Kopfnüsse

"Fit mit Herbert" und andere politische Turnübübungen

Herbert Kickl schreibt an Chefredakteure, Gerhard Karner schreibt Medien ab und ich schreibe über vegane Kräutererde. Nun mit Podcast.

FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl tritt Medienverlagen gegenüber plötzlich mit Samtpfoten auf
FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl tritt Medienverlagen gegenüber plötzlich mit Samtpfoten auf
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Die ablaufende Woche stürzte mich in ein Dilemma: Was tun mit den Vormittagen, jetzt, wo es "Fit mit Philipp" nicht mehr gibt? Ist ein Leben ohne Philipps "Sesseltag am Donnerstag" überhaupt vorstellbar? Ohne Treten auf der Stelle, die klassisch österreichische Alltagsübung? Ohne "Verwurzelung des rechten Beines", um mit dem linken die Balancefähigkeit des Körpers zu erspüren? Morgens um 9.09 Uhr in Österreich, statt Knoppers gibt es jetzt tote Hose.

Der ORF setzte "Fit mit Philipp" diese Woche ab, weil karrierespezifische WhatsApp-Nachrichten zwischen dem Vorturner der Nation und Heinz-Christian Strache, dem ehemaligen Vorturner der FPÖ, aufgetaucht waren. Österreich wurde mit einem neuen Ibiza-Video beschenkt, diesmal ohne Ibiza und ohne Video, statt in einer Villa spielte die Anbahnungsszene auf einer Turnmatte.

"Fit mit Philipp" war nicht irgendeine Sendung im ORF, für ältere Menschen handelte es sich um eine Art täglichen Gottesdienst. Philipp Jelinek, den ich bisher nicht kennenlernen durfte, der mir aber nie besonders zu Gesicht stand, traf in der Generation "Shades of grey" auf beinahe religiöse Verehrung. Er war die Taylor Swift für Oma und Opa, sie warfen, wie von Dr. House geheilt, die Hände in die Höhe, sobald sie den fitten Philipp in seinem Leibler und Hoserl und in den grellbunten Socken erblickten. Jelineks Stadionkonzerte fanden in Österreichs Wohnzimmern statt.

ORF-Vorturner Philipp Jelinek hält Österreich ab 29. April auf Servus TV fit
ORF-Vorturner Philipp Jelinek hält Österreich ab 29. April auf Servus TV fit
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Da es mit "Fit mit Philipp" erst wieder am 29. April und dann auf Servus TV weitergeht und ich bis dahin nicht teigiger werden will als ich es jetzt schon bin, suchte ich nach einer pragmatischen Lösung für mein Vormittagsproblem und endete in einem Baumarkt. Ich gehe in Baumärkte ähnlich gern wie zum Zahnarzt, meine handwerkliche Begabung beschränkt sich auf das Ausräumen des Geschirrspülers.

Aber eine mir näher bekannte Person ist sehr geschickt, hat aber den Makel, dem weiblichen Geschlecht anzugehören. In Baumärkten reicht das gerade einmal aus, um als Deko akzeptiert zu werden. Wenn ich also in ein einschlägiges Geschäft gehe, dann stellt die mir näher bekannte, geschickte Dame die Fragen an das örtliche Bodenpersonal. Der Verkäufer nimmt das zur Kenntnis, dreht sich in meine Richtung und gibt mir die Antwort und nicht der Deko, das ist so Brauch, Leitkultur, wenn sie wollen.

Ich reiche dann die Antwort, etwa über Dübelgrößen oder Schraubenformate, an die mir näher bekannte, geschickte Dame weiter. Ich bringe mich nur ein, wenn es um das Ausräumen von Geschirrspülern geht, was zugegebenermaßen selten der Fall ist. Die mir näher bekannte, geschickte Dame trifft dann die Entscheidung, welchen Dübeln wir nähertreten.

Diesmal kam ich vom Ausflug in den Baumarkt mit "veganer Aussaat- & Kräutererde" heim, ich wusste nicht einmal, dass es so etwas gibt. Ich kannte dunkle Erde und helle Erde. Vom Schaufeln her, dem Geschirrspülerausräumen der Wochenendpfuscher, wusste ich, dass Erde schwer und leicht sein kann. Aber vegane Erde, was darf man sich darunter vorstellen?

Gibt es Gebiete mit Überflugverboten für Vögel, damit deren Ausscheidungen nicht die Erde kontaminieren? Schnattern sich Gänse in der Luft zu: "Jetzt zusammenzwicken, Mädels, wir überqueren gerade eine vegane Zone?" Gibt es Benimmkurse für Regenwürmer und Engerlinge, damit die veganes Erdreich erkennen und gegebenenfalls eine andere Route nehmen?

Ich dachte immer, Erde gibt es einfach so, ich wusste nicht, dass die gefüttert wird wie ein Einjähriger. Jetzt erfahre ich, dass etwa Blumenerde Stickstoff oder Phosphor beigmenegt wird. Dabei kommen Hornspäne, Horngrieß, Blut- oder Knochenmehl zum Einsatz. Das Zeug ist ein Abfallprodukt aus der Schlachtwirtschaft. Und man kann Schlachthöfen alles Mögliche vorwerfen, vegan sind sie jedenfalls nicht.

Die "vegane Aussaat- & Kräutererde", die ich kaufte, war hingegen mit Ersatzstoffen aufbereitet, Maisprotein etwa. Damit alle merkten, dass die "vegane Aussaat- & Kräutererde" auch wirklich vegan ist, stand das ein paarmal auf der Verpackung drauf. Ganz groß war "Zero!" zu lesen und "Torffrei, maximal CO2 reduziert" und "Bio" und "vegan" und "ohne tierischen Dünger" und "nachhaltig". Ich denke, ich kenne mich nun nachhaltig aus, ich bin "Fit mit Christian". Mein Schnittlauch und mein Thymian werden es mir sicher danken, dass sie nicht in Hendlhaxnmehl aufwachsen mussten.

Die Chats mit Heinz-Christian Strache brachten Vorturner Philipp Jelinek in Bedrängnis
Die Chats mit Heinz-Christian Strache brachten Vorturner Philipp Jelinek in Bedrängnis
Gilbert Novy / KURIER / picturedesk.com

Eine mir näher bekannte Person arbeitet in einem Unternehmen in Wien mit sehr internationaler Ausrichtung, es wird deutsch und englisch gesprochen. Diese Zweisprachigkeit drückt sich auch in den Umgangsformen aus. Wir reden hier nicht vom galanten Aufhalten einer Tür oder Handküssen ohne Hinterlassung einer Schleimspur auf dem Handrücken der Empfängerin, sondern von korrekt gesetzten Titeln. Eine Profession, in der Österreich Weltmarktführer ist.

Deshalb hat die mir näher bekannte Person, wie alle anderen im Büro, eine spezielle Visitenkarte. Auf der Vorderseite, die auch die Rückseite sein kann, sind vor dem Namen alle Titel angeführt, die im Laufe des Lebens staubsaugerartig aufgelesen wurden, also Dr. oder Mag. oder LL.M oder BA oder BBA oder Bakk. rer. nat. oder BSc. Aus der Kombination Name und Titel erwuchsen mit der Zeit horizontale Tannenbäume, niedergeschriebene Verzweigungen akademischer Laufbahnen.

Auf der Rückseite der Visitenkarte, die auch die Vorderseite sein kann, steht nur der Name, sonst nichts. Kein Titel, nicht einmal ein Anflug davon. Das Sinnbild einer entnadelten akademischen Karriere. Im Umgang mit Österreich oder Deutschland kommt der Tannenbaum in seiner vollen Pracht zum Einsatz, für den Rest der Welt reicht der nackte Stamm. Wehe es kommt zu Verwechslungen, in der Diplomatie lässt sich allerlei ausbügeln, diesen Faltenwurf bekommt kein Bügeleisen weg.

Innenminister Gerhard Karner sieht in der Spionageaffäre keine Versäumnisse der Behörden
Innenminister Gerhard Karner sieht in der Spionageaffäre keine Versäumnisse der Behörden
Helmut Graf

Daran musste ich denken, als ich mir am Dienstag "Fit mit Gerhard" anschaute. Innenminister Gerhard Karner war in der ZiB 2 zu Gast und hatte ein paar Dehnübungen mitgebracht, die selbst Philipp Jelinek außer Atem gebracht hätten. Karner ging schon zu Beginn recht tief in die Hocke. Auf die Vorhaltung von Armin Wolf, dass der FPÖ-Spionageskandal vielleicht gar kein FPÖ-Spionageskandal allein sein könnte, sondern auch ein ÖVP-Spionageskandal, da doch die ÖVP in den letzten 24 Jahren durchgehend den Innenminister gestellt habe – von der Kickl-Episode einmal abgesehen –, antwortete der Innenminister mit einem verbalen Spagat. Er sagte etwas zum nationalen Sicherheitsrat, der am selben Tag stattgefunden hatte, nämlich, dass er dazu nichts sagen könne. Es sei alles geheim!

Ein Versagen bei den internen Ermittlungen sah Karner nicht, auch keine Trägheit, es sei "akribisch" ermittelt worden. Halt sieben Jahre lang und den Betroffenen hielt man dabei über weite Strecken im Amt und Würden. Wohl zur Sicherheit, damit er nicht davonläuft. Der Innenminister schöpfte auch aus den Aussagen des Bundespräsidenten Kraft. "Seien wir doch froh, dass etwas aufgedeckt wurde", hatte Alexander Van der Bellen gesagt. Ich bin mir offen gestanden nicht ganz sicher, ob ich diese Fröhlichkeit teile. Sie kommt inzwischen inflationär oft.

Karner aber schien von der Fröhlichkeit des Präsidenten angesteckt worden zu sein. Als Armin Wolf dem gegenwärtigen Bundespolizeidirektor Michael Takàcs ein paar Rangabzeichen, Keks also, von der Uniformjacke riss und ihn zum schlichten Polizeidirektor abschasselte, warf er sich mit einem Todesmut in die Schussbahn, wie ihn nur Minister zustande bringen, die in Niederösterreich politisch sozialisiert wurden. Karner schmunzelte kurz, dann korrigierte er Wolf, sagte, dass Takàcs Bundespolizeidirektor sei und kein einfach so dahergelaufener Polizeidirektor. Dann fügte er an: "Sie bestehen darauf, genau zu sein, daher bestehe ich auch darauf." Die Visitenkarte bekam plötzlich wieder zwei Seiten.

FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl tritt Medienverlagen gegenüber plötzlich mit Samtpfoten auf
FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl tritt Medienverlagen gegenüber plötzlich mit Samtpfoten auf
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Im Frühjahr entdeckt Österreich traditionell den Sport, es ist eine Leidenschaft, die nur kurz entflammt, meist endet sie mit dem ersten Grillabend. So wird es vielleicht auch bei "Fit mit Herbert" sein. FPÖ-Chef Herbert Kickl schreibt seit einigen Wochen blaue Briefe an ausgewählte Chefredakteure und Verleger und den Rückwärtssalto, den er dabei versucht, kriegt nicht jeder hin.

Bisher war es so: Die Regierung gab vor, sich große Sorgen um Österreichs Medien zu machen. Sie erweckte den Eindruck, sich vor den Bus werfen zu wollen, um die Vielfalt journalistischer Erzeugnisse erhalten zu können. Der Bus kam, die Regierung stieg ein und fuhr weg.

Der FPÖ war die heimische Medienlandschaft bisher bestenfalls blunzn, sie baute sich ihre eigenen Feuchtgebiete auf, lebte autark, führte immer wieder schwarze Listen mit missliebigen Verlagsprodukten. Konversationen von Journalisten mit der FPÖ waren von einer gewissen Wortarmut geprägt, ein Ja oder Nein stellte oft schon die Langfassung eines Gesprächs dar.

Und jetzt das: Plötzlich macht sich der Volkskanzler Gedanken über Gedeih und Verderb der Volkszeitungen. An Gerold Riedmann, neuer Chefredakteur des "Standard", schrieb Kickl: "Im Hinblick auf eine mögliche Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen Partei Österreichs nach den Nationalratswahlen 2024 ist es mir ein Anliegen, Ihre Überlegungen in die Gestaltung politischer Konzepte maßgeblich einfließen zu lassen."

Hubert Patterer, Herausgeber der "Kleinen Zeitung", erfuhr von Kickl, dass für die FPÖ "Freiheit und Unabhängigkeit der Medien die Garanten einer Berichterstattung" seien, "auf deren Kompetenz und investigative Kraft" die Bürger vertrauen könnten. Kickls Schreiben, schloss, laut Patterer, mit einer Bitte: "Ich möge so gut sein und Vorschläge unterbreiten, welche Maßnahmen die Politik setzen könnte, um Medienfreiheit und Medienvielfalt besser zu gewährleisten. Auch möge ich als Chefredakteur der Partei Hinweise geben, welche Schritte aus meiner Sicht nötig wären, um die Arbeitsbedingungen in den Redaktionen zu verbessern sowie politischen Druck und Einfluss abzuhalten."

Das wird jetzt interessant: Die Regierung, die mit dem Bus weggefahren ist und die Medien zurückgelassen hat in ihrem Elend, wird plötzlich vom Volkskanzler in spe links und rechts gleichzeitig überholt. Strategisch nicht blöd, für die anderen Parteien eine Zwickmühle. Für die Medien bleibt die Frage: Wollen sie jetzt "Fit mit Herbert" oder "Fit mit Karl" oder "Fit mit Andi" werden?

Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi war bei der Inseratenschaltung etwas voreilig
Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi war bei der Inseratenschaltung etwas voreilig
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Am Sonntag, wählt Innsbruck einen neuen Bürgermeister. Spätestens seit Corona wissen wir, dass Tirol dem Rest Österreichs immer um eine Nasenspitze voraus sein will, und dieses Momentum soll offenbar beibehalten werden. In der "Tiroler Tageszeitung" erschien diese Woche ein Inserat, es zeigt den bestehenden Bürgermeister Georg Willi, er bittet darum, ihm am 28. April die Stimme zu geben.

Willi hat offenbar "Fit mit Philipp" in einer Art Testosteron-Version konsumiert, und das dürfte ihn in die Lage versetzt haben, auf Feld zwei zu springen, ohne vorher auf Feld eins gelandet zu sein. Am 28. April, in zwei Wochen also, findet nämlich die Stichwahl in Innsbruck statt, dazu muss man sich aber am 14. April erst qualifizieren, also Erster oder Zweiter werden. Willi nahm das Hoppala mit Humor. Was bleibt ihm auch anderes übrig in Tirol, einem Land, in dem man "Fit mit Corona" war wie nirgends sonst?

Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Ich darf Ihnen noch zwei Empfehlungen ans mutmaßlich austrainierte Herz legen. Ich habe nunmehr die komplette erste Staffel der Corona-Kopfnüsse online gestellt, Sie finden sie hier. Neun Kapitel, über 200.000 Buchstaben, kein kleiner Happen zwischendurch, aber total vegan. Die Tagebücher der Pandemie gibt es auch zum Anhören als Podcasts, auch die wurden ohne Beimengung von Tiermehl aufgenommen.

Eugen Freund hat einen neuen, sehr flotten Roman geschrieben, es geht um das Schicksal einer Festplatte aus dem Bundeskanzleramt, hier finden Sie mehr dazu. Ich habe den nachmaligen ZiB 1-Moderator erstmals 2010 auf einem Flug von Washington nach Wien getroffen, er wusste nicht, wer ich bin, ich beließ es dabei. Mein Jüngster war damals sechs Jahre alt, sein Bordvideo machte Spompanadln, Freund, der dahinter saß, versuchte es rührend lange mit einer Reparatur und scheiterte. Die Erkenntnis, dass es Leute vom Fernsehen auch nicht immer schaffen, das Fernsehen fernsehbar zu machen, erdete mich. Ganz vegan!

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