Politik-satire

Kopfnüsse: Die Reste aus beiden Welten

Die Woche, in der die Koalition ihr Ende einläutete, es in der SPÖ klingeling machte und sonstiges Gebimmel-Gebammel.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler beim Pressefoyer im Bundeskanzleramt
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler beim Pressefoyer im Bundeskanzleramt
Helmut Graf
Newsflix Kopfnüsse
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Es gibt Menschen, die können bei der Zufuhr von Speisen lediglich zwischen fest und flüssig unterscheiden. Sie fühlen sich durch die Frage, wie etwas geschmeckt hat, schnell in die Enge gedrängt und nennen dann oft das, was sie zu sich genommen haben, "lecker". Reine Notwehr. Irgendwas müssen sie ja sagen.

Die Verbreitung von "lecker" hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen, das liegt auch am starken Konsum von deutschen TV-Sendern. In Deutschland schmeckt alles Mögliche "lecker". Wenn Europa jetzt tatsächlich zu einer Festung ausgebaut werden soll, dann hoffe ich, dass wenigstens ein paar Reihen Stacheldraht übrigbleiben, um "lecker" von weiterer Migration abzuhalten.

"Lecker" war noch nie Unwort des Jahres, bei mir aber steht es immer auf Platz 1. Zweiter ist heuer "Superwahljahr". Momentan ist alles "Superwahljahr", in Österreich, in Europa, auf der ganzen Welt. "Superwahljahre" unterscheiden sich von "Nichtsuperwahljahren" einzig und allein dadurch, dass in "Superwahljahren" ein bisschen mehr gewählt wird als in "Nichtsuperwahljahren", etwas mager oder? Politisch Interessierte finden das vielleicht "lecker". Ich bekomme davon Sodbrennen.

Pinguine sagen nie lecker, aber sie verfügen auch nur über zwei Geschmackssinne. Das ist egal, denn bei Pinguinen kommt meistens Fisch auf den Tisch, selten Pizza oder ein Puten-Cordon. Ich habe keine Ahnung, wie man festgestellt hat, dass Pinguine nur sauer und salzig schmecken, fragen geht ja schlecht. Aber vielleicht sollte das Forscherteam bei Gelegenheit einmal in Niederösterreich vorbeischauen, da gibt es auch immer viel zu entdecken.

Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenmister Gerhard Karner während der Angelobung der neuen Polizeibeamten im Schlosspark Schönbrunn am 25 April 2024
Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenmister Gerhard Karner während der Angelobung der neuen Polizeibeamten im Schlosspark Schönbrunn am 25 April 2024
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In Niederösterreich, der politischen Galapagosinsel der Republik, kämpfte die Landeshauptfrau vor etwas über drei Jahren wie ein Pinguin auf Messwein für die Impfpflicht, sie verfügte sich zu deren Durchsetzung im November 2021 sogar eigens an den Achensee nach Tirol. Jetzt hielt ein Allgemeinmediziner auf Johanna Mikl-Leitners Galapagosinsel  einen Vortrag. Die Plakate, mit denen nach Maria Enzersdorf geladen worden war,  trugen das offizielle Logo des Landes. Rechts neben dem Logo stand: "Unsere Veranstaltung wird vom Land Niederösterreich gefördert", links prangte der Slogan von Niederösterreich: "Einfach erfrischend". Man hätte nach "einfach" auch einfach einen Punkt machen können.

Der Allgemeinmediziner, der auf der Galapagosinsel zum Impfskeptikervolk sprach, überraschte nicht nur die Wissenschaft. "Moderne Impfungen enthalten Nanopartikel, die von außen aktiviert werden können, zum Beispiel über 5G", sagte er. "Jeder Geimpfte hat eine IP-Adresse erhalten." Bei Betroffenen", fügte er an, führe er nach einer Dreifachimpfung über drei Monate hinweg eine Art Ausleitung mit Chlordioxid durch. Erstaunlich! Menschen, die sich von einer Impfung vergiftet fühlen, lassen sich also mit einer anderen Substanz vergiften. Sie verlieren dabei mutmaßlich ihre IP-Adresse, die schwemmt es dann ins offene Meer, aber wenigstens sind sie dann von außen nicht mehr aktivierbar, wofür auch immer.

In Niederösterreich schauen in einem solchen Fall nicht die Pinguine von Madagascar in weißen Mäntelchen vorbei, sondern das Land hält die Ausleitung sogar für förderwürdig, erfuhren wir via "Profil". Der Verein, der hinter der Veranstaltung steht, hat 24 Ableger auf der Galapagosinsel gegründet, um an Fördergelder aus dem "Hilfsfonds für Corona-Folgen" zu kommen. Fünf Zusagen vom Land soll es schon geben, bestätigte der zuständige FPÖ-Landesrat. Johanna Mikl-Leitner will nun aber den Gesamtvorgang noch einmal überprüfen lassen, ich vermute, dass es zu einer Ausleitung kommen wird. Aber wie so oft muss man wirklich froh sein, dass die Politik in Österreich nie mit richtigem Geld zu tun hat, sondern immer nur mit Steuergeld.

Trump im Nacken: Helmut Brandstätter, Spitzenkandidat der Neos für die EU-Wahl, bei der Präsentation der Wahlplakate
Trump im Nacken: Helmut Brandstätter, Spitzenkandidat der Neos für die EU-Wahl, bei der Präsentation der Wahlplakate
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In diesem leckeren Superwahljahr finden in sechs Wochen EU-Wahlen statt, aber so wirklich merkbar ist das nicht. Das wird sich auch im Mai nicht gravierend ändern, denn da ist halb Österreich auf Urlaub. Der Kalender bringt es heuer mit sich, dass sich gleich vier Feiertage in den Monat schieben, 1. Mai, Christi Himmelfahrt, Pfingsten und Fronleichnam, drei eignen sich gut für Fenstertage, also verlängerte Wochenenden. Der Mai 2024 hat nur 15 Arbeitstage, wer alle Brückentage ausnutzt, muss sich nur vier Tage Urlaub nehmen, um 16 Tage frei zu haben. Politische Botschaften treffen auf gesellschaftlich Abwesende.

Es drängt sich aber ohnehin der Eindruck auf, dass die EU-Wahlen nicht richtig ernst genommen werden. Thematische Diskussionen fehlen, Meinungsforscher wundern sich, dass von ihnen niemand Umfragen haben will. Ich weiß schon, die Grünen und die Neos haben dieser Tage angefangen, die ÖVP folgt am Montag. Aber die meisten Parteien haben allein den Termin der Nationalratswahl am 29. September im Blick, ihre EU-Kandidaten (und die einzige Kandidatin) verbleiben erstaunlich lange im Raupenstadium, manche werden vielleicht nie zu Schmetterlingen.

Das ist erstaunlich und politisch ziemlich kurzsichtig, denn die nächsten Wochen werden entscheidend sein, um altes Liedgut wiederzuleben. Ich lasse jetzt einmal den wachsende Stellenwert der EU für unser Alltagsleben weg, der Umstand wird immer noch grob unterschätzt. Die Wahlen zum Europäischen Parlament aber haben heuer noch eine ganz andere Bedeutsamkeit: Sie werden das Stimmungsbild prägen und zwar für alle Parteien. Anhand des Ergebnisses wird darüber befunden werden, ob die Bäume für die FPÖ wirklich in den Himmel wachsen. Ob Andreas Babler die richtige Wahl für die SPÖ war. Ob nicht doch Karoline Edtstadler statt Karl Nehammer für die ÖVP in die Nationalratswahl gehen sollte. Ob die Grünen erneut abstürzen und die Neos ihr Leben lang bei acht Prozent bleiben.

Schirmherr: Andreas Schieder, Spitzenkandidat der SPÖ für die EU-Wahl, bei der Plakatpräsentation in Wien
Schirmherr: Andreas Schieder, Spitzenkandidat der SPÖ für die EU-Wahl, bei der Plakatpräsentation in Wien
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Dieses Stimmungsbild wird bleiben, über den Sommer hinweg und in den September hinein. Es wird Thema jedes Interviews sein. Die Stempel Erfolg oder Misserfolg werden sich nicht abwaschen lassen und deshalb wundere ich mich, dass die Parteien nicht Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die erste Wahl des Superwahljahres zu gewinnen, denn das Ergebnis wird die zweite mitentscheiden und nicht für alle wird das lecker sein.

Das Beste aus beiden Welten begann in der vergangenen Woche auf die eigenen Planeten zurückzufliegen, jeder für sich. Ab jetzt werden nur mehr die Reste aus beiden Welten verwaltet. ÖVP und Grüne haben sich immer weniger zu sagen und wenn sie sich etwas zu sagen haben, dann klingt es nicht wie aus einem Mund. Die aktuelle Koalition ist vorbei, sie wurde beendet, ohne dass darüber geredet wurde, ab jetzt geht jeder seiner Wege. Es wäre ehrlich, das offen zu sagen und nicht so zu tun als hielte man zusammen wie Pech und Schwefel, aber vielleicht ist das für das politische Marketing nicht lecker genug.

Widerworte, wohin man schaut, allein diese Woche. Der ÖVP-Innenminister will nach Syrien abschieben, die grüne Umweltministerin spricht von "Luftballons in regelmäßigen Abständen", die mit Sicherheit nicht unterstützt würden. Leonore Gewessler will dagegen Cannabis-Grenzwerte im Straßenverkehr, Gerhard Karner sagt: "Das kommt sicher nicht." Gewessler möchte rasch raus aus dem russischen Gas (worin sie bisher bescheiden erfolgreich war), ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher bremst: "Ein zu schneller Ausstieg darf keinen Flurschaden für die Wirtschaft erzeugen." Die ÖVP will den Agrardiesel billiger machen, die Grünen sagen nein.

Hand aufs Herz: SPÖ Bundesparteivorsitzender Andreas Babler am Bundesparteirat in Wieselburg
Hand aufs Herz: SPÖ Bundesparteivorsitzender Andreas Babler am Bundesparteirat in Wieselburg
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Auf dieser Baustelle wird Karoline Edtstadler immer mehr zur Abrissbirne der Koalition. Die EU-Ministerin, die nicht für die EU kandidieren wollte, möchte das Strafalter auf unter 14 Jahre senken, die grüne Justizministerin lehnt das ab. "Das Aus für den Verbrenner-Motor ist definitiv der falsche Weg", sagte Edtstadler bei einer Veranstaltung der Autoindustrie. Die Umweltministerin hatte man zur Sicherheit erst gar nicht eingeladen. Für ein paar Stunden durfte Edtstadler in der vergangenen Woche auch von der 41-Stunden-Woche träumen, dann pfiff sie sich auf Wunsch des Kanzlers selbst zurück. Nichts braucht Karl Nehammer im Superwahljahr weniger als eine Ideologie-Debatte, dazu müsste die ÖVP auch erst einmal zu einer Ideologie zurückfinden.

"Mit linken Träumen einer Arbeitszeitverkürzung wird es sich nicht ausgehen", sagte Edtstadler und empfahl dem Land, doch mehr zu hackeln. Das Land zeigte sich verschreckt, ich verstehe das. Die Wiener Grünen wollen eine 35-Stunden-Woche, die SPÖ peilt eine 32-Stunden-Woche an, die ÖVP flirtet mit einer 41-Stunden-Woche und das alles bei gleichem Lohn. Seltsam, dass Arbeit einen so unterschiedlichen Preis haben kann.

"Das kommt fix nicht", würgte der Kanzler die Debatte ab, ich finde das schade. Über jeden Plunder wird tagelang debattiert, aber die doch nicht ganz unwesentliche Diskussion darüber, wie viel wir in Zukunft arbeiten sollen oder müssen, darf nicht geführt werden? Das sagt leider mehr über das Land aus als es uns lieb sein kann.

Auch bemerkenswert: "Würde Karoline Edtstadler als Bundeskanzlerin ins Rennen gehen, dann würde die ÖVP ein super Ergebnis machen." Sagt im "Kurier" nicht irgendwer, sondern Stefan Pierer, als KTM-Chef und Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich eine gewichtige Stimme, die auch in der Volkspartei gehört wird. Personaldebatten beginnen in Österreich gern nach Wahlen, manche zünden schon davor.

SPÖ-Chef Andreas Babler mit seiner Frau Karin Blum in Wieselburg
SPÖ-Chef Andreas Babler mit seiner Frau Karin Blum in Wieselburg
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Die SPÖ traf sich am Samstag in Wieselburg zu einem Bundesparteirat. Auch hier ging es nicht um die EU-Wahl, sondern darum, Andreas Babler zum zweiten oder dritten Mal zum Spitzenkandidaten für die Nationalratswahl zu wählen. Er erhielt 89,6 Prozent der Stimmen, etwas mehr als am Bundesparteitag im November.

Babler redete knapp über eine Stunde, präsentierte 24 Ideen, griff sich dabei immer wieder ans Herz, nicht um es neu zu justieren oder weil er schauen wollte, ob die Geldbörse noch da ist, sondern um das Motto des Tages zu unterstreichen. Die SPÖ will mit "Herz und Hirn" in die Wahl gehen. Die beiden kandidieren zwar nicht, finden sich aber im neuen Schriftzug wieder, der auf mich eine eigene Faszination ausübt. Das Loch im O wurde mit einem Herz ausgefüllt, die Ö-Stricherl schauen mich an wie zwei Augen. So wie Babler da adrett gescheitelt auf der Bühne stand und sich ans Herz griff, hätte er auch eine neue Singlebörse ins Leben rufen können, um später bei "2 Minuten 2 Millionen" ein paar Start-up-Fördergelder abzustauben. Das Logo hätte gut dazu gepasst.

Ein paar Gedanken von "Herz und Hirn", dem Wahlprogramm also, waren vorab schon an Medien gestreut worden, das "Recht auf Leben ohne Internet" etwa, das "Recht auf einen Arzttermin" oder der Wunsch nach "5.000 zusätzlichen Polizistinnen und Polizisten". Nachdem Babler unter der Klitschko-Boxhymne "Can't Stop" der Red Hot Chili Peppers eingezogen war, kamen noch Dutzende Ideen dazu. "Steuerräubern" will er den Kampf ansagen, die tägliche warme Mahlzeit in den Schule nannte er die "Schulbuchaktion" von heute, die SPÖ will er "von einer Dampflok zu einem Railjet" machen (riskant bei den vielen Ausfällen), die Arbeitszeitverkürzung heißt jetzt 4-Tage-Woche. Die Anwesenden setzte der SPÖ-Chef in Ekstase, sein wahrer Elchtest aber wird der 29. September, eine erste Probefahrt die EU-Wahl am 9. Juni.

Das momentane Machtzentrum der SPÖ: Bundesparteivorsitzender Andreas Babler mit Wiens Bürgermeister Michael Ludwig
Das momentane Machtzentrum der SPÖ: Bundesparteivorsitzender Andreas Babler mit Wiens Bürgermeister Michael Ludwig
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Am Vortag des Bundesparteirates hatte die SPÖ ihre Bundesliste für die Nationalratswahl beschlossen. Es ist traditionell leichter, die Gäste einer Hochzeitstafel zu platzieren, als die Kandidatinnen und Kandidaten so zu reihen, dass keine großen Verwerfungen entstehen. Gelungen ist das auch diesmal nicht. Vor ein paar Wochen hatte die Wiener SPÖ ihre Landesliste fixiert, die ehemalige Staatssekretärin Muna Duzdar wurde auf den unwählbaren Platz 35 verbannt. Sie schluckte es runter, schwieg. Andreas Babler wollte den Umstand korrigieren und setzte Duzdar auf Platz 7 der Bundesliste. Dann passierten Merkwürdigkeiten.

Knapp vor der Abstimmung in den SPÖ-Gremien über die Bundesliste am Freitag schaltete sich der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig ein, erzählt man sich in der Löwelstraße. Duzdar liegt sich seit ein paar Jahren in ihrem Heimatbezirk Donaustadt mit dem mächtigen SPÖ-Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy in den Haaren. Sie wollte Bezirksparteichefin werden, wurde von Nevrivy ausgebremst, und nun wiederholte sich die Geschichte. Nevrivy wirkte auf Ludwig ein, der wirkte auf Babler ein und plötzlich stand Duzdar nicht mehr auf Platz 7, sondern auf Platz 12 der Bundesliste. Ins Parlament schafft sie es von dort nur unter Einwirkung eines Wunders.

Die Situation ist auch deswegen bizarr, weil Duzdar für Babler den Expert*innenrat Medien leitet, einige Ideen fanden auch Aufnahmen in "Herz und Hirn". Die Vorgangsweise hat ein paar der 400 Expertinnen und Experten, die für die SPÖ am Wahlprogramm mitarbeiten, so verärgert, dass sie über ihr Ausscheiden aus dem Gremium nachgedacht haben. Mit vollem Herzen und Hirn.

Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Das Superwahljahr beschert uns heute die Stichwahl in Innsbruck. Und am Dienstag will Dominik Wlazny im Wiener Presseclub Concordia verraten, ob er mit seiner Bierpartei bei der Nationalratswahl antritt.

Am leckersten aber finde ich sowieso den Ausblick auf den kommenden Winter. Da fährt Marcel Hirscher wieder Skirennen. Zwar nicht mehr für Österreich, sondern für die Niederlande, aber es wird so sein: Bei Niederlagen ist der Grachten-Marcel ein Holländer, bei Siegen ein Österreicher. Das hat Andreas Babler in dieser Form zwar nicht in seinem Wahlprogramm stehen, aber so sind wir eben auf unserer Galapagosinsel, Herz und Hirn, hin oder her.

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