sei immer vorzuziehen, da bisher kaum eine Militärintervention im "Krieg gegen den Terror" erfolgreich verlaufen sei, mit Ausnahme des IS-Kalifats in Syrien. Besser: Darauf hinwirken, dass kriegerische Auseinandersetzungen verhindert oder beendet werden.
- Klug agieren statt überreagieren: Die möglicherweise bevorstehende Terrorwelle erfordere robustes Handeln der Staaten, dürfe aber nicht genutzt werden, um den Ideen und Forderungen rechtsextremistischer Agitatoren auf den Leim zu gehen. Menschen dürften nicht gegeneinander ausgespielt oder gar ganze Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht gestellt werden. Um dem Terror der Dschihadisten müsse Einhalt geboten werden, ohne unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt zerbrechen zu lassen.
Lesen Sie ab 18. September: Terrorismusforscher und Buchautor Peter R. Neumann im Interview
Peter R. Neumann "Die Rückkehr des Terrors. Wie uns der Dschihadismus herausfordert", Rowohlt Berlin, Euro 23,50