Wirtschafts-Krimi

Mamma mia! Wie Italo-Banker die Politik blamierten

Die italienische Unicredit, Mutter der Bank Austria, will die zweitgrößte Bank in Deutschland schlucken. Wie der Deal tatsächlich ablief, warum er politisch peinlich gemanagt wird (Deutschland und EU). Und welche Folgen er für Europas Bankenlandschaft hat.

Andrea Orcel, früher Vorstand der UBS (Union Bank of Switzerland) ist seit 2021 CEO der Unicredit
Andrea Orcel, früher Vorstand der UBS (Union Bank of Switzerland) ist seit 2021 CEO der Unicredit
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Newsflix Redaktion
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Länderübergreifende Bankenfusionen waren in Europa in der Vergangenheit nicht unbedingt Erfolgsgeschichten. Sie gelten als langwierig, aufwendig, manchmal sogar als zum Scheitern verurteilt. Gleichzeitig fehlen in Europa immer noch wesentliche Teile einer echten Bankenunion, vor allem die europaweite Einlagensicherung.

Wer sich hier in der Vergangenheit mehr Tempo gewünscht hat, der wurde jetzt erhört. Die italienische Unicredit ist drauf und dran, sich die deutsche Commerzbank einzuverleiben. Das sorgt in Deutschland politisch für helle Aufregung. Was Sie jetzt dazu wissen müssen:

Was ist eigentlich passiert?
Die italienische Unicredit hat in den letzten Wochen Tatsachen geschaffen und in einer Hauruck-Aktion 21 Prozent der deutschen Commerzbank aufgekauft. Die deutsche Regierung zeigte sich empört, muss sich aber selbst an der Nase fassen, denn sie ließ sich überrumpeln. Und: Statt sein Unternehmen kampfbereit zu machen, verließ Commerzbank-Chef Manfred Knof das Institut quasi über Nacht.

"Gläserne Klippe": Finanzvorständin Bettina Orlopp wurde über Nacht Chefin der Commerzbank
"Gläserne Klippe": Finanzvorständin Bettina Orlopp wurde über Nacht Chefin der Commerzbank
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Wie ist der Vorgang politisch zu bewerten?
Es handelt sich um eine wirtschaftspolitisches Blamage für die Ampelregierung. Die Commerzbank gilt als klassische Mittelstandsbank – und ausgerechnet die gerät nun in ausländische Hände. Kritiker werfen dem deutschen Finanzminister Christian Lindner vor, blind gewesen zu sein, denn Gerüchte über ein Interesse der Italiener gab es schon lange.

Man kann von einem Angriff der Unicredit auf die Commerzbank sprechen, oder?
Im Grunde ja, denn es handelt sich um den Versuch einer feindlichen Übernahme.

Wann begann der Versuch der feindlichen Übernahme?
Die deutsche Regierung hielt seit der Finanzkrise 16,5 Prozent an der Commerzbank. Als sich die Regierung im September dazu entschloss, 4,5 Prozent ihrer Anteile abzustoßen, griff die Unicredit zu. Erst im Nachgang wurde bekannt, dass die Italiener zeitgleich rund 4,7 Prozent der Commerzbank-Aktien über die Börse erworben hatten. Damit kamen sie in einem ersten Schritt einmal auf 9 Prozent.

Das Gewerbehochhaus in Frankfurt, Sitz der Commerzbank AG
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Damit gaben sie sich aber nicht zufrieden, oder?
Nein! Über Finanzinstrumente, sogenannte Derivate, sicherte sich Unicredit das Recht auf weitere 12 Prozent an der Commerzbank. Damit halten die Italiener, zumindest rechnerisch, 21 Prozent am deutschen Geldhaus. Der Ordnung halber muss man ergänzen, dass die EZB diesen Schritt, also die zusätzlichen 12 Prozent, erst noch genehmigen muss. Eine Zustimmung gilt aber als hochwahrscheinlich.

Wie sind demnach die Kräfteverhältnisse bei der Commerzbank?
Die deutsche Regierung besitzt nach ihrem jüngsten Verkauf nur mehr 12 Prozent. Das heißt, jetzt ist die Unicredit und nicht mehr der deutsche Staat der größte Einzelaktionär der Commerzbank.

War es das fürs Erste, oder hat die Unicredit Appetit auf mehr?
Der Hunger der Italo-Banker auf die Commerzbank scheint noch nicht gestillt. Bei der EZB haben sie beantragt, ihren Anteil auf 29,9 Prozent aufstocken zu dürfen.

Warum gerade diese Zahl?
Weil sie ab einer Beteiligung von 30 Prozent allen Aktionären der Commerzbank verpflichtend ein Übernahmeangebot machen müssen.

Die Commerzbank Arena ist der Heimspielort des Bundesligaklubs Eintracht Frankfurt
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Welchen Bezug gibt es zu Österreich?
Die Unicredit ist zu 99,996 Prozent Eigentümerin der Bank Austria. Die restlichen 0,004 Prozent besitzen die AVZ Privatstiftung zur Verwaltung von Anteilsrechten (10.000 Aktien) und der Betriebsratsfonds des Betriebsrates der Angestellten der UniCredit Bank Austria AG Region Wien (115 Aktien).

Wem gehört die Unicredit?
Die Unicredit ist aus der Fusion mehrerer italienischer Bankinstitute entstanden. Heute handelt es sich um eine weltweit tätige Aktiengesellschaft, die Aktien befinden sich zu 100 Prozent im Streubesitz. Größter Aktionär ist mit rund 7 Prozent die BlackRock-Gruppe, der größte Vermögensverwalter der Welt. Firmensitz ist New York. BlackRock managt laut Eigenangabe ein Vermögen von über 10,6 Billionen US-Dollar. Laut Geschäftsbericht hatte die Unicredit im Vorjahr 72.077 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und betreute 15 Millionen Kunden.

Was ist dann das finale Ziel der Unicredit in Deutschland?
Auch wenn sich die Italiener offiziell bedeckt halten, gehen Analysten davon aus, dass die Unicredit am Ende eine komplette Übernahme der Commerzbank anstrebt. Schnell dürfte das aber sicher nicht gehen.

Nächste Krise: Deutschlands Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit Kanzler Olaf Scholz (SPD)
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Die deutsche Regierung reagierte auf das Vorgehen extrem irritiert. Warum eigentlich?
Nun ja, das hat wohl mehrere Gründe. Zum einen wurden die Deutschen von dem Coup einigermaßen überrascht und fühlen sich vorgeführt. In der Tat sind feindliche Übernahmen im europäischen Bankensektor überaus selten. Und zum anderen fürchtet man offenbar einen massiven Stellenabbau bei der Commerzbank.

Ist diese Furcht begründet?
Ja! Immerhin hat die Unicredit schon einmal eine Bank in Deutschland übernommen, und zwar die HVB im Jahr 2005. Gegenüber dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme hat die HVB heute weniger als die Hälfte ihrer Belegschaft. Insofern sind die Befürchtungen der Deutschen nicht ganz aus der Luft gegriffen.

Wird aber nicht mit zweierlei Maß gemessen?
Schon! Kanzler Scholz (SPD) selbst hat sich wiederholt für eine stärkere Integration der europäischen Bankenlandschaft ausgesprochen. Das macht die Sache auch einigermaßen pikant. Die Deutschen müssen sich hier den Vorwurf gefallen lassen, mit zweierlei Maß zu messen. Offenbar befürworten sie Übernahmen nur dann, wenn sie die Käufer sind. Gerät aber ein deutsches Unternehmen ins Visier, ist der Aufschrei sofort groß und von Integration keine Rede mehr.

Im Juni streikte die Belegschaft der Commerzbank noch für höhere Löhne
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Und was sagen die Italiener?
Die scheinen auch nur Europäer bis zur Landesgrenze zu sein. Der italienische Vizepremier Matteo Salvini hat schon verlauten lassen, die Unicredit dürfe ihren Sitz auf keinen Fall nach Deutschland verlegen, wenn das eine Bedingung für ein Zustandekommen des Deals sein sollte. Da fragt man sich, baut er nur vor, oder ist sowas tatsächlich schon im Gespräch?

Und was sagt die deutsche Politik?
Im Prinzip dasselbe wie die Italiener, nur andersrum. Es gibt aber auch abwägendere Stimmen. Der Ökonom Lars Feld, der 2022 eigentlich Leiter des Wiener Instituts für Höhere Studien (IHS) werden sollte, aber dann absagte, sieht in einer Übernahme der Commerzbank durch die Unicredit "mehr Vorteile als Nachteile". Das sagte der Berater von Bundesfinanzminister Christian Lindner der italienischen Wirtschaftszeitung "Il Sole 24 Ore".

Nun protestierten rund 250 Beschäftigte gegen eine Übernahme der Commerzbank durch die Unicredit
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Die Commerzbank hat mitten in diesen Turbulenzen eine Frau in den Chefsessel gehievt. Warum das?
Das sieht nach einem klaren Fall von "Gläserner Klippe" aus. Mit Bettina Orlopp wird die bisherige Finanzvorständin neue Vorstandsvorsitzende der Commerzbank. Selbstverständlich ist sie die erste Frau in dieser Rolle. Und es scheint das klassische Muster abzulaufen: In einer eher schwierigen Situation, in der Diplomatie und Verhandlungsgeschick gefragt sind, und in der es möglicherweise wenig zu gewinnen gibt, darf eine Frau ans Ruder.

Was bedeutet das alles jetzt für die Zukunft der europäischen Banken?
Es zeigt ganz deutlich, wie schwierig die praktische Umsetzung einer Kapitalmarkt- und Bankenunion tatsächlich ist. In der Theorie sind alle dafür. Die praktische Umsetzung solcher Vorhaben bringt aber immer mit sich, dass eine Seite (zumindest nach außen hin) als Verlierer dasteht. Und da spießt es sich natürlich.

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