Wahl-Duell

Nach TV-Debakel: Tauschen Demokraten nun Biden aus?

Der Auftritt erschreckte viele in den USA, vor allem aber die eigene Partei: Im ersten Fernsehduell vor der US-Wahl zeigte sich Joe Biden verwirrt, fand oft die Worte nicht, wirkte entgeistert. US-Experte Eugen Freund analysiert.

US-Präsident Joe Biden wirkte in der Debatte über weite Strecken geistesabwesend
US-Präsident Joe Biden wirkte in der Debatte über weite Strecken geistesabwesend
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Eugen Freund
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Er habe eine Erkältung gehabt, versucht sich das Team am Ende des Tages an einer Erklärung. Aber da ist es für Joe Biden längst zu spät.

Es ist 3.50 Uhr in Mitteleuropa: noch keine Stunde ist vorbei und so viel lässt sich schon jetzt sagen: Das ist und wird ein Desaster für Joe Biden. Sogar seine Unterstützer in der demokratischen Partei kommen zum Schluss, dass das sehr schlecht für den amtierenden Präsidenten aussieht. So jedenfalls zitiert die "New York Times" einige Anhänger des Präsidenten, die vor dem Fernseher sitzen und sich die erste TV-Debatte zwischen dem früheren Präsidenten Donald Trump und dem Amtsinhaber Joe Biden ansehen.

Biden weiß nicht, was er sagen soll Er ist des öfteren nicht in der Lage einen Satz zu beenden, seine Stimme klingt rau, oft schafft er es nicht einmal die knappen zwei Minuten, die jeder der beiden Kandidaten hat, um Fragen zu beantworten, mit einer verständlichen Antwort zu füllen. Immer wieder erinnert ihn der oder die Moderatorin, er habe noch "forty seconds", möchte er noch etwas hinzufügen?

Trump setzt auf Problem Asyl Donald Trump hingegen macht, was er immer macht: er übertreibt, beschuldigt seinen Gegner, der schlechteste Präsident aller Zeiten zu sein, wogegen die USA unter seiner Führung zum geachtetsten und stärksten Land der Welt geworden sind. Schon zu Beginn, beim Thema Immigration, punktet Trump mit dem Ausspruch, unter Biden sei "die größte Anzahl an Terroristen" über die Grenze eingedrungen. Und die "töten, vergewaltigen und berauben unsere Landsleute" - und das wiederholt er zumindest dreimal.

Blick in ein Pub in San Francisco, Kalifornien: Die Reaktion deckte sich mit den Wahrnehmungen vieler Amerikaner zum Duell
Blick in ein Pub in San Francisco, Kalifornien: Die Reaktion deckte sich mit den Wahrnehmungen vieler Amerikaner zum Duell
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Biden hat dem kaum etwas entgegen zu halten. Was beide verbindet ist, dass sie sich beinahe ununterbrochen gegenseitig als Lügner bezeichnen. Kein Wunder, dass ein 20-jähriger Erstwähler in der "NYT" mit dem Ausspruch zitiert wird: "Die sind beide zu alt für das Amt, keiner von beiden überzeugt mich."

Eingefroren, starrt vor sich hin CNN, das die erste und  früheste TV-Debatte in der Geschichte der USA organisiert und ausgetragen hat, zeigt oft beide  gleichzeitig: wenn Biden spricht, zieht Trump alle möglichen Grimassen. Er schließt die Augen, verzieht den Mund, blickt nach oben, nach unten, schüttelt den Kopf. Umgekehrt, wenn Trump Biden mit den wildesten Anschuldigungen überschüttet, starrt der Präsident mit geöffnetem Mund vor sich hin, wie eingefrorenen wirkt sein Gesicht.

Von Frage nach Alter überrascht Nach einer Stunde und zwanzig Minuten formuliert Dana Bash, die erfahrene CNN-Moderatorin, die Frage, die sich jetzt mehr noch denn je stellt: "Präsident Biden, am Ende ihrer Amtszeit werden sie 86 Jahre sein. Womit können Sie ihre Wähler überzeugen, dass sie dann auch noch voll in der Lage sein werden, das Land zu führen." Biden wusste wohl, dass diese Frage auf ihn zukommen wird: "Ich war immer der Jüngste, als ich in die Politik eintrat, jetzt bin ich eben der Älteste …" alles, was danach kommt, ist einigermaßen unverständlich.

Bei Trump klingt das ganz anders. Ihm wäre es viel lieber, das Land wäre in einem guten Zustand, er trete jetzt nur deshalb an, um diese Vereinigten Staaten wieder zur "größten Macht aller Zeiten zu machen". So wie es nach dieser TV-Debatte aussieht, wird er dafür wohl die Gelegenheit bekommen.

Der frühere US-Präsident musste in der Debatte nicht mehr tun als er selbst zu sein
Der frühere US-Präsident musste in der Debatte nicht mehr tun als er selbst zu sein
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"Armselig" Das Echo auf den Auftritt fällt verheerend aus. "Biden stolperte, er trug seine Retortensätze mit dünner Stimme vor, murmelte Worte und lieferte Blicke der Verwirrung", schreibt die "Washington Post". "Armselig" nennt der "Guardian", was Biden ablieferte. Als "schmerzhaft" bezeichnet der "Spiegel" die Debatte für den US-Präsidenten. "Die Reaktionen aus dem demokratischen Lager sind panisch. Alle sind besorgt", so der Sender MSNBC, der die Show ebenfalls zeigte.

Probleme hatten auch die Übersetzer des ORF, der die Debatte live ab 2.45 Uhr übertrug. Oft ergaben die Sätze, die zu hören waren, keinerlei Sinn. Und das lag nicht an den Dolmetschern. Ein Beispiel aus dem Originaltext von Biden vom Beginn: Er wolle "sicherstellen, dass wir unser Gesundheitssystem weiterhin stärken … und sicherstellen, dass wir in der Lage sind, jede einzelne einsame Person für das zu qualifizieren, was ich mit dem Covid tun konnte, entschuldigen Sie mich, mit allem umzugehen, was wir tun müssen … schauen Sie, wenn wir endlich Medicare schlagen."

Er weiß nicht, was er gesagt hat Trump machte sich schon während der Debatte über seinen Kontrahenten lustig: "Ich weiß wirklich nicht, was er am Ende dieses Satzes gesagt hat. Ich glaube auch nicht, dass er weiß, was er gesagt hat." Das Social Media-Team von Trump stellte die konfusesten Passagen von Biden auf Truth Social, die Plattform des Ex-Präsidenten. Millionen Amerikaner staunten und schüttelten den Kopf.

US-Präsident Joe Biden mit Ehefrau Jill während einer Werbepause
US-Präsident Joe Biden mit Ehefrau Jill während einer Werbepause
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Kommt Rücktritt? Am 22. März schrieb ich hier meine erste Wahl-Analyse für Newsflix. Der Titel lautete: "Salutiert Joe Biden in letzter Minute ab?" Manche haben das damals seltsam gefunden, schließlich ist der US-Präsident inzwischen mit einer satten Mehrheit an Wahlmännern ausgestattet. Es wäre üblich, dass er beim abschließenden Nominierungs-Kongress seiner Partei als Kandidat für das Amt des Präsidenten bestätigt wird. Biden könne auf gute Zahlen in der Wirtschaft verweisen, notierte ich damals, alles schien auf eine zweite Amtszeit hinauszulaufen. "Nur", schrieb ich, "ich glaube nicht daran."

Nicht das erste Mal Nach dem ersten Wahlduell im Fernsehen scheint das nicht mehr abwegig zu sein. Die "New York Times" beschäftigte sich am Tag nach dem "wackeligen Auftritt" mit den Debatten, die innerhalb der Demokraten ausgebrochen sind. Die Partei denke panisch darüber nach, Biden als Kandidat zu ersetzen. Das gab es schon, wenn auch nicht zu einem so späten Zeitpunkt. Lyndon B. Johnson verzichtete am 31. März 1968, sieben Monate vor der Wahl, auf eine Kandidatur.

Präsident Joe Biden besteigt nach der TV-Konfrontation die Air Force One
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Die Demokraten halten ihre "National Convention" erst von 19. bis 22. August in Chicago ab. 3.936 Wahlmänner entscheiden über die weitere Karriere des amtierenden Präsidenten. Bis dahin wird die Diskussion nicht abreißen. "Viele Demokraten haben sich während des Duells geschrieben, dass Biden seinen Rückzug verkünden muss. Wir brauchen einen neuen Kandidaten", zitiert die "Financial Times" einen ungenannten Abgeordneten. "Er bestätigte unsere schlimmsten Ängste", meldete ein anderer.

Es schmerzt mich wirklich, das zu sagen", sagte Obamas Ex-Kampagnenmanager David Plouffe zu MSNBC. "Biden und Trump sind drei Jahre auseinander. Sie schienen heute Abend etwa 30 Jahre auseinander zu sein."

Noch will Biden nichts davon wissen, einen Rückzug lehnte er ab. "Nein, es ist schwer, mit einem Lügner zu diskutieren", sagte er. Seiner Meinung nach sei die Debatte gut gelaufen. Aber liegt das eigene politische Schicksal noch in seinen Händen?

Eugen Freund war Moderator der ZiB 1, lebte von 1979 bis 1984 in New York und war von 1995 bis 2001 in Washington als ORF-Korrespondent tätig. Er war Teil der SPÖ-Delegation im Europa-Parlament und ebendort Mitglied der USA-Delegation (2014-2019)

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